Briefwechsel mit Goethe

[64] Mit Flammenschrift war innigst eingeschrieben

Petrarcas Brust, vor allen andern Tagen,

Karfreitag. Ebenso, ich darf's wohl sagen,

Ist mir Advent von Achtzehnhundertsieben.


Ich fing nicht an, ich fuhr nur fort zu lieben

Sie, die ich früh im Herzen schon getragen,

Dann wieder weislich aus dem Sinn geschlagen,

Der ich nun wieder bin ans Herz getrieben.


Petrarcas Liebe, die unendlich hohe,

War leider unbelohnt und gar zu traurig,

Ein Herzensweh, ein ewiger Karfreitag;


Doch stets erscheine, fort und fort, die frohe,

Süß, unter Palmenjubel, wonneschaurig,

Der Herrin Ankunft mir, ein ew'ger Maitag.
[65]


An Goethe

Kassel, den 15. Mai 1807


»Liebe, liebe Tochter! Nenne mich für alle Tage, für alle Zukunft mit dem einen Namen, der mein Glück umfaßt; mein Sohn sei Dein Freund, Dein Bruder, der Dich gewiß liebt usw.«

Solche Worte schreibt mir Goethes Mutter; zu was berechtigen mich diese? – Auch brach es los wie ein Damm in meinem Herzen; – ein Menschenkind, einsam auf einem Fels, von Stürmen umbraust, seiner selbst ungewiß hin- und herschwankend, wie Dornen und Disteln um es her – so bin ich; so war ich, da ich meinen Herrn noch nicht erkannt hatte. Nun wend ich mich wie die Sonnenblume nach meinem Gott und kann ihm mit dem von seinen Strahlen glühenden Angesicht beweisen, daß er mich durchdringt. O Gott! Darf ich auch! – Und bin ich nicht allzu kühn?

Und was will ich denn? – Erzählen, wie die herrliche Freundlichkeit, mit der Sie mir entgegenkamen, jetzt in meinem Herzen wuchert? – alles andre Leben mit Gewalt erstickt? Wie ich immer muß hinverlangen, wo mir's zum erstenmal wohl war? – Das hilft alles nichts; die Worte Ihrer Mutter! – Ich bin weit entfernt, Ansprüche an das zu machen, was ihre Güte mir zudenkt, – aber diese haben mich geblendet; und ich mußte zum wenigsten den Wunsch befriedigen, daß Sie wissen möchten, wie mächtig mich die Liebe in jedem Augenblick zu Ihnen hinwendet.

Auch darf ich mich nicht scheuen, einem Gefühl mich hinzugeben, das sich aus meinem Herzen hervordrängt wie die junge Saat im Frühling; – es mußte so sein, und der Same war in mich gelegt; es ist nicht mein vorsätzlicher Wille, wenn ich oft aus dem augenblicklichen Gespräch zu Ihren Füßen getragen bin; dann setze ich mich an die Erde und lege den Kopf auf Ihren Schoß, oder ich drücke Ihre Hand an meinen Mund, oder ich stehe an Ihrer Seite und umfasse Ihren Hals; und es währt lange, bis ich eine Stellung finde, in der ich beharre. Dann plaudre ich, wie es mir behagt; die Antwort aber, die ich mir in Ihrem Namen gebe, spreche ich mit Bedacht aus: »Mein Kind! Mein artig gut Mädchen! Liebes Herz!« Ja, so klingt's aus jener wunderbaren Stunde herüber, in der ich glaubte von Geistern in eine andre Welt getragen zu sein; und wenn ich dann bedenke, daß es von Ihren Lippen so widerhallen könnte, wenn ich wirklich vor Ihnen stände, – dann schaudre ich vor Freude und Sehnsucht zusammen. O wieviel hundertmal träumt man und träumt besser, als einem je wird. – Mutwillig und übermütig bin ich auch zuweilen und preise den Mann glücklich, der so sehr geliebt wird; dann lächeln Sie und bejahen es in freundlicher Großmut.[67]

Weh mir! Wenn dies alles nie zur Wahrheit wird, dann werd ich im Leben das Herrlichste vermissen. Ach, ist der Wein denn nicht die süßeste und begehrlichste unter allen himmlischen Gaben? Daß wer ihn einmal gekostet hat, trunkner Begeistrung nimmer abschwören möchte. – Diesen Wein werd ich vermissen, und alles andre wird mir sein wie hartes geistloses Wasser, dessen man keinen Tropfen mehr verlangt, als man bedarf.

Wie werd ich mich alsdann trösten können! – Mit dem Lied etwa: »Im Arm der Liebe ruht sich's wohl, wohl auch im Schoß der Erde?« – Oder: »Ich wollt, ich läg und schlief zehntausend Klafter tief.« – Ich wollt, ich könnte meinen Brief mit einem Blick in Ihre Augen schließen; schnell würde ich Vergebung der Kühnheit herauslesen und diese noch mit einsiegeln; ich würde dann nicht ängstlich sein über das kindische Geschwätz, das mir doch so ernst ist. Da wird es hingetragen in rascher Eile viele Meilen; der Postillon schmettert mit vollem Enthusiasmus seine Ankunft in die Lüfte, als wolle er frohlockend fragen: »Was bring ich?« – Und nun bricht Goethe seinen Brief auf und findet das unmündige Stammeln eines unbedeutenden Kindes. Soll ich noch Verzeihung fordern? – O, Sie wissen wohl, wie übermächtig, wie voll süßen Gefühls das Herz oft ist, und die kindische Lippe kann das Wort nicht treffen, den Ton kaum, der es widerklingen macht.

Bettine Brentano

An Bettine

im Brief an seine Mutter eingelegt von Goethe.


Solcher Früchte, reif und süß, würde man gern an jedem Tag genießen, den man zu den schönsten zu zählen berechtigt sein dürfte.

Wolfgang Goethe


Liebe Mutter, geben Sie dies eingesiegelte Blättchen an Bettine und fordern Sie sie auf, mir noch ferner zu schreiben.

An Goethe

Am 25. Mai


Wenn die Sonne am heißesten scheint, wird der blaue Himmel oft trübe; man fürchtet Sturm und Gewitter, beklemmende Luft drückt die Brust, aber endlich siegt die Sonne; ruhig und golden sinkt sie dem Abend in den Schoß.

So war mir's, da ich Ihnen geschrieben hatte; ich war beklemmt, wie wenn ein Gewitter sich spüren läßt, und ward oft rot über den Gedanken, daß Sie es unrecht finden möchten, und endlich ward mein Mißtrauen nur durch wenig Worte, aber so lieb gelöst. Wenn Sie wüßten, wie schnelle Fortschritte mein Zutrauen in demselben Augenblick machte, da ich erkannte, daß Sie es[68] gern wollen! – Gütiger, freundlich gesinnter Mann! Ich bin so unbewandert in Auslegung solcher köstlichen Worte, daß ich schwankte über ihren Sinn; die Mutter aber sagte: »Sei nicht so dumm, er mag geschrieben haben, was er will, so heißt es, Du sollst ihm schreiben, so oft Du kannst, und was Du willst.« – Ach, ich kann Ihnen nichts anders mitteilen, als bloß was in meinem Herzen vorgeht. O dürft ich jetzt bei ihm sein, dacht ich, so glühend hell sollte meine Freudensonne ihm leuchten, wie sein Auge freundlich dem meinigen begegnet. Ja wohl, herrlich! Ein Purpurhimmel mein Gemüt, ein warmer Liebestau meine Rede, die Seele müßte wie eine Braut aus ihrer Kammer treten ohne Schleier und sich bekennen: »O Herr, in Zukunft will ich Dich oft sehen und lang am Tage, und oft soll ihn ein solcher Abend schließen.«

Ich gelobe es, dasjenige, was von der äußeren Welt unberührt in mir vorgeht, heimlich und gewissenhaft demjenigen darzulegen, der so gern teil an mir nimmt, und dessen allumfassende Kraft den jungen Keimen meiner Brust Fülle befruchtender Nahrung verspricht.

Das Gemüt hat ohne Vertrauen ein hartes Los; es wächst langsam und dürftig, wie eine heiße Pflanze zwischen Felsen; so bin ich, – so war ich bis heute, – und diese Herzensquelle, die nirgend wo ausströmen, konnte, findet plötzlich den Weg ans Licht, und paradiesische Ufer im Balsamduft blühender Gefilde begleiten ihren Weg.

O Goethe! – Meine Sehnsucht, mein Gefühl sind Melodien, die sich ein Lied suchen, dem sie sich anschmiegen möchten. Darf ich mich anschmiegen? – Dann sollen diese Melodien so hoch steigen, daß sie Ihre Lieder begleiten können.

Ihre Mutter schrieb wie von mir: daß ich keinen Anspruch an Antworten mache; daß ich keine Zeit rauben wolle, die Ewiges hervorbringen kann; so ist es aber nicht: meine Seele schreit wie ein durstiges Kindchen; alle Zeiten, zukünftige und verflossene, möchte ich in mich trinken, und mein Gewissen würde mir wenig Bedenken machen, wenn die Welt von nun an weniger von Ihnen zu erfahren bekäme und ich mehr. Bedenken Sie indes, daß nur wenig Worte von Ihnen ein größeres Maß von Freude ausfüllen werden, als ich von aller späteren Zeit erwarte.

Bettine


Die Mutter ist sehr heiter und gesund, sie trinkt noch einmal soviel Wein wie vor'm Jahr, geht bei Wind und Wetter ins Theater; singt in ihrem Übermut mir vor: »Zärtliche getreue Seele, deren Schwur kein Schicksal bricht.«

Extrablatt

Wir führen Krieg, ich und die Mutter, und nun ist's so weit gekommen, daß ich kapitulieren muß; die harte Bedingung ist, daß ich selbst Ihnen alles erzählen soll, womit ich's verschuldet habe, und was die gute Mutter so[69] heiter und launig ertragen hat; sie hat eine Geschichte daraus zusammengesponnen, die sie mit tausend Pläsier erzählt; sie könnte es also selbst viel besser schreiben, das will sie nicht, ich soll's zu meiner Strafe erzählen, und da fühl ich mich ganz beschämt.

Ich sollte ihr den Gall bringen und führte ihr unter seinem Namen den Tieck zu; sie warf gleich ihre Kopfbedeckung ab, setzte sich und verlangte, Gall solle ihren Schädel untersuchen, ob die großen Eigenschaften ihres Sohnes nicht durch sie auf ihn übergegangen sein möchten; Tieck war in großer Verlegenheit, denn ich ließ ihm keinen Moment, um der Mutter den Irrtum zu benehmen; sie war gleich in heftigem Streit mit mir und verlangte, ich solle ganz stillschweigen und dem Gall nicht auf die Sprünge helfen; da kam Gall selbst und nannte sich; die Mutter wußte nicht, zu welchem sie sich bekehren solle, besonders da ich stark gegen den rechten protestierte, jedoch hat er endlich den Sieg davongetragen, indem er ihr eine sehr schöne Abhandlung über die großen Eigenschaften ihres Kopfes hielt; und ich hab Verzeihung erhalten und mußte versprechen, sie nicht wieder zu betrügen. Ein paar Tage später kam eine gar zu schöne Gelegenheit, mich zu rächen. Ich führte ihr einen jungen Mann aus Straßburg zu, der kurz vorher bei Ihnen gewesen war; sie fragte höflich nach seinem Namen; noch eh er sich nennen konnte, sagte ich: »Der Herr heißt Schneegans, hat Ihren Herrn Sohn in Weimar besucht und bringt Ihr viele Grüße von ihm«. Sie sah mich verächtlich an und fragte: »Darf ich um Ihren werten Namen bitten?« Aber noch ehe er sich legitimieren konnte, hatte ich schon wieder den famösen Namen Schneegans ausgesprochen; ganz ergrimmt über mein grobes Verfahren, den fremden Herrn eine Schneegans zu schimpfen, bat sie ihn um Verzeihung, und daß mein Mutwill keine Grenzen habe und manchmal sogar ins Alberne spiele; ich sagte: »Der Herr heißt aber doch Schneegans.« »O schweig«, rief sie, »wo kann ein vernünftiger Mensch Schneegans heißen!« Wie nun der Herr endlich zu Wort kam und bekannte, daß er wirklich die Fatalität habe so zu heißen, da war es sehr ergötzlich, die Entschuldigungen und Beteuerungen von Hochachtung gegenseitig anzuhören; sie amüsierten sich vortrefflich miteinander, als hätten sie sich jahrelang gekannt, und beim Abschied sagte die Mutter mit einem heroischen Anlauf: »Leben Sie recht wohl, Herr von Schneegans, hätte ich doch nimmermehr geglaubt, daß ich's über die Zunge bringen könne!« –

Nun, da ich's geschrieben habe, erkenne ich erst, wie schwer die Strafe ist; denn ich hab einen großen Teil des Papiers beschrieben, ohne auch nur ein Wörtchen von meinen Angelegenheiten, die mir so sehr am Herzen liegen, anzubringen. Ja, ich schäme mich, Ihnen heute noch was anders zu sagen, als nur meinen Brief mit Hochachtung und Liebe abzuschließen. Aber morgen, da fange ich einen neuen Brief an, und der hier soll nichts gelten.

Bettine[70]

An Goethe

3. Juni


Ich habe heut' bei der Mutter einliegenden Brief an Sie abgeholt, um doch eher schreiben zu dürfen, ohne unbescheiden zu sein. Ich möchte gar zu gern recht vertraulich kindisch und selbst ungereimt an Sie schreiben dürfen, wie mir's im Kopf käme – Darf ich? Z.B., daß ich verliebt war fünf Tage lang, ist das ungereimt? – Nun, was spiegelt sich denn in Ihrer Jugendquelle? – Nur hineingeschaut; Himmel und Erde malen sich drin; in schöner Ordnung stehen die Berge und die Regenbogen und die blitzdurchriss'nen Gewitterwolken, und ein liebend Herz schreitet durch, höherem Glück entgegen; und den sonnedurchleuchteten Tag kränzet der heimliche Abend in Liebchens Arm.

Drum sei mir's nicht verargt, daß ich fünf Tage lang verliebt war.

Bettine

Goethe an B.

10. Juni


Der Dichter ist manchmal so glücklich, das Ungereimte zu reimen, und so wär es Ihnen zu gestatten, liebes Kind, daß Sie ohne Rückhalt, alles was Sie der Art mitzuteilen haben, ihm zukommen ließen. Gönnen Sie mir aber auch eine nähere Beschreibung dessen, der in fünftägigem Besitz Ihres Herzens war, und ob Sie auch sicher sind, daß der Feind nicht noch im Versteck lauert. Wir haben auch Nachrichten von einem jungen Mann, der, in eine große Bärenmütze gehüllt, in Ihrer Nähe weilt und vorgibt, seine Wunden heilen zu müssen, während er vielleicht im Sinne hat, die gefährlichsten zu schlagen.

Erinnern Sie sich jedoch bei so gefahrvollen Zeiten des Freundes, der es angemessener findet, Ihren Herzenslaunen jetzt nicht in den Weg zu kommen.

G.

Lieber Goethe! Lieber Freund!

14. Juni


Heute hab ich mit der Mutter Wahl gehalten, was ich Ihnen für einen Titel geben darf; da hat sie mir die beiden freigelassen, – ich hab sie beide hingeschrieben; ich seh der Zeit entgegen, wo meine Feder anders dahintanzen wird, – unbekümmert, wo die Flammen hinausschlagen; wo ich Ihnen mein verborgenes Herz entdecke, das so ungestüm schlägt und doch zittert. Werden Sie mir solche Ungereimtheiten auch auflösen? – Wenn ich in derselben Natur mich weiß, deren inneres Leben durch Ihren Geist mir verständlich wird, dann kann ich oft beide nicht mehr voneinander unterscheiden; ich leg mich an grünen Rasen nieder mit umfassenden Armen und[71] fühle mich Ihnen so nah wie damals, wo Sie, den Aufruhr in meinem Herzen zu beschwichtigen, zu dem einfachen Zaubermittel griffen, von meinen Armen umfaßt, so lange mich ruhig anzusehen, bis ich von der Gewißheit meines Glückes mich durchdrungen fühlte.

Lieber Freund! Wer dürfte zweifeln, daß das, was einmal so erkannt und so ergriffen war, wieder verloren gehen könne? – Nein! – Sie sind mir nimmer fern. Ihr Geist lächelt mich an und berührt mich zärtlich vom ersten Frühlingsmorgen bis zum letzten Winterabend.

So kann ich Ihnen auch das Liebesgeheimnis mit der Bärenmütze für Ihren leisen Spott über meine ernste Treue auf das beschämendste erklären. – Nichts ist reizender als die junge Pflanze in voller Blüte stehend, auf der der Finger Gottes jeden frischen Morgen den zarten Tau in Perlen reihet und ihre Blätter mit Duft bemalt. – So blüheten im vorigen Jahr ein paar schöne blaue Augen unter der Bärenmütze hervor, so lächelten und schwätzten die anmutigen Lippen, so wogten die schwanken Glieder, und so schmiegte sich zärtliche Neigung in jede Frage und Antwort und hauchten in Seufzern den Duft des tieferen Herzens aus, wie jene junge Pflanze. – Ich sah's mit an und verstand die Schönheit, und doch war ich nicht verliebt; ich führte den jungen Husaren zur Günderode, die traurig war; wir waren jeden Abend zusammen, der Geist spielte mit dem Herzen, tausend Äußerungen und schöne Modulationen hörte und fühlte ich, – und doch war ich nicht verliebt. – Er ging, – man sah, daß der Abschied sein Herz bedrängte. »Wenn ich nicht wiederkehre«, sagte er, »so glauben Sie, daß die köstlichste Zeit meines Lebens diese letzte war.« – Ich sah ihn die Stiegen hinabspringen, ich sah seine reizende Gestalt, in der Würde und Stolz seiner schwanken Jugend gleichsam einen Verweis geben, sich aufs Pferd schwingen und fort in den Kugelregen reiten, – und ich seufzte ihm nicht nach. Dies Jahr kam er wieder mit einer kaum vernarbten Wunde auf der Brust; er war blaß und matt und blieb fünf Tage bei uns. Abends, wenn alles um den Teetisch versammelt war, saß ich im dunkeln Hintergrund des Zimmers, um ihn zu betrachten, er spielte auf der Gitarre; – da hielt ich eine Blume vors Licht und ließ ihren Schatten auf seinen Fingern spielen, – das war mein Wagstück, – mir klopfte das Herz vor Angst, er möchte es merken; da ging ich ins Dunkel zurück und behielt meine Blume, und die Nacht legte ich sie unters Kopfkissen. – Das war die letzte Hauptbegebenheit in diesem Liebesspiel von fünf Tagen.

Dieser Jüngling, dessen Mutter stolz sein mag auf seine Schönheit, von dem die Mutter mir erzählte, er sei der Sohn der ersten Heißgeliebten meines geliebten Freundes, hat mich gerührt.

Und nun mag der Freund sich's auslegen, wie es kam, daß ich dies Jahr Herz und Aug für ihn offen hatte, und im vorigen Jahre nicht.

Du hast mich geweckt mitten in lauen Sommerlüften, und da ich die Augen aufschlug, sah ich die reifen Äpfel an goldnen Zweigen über mir schweben, und da langt ich nach ihnen.[72]

Adieu! In der Mutter Brief steht viel von Gall und dem Gehirn; in dem meinigen viel vom Herzen.

Ich bitte, grüßen Sie den Doktor Schlosser in Ihren Briefen an die Mutter nicht mehr mit mir in einer Rubrik; es tut meinem armen Hochmut gar zu weh.

Bettine


Dein Kind, dein Herz, dein gut Mädchen, das

den Goethe über alles lieb hat und sich mit

seinem Andenken über alles trösten kann.


An Goethe

18. Juni


Gestern saß ich der Mutter gegenüber auf meinem Schemel, sie sah mich an und sagte: »Nun was gibt's? – Warum siehst du mich nicht an?« – Ich wollte, sie solle mir erzählen; – ich hatte den Kopf in meine Arme verschränkt. »Nein«, sagte sie, »wenn Du mich nicht ansiehst, so erzähl ich nichts«; und da ich meinen Eigensinn nicht brechen konnte, ward sie ganz still. – Ich ging auf und ab durch die drei langen schmalen Zimmer, und so oft ich an ihr vorüberschritt, sah sie mich an, als wolle sie sagen: »Wie lang soll's dauern?« – Endlich sagte sie: »Hör! – Ich dächte, Du gingst.« – »Wohin?« fragte ich. – »Nach Weimar zum Wolfgang, und holtest dir wieder Respekt gegen seine Mutter.« »Ach Mutter, wenn das möglich wär!« sagte ich und fiel ihr um den Hals und küßte sie und lief im Zimmer auf und ab. »Ei«, sagte sie, »warum soll es denn nicht möglich sein? Der Weg dahin hängt ja aneinander und ist kein Abgrund dazwischen; ich weiß nicht, was dich abhält, wenn du eine so ungeheure Sehnsucht hast; – eine Meile vierzigmal zu machen ist der ganze Spaß, und dann kommst du wieder und erzählst mir alles.« –

Nun hab ich die ganze Nacht von der einen Meile geträumt, die ich vierzigmal machen werde; es ist ja wahr, die Mutter hat recht, nach vierzig durchjagten Stunden läg ich am Herzen des Freundes; es ist auf dieser Erde, wo ich ihn finden kann, auf gebahnten Wegen gehet die Straße, alles deutet dorthin, der Stern am Himmel leuchtet bis zu seiner Schwelle, die Kinder am Weg rufen mir zu: »Dort wohnt er!« – Was hält mich zurück? – Ich bin allein meiner heißen Sehnsucht Zeuge, und sollte mir's nicht gewähren, was ich bitte und flehe, daß ich Mut haben möge? Nein, ich bin nicht allein, diese sehnsüchtigen Gedanken – es sind Gestalten; sie sehen mir fragend unter die Augen: wie ich mein Leben verschleifen könne, ohne Hand in Hand mit ihm, ohne Aug in Aug in ihrem Feuer zu verglühen. – O Goethe, ertrag mich, nicht alle Tage bin ich so schwach, daß ich mich hinwerfe vor Dir und nicht aufhören will zu weinen, bis Du mir alles versprichst. Es geht wie ein schneidend Schwert durch mein Herz, daß ich bei Dir sein möchte; – bei Dir, und nichts anders will ich, so wie das Leben vor mir liegt, weiß ich nichts, was ich noch fordern könnte, ich will nichts Neues wissen, nichts soll sich regen, kein Blatt am Baum, die Lüfte sollen schweigen; stille soll's[73] in der Zeit sein, und Du sollst ausharren in Gelassenheit, bis alle Schmerzen an Deiner Brust verwunden sind.


19. Juni


Gestern abend war's so, lieber Goethe; plötzlich riß der Zugwind die Tür auf und löschte mir das Licht, bei dem ich Dir geschrieben habe. – Meine Fenster waren offen, und die Pläne waren niedergelassen; der Sturmwind spielte mit ihnen; – es kam ein heftiger Gewitterregen, da ward mein kleiner Kanarienvogel aufgestört – er flog hinaus in den Sturm, er schrie nach mir, und ich lockte ihn die ganze Nacht. Erst wie das Wetter vorüber war, legt ich mich schlafen; ich war müde und sehr traurig, auch um meinen lieben Vogel. Wie ich noch bei der Günderode die griechische Geschichte studierte, da zeichnete ich Landkarten, und wenn ich Seen zeichnete, da half er Striche hineinmachen, daß ich ganz verwundert war, wie emsig er mit seinem kleinen Schnabel immer hin und her kratzte.

Nun ist er fort, gewiß hat ihm der Sturm das Leben gekostet; da hab ich gedacht, wenn ich nun hinausflög, um Dich zu suchen, und käm durch Sturm und Unwetter bis zu Deiner Tür, die Du mir nicht öffnen würdest – nein, Du wärst fort; Du hättest nicht auf mich gewartet, wie ich die ganze Nacht auf meinen kleinen Vogel; Du gehest andern Menschen nach, Du bewegst Dich in andern Regionen; bald sind's die Sterne, die mit Dir Rücksprache halten, bald die tiefen abgründlichen Felskerne; bald schreitet Dein Blick als Prophet durch Nebel und Luftschichten, und dann nimmst Du der Blumen Farben und vermählst sie dem Licht; deine Leier findest Du immer gestimmt, und wenn sie Dir auch frischgekränzt entgegenprangte, würdest Du fragen: »Wer hat mir diesen schönen Kranz gewunden?« – Dein Gesang würde diese Blumen bald versengen; sie würden ihre Häupter senken, sie würden ihre Farbe verlieren, und bald würden sie unbeachtet am Boden schleifen.

Alle Gedanken, die die Liebe mir eingibt, alles heiße Sehnen und Wollen kann ich nur solchen Feldblumen vergleichen; – sie tun unbewußt über dem grünen Rasen ihre goldnen Augen auf, sie lachen eine Weile in den blauen Himmel, dann leuchten tausend Sterne über ihnen und umtanzen den Mond und verhüllen die zitternden, tränenbelasteten Blumen in Nacht und betäubenden Schlummer. So bist Du Poete ein vom Sternenreigen seiner Eingebungen umtanzter Mond; meine Gedanken aber liegen im Tal, wie die Feldblumen, und sinken in Nacht vor Dir, und meine Begeisterung ermattet vor Dir, und alle Gedanken schlafen unter Deinem Firmament.

Bettine

Goethe an Bettine

18. Juni


Mein liebes Kind! Ich klage mich an, daß ich Dir nicht früher ein Zeichen gegeben, wie genußreich und erquickend es mir ist, das reiche Leben Deines Herzens überschauen zu dürfen. Wenn es auch ein Mangel in mir ist,[74] daß ich Dir nur wenig sagen kann, so ist es Mangel an Fassung über alles, was Du mir gibst.

Ich schreibe Dir diesen Augenblick im Flug; denn ich fürchte da zu verweilen, wo so viel Überströmendes mich ergreift. Fahre fort, Deine Heimat bei der Mutter zu befestigen; es ist ihr zu viel dadurch geworden, als daß sie Dich entbehren könnte, und rechne Du auf meine Liebe und meinen Dank.

G.


An Goethe

Frankfurt, am 29. Juni


Wenn ich alles aus dem Herzen in die Feder fließen ließ, so würdest Du manches Blatt von mir beiseite legen, denn immer von mir und von Dir, und einzig von meiner Liebe, das wär doch nur der bewußte ewige Inhalt. Ich hab's in den Fingerspitzen und meine, ich müßte Dir erzählen, was ich nachts von Dir geträumt habe, und denk nicht, daß Du für anders in der Welt bist. Häufig hab ich denselben Traum, und es hat mir schon viel Nachdenken gemacht, daß meine Seele immer unter denselben Bedingungen mit Dir zu tun hat; es ist, als solle ich vor Dir tanzen, ich bin ätherisch gekleidet, ich hab ein Gefühl, daß mir alles gelingen werde, die Menge umdrängt mich. – Ich suche Dich, dort sitzest Du frei mir gegenüber; es ist, als ob Du mich nicht bemerktest und seiest mit anderem beschäftigt; – jetzt trete ich vor Dich, goldbeschuhet, und die silbernen Ärme hängen nachlässig, und warte; da hebst Du das Haupt, Dein Blick ruht auf mir unwillkürlich, ich ziehe mit leisen Schritten magische Kreise, Dein Aug verläßt mich nicht mehr, Du mußt mir nach, wie ich mich wende, und ich fühle einen Triumph des Gelingens; – alles, was Du kaum ahnest, das zeige ich Dir im Tanz, und Du staunst über die Weisheit, die ich Dir vortanze, bald werf ich den luftigen Mantel ab und zeig Dir meine Flügel und steig auf in die Höhen; da freu ich mich, wie Dein Aug mich verfolgt; dann schweb ich wieder herab und sink in Deine umfassenden Arme; dann atmest Du Seufzer aus und siehst an mir hinauf und bist ganz durchdrungen; aus diesen Träumen erwachend, kehr ich zu den Menschen zurück wie aus weiter Ferne; ihre Stimmen schallen mir fremd und ihre Gebärden auch; – und nun laß mich bekennen, daß bei diesem Bekenntnis meiner Traumspiele meine Tränen fließen. Einmal hast Du für mich gesungen: »So laßt mich scheinen, bis ich werde, zieht mir das weiße Kleid nicht aus.« – Diese magischen Reize, diese Zauberfähigkeiten sind mein weißes Kleid; ich flehe auch, daß es mir bleibe, bis ich werde, aber Herr: diese Ahnung läßt sich nicht bestreiten, daß auch mir das weiße Kleid ausgezogen werde, und daß ich in den gewöhnlichen des alltäglichen gemeinen Lebens einhergehen werde, und daß diese Welt, in der meine Sinne lebendig sind, versinken wird; das, was ich schützend decken sollte, das werde ich verraten; da, wo ich duldend mich unterwerfen sollte, da werde ich mich rächen; und da, wo mir unbefangne kindliche Weisheit einen Wink gibt, da werd ich Trotz bieten und es besser[75] wissen wollen; – aber das Traurigste wird sein, daß ich mit dem Fluch der Sünde belasten werde, was keine ist, wie sie es alle machen; – und mir wird Recht dafür geschehen. – Du bist mein Schutzaltar, zu Dir werd ich flüchten; diese Liebe, diese mächtige, die zwischen uns waltet, und die Erkenntnis, die mir durch sie wird, und die Offenbarungen, die werden meine Schutzmauern sein; sie werden mich frei machen von denen, die mich richten wollen.

Dein Kind

An Goethe

Vorgestern waren wir im »Egmont«, sie riefen alle: »Herrlich!« Wir gingen noch nach dem Schauspiel unter den mondbeschienenen Linden auf und ab, wie es Frankfurter Sitte ist, da hört ich tausendfachen Widerhall. – Der kleine Dalberg war mit uns; er hatte Deine Mutter im Schauspiel gesehen und verlangte, ich solle ihn zu ihr bringen; sie war eben im Begriff, Nachttoilette zu machen, da sie aber hörte, er komme vom Primas, so ließ sie ihn ein; sie war schon in der weißen Negligéjacke, aber sie hatte ihren Kopfputz noch auf. Der liebenswürdige feine Dalberg sagte ihr, sein Onkel habe von oben herüber ihre freudeglänzenden Augen gesehen während der Vorstellung, und er wünsche sie vor seiner Abreise noch zu sprechen, und möchte sie doch am andern Tag bei ihm zu Mittag essen. Die Mutter war sehr geputzt bei diesem Diner, das mit allerlei Fürstlichkeiten und sonst merkwürdigen Personen besetzt war, denen zulieb die Mutter wahrscheinlich invitiert war; denn alle drängten sich an sie heran, um sie zu sehen und mit ihr zu sprechen. Sie war sehr heiter und beredsam, und nur von mir suchte sie sich zu entfernen. Sie sagte mir nachher, sie habe Angst gehabt, ich möge sie in Verlegenheit bringen; ich glaube aber, sie hat mir einen Streich gespielt, denn der Primas sagte mir sehr wunderliche Sachen über Dich, und daß Deine Mutter ihm gesagt habe, ich habe einen erhabenen ästhetischen Sinn. Da nahm er einen schönen Engländer bei der Hand, einen Schwager des Lord Nelson, und sagte: »Dieser feine Mann mit der Habichtsnase, der soll Sie zu Tisch führen, er ist der schönste von der ganzen Gesellschaft, nehmen Sie vorlieb;« der Engländer lächelte, er verstand aber nichts davon. Bei Tisch wechselte er mein Glas, aus dem ich getrunken hatte, und bat mich um Erlaubnis, daraus zu trinken, der Wein würde ihm sonst nicht schmecken; das ließ ich geschehen, und alle Weine, die ihm vorgesetzt wurden, die goß er in dies Glas und trank sie mit begeisterten Blicken aus; es war eine wunderliche Tischunterhaltung; bald rückte er seinen Fuß dicht an den meinigen und fragte mich, was meine liebste Unterhaltung sei; ich sagte, ich tanze lieber, als ich gehe, und fliege lieber, als ich tanze, und dabei zog ich meinen Fuß zurück. Ich hatte meinen kleinen Strauß, den ich vorgesteckt hatte, ins Wasserglas gestellt, damit er nicht[76] so bald welken solle, um ihn nach Tisch wieder vorzustecken, er frug: »Will you give me this?« Ich nickte ihm, er nahm ihn, daran zu riechen und küßte ihn; er steckte ihn in Busen und knöpfte die Weste darüber zu und seufzte, und da sah er, daß ich rot ward. – Sein Gesicht übergoß sich mit einem Schmelz von Freundlichkeit; er wendete es zu mir, ohne die Augen aufzuschlagen, als wolle er mich auffordern, seine wohlgefällige Bildung zu beachten; sein Fuß suchte wieder den meinen, und mit leiser Stimme sagte er: »Be good, fine girl.« – Ich konnte ihm nicht unfreundlich sein, und doch wollte ich gerne meine Ehre retten; da zog ich das eine End meines langen Gürtels um sein Bein und band es geschickt an dem Tischbein fest, ganz heimlich, daß es niemand sah; er ließ es geschehen, ich sagte: »Be good, fine boy.« – Und nun waren wir voll Scherz und Witz bis zum End der Tafel, und es war wirklich eine zärtliche Lust zwischen uns; und ich ließ ihn sehr gern meine Hand an sein Herz ziehen, wie er sie küßte. –

Ich hab meine Geschichte der Mutter erzählt, die sagt, ich soll sie Dir schreiben, es sei ein artig Lustspiel für Dich, und Du würdest sie allein schön auslegen; es ist ja wahr, Du! Der es weiß, daß ich gern den Nacken unter Deine Füße lege, Du wirst mich nicht schelten, daß ich der Kühnheit des Engländers, der gern mit meinem Fuß gespielt hätte, keinen strengeren Verweis gab. – Du, der die Liebe erkennt und die Feinheit der Sinne, o wie ist alles so schön in Dir; wie rauschen die Lebensströme so kräftig durch Dein erregtes Herz und stürzen sich mit Macht in die kalten Wellen Deiner Zeit und brausen auf, daß Berg und Tal rauchen von Lebensglut, und die Wälder stehen mit glühenden Stämmen an Deinen Gestaden; und alles, was Du anblickst, wird herrlich und lebendig. Gott, wie gern möcht ich jetzt bei Dir sein! Und wär ich im Flug, weit über alle Zeiten und schwebte über Dir: ich müßte die Fittiche senken und mich gelassen der stillen Allmacht Deiner Augen hingeben.

Die Menschen werden Dich nicht immer verstehen, und die Dir am nächsten zu stehen behaupten, die werden am meisten Dich verleugnen; ich seh in die Zukunft, da sie rufen werden: »Steiniget ihn!« Jetzt, wo Deine eigne Begeistrung gleich einem Löwen sich an Dich schmiegt und Dich bewacht, da wagt sich die Gemeinheit nicht an Dich.

Deine Mutter sagte letzt: »Die Menschen sind zu jetziger Zeit alle wie Gerning, der immer spricht: ›Wir übrigen Gelehrten‹, und ganz wahr spricht; denn er ist übrig.« –

Lieber tot als übrig sein! Ich bin es aber nicht, denn ich bin Dein, weil ich Dich erkenne in allem. – Ich weiß, daß, wenn sich auch die Wolken vor dem Sonnengott auftürmen, daß er sie bald wieder niederdrückt mit glänzender Hand; ich weiß, daß er keinen Schatten duldet als den er unter den Sprossen seines Ruhmes sich selber sucht. – Die Ruhe des Bewußtseins wird Dich überschatten; – ich weiß, daß, wenn er sich über den Abend hinwegbeugt, so erhebt er wieder im Morgen das goldne Haupt. – Du bist ewig. – Drum ist es gut mit Dir sein.[77]

Wenn ich abends allein im dunklen Zimmer bin und des Nachbars Lichter den Schein an die Wand werfen, zuweilen auch Streiflichter Deine Büste erleuchten, oder wenn es schon still in der Stadt ist, in der Nacht; hier und dort ein Hund bellt, ein Hahn schreit; – ich weiß nicht, warum es mich oft mehr wie menschlich ergreift; ich weiß nicht, wo ich vor Schmerz hin will. – Ich möchte anders als wie mit Worten mit Dir sprechen; ich möchte mich an Dein Herz drücken; – ich fühl, daß meine Seele lodert. – Wie die Luft so fürchterlich still ruht kurz vor dem Sturm, so stehen dann grade meine Gedanken kalt und still, und das Herz wogt wie das Meer. Lieber, lieber Goethe! – Dann löst mich eine Rückerinnerung an Dich wieder auf; die Feuer- und Kriegszeichen gehen langsam an meinem Himmel unter, und Du bist wie der hereinströmende Mondstrahl. Du bist groß und herrlich und besser als alles, was ich bis heute erkannt und erlebt hab. – Dein ganzes Leben ist so gut.

An Bettine

Am 16. Juli 1807


Was kann man Dir sagen und geben, was Dir nicht schon auf eine schönere Weise zugeeignet wäre; man muß schweigen und Dich gewähren lassen; wenn es Gelegenheit gibt, Dich um etwas zu bitten, da mag man seinen Dank mit einfließen lassen für das viele, was unerwartet durch Deine reiche Liebe einem geschenkt wird. Daß Du die Mutter pflegst, möchte ich Dir gern aufs herzlichste vergelten; – von dorther kam mir der Zugwind, und jetzt, weil ich Dich mit ihr zusammen weiß, fühl ich mich gesichert und warm.

Ich sage Dir nicht: »Komm!« Ich will nicht den kleinen Vogel aus dem Neste gestört haben; aber der Zufall würde mir nicht unwillkommen sein, der Sturm und Gewitter benützte, um ihn glücklich unter mein Dach zu bringen. Auf jeden Fall, liebste Bettine, bedenke, daß Du auf dem Weg bist, mich zu verwöhnen.

Goethe

An Goethe

Wartburg, den 1. August in der Nacht


Freund, ich bin allein; alles schläft, und mich hält's wach, daß es kaum ist, wie ich noch mit Dir zusammen war. Vielleicht, Goethe, war dies das höchste Ereignis meines Lebens; vielleicht war es der reichste, der seligste Augenblick; schönere Tage sollen mir nicht kommen, ich würde sie abweisen.

Es war freilich ein letzter Kuß, mit dem ich scheiden mußte, da ich glaubte, ich müsse ewig an Deinen Lippen hängen, und wie ich so dahin fuhr durch die Gänge unter den Bäumen, unter denen wir zusammen gegangen waren, da glaubte ich, an jedem Stamme müsse ich mich festhalten, – aber sie verschwanden, die grünen wohlbekannten Räume, sie wichen in die Ferne,[78] die geliebten Auen, und Deine Wohnung war längst hinabgesunken, und die blaue Ferne schien allein mir meines Lebens Rätsel zu bewachen; – doch die mußt auch noch scheiden, und nun hatt ich nichts mehr als mein heiß Verlangen, und meine Tränen flossen diesem Scheiden; ach, da besann ich mich auf alles, wie Du mit mir gewandelt bist in nächtlichen Stunden und hast mir gelächelt, daß ich Dir die Wolkengebilde auslegte und meine Liebe, meine schönen Träume, und hast mit mir gelauscht dem Geflüster der Blätter im Nachtwind; der Stille der fernen weit verbreiteten Nacht. – Und hast mich geliebt, das weiß ich; wie Du mich an der Hand führtest durch die Straßen, da hab ich's an Deinem Atem empfunden, am Ton Deiner Stimme, an etwas, wie soll ich's Dir bezeichnen, das mich umwehte, daß Du mich aufnahmst in ein inneres geheimes Leben, und hattest Dich in diesem Augenblick mir allein zugewendet und begehrtest nichts, als mit mir zu sein; und dies alles, wer wird mir's rauben? – Was ist mir verloren? – Mein Freund, ich habe alles, was ich je genossen. Und wo ich auch hingehe – mein Glück ist meine Heimat.

Wie die Regentropfen rasseln an den kleinen runden Fensterscheiben, und der Wind furchtbar tobt! Ich habe schon im Bett gelegen und hatte mich nach der Seite gewendet und wollte einschlafen in Dir, im Denken an Dich. – Was heißt das: im Herrn entschlafen? Oft fällt mir dieser Spruch ein, wenn ich so zwischen Schlaf und Wachen fühle, daß ich mit Dir beschäftigt bin; – ich weiß genau, wie das ist: der ganze irdische Tag vergeht dem Liebenden, wie das irdische Leben der Seele vergeht; sie ist hier und da in Anspruch genommen, und ob sie sich's schon verspricht, sich selber nicht zu umgehen; so hat sie sich am End durch das Gewebe der Zeiten durchgearbeitet, immer unter der heimlichen Bedingung, einmal nur Rücksprache zu nehmen mit dem Geliebten, aber die Stunden legen im Vorüberschreiten jede ihre Bitten und Befehle dar; und da ist ein übermächtiger Wille im Menschen, der heißt ihn allem sich fügen; den läßt er über sich walten, wie das Opfer über sich walten läßt, das da weiß, es wird zum Altar geführt. – Und so entschläft die Seele im Herrn, ermüdet von der ganzen Lebenszeit, die ihr Tyrann war und jetzt den Zepter sinken läßt. Da steigen göttliche Träume herauf und nehmen sie in ihren Schoß und hüllen sie ein, und ihr magischer Duft wird immer stärker und umnebelt die Seele, daß sie nichts mehr von sich weiß; das ist die Ruhe im Grabe; so steigen Träume herauf jede Nacht, wenn ich mich besinnen will auf Dich; und ich lasse mich ohne Widerstand einwiegen; denn ich fühle, daß mein Wolkenbett aufwärts mit mir steigt! –

Wenn Du diese Nacht auch wachgehalten bist, so mußt Du doch einen Begriff haben von dem ungeheuren Sturm. Eben wollte ich noch ganz stark sein und mich gar nicht fürchten; da nahm aber der Wind einen so gewaltigen Anlauf und klirrte an den Fensterscheiben und heulte so jammernd, daß ich Mitleid spürte, und nun riß er so tückisch die schwere Türe auf, er wollte mir das Licht auslöschen; ich sprang auf den Tisch und schützte es,[79] und ich sah durch die offne Tür nach dem dunklen Gang, um doch gleich bereit zu sein, wenn Geister eintreten sollten; ich zitterte vor herzklopfender Angst; da sah ich was sich bilden, draußen im Gang; und es war wirklich, als wollten zwei Männer eintreten, die sich bei der Hand hielten; einer weiß und breitschultrig, und der andre schwarz und freundlich; und ich dachte: das ist Goethe! Da sprang ich vom Tisch Dir entgegen und lief zur Tür hinaus auf den dunklen Gang, vor dem ich mich gefürchtet hatte, und ging bis ans Ende Dir entgegen, und meine ganze Angst hatte sich in Sehnsucht verwandelt; und ich war traurig, daß die Geister nicht kamen, Du und der Herzog. – Ihr seid ja oft hier gewesen zusammen, Ihr zwei freundlichen Brüder.

Gute Nacht, ich bin begierig auf morgen früh; da muß sich's ausweisen, was der Sturm wird angerichtet haben; das Krachen der Bäume, das Rieseln der Wasser wird doch was durchgesetzt haben.


Am 2. August


Heute morgen hat mich die Sonne schon halb fünf Uhr geweckt; ich glaub, ich hab keine zwei Stund geschlafen; sie mußte mir grade in die Augen scheinen. Eben hatte es aufgehört mit Wolkenbrechen und Windwirbeln, die goldne Ruhe breitete sich aus am blauen Morgenhimmel; ich sah die Wasser sich sammeln und ihren Weg zwischen den Felskanten suchen hinab in die Flut; gestürzte Tannen brachen den brausenden Wassersturz, und Felssteine spalteten seinen Lauf; er war unaufhaltsam; er riß mit sich, was nicht widerstehen konnte. – Da überkam mich eine so gewaltige Lust – ich konnte auch nicht widerstehen: ich schürzte mich hoch, der Morgenwind hielt mich bei den Haaren im Zaum; ich stützte beide Hände in die Seite, um mich im Gleichgewicht zu halten, und sprang hinab in kühnen Sätzen von einem Felsstück zum andern, bald hüben bald drüben, das brausende Wasser mit mir, kam ich unten an; da lag, als wenn ein Keil sie gespalten hätte bis an die Wurzel, der halbe Stamm einer hohlen Linde, quer über den sich sammelnden Wassern.

O liebster Freund! Der Mensch, wenn er Morgennebel trinkt und die frischen Winde sich mit ihm jagen und der Duft der jungen Kräuter in die Brust eindringt und in den Kopf steigt; und wenn die Schläfe pochen und die Wangen glühen und wenn er die Regentropfen aus den Haaren schüttelt, was ist das für eine Lust!

Auf dem umgestürzten Stamm ruhte ich aus, und da entdeckte ich unter den dickbelaubten Ästen unzählige Vogelnester, kleine Meisen mit schwarzen Köpfchen und weißen Kehlen, sieben in einem Neste, Finken und Distelfinken; die alten Vögel flatterten über meinem Kopf und wollten die jungen ätzen; ach, wenn's ihnen nur gelingt, sie groß zu ziehen in so schwieriger Lage; denk nur: aus dem blauen Himmel herabgestürzt an die Erde, quer über einen reißenden Bach, wenn so ein Vögelchen herausfällt, muß es gleich ersaufen, und noch dazu hängen alle Nester schief. – Aber[80] die hunderttausend Bienen und Mücken, die mich umschwirrten, die all in der Linde Nahrung suchten; – wenn Du doch das Leben mit angesehen hättest! Da ist kein Markt so reich an Verkehr, und alles war so bekannt, jedes sucht sein kleines Wirtshaus unter den Blüten, wo es einkehrte; und emsig flog es wieder hinweg und begegnete dem Nachbar, und da summten sie aneinander vorbei, als ob sie sich's sagten, wo gut Bier feil ist. – Was schwätze ich Dir alles von der Linde! – Und doch ist's noch nicht genug; an der Wurzel hängt der Stamm noch zusammen; ich sah hinauf zu dem Gipfel des stehenden Baumes, der nun sein halbes Leben am Boden hinschleifen muß, und im Herbst stirbt er ihm ab. Lieber Goethe, hätte ich meine Hütte dort in der einsamen Talschlucht, und ich wär gewöhnt, auf Dich zu warten, welch großes Ereignis war dieses; wie würd ich Dir entgegenspringen und von weitem schon zurufen: »Denk nur unsere Linde!« – Und so ist es auch: ich bin eingeschlossen in meiner Liebe wie in einsamer Hütte, und mein Leben ist ein Harren auf Dich unter der Linde; wo Erinnerung und Gegenwart duftet und die Sehnsucht die Zukunft herbeilockt. Ach lieber Wolfgang, wenn der grausame Sturm die Linde spaltet und die üppigere, stärkere Hälfte mit allem innewohnenden Leben zu Boden stürzt und ihr grünes Laub über bösem Geschick wie über stürzenden Bergwassern trauernd welkt und die junge Brut in ihren Ästen verdirbt; o dann denk, daß die eine Hälfte noch steht, und in ihr alle Erinnerung und alles Leben, was dieser entsprießt, zum Himmel getragen wird.

Adieu! Jetzt geht's weiter; morgen bin ich Dir nicht so nah, daß ein Brief, den ich früh geschrieben, Dir spät die Zeit vertreibt. – Ach lasse sie Dir vertreiben, als wenn ich selbst bei Dir war: zärtlich!

In Kassel bleib ich vierzehn Tage, dort werd ich der Mutter schreiben; sie weiß noch nicht, daß ich bei Dir war.

Bettine

An Bettine

War unersättlich nach viel tausend Küssen

Und mußt mit Einem Kuß am Ende scheiden.

Bei solcher Trennung herb empfundnem Leiden

War mir das Ufer, dem ich mich entrissen,


Mit Wohnungen, mit Bergen, Hügeln, Flüssen,

So lang ich's deutlich sah, ein Schatz der Freuden.

Zuletzt im Blauen blieb ein Augenweiden

An fern entwichnen lichten Finsternissen.


Und endlich, als das Meer den Blick umgrenzte,

Fiel mir's zurück ins Herz, mein heiß Verlangen,

Ich suchte mein Verlornes gar verdrossen.

Da war es gleich, als ob der Himmel glänzte,[81]

Mir schien, als wäre nichts mir, nichts entgangen,

Als hätt ich alles, was ich je genossen.


–––––


Ein Strom entrauscht umwölktem Felsensaale,

Dem Ozean sich eilig zu verbinden;

Was auch sich spiegeln mag von Grund zu Gründen,

Er wandelt unaufhaltsam fort zu Tale.


Doch stürzt sich Oreas mit einem Male,

Ihr folgen Berg und Wald in Wirbelwinden

Herab zur Flut, Behagen dort zu finden,

Und hemmt den Lauf, begrenzt die weite Schale.


Die Welle sprüht und staunt zurück und weichet

Und schwillt bergan, sich immer selbst zu trinken.

Gehemmt ist nun zum Vater hin das Streben.


Sie schwankt und ruht zum See zurückgedeichet.

Gestirne spiegelnd sich, beschaun das Blinken

Des Wellenschlags am Fels, ein neues Leben.


Deine fliegenden Blätter, liebste Bettine, kamen grade zu rechter Zeit, um dem Verdruß über Dein Verschwinden in etwas zu steuern. Beiliegend gebe ich Dir einen Teil derselben zurück; Du siehst, wie man versucht, sich an der Zeit, die uns des Liebsten beraubt, zu rächen und schöne Minuten zu verewigen. Möge sich Dir der Wert darin spiegeln, den Du für den Dichter haben mußt.

Sollte Dein Vagabondenleben noch länger dauern, so versäume nicht von allem Nachricht zu geben; ich folge Dir gerne, wo Dich auch Dein dämonischer Geist hinführt.

Ich lege diese Blätter an die Mutter bei, die Dir sie zu freundlicher Stunde senden mag, da ich Deine Adresse nicht genau weiß. – Lebe wohl und komme Deinen Verheißungen nach.

Weimar, den 7. August 1807

Goethe

An Goethe

Kassel, den 13. August 1807


Wer kann's deuten und ermessen, was in mir vorgeht? – Ich bin glücklich jetzt im Andenken der Vergangenheit, als ich kaum damals in der Gegenwart war; mein erregtes Herz, die Überraschung bei Dir zu sein, dies Kommen und Gehen und Wiederkehren in den paar Tagen, das war alles wie eindringende Wolken an meinem Himmel; er mußte durch meine zu große Nähe zugleich meinen Schatten aufnehmen, so wie er auch immer[82] dunkler ist, wo er an die Erde grenzt; jetzt in der Ferne wird er mild, hoch und ganz hell.

Ich möchte Deine liebe Hand mit meinen beiden an mein Herz drücken und Dir sagen: wie Friede und Fülle über mich gekommen ist, seitdem ich Dich weiß.

Ich weiß, daß es nicht der Abend ist, der mir jetzt ins Leben hereindämmert; o wenn er's doch wäre! Wenn sie doch schon verlebt wären die Tage und meine Wünsche und meine Freuden, möchten sie sich alle an Dir hinauf bilden, daß Du mit überdeckt wärst und bekränzt, wie mit immergrünem Laub.

Aber so warst Du, wie ich am Abend allein bei Dir war, daß ich Dich gar nicht begreifen konnte; Du hast über mich gelacht, weil ich bewegt war, und laut gelacht, weil ich weinte, aber warum? Und doch war es Dein Lachen, der Ton Deines Lachens, was mich zu Tränen rührte, so wie es meine Tränen waren, die Dich lachen machten, und ich bin zufrieden und sehe unter der Hülle dieses Rätsels Rosen hervorbrechen, die der Wehmut und der Freude zugleich entsprießen. – Ja, Du hast recht, Prophet: ich werde noch oft mit leichtem Herzen Scherz und Lust durchwühlen, ich werde mich müde tummeln, so wie ich in meiner Kindheit (ach, ich glaub es war gestern!) mich aus Übermut auf den blühenden Feldern herumwälzte und alles zusammendrückte und die Blumen mit den Wurzeln ausriß, um sie ins Wasser zu werfen, – aber auf süßem, warmem, festem Ernst will ich ausruhen, und der bist Du, lachender Prophet. –

Ich sag Dir's noch einmal: wer versteht's auf der weiten Erde, was in mir vorgeht, wie ich so ruhig in Dir bin, so still, so ohne Wanken in meinem Gefühl; ich könnte, wie die Berge, Nächte und Tage in die Vergangenheit tragen, ohne nur zu zucken in Deinem Andenken. Und doch, wenn der Wind zuweilen von der ganzen blühenden Welt den Duft und Samen zusammen auf der Berge Wipfel trägt, so werden sie auch berauscht so wie ich gestern; da hab ich die Welt geliebt, da war ich selig wie eine aufsprudelnde Quelle, in die die Sonne zum erstenmal scheint.

Leb wohl, Herrlicher, der mich blendet und mich verschüchtert. – Von diesem, steilen Fels, auf den sich meine Liebe mit Lebensgefahr gewagt hat, ist nicht mehr herunterzuklettern, daran ist gar nicht zu denken, da bräch ich auf allen Fall den Hals.

Bettine


Und so weit hatte ich gestern geschrieben, saß heute morgen auf dem Sessel und las still und andächtig in einer Chronik, ohne mich zu bewegen, denn ich wurde dabei gemalt, so wie Du mich bald sehen sollst, – da brachte man mir das blaue Kuvert, ich brach auf und fand mich darin in göttlichem Glanz wiedergeboren, und zum erstenmal glaubte ich an meine Seligkeit. Was will ich denn? Ich begreif's nicht; Du betäubst mich, jeder kleine Lärm ist mir zuwider; – wär's nur ganz still in der Welt, und ich brauchte nichts[83] mehr zu erfahren nach diesem einen Augenblick, der mich schmerzt und nach dem ich mich immer zurücksehnen werde. – Ach! Und was will ich denn mit Dir? – Nicht viel; Dich ansehen oft und warm, Dich begleiten in Dein stilles Haus, Dich ausfragen in müßigen Stunden über Dein früheres und jetziges Leben, so wie ich Dein Angesicht ausgefragt habe über seine frühere und jetzige Schönheit. – Auf der Bibliothek, da konnte ich nicht umhin, mich zu Deiner jungen Büste aufzuschwingen und meinen Schnabel wie eine Nachtigall dran zu wetzen; Du breiter voller Strom, wie Du damals die üppigen Gegenden der Jugend durchbraustest und jetzt eben ganz still durch Deine Wiesen zogst; ach, und ich stürzte Dir Felssteine vor; und wie Du wieder Dich auftürmtest; wahrlich, es war nicht zu verwundern; denn ich hatte mich tief eingewühlt.

O Goethe! – Der Gott da oben ist ein großer Dichter, der bildet Geschicke, frei im Äther schwebend, glanzvoller Gestalt. Unser armes Herz, das ist der Mutterschoß, aus dem er sie mit großen Schmerzen geboren werden lässet; das Herz verzweifelt, aber jene Geschicke schwingen sich aufwärts, freudig hallen sie wieder in den himmlischen Räumen. – Deine Lieder sind der Samen, er fällt ins wohlvorbereitete Herz, – ich fühl's, mag sich's wenden, wie es auch will, frei von irdischer Schwere wird es als himmlisches Gedicht einst aufwärts sich schwingen, und dem Gott da oben werden diese Schmerzen und diese Sehnsucht und diese begeisterten Schwingungen Sprossen des jungen Lorbeers weihen, und selig wird das Herz sein, das solche Schmerzen getragen hat.

Siehst Du, wie ich heute ernsthaft mit Dir zu sprechen versteh? – Ernster als je: und weil Du jung bist und herrlich und herrlicher wie alle, so wirst Du mich auch verstehen. – Ich bin ganz sanft geworden durch Dich; am Tage treib ich mich mit Menschen, mit Musik und Büchern herum, und abends, wenn ich müde bin und will schlafen, da rauscht die Flut meiner Liebe mir gewaltsam ins Herz. Da seh ich Bilder, alles, was die Natur Sinnliches bietet, das umgibt Dich und spricht für Dich; auf Höhen erscheinst Du; zwischen Bergwänden in verschlungnen Wegen ereile ich Dich, und Dein Gesicht malt Rätsel, lieblich zu lösen. – Den Tag, als ich Abschied nahm von Dir, mit dem einen Kuß, mit dem ich nicht schied, da war ich morgens beinah eine ganze Stunde allein im Zimmer, wo das Klavier steht; da saß ich auf der Erde im Eck und dachte: »Es geht nicht anders, Du mußt noch einmal weinen«, und Du warst ganz nah und wußtest es nicht; und ich weinte mit lachendem Mund; denn mir schaute das feste grüne Land durch den trübsinnigen Nebel durch. – Du kamst, und ich sagte Dir recht kurz (und ich schränkte mich recht ein dabei), wie Du mir wert seist.

Morgen reise ich nach Frankfurt, da will ich der Mutter alle Liebe antun und alle Ehre, denn selig ist der Leib, der Dich getragen hat.

Bettine[84]

An Goethe

Am 21. August


Du kannst Dir keinen Begriff machen, mit welchem Jubel die Mutter mich aufnahm! Sowie ich hereinkam, jagte sie alle fort, die bei ihr waren. »Nun, ihr Herren«, sagte sie, »hier kommt jemand, der mit mir zu sprechen hat«, und so mußten alle zum Tempel hinaus. Wie wir allein waren, sollte ich erzählen, – da wußt ich nichts. »Aber wie war's, wie Du ankamst?« – »Ganz miserabel Wetter«; »vom Wetter will ich nichts wissen; – vom Wolfgang, wie war's, wie du hereinkamst?« »Ich kam nicht, er kam;« – »nun wohin?« – »In den Elefanten, um Mitternacht drei Treppen hoch; alles schlief schon fest, die Lampen auf dem Flur ausgelöscht, das Tor verschlossen, und der Wirt hatte den Schlüssel schon unterm Kopfkissen und schnarchte tüchtig.« – »Nun, wie kam er denn da herein?« – »Er klingelte zweimal, und wie er zum drittenmal recht lang an der Glocke zog, da machten sie ihm auf.« – »Und du?« – »Ich in meiner Dachstube merkte nichts davon; Meline lag schon lange und schlief im Alkoven mit vorgezognen Vorhängen; ich lag auf dem Sofa und hatte die Hände überm Kopf gefaltet und sah, wie der Schein der Nachtlampe wie ein großer runder Mond an der Decke spielte; da hört ich's rascheln an der Tür, und mein Herz war gleich auf dem Fleck; es klopfte, während ich lauschte, aber weil es doch ganz unmöglich war in dieser späten Stunde und weil es ganz still war, so hört ich nicht auf mein ahnendes Herz; – und da trat er herein, verhüllt bis ans Kinn im Mantel, und machte leise die Tür hinter sich zu und sah sich um, wo er mich finden sollte; ich lag in der Ecke des Sofas ganz in Finsternis eingeballt und schwieg; da nahm er seinen Hut ab, und wie ich die Stirne leuchten sah, den suchenden Blick, und wie der Mund fragte: ›Nun, wo bist du denn?‹ da tat ich einen leisen Schrei des Entsetzens über meine Seligkeit, und da hat er mich auch gleich gefunden.«

Die Mutter meinte, das würde eine schöne Geschichte geworden sein in Weimar. Der Herr Minister um Mitternacht im Elefanten drei Treppen hoch eine Visite gemacht! – Ja wohl ist die Geschichte schön! Jetzt, wo ich sie hier überlese, bin ich entzückt, überrascht, hingerissen, daß mir dies all begegnet ist, und ich frag Dich: welche Stunde wird so spät sein in Deinem Leben, daß es nicht Dein Herz noch rühren sollte? – Wie Du in der Wiege lagst, da konnte kein Mensch ahnen, was aus Dir werden würde, und wie ich in der Wiege lag, da hat mir's keiner gesungen, daß ich Dich einst küssen würde.

Hier fand ich alles auf dem alten Fleck; mein Feigenbaum hat Feigen gewonnen und seine Blätter ausgebreitet; mein Gärtchen auf dem großen Hausaltan, der von einem Flügel zum andern reicht, steht in voller Blüte, der Hopfen reicht bis ans Dach, in die Laube hab ich meinen Schreibtisch gesetzt; da sitze ich und schreib an Dich und träume von Dir, wenn mir der Kopf trunken ist von den Sonnenstrahlen; ach, ich lieg so gern in der Sonne und lasse mich recht durchbrennen.[85]

Gestern ging ich am Stift vorbei, da klingelte ich nach früherer Gewohnheit, und da lief ich nach dem kleinen Gang, der nach der Günderode ihrer Wohnung führt. Die Tür ist noch verschlossen, es hat noch niemand wieder den Fuß über die Schwelle gesetzt; ich küßte diese Schwelle, über die sie so oft geschritten ist, um zu mir zu gehen und ich zu ihr. – Ach, wenn sie noch lebte, welch neues Leben würde ihr aufgehen, wenn ich ihr alles erzählte, wie Wir in jenen Nachtstunden so still nebeneinander gesessen haben, die Hände ineinander gefügt, und wie die einzelnen Laute, die über Deine Lippen kamen, mir ins Herz drangen. Ich schreib Dir's her, damit Du es nie vergessen sollst. Freund, ich könnte eifersüchtig sein über Deine Anmut; die Grazien sind weiblich, sie schreiten vor Dir her, wo Du eintrittst, da ist heilige Ordnung, denn alles Zufällige selbst schmiegt sich Deiner Erscheinung an. – Sie umgeben Dich, sie halten Dich gefangen und in der Zucht, denn Du möchtest vielleicht manchmal anders, aber die Grazien leiden's nicht, ja diese stehen Dir weit näher, sie haben viel mehr Gewalt über Dich als ich.

Der Primas hat mich auch einladen lassen, wie er hörte, daß ich von Weimar gekommen; ich sollte ihm von Dir erzählen. Da hab ich ihm allerlei gesagt, was ihm Freude machen konnte. Dein Mädchen hatte sich geputzt, es wollte Dir Ehre machen, ja ich wollte schön sein, weil ich Dich liebe, und weil es die Leute wissen, daß Du mir gut bist; ein rosa Atlaskleid mit schwarzen Samtärmeln und schwarzem Bruststück, und ein schöner Strauß duftete an meinem Herzen, und goldne Spangen hielten meine schwarzen Locken zurück. Du hast mich noch nie geputzt gesehen; ich kann Dir sagen, mein Spiegel ist freundlich bei solcher Gelegenheit, und das macht mich sehr vergnügt, so daß ich geputzt immer sehr lustig bin. Der Primas fand mich auch hübsch und nannte die Farben meines Kleides »préjugé vaincu.« »Nein«, sagte ich, »Marlborough s'en va-t-en guerre, qui sait quand il reviendra.« – »Le voilà de retour«, sagte er und zog meinen Engländer hervor, der vor drei Wochen mit mir bei ihm zu Mittag gegessen hatte; nun mußte ich wieder neben ihm sitzen beim Souper, und er sagte mir auch englisch allerlei Zärtlichkeiten, die ich nicht verstehen wollte, und worauf ich ihm verkehrte Antworten gab, so war ich sehr lustig; wie ich spät nach Hause kam, da duftete mein Schlafzimmer von Wohlgeruch, und da war eine hohe Blume, die diesen Duft ausströmte, die ich noch nie gesehen hatte, eine Königin der Nacht; ein fremder Bedienter, der nicht deutsch sprechen konnte, hatte sie für mich gebracht; das war also ein freundliches Geschenk vom Engländer, der in dieser Nacht noch abgereist war. Ich stand vor meiner Blume allein und beleuchtete sie, und ihr Duft schien mir wie Tempelduft. – Der Engländer hat's verstanden, mir zu gefallen.

Der Primas hat mir noch Aufträge gegeben; ich soll Dir sagen, daß wenn Dein Sohn kommt, so soll er ihn in Aschaffenburg besuchen, wohin er in diesen Tagen abreist. – Da er aber erst zu Ostern kommt, so wird der Primas wieder hier sein.

Dein Kind küßt Dir die Hände.
[86]

Die Mutter läßt mich heut rufen und sagt, sie habe einen Brief von Dir, und läßt mich nicht hineinsehen und sagt, Du verlangst, ich soll dem Dux schreiben, ein paar Zeilen, weil er die Artigkeit gehabt hat, für die umgestürzte Linde zu sorgen, und das nennst Du in meine elegischen Empfindungen eingehen. – Liebster Freund, ich kann nicht leiden, daß ein andrer in meine Empfindung eingehe, die ich bloß zu Dir hege; da treib ihn nur wieder heraus; und sei Du allein in mir und mache mich nicht eifersüchtig.

Dem Dux aber sage, was meine Devotion mir hier eingibt: daß es ein andrer hoher Baum ist, für dessen Pflege ich ihm danke, dessen blühende Äste weit über die Grenzen des Landes in andre Weltteile ragen und Früchte spenden und duftenden Schatten geben. Für den Schutz dieses Baumes, für die Gnadenquelle, die ihn tränkt, für den Boden der Liebe und Freundschaft, aus welchem er begeisternde Nahrung saugt, bleibt mein Herz ihm ewig unterworfen, und dann dank ich ihm auch noch, daß er der Wartburger Linde nicht vergißt. –

An Bettine

Am 5. September


Du hast Dich, liebe Bettine, als ein wahrer kleiner Christgott erwiesen, wissend und mächtig, eines jeden Bedürfnisse kennend und ausfüllend; – und soll ich Dich schelten oder loben, daß Du mich wieder zum Kinde machst? Denn mit kindischer Freude hab ich Deine Bescherung verteilt und mir selbst zugeeignet. Deine Schachtel kam kurz vor Tische; verdeckt trug ich sie dahin, wo Du auch einmal gesessen, und trank zuerst August aus dem schönen Glase zu. Wie verwundert war er, als ich es ihm schenkte! Darauf wurde Riemer mit Kreuz und Beutel beliehen; niemand erriet, woher? Auch zeigte ich das künstliche und zierliche Besteck; – da wurde die Hausfrau verdrießlich, daß sie leer ausgehen sollte. Nach einer Pause, um ihre Geduld zu prüfen, zog ich endlich den schönen Gewandstoff hervor; das Rätsel war aufgelöst und jedermann in Deinem Lobe eifrig und fröhlich.

Wenn ich also das Blatt noch umwende, so hab ich immer nur Lob und Dank da capo vorzutragen; das ausgesuchte zierliche der Gaben war überraschend. Kunstkenner wurden herbeigerufen, die artigen Balgenden zu bewundern – genug, es entstand ein Fest, als wenn Du eben selbst wiedergekommen wärst. – Du kommst mir auch wieder in jedem Deiner lieben Briefe und doch immer neu und überraschend, so daß man glauben sollte, von dieser Seite habe man Dich noch nicht gekannt; und Deine kleinen Abenteuer weißt Du so allerliebst zu drehen, daß man gern der eifersüchtigen Grillen sich begibt, die einem denn auch zuweilen anwandeln; bloß um das artige Ende des Spaßes mit zu erleben. So war es mit der launigen Episode des Engländers, dessen ungeziemendes Wagnis den Beweis für sein schönes sittliches Gefühl herbeiführen mußte. Ich bin Dir sehr[87] dankbar für solche Mitteilungen, die freilich nicht jedem recht sein mögen; möge Dein Vertrauen wachsen, das mir so viel zubringt, was ich jetzt nicht mehr gerne entbehren mag; auch ein belobendes Wort muß ich Dir hier sagen für die Art, wie Du Dich mit meinem gnädigsten Herrn verständigt hast. Er konnte nicht umhin, auch Dein diplomatisches Talent zu bewundern; Du bist allerliebst, meine kleine Tänzerin, die einem mit jeder Wendung unvermutet den Kranz zuwirft. Und nun hoffe ich bald Nachricht, wie Du mit der guten Mutter lebst, wie Du ihrer pflegst, und welche schöne vergangne Zeiten zwischen Euch beiden wieder auferstehen.

Der lieben Meline Mützchen ist auch angekommen. Ich darf's nicht laut sagen, es steht aber niemand so gut als ihr. Freund Stollens Attention auf dem blauen Papier hat Dir doch Freude gemacht. Adieu, mein artig Kind! Schreibe bald, daß ich wieder was zu übersetzen habe.

An Goethe

G., 17. September


Freundlicher Mann! Du bist zu gut, Du nimmst alles, was ich Dir im heiteren Übermut biete, als wenn es noch so viel Wert habe; aber ich fühl's recht in Deinem freundlichen Herabneigen, daß Du mir gut bist wie dem Kind, das Gras und Kräuter bringt und meint, es habe einen auserlesenen Strauß zusammengesucht; dem lächelt man auch so zu und sagt: »Wie schön ist dein Strauß, wie angenehm duftet er, er soll mir blühen in meinem Garten, hier unter mein Fenster will ich ihn pflanzen;« und doch sind es nur wurzellose Feldblumen, die bald welken. Ich aber sehe mit Lust, wie Du mich in Dich aufnimmst, wie Du diese einfachen Blumen, die am Abend schon welken müßten, ins Feuer der Unsterblichkeit hältst und mir zurückgibst. – Nennst Du das auch übersetzen, wenn der göttliche Genius die idealische Natur vom irdischen Menschen scheidet, sie läutert, sie enthüllt, sie sich selbst wieder anvertraut, und so die Aufgabe, selig zu werden, löst? Ja, Goethe, so machst Du die Seufzer, die meine sehnende Liebe aushaucht zu Geistern, die mich auf der Straße der Seligkeit umschweben; ach, und wohl auch meiner Unsterblichkeit weit voraneilen.

Welch heiliges Abenteuer, das unter dem Schutze des Eros sich kühn und stolz aufschwingt, kann ein herrlicher Ziel erreichen, als ich in Dir erreicht habe! Wo Du mir zugibst mit Lust: Gehemmt sei nun zum Vater hin das Streben. – O glaub es: nimmer trink ich mich satt an diesen Liebesergießungen; ewig fühl ich von brausenden Stürmen mich zu Deinen Füßen getragen, und in diesem neuen Leben, in dem meine Glückssterne sich spiegeln, vor Wonne untergehn.

Diese Tränen, die meine Schrift verblassen, die möcht ich wie Perlen aufreihen und geschmückt vor Dir erscheinen und Dir sagen: vergleiche ihr reines Wasser mit Deinen andern Schätzen, und dann solltest Du mein Herz schlagen hören wie am Abend, wo ich vor Dir kniete.[88]

Geheimnisse umschweben Liebende, sie hüllen sie in ihre Zauberschleier, aus denen sich schöne Träume entfalten. Du sitzest mit mir auf grünem Rasen und trinkst dunklen Wein aus goldnem Becher und gießest die Neige auf meine Stirn. Aus diesem Traum erwachte ich heut voll Freude, daß Du mir geneigt bist. Ich glaube, daß du teil an solchen Träumen hast; daß Du liebst in solchen Augenblicken; – wem sollte ich sonst dies selige Sein verdanken, wenn Du mir's nicht gäbst! – Und wenn ich denn zum gewöhnlichen Tag erwache, dann ist mir alles so gleichgültig, und was mir auch geboten wird, – ich entbehre es gern; ja ich möchte von allem geschieden sein, was man Glück nennt, und nur innerlich das Geheimnis, daß Dein Geist meine Liebe genießt, so wie meine Seele von Deiner Güte sich nährt. Ich soll Dir von der Mutter schreiben; – nun, es ist wunderlich zwischen uns beschaffen, wir sind nicht mehr so gesprächig wie sonst, aber doch vergeht kein Tag, ohne daß ich die Mutter seh. Wie ich von der Reise kam, da mußt ich die Rolle des Erzählens übernehmen, und obschon ich lieber geschwiegen hätte, so war doch ihres Fragens kein Ende, und ihrer Begierde mir zuzuhören auch nicht. Es reizt mich unwiderstehlich, wenn sie mit großen Kinderaugen mich ansieht, in denen der genügendste Genuß funkelt. So löste sich meine Zunge und nach und nach manches vom Herzen, was man sonst nicht leicht wieder ausspricht.


Am 2. Oktober


Die Mutter ist listig, wie sie mich zum Erzählen bringt, so sagt sie: »Heute ist ein schöner Tag, heut geht der Wolfgang gewiß nach seinem Gartenhaus, es muß noch recht schön da sein, nicht wahr, es liegt im Tal?« – »Nein, es liegt am Berg, und der Garten geht auch bergauf, hinter dem Haus da sind große Bäume von schönem Wuchs und reich belaubt.« – »So! Und da bist Du abends mit ihm hingeschlendert aus dem römischen Haus?« – »Ja, ich hab's Ihr ja schon zwanzigmal erzählt;« – »so erzähl's noch einmal. Hattet ihr denn Licht im Haus?« – »Nein, wir saßen vor der Tür auf der Bank, und der Mond schien hell.« – »Nun! Und da ging ein kalter Wind?« – »Nein, es war gar nicht kalt, es war warm, und die Luft ganz still und wir waren auch still. Die reifen Früchte fielen von den Bäumen, er sagte: da fällt schon wieder ein Apfel und rollt den Berg hinab; da überflog mich ein Frostschauer; – der Wolfgang sagte: ›Mäuschen, du frierst', und schlug mir seinen Mantel um, den zog ich dicht um mich, seine Hand hielt ich fest, und so verging die Zeit; – wir standen beide zugleich auf und gingen Hand in Hand durch den einsamen Wiesengrund; – jeder Schritt klang mir wieder im Herzen, in der lautlosen Stille, – der Mond kam hinter jedem Busch hervor und beleuchtete uns, – da blieb der Wolfgang stehen, lachte mich an im Mondglanz und sagte zu mir: ›Du bist mein süßes Herz', so führte er mich bis zu seiner Wohnung und das war alles.« – »Das waren goldne Minuten, die keiner mit Gold aufwiegen kann«, sagte die Mutter, »die sind nur dir beschert, und unter Tausenden wird's[89] keiner begreifen, was dir für ein Glückslos zugefallen ist; ich aber versteh es und genieße es, als wenn ich zwei schöne Stimmen sich singend Red und Antwort geben hörte über ihr verschwiegenstes Glück.«

Da holte mir die Mutter Deinen Brief und ließ mich lesen, was Du über mich geschrieben hast, daß es Dir ein großer Genuß sei, meine Mitteilungen über Dich zu hören; die Mutter meint, sie könne es nicht, es läg in meiner Art, zu erzählen, das Beste.

Da hab ich Dir nun diesen schönen Abend beschrieben.

Ich weiß ein Geheimnis: wenn zwei miteinander sind und der göttliche

Genius waltet zwischen ihnen, das ist das höchste Glück.

Adieu, mein lieber Freund.

An Goethe

Ach frage nur nicht, warum ich schon wieder ein neues Blatt vornehme, da ich Dir doch eigentlich nichts zu sagen habe? – Ich weiß freilich noch nicht, womit ich's ausfüllen soll, aber das weiß ich, daß es doch zuletzt in Deine lieben Hände kommt. Drum hauch ich's an mit allem, was ich Dir aussprechen würde, ständ ich selbst vor Dir. Ich kann nicht kommen, drum soll der Brief mein ungeteiltes Herz zu Dir hinübertragen, erfüllt mit Genuß vergangner Tage, mit Hoffnung auf neue, mit Sehnsucht und Schmerz um Dich; da weiß ich nun keinen Anfang und kein Ende.

Von heute mag ich Dir nun gar nichts vertrauen, wie soll ich loskommen vom Wünschen, Sinnen und Wähnen; wie soll ich Dir mein treues Herz, das sich von allem zu Dir allein hinüberwendet, aussprechen? – Ich muß schweigen wie damals, als ich vor Dir stand, um Dich anzusehen. Ach, was hätt ich auch sagen sollen? – Ich hatte nichts mehr zu verlangen1.[90]

Gestern waren viele witzige Köpfe im Haus Brentano beisammen, da wurden unter andern gymnastischen Geistesübungen auch Rätsel aufgegeben, da waren sehr geschickte Einfälle, und wie die Reihe an mich kam, da wußt ich nichts. Wie ich in der Verlegenheit mich umsah, und kein Gesicht, das mir einen befreundeten, verständlichen Ausdruck hatte, da erfand ich dies Rätsel. »Warum die Menschen keine Geister sehen?« – Keiner konnte es raten, ich sagte: »Weil sie sich vor Gespenster fürchten.« – »Wer? – Die Menschen?« »Nein, die Geister.« – Ja, so grausamlich kamen mir diese Gesichter vor und so fremd und unverständlich, aus denen nichts zu mir sprach wie aus Deinen geliebten Zügen, vor denen sich die Geister gewiß nicht fürchten; nein, es ist Deine Schönheit, daß die Geister mit Deinen Mienen spielen, und dies ist der unwiderstehliche Reiz für den Liebenden, daß der Geist ewig Dein Gesicht umströmt. Sonntag, ganz allein im einsamen großen Haus, alles ist ausgefahren, geritten und gegangen, Deine Mutter ist vor dem Bockenheimer Tor im Garten, weil heute die Birnen geschüttelt werden von dem Baum, der bei Deiner Geburt gepflanzt wurde.

Bettine

An Bettine

Du bist ein feines Kind, ich lese Deine lieben Briefe mit innigem Vergnügen und werde sie gewiß immer wieder lesen mit demselben Genuß. Dein Malen des Erlebten samt aller innern Empfindung von Zärtlichkeit und dem, was Dir Dein witziger Dämon eingibt, sind wahre Originalskizzen, die auch neben den ernsteren Beschäftigungen ihr hohes Interesse nicht verleugnen, nimm es daher als eine herzliche Wahrheit auf, wenn ich Dir danke. Bewahre mir Dein Vertrauen und lasse es womöglich noch zunehmen. Du wirst mir immer sein und bleiben, was Du bist. Mit was kann man Dir auch vergelten als nur, daß man sich willig von allen Deinen guten Gaben bereichern läßt. Wieviel Du meiner Mutter bist, weißt Du selbst, ihre Briefe fließen in Lob und Liebe über. Fährst Du so fort, den flüchtigen Momenten guten Glückes lieblicher Denkmale der Erinnerung zu widmen: ich stehe Dir nicht dafür, daß ich mir's anmaßen könnte, solche geniale lebensvolle Entwürfe zur Ausführung zu benützen, wenn sie dann nur auch so warm und wahr ans Herz sprechen.

Die Trauben an meinem Fenster, die schon vor ihrer Blüte und nun ein zweites Mal Zeugen Deiner freundlichen Erscheinung waren, schwellen ihrer vollen Reife entgegen, ich werde sie nicht brechen, ohne Deiner dabei zu gedenken, schreibe mir bald und liebe mich.

G.[91]

An Goethe

Am 11. November


Mit nächstem Postwagen wirst Du einen Pack Musik erhalten, beinah alles vierstimmig, also für Dein Hausorchester eingerichtet. Ich hoffe, daß Du sie nicht schon besitzest; bis jetzt ist es alles, was ich in dieser Art habhaft werden konnte. Gefällt sie Dir, so schick ich nach, was ich noch auftreiben kann; auf meine Wahl mußt Du Dich nicht dabei verlassen, ich richte mich nur nach dem Ruf dieser Werke und kenne das wenigste. Musik imponiert mir nicht, auch kann ich sie nicht beurteilen; ich verstehe den Eindruck nicht, den sie auf mich macht, ob sie mich rührt, ob sie mich begeistert; nur das weiß ich, daß ich keine Antwort darauf habe, wenn ich gefragt werde, ob sie mir gefalle. Da könnte einer sagen, ich habe keinen Verstand davon, – das muß ich zugeben, allein ich ahne in ihr das Unermeßliche. Wie in den andern Künsten das Geheimnis der Dreifaltigkeit sich offenbart, wo die Natur einen Leib annimmt, den der Geist durchdringt und der mit dem Göttlichen in Verbindung ist; so ist es in der Musik, als wenn die Natur sich hier nicht ins sinnlich Wahrnehmbare herabneige, sondern daß sie die Sinne reizt, daß sie sich mitempfinden ins Überirdische.

Wenn man von einem Satz in der Musik spricht und wie der durchgeführt ist, oder von der Begleitung eines Instruments und von dem Verstand, mit dem es behandelt ist, da meine ich grade das Gegenteil, nämlich, daß der Satz den Musiker durchführt, daß der Satz sich so oft aufstellt, sich entwickelt, sich konzentriert, bis der Geist sich ganz in ihn gefügt hat. Und das tut wohl in der Musik; ja alles, was den Erdenleib verleugnet, das tut wohl. Ich habe einen sehr ausgezeichneten Musiker zum Lehrer, wenn ich den frage, warum? – so hat er nie ein »Weil« zur Antwort, und er muß gestehen, alles in der Musik ist himmlisches Gesetz, und dies überzeugt mich noch mehr, daß in der Berührung zwischen dem Göttlichen und Menschlichen keine Erläuterung stattfinde. Ich habe hier eine freundliche Bekanntschaft mit einer sehr musikalischen Natur; wir sind oft zusammen in der Oper, da macht sie mich aufmerksam auf die einzelnen Teile, auf das Durchführen eines Satzes, auf das Einwirken der Instrumente; da bin ich denn ganz perplex, wenn ich solchen Bemerkungen nachgehe; das Element der Musik, in dem ich mich aufgenommen fühlte, stößt mich aus, und dafür erkenne ich ein gemachtes, dekoriertes, mit Geschmack behandeltes Thema. Ich bin nicht in einer Welt, die mich aus der Finsternis ins Licht geboren werden läßt, wie damals in Offenbach, wo ich in der Großmutter Garten auf grünem Rasen lag und in den sonnigen blauen Himmel sah, während im Nachbarsgarten Onkel Bernhards Kapelle die ganze Luft durchströmte und ich nichts wußte, nichts wollte, als meine Sinne der Musik vertrauen. Damals hatte ich kein Urteil, ich hörte keine Melodien heraus, es war kein Schmachten, kein Begeistern für Musik, ich fühlte mich in ihr, wie der Fisch sich im Wasser fühlt. – Wenn ich gefragt würde, ob ich damals zugehört habe, so könnte ich's nicht eigentlich wissen, es war nicht[92] Zuhören, es war Sein in der Musik; ich war viel zu tief versunken, als daß ich gehört hätte auf das, was ich vernahm.

Ich hin dumm, Freund, ich kann nicht sagen, was ich weiß. Gewiß, Du würdest mir Recht geben, wenn ich mich deutlich aussprechen könnte, und auf andre Weise wirst Du am wenigsten sie verstehen lernen. – Verstehen, wie der Philister verstehet, der seinen Verstand mit Konsequenz anwendet und es so weit bringt, daß man Talent nicht vom Genie unterscheidet. Talent überzeugt, aber Genie überzeugt nicht; dem, dem es sich mitteilt, gibt es die Ahnung vom Ungemessenen, Unendlichen, während Talent eine genaue Grenze absteckt und so, weil es begriffen ist, auch behauptet wird.

Das Unendliche im Endlichen, das Genie in jeder Kunst ist Musik. – In sich selbst aber ist sie die Seele, indem sie zärtlich rührt; indem sie aber sich dieser Rührung bemächtigt, da ist sie Geist, der seine eigne Seele wärmt, nährt, trägt, wiedergebärt; und darum vernehmen wir Musik, sonst würde das sinnliche Ohr sie nicht hören, sondern nur der Geist; und so ist jede Kunst der Leib der Musik, die die Seele jeder Kunst ist; und so ist Musik auch die Seele der Liebe, die auch in ihrem Wirken keine Rechenschaft gibt; denn sie ist das Berühren des Göttlichen mit dem Menschlichen, und auf jeden Fall ist das Göttliche die Leidenschaft, die das Menschliche verzehrt. Liebe spricht nichts für sich aus, als daß sie in Harmonie versunken ist; Liebe ist flüssig, sie verfliegt in ihrem eignen Element; Harmonie ist ihr Element.


Am 17. November


Lieber Goethe, halte meine wunderlichen Gedanken dem wunderlichen Platz zu gut, wo ich mich befinde; ich bin in der Karmeliterkirche, in einem verborgnen Winkel hinter einem großen Pfeiler; da geh ich alle Tage her in der Mittagsstunde, da scheint die Herbstsonne durchs Kirchenfenster und malt den Schatten der Weinblätter hier auf die Erde und an die weiße Wand, da seh ich, wie der Wind die bewegt und wie eins nach dem andern abfällt; hier ist tiefe Einsamkeit, und die Menschen, die ich hier zur ungewöhnlichen Stunde treffe, die sind gewiß da, um an ihre Toten zu denken, die hier begraben sein mögen. Hier am Eingang ist die Gruft, wo Vater und Mutter begraben liegen und sieben Geschwister; da steht ein Sarg über dem andern. Ich weiß nicht, was mich in diese große düstre Kirche lockt; für die Toten beten? – Soll ich sagen: »Lieber Gott im Himmel, heb doch diese Verstorbenen zu dir in den Himmel?« – Die Liebe ist ein flüssig Element, sie löst Seele und Geist in sich auf, und das ist Seligkeit. – Wenn ich hier in die Kirche gehe, an der Gruft vorbei, die meine Eltern und Geschwister deckt, da falte ich die Hände, und das ist mein ganzes Gebet.

Der Vater hat mich zärtlich geliebt, ich hatte eine große Gewalt über ihn; oft schickte mich die Mutter mit einer schriftlichen Bitte an ihn und sagte: »Laß den Vater nicht los, bis er Ja sagt«, – da hing ich mich an seinen[93] Hals und umklammerte ihn, da sagte er: »Du bist mein liebstes Kind, ich kann nicht versagen.«

Der Mutter erinnere ich mich auch noch, ihrer großen Schönheit; sie war so fein und doch so erhaben und glich nicht den gewöhnlichen Gesichtern; Du sagtest von ihr, sie sei für die Engel geschaffen, die sollten mit ihr spielen. Deine Mutter hat mir erzählt, wie Du sie zum letztenmal gesehen, daß Du die Hände zusammenschlugst über ihre Schönheit, das war ein Jahr vor ihrem Tod; da lag der General Brentano in unserm Haus an schweren Wunden; die Mutter pflegte ihn, und er hatte sie so lieb, daß sie ihn nicht verlassen durfte. Sie spielte Schach mit ihm, er sagte: »Matt!« Und sank zurück ins Bett; sie ließ mich holen, weil er nach den Kindern verlangt hatte – ich trat mit ihr ans Bett, – da lag er blaß und still; die Mutter rief ihn: »Mein General!« Da öffnete er die Augen, reichte ihr lächelnd die Hand und sagte: »Meine Königin!« – Und so war er gestorben.

Ich seh die Mutter noch wie im Traum, daß sie vor dem Bett steht, die Hand dieses erblaßten Helden festhält und ihre Tränen leise aus den großen schwarzen Augen über ihr stilles Antlitz rollen. Damals hast Du sie zum letztenmal gesehen, und Du sagtest voraus, daß Du sie nicht wiedersehen würdest. Deine Mutter hat mir's erzählt, wie Du tief bewegt über sie warst. Wie ich Dich zum erstenmal sah, da sagtest Du: »Du gleichst deinem Vater, aber der Mutter gleichst du auch«, und dabei hast Du mich ans Herz gedrückt und warst tief gerührt, das war doch lange Jahre nachher.

Adieu.

Bettine


Von den Juden und den neuen Gesetzen ihrer Städtigkeit hat Dir die Mutter schon Meldung getan; alle Juden schreiben seitdem; der Primas hat viel Vergnügen an ihrem Witz. – Alle Christen schreiben über Erziehung; es kommt beinah alle Woche ein neuer Plan von einem neuverheirateten Erzieher heraus. Mich interessieren die neuen Schulen nicht so sehr als das Judeninstitut, in das ich oft gehe.

An Bettine

Weimar, den 2. Januar 1808


Sie haben, liebe kleine Freundin, die sehr grandiose Manier, uns Ihre Gaben recht in Masse zu senden. So hat mich Ihr letztes Paket gewissermaßen erschreckt, denn wenn ich nicht recht haushälterisch mit dem Inhalt umgehe, so erwürgt meine kleine Hauskapelle eher daran, als daß sie Vorteil davon ziehen sollte. Sie sehen also, meine Beste, wie man sich durch Großmut selbst dem Vorwurf aussetzen könne; lassen Sie sich aber nicht irre machen. Zunächst soll Ihre Gesundheit von der ganzen Gesellschaft recht ernstlich getrunken und darauf das Confirma hoc Deus von Jomelli angestimmt[94] werden, so herzlich und wohlgemeint, als nur jemals ein salvum fac Regem.

Und nun gleich wieder eine Bitte, damir wir nicht aus der Übung kommen. Senden Sie mir doch die jüdischen Broschüren. Ich möchte doch sehen, wie sich die modernen Israeliten gegen die neue Städtigkeit gebärden, in der man sie freilich als wahre Juden und ehemalige kaiserliche Kammerknechte traktiert. Mögen Sie etwas von den christlichen Erziehungsplänen beilegen, so soll auch das unsern Dank vermehren. Ich sage nicht, wie es bei solchen Gelegenheiten gewöhnlich ist, daß ich zu allen gefälligen Gegendiensten bereit sei, doch wenn etwas bei uns einmal reif wird, was Sie freuen könnte, so soll es auch zu Ihnen gelangen.

Liebstes Kind, verzeih, daß ich mit fremder Hand schreiben mußte. Über Dein musikalisches Evangelium und über alles, was Du mir Liebes und Schönes schreibst, hätte ich Dir so heute nichts sagen können, aber laß Dich nicht stören in Deinem Eigensinn und in Deinen Launen, es ist mir viel wert, Dich zu haben, wie Du bist, und in meinem Herzen findest Du immer eine warme Aufnahme. Du bist ein wunderliches Kind, und bei Deiner Ansiedlung in Kirchen könntest Du leicht zu einer wunderlichen Heiligen werden, ich gebe Dir's zu bedenken.

Goethe

An Goethe

Wer draußen auf der Taunusspitze wär und die Gegend und ganze liebe Natur von Schönheit zu Schönheit steigen und sinken sähe abends und morgens, während sein Herz so mit Dir beschäftigt wär wie meins, der würde freilich auch besser sagen können, was er zu sagen hat. Ich möchte so gern vertraulich mit Dir sprechen, und Du verlangst ja auch, ich soll Eigensinn und Laune Dir preisgeben.

Du kennst mein Herz, Du weißt, daß alles Sehnsucht ist, Wille, Gedanke und Ahnung; Du wohnst unter Geistern, sie geben Dir göttliche Wahrheit. Du mußt mich ernähren, Du gibst alles zum Voraus, was ich nicht zu fordern verstehe. Mein Geist hat einen kleinen Umfang, meine Liebe einen großen, Du mußt sie ins Gleichgewicht bringen. Die Liebe kann nicht ruhig werden, als wenn der Geist ihr gewachsen ist; Du bist meiner Liebe gewachsen; Du bist mild, freundlich, nachsichtig; lasse mich's fühlen, wenn mein Herz sich nicht im Takt wiegt, ich versteh Deine leisen Winke.

Ein Blick von Deinen Augen in die meinen, ein Kuß von Dir auf meinen Mund belehrt mich über alles; was könnte dem auch wohl noch erfreulich scheinen zu lernen, der wie ich, hiervon Erfahrung hat. – Ich bin entfernt von Dir, die Meinen sind mir fremd geworden, da muß ich immer in Gedanken auf jene Stunde zurückkehren, wo Du mich in den sanften Schlingen Deiner Arme hieltest, da fang ich an zu weinen; aber die Tränen trocknen[95] mir unversehens wieder: er liebt ja herüber in diese verborgene Stille, denke ich, und sollte ich mit meinem ewigen ungestörten Sehnen nach ihm nicht in die Ferne reichen? Ach vernimm es doch, was Dir mein Herz zu sagen hat, es fließt über von leisen Seufzern, alle flüstern Dir zu: mein einzig Glück auf Erden sei Dein freundlicher Wille zu mir. O lieber Freund, gib mir doch ein Zeichen2, Du seist meiner gewärtig. Du schreibst, daß Du meine Gesundheit trinken willst, ach ich gönne sie Dir, lasse keinen Tropfen übrig, möchte ich mich selber doch so in Dich ergießen und Dir wohl bekommen.

Deine Mutter erzählte mir, wie Du kurz, nachdem Du den Werther geschrieben, im Schauspiel gesessen und wie Dir da anonym ein Billet sei in die Hand gedrückt worden, darin geschrieben war: »Ils ne te comprendront point, Jean Jacques.« Sie behauptet, ich aber könne immer zu jedem sagen: »Tu ne me comprendras point, Jean Jacques«, denn welcher Hans Jacob wird Dich nicht mißverstehen, oder Dich gelten lassen wollen? – Sie sagt aber, Du Goethe, verstündest mich, und ich gelte alles bei Dir.

Die Erziehungsplane und Judenbroschüren werd ich mit nächstem Posttag senden. Obschon Du nicht zu allen gefälligen Gegendiensten bereit bist, aber doch mir schicken willst, was reif ist; so denke doch, daß meine Liebe Dir brennende Strahlen zusendet, um jede Regung für mich zu süßer Reife zu bringen.

Bettine

An Goethe

Was soll ich Dir denn schreiben, da ich traurig bin und nichts neues Freundliches zu sagen weiß? Lieber möcht ich Dir gleich das weiße Blatt schicken, statt daß ich's erst mit Buchstaben beschreibe, die doch immer nicht sagen,[96] was ich will, Du fülltest es zu Deinem Zeitvertreib aus, machtest mich überglücklich und schicktest es an mich zurück, wenn ich denn den blauen Umschlag sehe und riß ihn auf: neugierig eilig, wie die Sehnsucht immer der Seligkeit gewärtig ist, und ich lese nun, was mich aus Deinem Mund einst entzückte: Lieb Kind, mein artig Herz, mein einzig Liebchen, klein Mäuschen, die süßen Worte, mit denen Du mich verwöhntest, so freundlich mich beschwichtigend; – ach! mehr wollt ich nicht, alles hätt ich wieder, sogar Dein Lispeln würde ich mitlesen, mit dem Du mir leise das Lieblichste in die Seele ergossen und mich auf ewig vor mir selbst verherrlicht hast3. – Da ich noch an Deinem Arm durch die Straßen ging, ach wie eine geraume Zeit dünkt mir's, da war ich zufrieden, alle Wünsche waren schlafen gegangen, hatten wie die Berge Gestalt und Farbe in Nebel eingehüllt; ich dachte, so ging es, und weiter, ohne große Mühseligkeit vom Land in die hohe See, kühn und stolz, mit gelösten Flaggen und frischem Wind. – Aber Goethe, feurige Jugend will die Sitten der heißen Jahreszeit, wenn die Abendschatten sich übers Land ziehen, dann sollen die Nachtigallen nicht schweigen: singen soll alles, oder sich freudig aussprechen; die Welt soll ein üppiger Fruchtkranz sein, alles soll sich drängen im Genuß, und aller Genuß soll sich mächtig ausbreiten, er soll sich ergießen wie gärender Most, der brausend arbeitet, bis er zur Ruhe kommt, untergehen sollen wir in ihm wie die Sonne unter die Meereswellen, aber auch wiederkommen wie sie. So ist Dir's geworden, Goethe, keiner weiß, wie Du mit Gott vertraut warst und was für Reichtum von ihm erlangt hast, wenn Du untergegangen wärst im Genuß.

Das seh ich gerne, wenn die Sonne untergeht, wenn die Erde ihre Glut in sich saugt und ihr die feurigen Flügel leise zusammenfaltet und die Nacht durch gefangen hält, da wird es still auf der Welt, die Sehnsucht steigt so heimlich aus den Finsternissen empor; ihr leuchten die Sterne so unerreichbar überm Haupt, so unerreichbar, Goethe![97]

Wenn man selig sein soll, da wird man so zaghaft, das Herz scheidet zitternd vom Glück, noch ehe es den Willkommen gewagt; – auch ich fühl's, daß ich meinem Glück nicht gewachsen bin. Welche Allbefähigung, um Dich zu fassen! – Liebe muß eine Meisterschaft erwerben, das Geliebte besitzen wollen, wie es der gemeine Menschenverstand nimmt, ist nicht der ewigen Liebe würdig und scheitert jeden Augenblick am kleinsten Ereignis. – Das ist meine erste Aufgabe, daß ich mich Dir aneigne, nicht aber Dich besitzen wolle, Du Allbegehrlichster!

Ich bin doch noch so jung, daß es sich leicht entschuldigen läßt, wenn ich unwissend bin. Ach, für Wissenschaft hab ich keinen Boden, ich fühl's, ich kann's nicht lernen, was ich nicht weiß, ich muß es erwarten, wie der Prophet in der Wüste die Raben erwartet, daß sie ihm Speise bringen. Der Vergleich ist so uneben nicht: durch die Lüfte wird meinem Geist Nahrung zugetragen, – oft grade, wenn er im Verschmachten ist.

Seitdem ich Dich liebe, schwebt ein Unerreichbares mir im Geist; ein Geheimnis, das mich nährt. Wie vom Baum die reifen Früchte fallen, so fallen hier mir Gedanken zu, die mich erquicken und reizen. O Goethe, hätte der Springquell eine Seele, er könnte sich nicht erwartungsvoller ans Licht drängen, um wieder emporzusteigen, als ich mit ahnender Gewißheit mich diesem neuen Leben entgegendränge, das mir durch Dich gegeben ist, und das mir zu erkennen gibt, daß ein höherer Lebenstrieb den Kerker sprengen will, der nicht schont der Ruhe und Gemächlichkeit gewohnter Tage, die er in brausender Begeisterung zertrümmert. Diesem erhabenen Geschick entgeht der liebende Geist nicht, so wenig der Same der Blüte entgeht, wenn er einmal in frischer Erde liegt. So fühl ich mich in Dir, Du fruchtbarer gesegneter Boden! Ich kann sagen, wie das ist, wenn der Keim die harte Rinde sprengt, – es ist schmerzlich; die lächelnden Frühlingskinder sind unter Tränen erzeugt.

O Goethe, was geht mit dem Menschen vor? Was erfährt er, was erlebt er in dem innersten Flammenkelch seines Herzens? – Ich wollte Dir meine Fehler gern bekennen, allein die Liebe macht mich ganz zum idealischen Menschen. Viel hast Du für mich getan, noch eh Du von mir wußtest, über vieles, was ich begehrte und nicht erlangte, hast Du mich hinweggehoben.

Bettine

An Goethe

Am 5. März


Hier in Frankfurt ist es naß, kalt, verrucht, abscheulich; kein guter Christ bleibt gerne hier; – wenn die Mutter nicht wär, der Winter wär unerträglich, so ganz ohne Hältnis, – nur ewig schmelzender Schnee! – Ich habe jetzt einen Nebenbuhler bei ihr, ein Eichhörnchen, was ein schöner französischer Soldat als Einquartierung hier ließ, von dem läßt sie sich alles gefallen, sie nennt es Hänschen, und Hänschen darf Tische und Stühle zernagen,[98] ja es hat selbst schon gewagt, sich auf ihre Staatshaube zu setzen und dort die Blumen und Federn anzubeißen. Vor ein paar Tagen ging ich abends noch hin, die Jungfer ließ mich ein mit dem Bedeuten, sie sei noch nicht zu Hause, müsse aber gleich kommen. Im Zimmer war's dunkel, ich setzte mich ans Fenster und sah hinaus auf den Platz. Da war's, als wenn was knisterte, – ich lauschte und glaubte atmen zu hören, – mir ward unheimlich, ich hörte wieder etwas sich bewegen und fragte, weil ich's gern aufs Eichhörnchen geschoben hätte: »Hänschen bist du es?« Sehr unerwartet und für meinen Mut sehr niederschlagend antwortete eine sonore Baßstimme aus dem Hintergrund: »Hänschen ist's nicht, es ist Hans«, und dabei räuspert sich der ubique malus Spiritus. Voll Ehrfurcht wag ich mich nicht aus der Stelle, der Geist läßt sich auch nur noch durch Atmen und einmaliges Niesen vernehmen; – da hör ich die Mutter, sie schreitet voran, die kaum angebrannte, noch nicht volleuchtende Kerze hinterdrein, von Jungfer Lieschen getragen. »Bist du da?« fragte die Mutter, indem sie ihre Haube abnimmt, um sie auf ihren nächtlichen Stammhalter, eine grüne Bouteille, zu hängen. »Ja«, rufen wir beide, und aus dem Dunkel tritt ein besternter Mann hervor und fragt: »Frau Rat, werd ich heut abend mit Ihnen einen Specksalat mit Eierkuchen essen?« Daraus schloß ich denn ganz richtig, daß Hans ein Prinz von Mecklenburg sei; denn wer hätte die schöne Geschichte nicht von Deiner Mutter gehört, wie auf der Kaiserkrönung die jetzige Königin von Preußen, damals als junges Prinzessinnenkind und ihr Bruder der Frau Rat zusahen, wie sie ein solches Gericht zu speisen im Begriff war, und daß dies ihren Appetit so reizte, daß sie es beide verzehrten, ohne ein Blatt zu lassen. Auch diesmal wurde die Geschichte mit vielem Genuß vorgetragen und noch manche andre, z.B. wie sie den Prinzessinnen den Genuß verschaffte, sich im Hof am Brunnen recht satt Wasser zu pumpen, und die Hofmeisterin durch alle mögliche Argumente abhält, die Prinzessinnen abzurufen, und endlich, da diese nicht darauf Rücksicht nimmt, Gewalt braucht und sie im Zimmer einschließt. »Denn«, sagte die Mutter, »ich hätte mir eher den ärgsten Verdruß über den Hals kommen lassen, als daß man sie in den unschuldigen Vergnügungen gestört hätte, das ihnen nirgendwo gegönnt war als in meinem Hause; auch haben sie mir's beim Abschied gesagt, daß sie nie vergessen würden, wie glücklich und vergnügt sie bei mir waren.« – So könnte ich Dir noch ein Paar Bogen voll schreiben von allen Rückerinnerungen!

Adieu, lieber Herr! – Die Frau grüß ich, Riemers Sonett kracht wie neue Sohlen; er soll meiner Geschäfte gewärtig sein und seinen Diensteifer nicht umsonst gehabt haben.

Gelt, ich mach's grade wie Dein Liebchen, schreibe, kritzele, mach Tintenkleckse und Orthographiefehler und denk, es schadet nichts, weil er weiß, daß ich ihn liebe, und der Brief, den Du mir geschrieben, war doch so artig und zierlich abgefaßt, das Papier mit goldnem Schnitt! – Aber, Goethe, erst ganz zuletzt denkst Du an mich! Erlaub, daß ich so frei bin, Dir einen[99] Verweis zu geben für diesen Brief, fasse alles kurz ab, was Du verlangst, und schreib's mit eigner Hand, ich weiß nicht, warum Du einen Sekretär anstellst, um das Überflüssige zu melden, ich kann's nicht vertragen, es beleidigt mich, es macht mich krank; im Anfang glaubt ich, der Brief sei gar nicht an mich, nun trag ich doch gern solch einen Brief auf dem Herzen, solange bis der neue kommt, – wie kann ich aber mit einer solchen fremden Sekretärhand verfahren? Nein, diesmal hab ich Dich in meinem Zorn verdammt, daß Du gleich mit dem Sekretär in die alte Schublade eingeklemmt wurdest, und der Mutter hab ich gar nicht gesagt, daß Du geschrieben hattest, ich hätte mich geschämt, wenn ich ihr diesen Perückenstil hätte vortragen müssen. Adieu, schreibe mir das einzige, was Du zu sagen hast, und nicht mehr.

Bettine

An Goethe

Am 15. März


Nun sind's beinahe sechs Wochen, daß ich auch nur ein Wort von Dir gehört habe, weder durch die Frau Mutter noch durch irgendeine andre Gelegenheit. Ich glaube nicht, daß, wie viele andere sind, Du auch bist, und Dir durch Geschäfte und andere Wichtigkeiten den Weg zum Herzen versperrst; aber ich muß fürchten, daß meine Briefe Dir zu häufig kommen, und muß mich zurückhalten, was mich doch selig machen könnte, wenn es nicht so wär und ich glauben dürfte, daß meine Liebe, die so anspruchslos ist, daß sie selbst Deinen Ruhm vergißt und zu Dir wie zu einem Zwillingsbruder spricht, Dich erfreut. Wie ein Löwe möcht ich für Dich fechten, möcht alles verderben und in die Flucht jagen, was nicht wert ist, Dich zu berühren; muß um deinetwillen die ganze Welt verachten, muß ihr um deinetwillen Gnade widerfahren lassen, weil Du sie verherrlichst, und weiß nichts von Dir! Sag nur, ob Du's zufrieden bist, daß ich Dir schreibe? – Sag nur: »Ja, du darfst!« Wenn ich nun in etlichen Wochen, denn da haben wir schon Frühling hier, ins Rheingau gehe, dann schreib ich Dir von jedem Berg aus; bin Dir so immer viel näher, wenn ich außer den Stadtmauern bin, da glaub ich manchmal, mit jedem Atemzug Dich zu fühlen, wie Du im Herzen regierst, wenn es recht schön ist draußen, wenn die Luft schmeichelt, ja wenn die Natur gut und freundlich ist wie Du, da fühl ich Dich so deutlich. – Aber was soll ich mit Dir? – Du selbst hast mir nichts zu sagen; in dem Brief, den Du mir schriebst, den ich zwar so lieb habe wie meinen Augapfel, da nennst Du mich nicht einmal, wie Du gewohnt warst, grad als ob ich Deiner Vertraulichkeiten nicht wert wäre. Ach, es geht ja von Mund zu Herzen bei mir! Ich würde nichts von Schatz und Herz und Kuß veräußern, und wenn ich auch am Hungertuch nagen müßte. In der Karmeliterkirche hab ich im Herbst allerlei geschrieben, Erinnerungen aus der Kindheit, – sie fielen mir immer ein, wenn ich dahin kam, und doch war ich bloß hingekommen, um ungestört an Dich zu denken! Jede[100] Lebenszeit geht mir in Dir auf, ich denke mir die Kinderjahre, als ob ich sie mit Dir verspiele, und wachs empor und wähne mich geborgen in Deinem Schutz und fühle stolz mich in Deinem Vertrauen, und da regt sich's im Herzen vor heißer Liebe, da such ich Dich, wie soll ich Ruhe finden? – An Deiner Brust nur, umschränkt von Deinen Armen. – Und wärst Du es nicht, so wär ich bei Dir; aber so muß ich mich fürchten vor aller Augen, die sind auf Dich gerichtet, ach, und vor dem stechenden Blick, der unter Deinem Kranz hervorleuchtet4!

Außer Dir erscheinen mir alle Menschen wie einer und derselbe, ich unterscheide sie nicht, ich begehr nicht nach dem ungeheuren allseitigen Meer der Ereignisse. Der Lebensstrom trägt Dich, Du mich, in Deinen Armen durchschiff ich ihn, Du trägst mich bis zum Ende, nicht wahr? – Und wenn es auch noch tausendfache Existenzen gibt, ich kann mich nicht hinüberschwingen, bei Dir bin ich zu Hause, so sei doch auch zu Hause mit mir, oder weißt Du etwas Besseres als mich und Dich im magischen Kreis des Lebens?

Unlängst hatten wir ein kleines Fest im Hause wegen Savignys Geburtstag. Deine Mutter kam mittags um zwölf und blieb bis nachts um ein Uhr, sie befand sich auch den andern Tag ganz wohl darauf. Bei der Tafel war große Musik von Blase-Instrumenten, auch wurden Verse zu Savignys Lob gesungen, wo sie so tapfer einstimmte, daß man sie durch den ganzen Chor durchhörte. Da wir nun auch Deine und ihre Gesundheit tranken, wobei Trompeten und Pauken schmetterten, so ward sie feierlich vergnügt. Nach Tische erzählte sie der Gesellschaft ein Märchen, alles hatte sich in feierlicher Stille um sie versammelt. Im Anfang holte sie weit aus, das große Auditorium mochte ihr doch ein wenig bange machen; bald aber tanzten alle rollefähigen Personen in der grotesken Weise aus ihrem großen Gedächtniskasten auf das phantastischste geschmückt, es wurden noch allerlei kleine Szenen aufgeführt, dann trat eine junge spanische Tänzerin auf, die mit Kastagnetten sehr schön tanzte. Dieses graziöse Kind gibt hier beim Theater Vorstellungen, ich hab Dir von ihr noch nicht gesagt, daß sie mich seit Wochen in einem stillen Enthusiasmus erhält, und daß ich oft denke, ob denn Gott was anders will, als daß sich die Tugend in die reine Kunst verwandle, daß man nämlich nach den Gesetzen einer himmlischen Harmonie die Glieder des Geistes mit leichtem Enthusiasmus rege und so mit anmutigen Gebärden die Tugend ausdrücke, wie jene den Takt und den Sinn der Musik. Nach dem Souper tanzte man, ich saß etwas schläfrig an der Seite Deiner Mutter, sie hielt mich umhalst und hatte mich lieb wie den Joseph; ich hatte dazu auch einen roten Rock an. Man hat einstimmig beschlossen, es solle nie ein Familienfest gegeben werden ohne die Mutter, so sehr hat man ihren guten Einfluß empfunden; ich hab mich gewundert, wie schnell sie die Herzen gewinnen kann, bloß weil sie mit Kraft genießt und dadurch die ganze Umgebung auch zur Freude bewegt.[101]

Die Deinen grüße ich herzlich, ich habe nicht vergessen, was ich für Deine Frau versprach; nächstens wird alles fertig sein, nur die Frau von Sch. mußte ich schändlicherweise vergessen mit dem Tuch! Nun was ist zu tun? Mein Minister, denk ich, bekommt hier eine schöne Negotiation. Gelt, ich mißbrauch Deine Geduld? – Guter! Bester! Dem mein Herz ewig dient.

Dein Sohn wird sein Bündel bald schnüren; – nur nicht zu fest! Denn ich will ihm bei der Durchreise noch einen Pack guter Lehren mitgeben, die er auch noch mit einschnüren muß. Mein Bruder George hat ein kleines Landhaus in Rödelheim gekauft, Du mußt es kennen, da Du selbst den Plan dazu gemacht und mit Basset, der jetzt in Amerika wohnt, den Bau besorgtest. Ich freu mich gar sehr über seine schönen Verhältnisse, ich meine, Dein Charakter, Deine Gestalt und Deine Bewegungen spiegeln sich in ihnen. Wir fahren beinah alle Tage hinaus, gestern stieg ich aufs Dach; die Sonne schien so warm, es war so hell, man konnte so recht die Berge im Schoß der Täler liegen sehen. O Jammer, daß ich nicht fliegen kann! Was nützt es all, daß ich Dich so lieb hab? – Jung, kräftig und stolz bin ich in Dir; – ich mag's nicht auslegen, die Welt schiebt doch alles Gefühl in ihr einmal gemachtes Register, Du bist über alles gut, daß Du meine Liebe duldest, in der ich überglücklich bin. Wie das Weltmeer ohne Ufer ist mein Gemüt, seine Wellen tragen, was schwimmen kann; Dich aber hab ich mit Gewalt ins tiefste Geheimnis meines Lebens gezogen und walle freudebrausend dahin über der Gewißheit Deines Besitzes.

Wenn ich mich sonst im Spiegel betrachtete und meine Augen sich selbst so feurig anschauten und ich fühlte, daß sie in diesem Augenblick hätten durchdringen müssen, und ich hatte niemand, dem ich einen Blick gegönnt hätte, da war mir's leid, daß alle Jugend verloren ging, jetzt aber denk ich an Dich.

Bettine

An Goethe

Am 30. März


Kleine unvorhergesehene Reisen in die nächsten Gegenden, um den Winter vor seinem Scheiden noch einmal in seiner Pracht zu bewundern, haben mich abgehalten, sogleich meines einzigen und liebsten Freundes in der ganzen Welt Wunsch zu befriedigen. Hierbei sende ich alles, was bis jetzt erschienen, außer ein Journal, welches die Juden unter dem Namen Sulamith herausgeben. Es ist sehr weitläufig; begehrst Du es, so send ich's, da die Juden es mir als ihrem Protektor und kleinen Nothelfer verehren. Es enthält die verschiedensten Dinge, kreuz und quer; besonders zeichnen sich die Oden, die sie dem Fürstprimas widmen, darin aus; ein großes Gedicht, was sie ihm am Neujahrstag brachten, schickte er mir und schrieb: »Ich verstehe kein Hebräisch, sonst würde ich eine Danksagung schreiben, aber da für die kleine Freundin der Hebräer nichts zu verkehrt und undeutsch[102] ist, so trage ich ihr auf, in meinem Namen ein Gegengedicht zu machen.« – Der boshafte Primas! – Ich hab ihn aber gestraft! Und gestern im Konzert sagte er mir: »Es ist gut, daß die Juden nicht ebensoviel Heldengeist als Handelsgeist haben, ich wär am End' nicht sicher, daß sie mich in meinem taxischen Haus blockierten.« –

Währenddem bin ich im Odenwald gewesen und bin auf des Götz altem Schloß herumgeklettert, ganz oben auf den Mauern, wo beinah kein menschlicher Fuß mehr sich stützen kann; über Mauerspalten, die mich doch zuweilen schwindeln machten, als immer im Gedanken an Dich, an Deine Jugend, an Dein Leben bis jetzt, das wie ein lebendig Wasser fortbraust. Weißt Du? – Es tut so wohl, wenn einem das Herz so ganz ergriffen ist. Wie ich mich drehe und wende, so spiegelt sich mir im Gemüt, was ich im Hinterhalt habe und was mir wie ein seliger Traum nachgeht, und das bist Du!

Dort war es wunderschön! Ein ungeheurer Turm, worauf ehemals die Wächter saßen, um die Frankenschiffe in dem kleinen Mildeberg zu verkünden mit Trompetenstoß. Tannen und Fichten wachsen oben, die beinah halb über seine Höhe hervorragen.

Zum Teil waren die Weinberge noch mit Schnee bedeckt; ich saß auf einem abgebrochenen Fensterbalken und fror, und doch durchdrang mich heiße Liebe zu Dir, ich zitterte vor Angst hinunterzustürzen, und kletterte doch noch höher, weil mir's einfiel, Dir zu lieb wollt ich's wagen. So machst Du mich oft kühn; es ist ein Glück, daß die wilden Wölfe aus dem Odenwalde nicht herbeikamen, ich hätte mich mit ihnen balgen müssen, hätte ich Deiner Ehre dabei gedacht; es scheint Unsinn, aber so ist's. – Die Mitternacht, die böse Stunde der Geister, weckt mich; ich leg mich im kalten Winterwind ans Fenster; ganz Frankfurt ist tot, der Docht in den Straßenlaternen ist im Verglimmen, die alten rostigen Wetterfahnen greinen mir was vor, und da denk ich: ist das die ewige Leier? – Und da fühl ich, daß dies Leben ein Gefängnis ist, wo ein jeder nur eine kümmerliche Aussicht hat in die Freiheit: das ist die eigne Seele. – Siehst Du, da rast es in mir; ich möchte hinauf über die alten spitzen Giebeldächer, die mir den Himmel abschneiden; ich verlasse das Zimmer, eile über die weiten Gänge unseres Hauses, suche mir einen Weg über die alten Böden, und hinter dem Sparrwerk ahne ich Gespenster, aber ich achte ihrer nicht; da suche ich die Treppe zum kleinen Türmchen, wenn ich endlich oben bin, da seh ich aus der Turmluke den weiten Himmel und friere gar nicht; da ist mir's, als müsse ich die gesammelten Tränen abladen, und dann bin ich am andern Tag so heiter und so neugeboren, ich suche mit List nach einem Scherz, den ich ausführen möchte; und kannst Du mir glauben? Das alles bist Du.

Bettine
[103]

Die Mutter kommt oft zu uns, wir machen ihr Maskeraden und alle mögliche Ergötzlichkeit; sie hat unsere ganze Familie in ihren Schutz genommen, ist frisch und gesund.

An Bettine

Die Dokumente philanthropischer Christen- und Judenschaft sind glücklich angekommen, und Dir soll dafür, liebe kleine Freundin, der beste Dank werden. Es ist recht wunderlich, daß man eben zur Zeit, da so viele Menschen totgeschlagen werden, die übrigen aufs beste und zierlichste auszuputzen sucht. Fahre fort, mir von diesen heilsamen Anstalten, als Beschützerin derselben, von Zeit zu Zeit Nachricht zu geben. Dem braunschweigischen Judenheiland ziemt es wohl, sein Volk anzusehen, wie es sein und werden sollte; dem Fürsten Primas ist aber auch nicht zu verdenken, daß er dies Geschlecht behandelt wie es ist, und wie es noch eine Weile bleiben wird. Mache mir doch eine Schilderung von Herrn Molitor. Wenn der Mann so vernünftig wirkt, als er schreibt, so muß er viel Gutes erschaffen. Deinem eignen philanthropischen Erziehungswesen aber wird Überbringer dieses, der schwarzäugige und braunlockige Jüngling, empfohlen. Lasse seine väterliche Stadt auch ihm zur Vaterstadt werden, so daß er glaube, sich mitten unter den Seinen zu befinden. Stelle ihn Deinen lieben Geschwistern und Verwandten vor und gedenke mein, wenn Du ihn freundlich aufnimmst. Deine Berg-, Burg-, Kletter- und Schaurelationen versetzen mich in eine schöne heitere Gegend, und ich stehe nicht davor, daß Du nicht gelegentlich davon eine phantastische Abspiegelung in einer Fata Morgana zu sehen kriegst.

Da nun von August Abschied genommen ist, so richte ich mich ein, von Haus und der hiesigen Gegend gleichfalls Abschied zu nehmen und baldmöglichst nach dem Karlsbader Gebirge zu wandeln.

Heute um die elfte Stunde wird confirma hoc Deus gesungen, welches schon sehr gut geht und großen Beifall erhält.

Weimar, den 3. April 1808

G.

An Goethe

Wir haben einen naßkalten April, ich merk's an Deinem Brief, – der ist wie ein allgemeiner Landregen; der ganze Himmel überzogen von Anfang bis ans Ende; Du besitzest zwar die Kunst, in kleinen Formenzügen und Linien Dein Gefühl ahnen zu lassen, und in dem, was Du unausgesprochen läßt, stiehlt sich die Versicherung ins Herz, daß man Dir nicht gleichgültig ist; ja ich glaub's, daß ich Dir lieb bin, trotz Deinem kalten Brief; aber wenn Deine schöne Mäßigung plötzlich zum Teufel ging und Du bliebst[104] ohne Kunst und ohne feines Taktgefühl, so ganz wie Dich Gott geschaffen hat in Deinem Herzen, ich würde mich nicht vor Dir fürchten, wie jetzt, wenn ein so kühler Brief ankommt, wo ich mich besinnen muß, was ich denn getan habe.

Heute schreibe ich aber doch mit Zuversicht, weil ich Dir erzählen kann, wie Dein einziger Sohn sich hier wohl und lustig befindet; er gibt mir alle Abend im Theater ein Rendezvous in unserer Loge; frühmorgens spaziert er schon auf den Stadttürmen herum, um die Gegend seiner väterlichen Stadt recht zu beschauen; ein paarmal hab ich ihn hinausgefahren, um ihm die Gemüsgärtnerei zu zeigen, da grade jetzt die ersten wunderbarlichen Vorbereitungen dazu geschehen, wo jeder Staude ihr Standort mit der Richtschnur abgemessen wird, und wo diese fleißigen Gärtner mit so großer Sorgfalt jedem Pflänzchen seinen Lebensunterhalt anweisen; auch ans Stallburgsbrünnchen hab ich ihn geführt, auf die Pfingstwiese, auf den Schneidewall; dann hinter die schlimme Mauer, wo in der Jugend Dein Spielplatz war; dann zum Mainzer Törchen hinaus; auch in Offenbach war er mit mir und der Mutter, und sind gegen Abend bei Mondschein zu Wasser wieder in die Stadt gefahren; da hat unterwegs die Mutter recht losgelegt von all Deinen Geschichten und Lustpartien; und da legte ich mich am Abend zu Bett mit trunkner Einbildung, was mir einen Traum eintrug, von dem die Erinnerung mir eine Zeitlang Nahrung sein wird. Es war, als lief ich in Weimar durch den Park, in dem ein starker Regen fiel; es war grade alles im ersten Grün, die Sonne schien durch den Regen. Als ich an Deine Tür kam, hört ich Dich schon von weitem sprechen; ich rief, – Du hörtest nicht, – da sah ich Dich auf derselben Bank sitzen, hinter welcher im vorigen Jahr die schöne breite Malve noch spät gewachsen war, – gegenüber lag auch die Katze wie damals, und als ich zu Dir kam, sagtest Du auch wieder: »Setze Dich nur dort üben zur Katze, wegen Deinen Augen, die mag ich nicht so nah.« – Hier wachte ich auf, aber weil mir der Traum so lieb war, konnt ich ihn nicht aufgeben; ich träumte fort, trieb allerlei Spiel mit Dir und bedachte dabei Deine Güte, die solche Zutraulichkeit erlaubt. – Du! der einen Kreis des Lebendigen umfasset, in dem wir alle Dein Vertrauen in so mächtigen Zügen schon eingesogen haben. Ich fürchte mich manchmal, die Liebe, die rasch in meinem Herzen aufsteigt, wenn auch nur in Gedanken vor Dir auszusprechen; aber so ein Traum stürzt wie ein angeschwollner Strom über den Damm. Es mag sich einer schwer entschließen, eine Reise nach der Sonne zu tun, weil ihn die Erfahrung, daß man da nicht ankommt, davon abhält; – mir gilt in solchen Augenblicken die Erfahrung nichts, und so scheint mir denn, Dein Herz zu erreichen in seinem vollen Glanze, nichts Unmögliches.

Molitor war gestern bei mir; ich las ihm die Worte über ihn aus Deinem Briefe vor, sie haben ihn sehr ergötzt; dieser Edle ist der Meinung, daß, da er einen Leib für die Juden zu opfern habe und einen Geist ihnen zu widmen, beide auch recht nützlich anzuwenden; es geht ihm übrigens nicht[105] sehr wohl, außer in seinem Vertrauen auf Gott, bei welchem er jedoch fest glaubt, daß die Welt nur durch Schwarzkunst wieder ins Gleichgewicht zu bringen ist. Er hat groß Vertrauen auf mich und glaubt, daß ich mit der Divinationskraft begabt bin; brav ist er und will ernstlich das Gute; bekümmert sich deswegen nicht um die Welt und um sein eigen Fortkommen; ist mit einem Stuhl, einem Bett und mit fünf Büchern, die er im Vermögen hat, sehr wohl zufrieden.

Adieu, ich eile Toilette zu machen, um mit Deiner Mutter und Deinem Sohn zum Primas zu fahren, der heute ihnen zu Ehren ein großes Fest gibt; – da werd ich denn wieder recht mit dem Schlaf zu kämpfen haben; diese vielen Lichter, die geputzten Leute, die geschminkten Wangen, das summende Geschwätz, haben eine narkotische unwiderstehliche Wirkung auf mich.

Bettine

An Frau von Goethe

Am 7. April


Erinnern Sie sich noch des Abends, den wir bei Frau von Schopenhauer zubrachten, und man eine Wettung machte, ich könne keine Nähnadel führen? – Ein Beweis, daß ich damals nicht gelogen habe, ist beikommendes Röcklein; ich hab es so schön gemacht, daß mein Talent für weibliche Handarbeit ohne Ungerechtigkeit doch nicht mehr im Zweifel gezogen werden kann. Betrachten Sie es indessen mit Nachsicht, denn im stillen muß ich Ihnen bekennen, daß ich meinem Genie beinahe zuviel zugetraut habe. Wenn Sie nur immer darin erkennen, daß ich Ihnen gern so viel Freude machen möchte, als in meiner Gewalt steht.

August scheint sich hier zu gefallen; das Fest, welches der Fürstprimas der Großmutter und dem Enkel gab, beweist recht, wie er den Sohn ehrt. Ich will indessen der Frau Rat nicht vorgreifen, die es Ihnen mit den schönsten Farben ausmalen wird. August schwärmt in der ganzen Umgegend umher; überall sind Jugendfreunde seines Vaters, die von den Höhen da und dort hindeuten und erzählen, welche glückliche Stunden sie mit ihm an so schönen Orten verlebten; und so geht es im Triumph von der Stadt aufs Land und von da wieder in die Stadt. – In Offenbach, dem zierlichsten und reinsten Städtchen von der Welt, das mit himmelblauseidenem Himmel unterlegt ist, mit silbernen Wellen garniert und mit blühenden Feldern von Hyazinthen und Tausendschönchen gestickt; da war des Erzählens der Erinnerungen an jene glückliche Zeiten kein Ende.

Beiliegende Granaten hab ich aus Salzburg erhalten; tragen Sie dieselben zu meinem Andenken.

Bettine


Einliegende Bücher für den Geheimen Rat.[106]

An Bettine

Weimar, den 20. April 1808


Auch gestern wieder, liebes Herz, hat sich aus Deinem Füllhorn eine reichliche Gabe zu uns ergossen, grade zur rechten Zeit und Stunde, denn die Frauenzimmer waren in großer Überlegung, was zu einem angesagten Fest angezogen werden sollte. Nichts wollte recht passen, als eben das schöne Kleid ankam, das denn sogleich nicht geschont wurde.

Da unter allen Seligkeiten, deren sich meine Frau vielleicht rühmen möchte, die Schreibseligkeit die allergeringste ist: so verzeihe Du, wenn sie nicht selbst die Freude ausdrückt, die Du ihr gemacht hast. Wie leer es bei uns aussieht, fällt mir erst recht auf, wenn ich umherblicke und Dir doch auch einmal etwas Freundliches zuschicken möchte. Darüber will ich mir nun also weiter kein Gewissen machen und auch für die gedruckten Hefte danken, wie für manches, wovon ich noch jetzt nicht weiß, wie ich mich seiner würdig machen soll. Das wollen wir denn mit bescheidenem Schweigen übergehen und uns lieber abermals zu den Juden wenden, die jetzt in einem entscheidenden Moment zwischen Tür und Angel stecken und die Flügel schon sperren, noch ehe ihnen das Tor der Freiheit weit genug geöffnet ist. –

Es war mir sehr angenehm, zu sehen, daß man den finanzgeheimerätlichen, jakobinischen Israelssohn so tüchtig nach Hause geleuchtet hat. Kannst du mir den Verfasser der kleinen Schrift wohl nennen? Es sind treffliche einzelne Stellen drin, die in einem Plädoyer von Beaumarchais wohl hätten Platz finden können. Leider ist das Ganze nicht rasch, kühn und lustig genug geschrieben, wie es hätte sein müssen, um jenen Humanitätssalbader vor der ganzen Welt ein für allemal lächerlich zu machen. Nun bitte ich aber noch um die Judenstädtigkeit selbst, damit ich ja nicht zu bitten und zu verlangen aufhöre.

Was Du mir von Molitor zu sagen gedenkst, wird mir Freude machen; auch durch das letzte, was Du von ihm schickst, wird er mir merkwürdig, besonders durch das, was er von der Pestalozzischen Methode sagt.

Lebe recht wohl! Hab tausend Dank für die gute Aufnahme des Sohns und bleibe dem Vater günstig.

G.

An Goethe

Die Städtigkeits- und Schutzordnung der Judenschaft wird hierbei von einer edlen Erscheinung begleitet; nicht allein, um Dir eine Freude zu machen, sondern weil dies Bild mir lieb ist, hab ich's von der Wand an meinem Bett genommen, an dem es seit drei Tagen hing, und seine Schönheit dem Postwagen anvertraut; Du sollst nur sehen, was mich reizen kann. Häng dies Bild vor Dich, – schau ihm in diese schönen Augen, – in denen der[107] Wahnsinn seiner Jugend schon überwunden liegt, dann fällt es Dir gewiß auf, was Sehnsucht erregt. – Dies Unwiederbringliche, was nicht lang das Tagslicht verträgt und schnell entschwindet, weil es zu herrlich ist für den Mißbrauch. – Diesem aber ist es nicht entschwunden, es ist ihm nur tiefer in die Seele gesunken; denn zwischen seinen Lippen haucht sich schon wieder aus, was sich im erhellten Aug nicht mehr darf sehen lassen. – Wenn man das ganze Gesicht anblickt: – man hat's so lieb – man möcht mit ihm gewesen sein, um alle Pein mit ihm zu dulden, um alles ihm zu vergüten durch tausendfache Liebe, – und wenn man den breiten vollen Lorbeer erblickt, scheinen alle Wünsche für ihn erfüllt. Sein ganzes Wesen, – das Buch, was er an sich hält, macht ihn so lieb; hätt ich damals gelebt, ich hätt ihn nicht verlassen.

August ist weg; ich sang ihm vor: »Sind's nicht diese, sind's doch andre, die da weinen, wenn ich wandre, holder Schatz, gedenk an mich.« Und so wanderte er zu den Pforten unseres republikanischen Hauses hinaus; hab ihn auch von Herzen umarmt, zur Erinnerung für mich an Dich; weil Du mich aber vergessen zu haben scheinst und mir nur immer von dem Volk schreibst, welches verflucht ist, und es Dir lieb ist, wenn Jacobson heimgeschickt wird, aber nicht, wenn ich heimlich mit Dir bin, so schreib ich's zur Erinnerung für Dich an mich, die Dich trotz Deiner Kälte doch immer liebhaben muß – halt, weil sie muß.

Dem Primas hüte ich mich wohl, Deine Ansichten über die Juden mitzuteilen, denn einmal geb ich Dir nicht recht, und hab auch meine Gründe; ich leugne auch nicht, die Juden sind ein heißhungriges, unbescheidenes Volk; wenn man ihnen den Finger reicht, so reißen sie einem bei der Hand an sich, daß man um und um purzeln möchte; das kommt eben daher, daß sie so lang in der Not gesteckt haben; ihre Gattung ist doch Menschenart, und diese soll doch einmal der Freiheit teilhaftig sein, zu Christen will man sie absolut machen, aber aus ihrem engen Fegfeuer der überfüllten Judengasse will man sie nicht herauslassen; das hat nicht wenig Überwindung der Vorurteile gekostet, bis die Christen sich entschlossen hatten, ihre Kinder mit den armen Judenkindern in eine Schule zu schicken, es war aber ein höchst genialer und glücklicher Gedanke von meinem Molitor, fürs erste Christen- und Judenkinder in eine Schule zu bringen; die können's denn miteinander versuchen und den Alten mit gutem Beispiel vorgehen. Die Juden sind wirklich voll Untugend, das läßt sich nicht leugnen; aber ich sehe gar nicht ein, was an den Christen zu verderben ist; und wenn denn doch alle Menschen Christen werden sollen, so lasse man sie ins himmlische Paradies, – da werden sie sich schon bekehren, wenn's ihnen gefällig ist.

Siehst Du, die Liebe macht mich nicht blind, – es wär auch ein zu großer Nachteil für mich, denn mit sehenden Augen bin ich alles Schönen inne geworden.

Adieu, kalter Mann, der immer über mich hinaus nach den Judenbroschüren[108] reicht; ich bitte Dich, steck das Bild an die Wand mit vier Nadeln, aber in Dein Zimmer, wo ich das einzige Mal drin war und hernach nicht mehr.

Bettine

An Bettine

Du zürnst auf mich, da muß ich denn gleich zu Kreuz kriechen und Dir recht geben, daß Du mir den Prozeß machst über meine kurzen kalten Briefe, da doch Deine lieben Briefe, Dein lieb Wesen, kurz alles, was von Dir ausgeht, mit der schönsten Anerkenntnis müßte belohnt werden. Ich bin Dir immer nah, das glaube fest, und daß es mir wohler tut, je länger ich Deiner Liebe gewiß werde. Gestern schickte ich meiner Mutter ein kleines Blättchen für Dich; nimm's als ein bares Äquivalent für das, was ich anders auszusprechen in mir kein Talent fühle, sehe zu, wie Du Dir's aneignen kannst. Leb wohl, schreib mir bald, alles was Du willst.

Goethe


Der durchreisende Passagier wird Dir hoffentlich wert geblieben sein bis ans Ende. Nehme meinen Dank für das Freundliche und Gute, was Du ihm erzeigt hast. – Wenn ich in Karlsbad zur Ruh bin, so sollst Du von mir hören. Deine Briefe wandern mit mir; schreib mir ja recht viel von Deinen Reisen, Landpartien, alten und neuen Besitzungen; das lese ich nun so gern.

Weimar, den 4, Mai 1808

Sonett,

im Brief an Goethes Mutter eingelegt

Als kleines art'ges Kind nach Feld und Auen

Sprangst du mit mir so manchen Frühlingsmorgen.

»Für solch ein Töchterchen, mit holden Sorgen

Möcht ich als Vater segnend Häuser bauen!«


Und als du anfingst in die Welt zu schauen,

War deine Freude häusliches Besorgen.

»Solch eine Schwester! und ich wär geborgen:

Wie könnt ich ihr, ach! wie sie mir vertrauen!«


Nun kann den schönen Wachstum nichts beschränken;

Ich fühl im Herzen heißes Liebestoben,

Umfaß ich sie, die Schmerzen zu beschwichtgen?


Doch ach! Nun muß ich dich als Fürstin denken:

Du stehst so schroff vor mir emporgehoben;

Ich beuge mich vor deinem Blick, dem flüchtgen.
[109]

An Goethe

Ist es Dir eine Freude, mich in tiefer Verwirrung beschämt zu Deinen Füßen zu sehen, so sehe jetzt auf mich herab; so geht's der armen Schäfermaid, der der König die Krone aufsetzt; wenn ihr Herz auch stolz ist, ihn zu lieben, so ist die Krone doch zu schwer; ihr Köpfchen schwankt unter der Last, und noch obendrein ist sie trunken von der Ehre, von den Huldigungen, die der Geliebte ihr schenkt.

Ach, ich werde mich hüten, ferner zu klagen oder um schön Wetter zu beten, kann ich doch den blendenden Sonnenstrahl nicht vertragen. Nein, lieber im Dunkel seufzen, still verschwiegen, als von Deiner Muse ans helle Tageslicht geführt, beschämt, bekränzt; das sprengt mir das Herz. Ach, betrachte mich nicht so lange, nimm mir die Krone ab, verschränke Deine Arme um mich an Deinem Herzen und lehre mich vergessen über Dir selber, daß Du mich verklärt mir wiederschenkst.

Bettine

An Goethe

Am 20. Mai


Schon acht Tage bin ich in der lieblichsten Gegend des Rheins, und konnte vor Faulheit, die mir die liebe Sonne einbrennt, keinen Augenblick finden, Deinem freundlichen Brief eine Antwort zu geben. – Wie läßt sich da auch schreiben! Die Allmacht Gottes schaut mir zu jedem Fenster herein und neigt sich anmutig vor meinem begeisterten Blick.

Dabei bin ich noch mit einem wunderbaren Hellsehen begabt, was mir die Gedanken einnimmt. Seh ich einen Wald, so wird mein Geist auch alle Hasen und Hirsche gewahr, die drin herumspringen; und hör ich die Nachtigall, so weiß ich gleich, was der kalte Mond an ihr verschuldet hat.

Gestern Abend ging ich noch spät an den Rhein; ich wagte mich auf einen schmalen Damm, der mitten in den Fluß führt, an dessen Spitze von Wellen umbrauste Felsklippen hervorragen; ich erreichte mit einigen gewagten Sprüngen den allervordersten, der grade so viel Raum bietet, um trocknen Fußes drauf zu stehen. Die Nebel umtanzten mich; Heere von Raben flogen über mir, sie drehten sich im Kreis, als wollten sie sich aus der Luft herablassen; ich wehrte mich dagegen mit einem Tuch, das ich über meinen Kopf schwenkte, aber ich wagte nicht, über mich zu sehen, aus Furcht, ins Wasser zu fallen. Wie ich umkehren wollte, da war guter Rat teuer; ich konnte kaum begreifen, wie ich hingekommen war; es fuhr ein kleiner Seelenverkäufer vorüber, – dem winkte ich, mich mitzunehmen. Der Schiffer wollte zu der weißen Gestalt, die er trocknen Fußes mitten auf dem Flusse stehen sah, und die die Raben für ihre Beute erklärten, kein Zutrauen fassen; endlich lernte er begreifen, wie ich dahin gekommen war, und nahm mich an Bord seines Dreibords. Da lag ich auf schmalem Brett,[110] Himmel und Sterne über mir; wir fuhren noch eine halbe Stunde abwärts, bis wo seine Netze am Ufer hingen; wir konnten von weitem sehen, wie die Leute bei hellem Feuer Teer kochten und ihr Fahrzeug anstrichen.

Wie leidenschaftslos wird man, wenn man so frei und einsam sich befindet wie ich im Kahn; wie ergießt sich Ruh durch alle Glieder, sie ertränkt einem mit sich selbsten, sie trägt die Seele so still und sanft wie der Rhein mein kleines Fahrzeug, unter dem man auch nicht eine Welle plätschern hörte. Da sehnte ich mich nicht wie sonst meine Gedanken vor Dir auszusprechen, daß sie gleich den Wellen an der Brandung anschlagen und belebter weiter strömen; ich seufzte nicht nach jenen Regungen im Innern, von denen ich wohl weiß, daß sie Geheimnisse wecken und dem glühenden Jugendgeist Werkstätte und Tempel öffnen. Mein Schiffer mit der roten Mütze, in Hemdärmeln, hatte sein Pfeifchen angezündt; ich sagte: »Herr Schiffskapitän, Ihr seht ja aus, als hätt die Sonne Euch zum Harnisch ausglühen wollen «; – »Ja«, sagte er, »jetzt sitz ich im Kühlen; aber ich fahre nun schon vier Jahre alle Reisende bei Bingen über den Rhein, und da ist keiner so weit hergekommen wie ich. Ich war in Indien; da sah ich ganz anders aus, da wuchsen mir die Haare so lang. – Und war in Spanien; da ist die Hitze nicht so bequem, ich hab Strapazen ausgestanden; da fielen mir die Haare aus, und ich kriegte einen schwarzen Krauskopf. – Und hier am Rhein wird's wieder anders: da wird mein Kopf gar weiß; in der Fremde hatt ich Not und Arbeit, wie es ein Mensch kaum erträgt; und wenn ich Zeit hatte, konnte ich vierundzwanzig Stunden hintereinander schlafen, – da mocht es regnen und blitzen unter freiem Himmel. Hier schlaf ich nachts keine Stunde; wer's einmal geschmeckt hat auf offner See, dem kann's nicht gefallen, hier alle Polen und rothaarigen Holländer über die Gosse zu fahren, – und sollt ich den ganzen Rhein hinunterschwimmen auf meinen dünnen Rippen, so muß ich fort aus einem Ort, wo's nichts zu lachen gibt und nichts zu seufzen.« – »Ei, wo möchtet Ihr denn hin?« – »Da, wo ich am meisten ausgestanden habe, das war in Spanien; – da möcht ich wieder sein, und wenn's noch einmal so hart herging!« – »Was hat Euch denn da so glücklich gemacht?« – Er lachte und schwieg, – wir landeten; ich bestellte ihn zu mir, daß er sich ein Trinkgeld bei mir hole, weil ich nichts bei mir hatte; er wollte aber nichts nehmen. Im Nachhausegehen überlegte ich, wie mein Glück ganz von Dir ausgeht; wenn Du nicht wärst im langweiligen Deutschland, so möcht ich wahrhaftig auch auf meinen dünnen Rippen den unendlichen Rhein hinabschwimmen. Unsere Großmutter hat uns oft so erhabene Dinge gesagt von Deutschlands großen Geistern, aber Du warst nicht dabei, sonst hätt ich mich vor Dir gehütet, und Du wärst meiner Begeisterung verlustig gewesen. Im Einschlafen fühlte ich mich noch immer gewiegt in süßer, gedankloser Zerstreuung, und es war mir, als hab ich Dir große Dinge mitzuteilen, von denen ich glaubte, ich dürfe nur wollen, so werde sie der Mund meiner Gedanken aussprechen; jetzt aber, nach ausgeschlafnem Traumleben, weiß ich nichts, als mich Deinem Andenken,[111] Deiner freundlichen Neigung aufs innigste anzuschmiegen; denn wärst Du mir nicht, ich weiß nicht, was ich dann wär; aber gewiß: unstät und unruhig würde ich suchen, was ich jetzt nicht mehr suche.

Dein Kind


Wie ist mir, lieber einziger Freund! Wie schwindelt mir, was willst Du mir sagen, – Schatz! köstlicher! von dem ich alles lerne tief in der Brust, der mir alle Fesseln abnimmt, die mich drücken, der mir winkt in die Lüfte, in die Freiheit.

Das hast Du mir gelehrt, daß alles, was meinem Geist eine Fessel ist, allein nur drückende Unwissenheit ist; wo ich mich fürchte, wo ich meinen Kräften nicht traue, da bin ich nur unwissend.

Wissen ist die Himmelsbahn; das höchste Wissen ist Allmacht, das Element der Seligkeit; solange wir nicht in ihm sind, sind wir noch ungeboren. Selig sein ist frei sein; ein freies, selbständiges Leben haben, dessen Höhe und Göttlichkeit nicht abhängt von seiner Gestaltung; das in sich göttlich ist, weil nur reiner Entfaltungstrieb in ihm ist; ewiges Blühen ans Licht und sonst nichts.

Liebe ist Entfaltungstrieb in die göttliche Freiheit. Dies Herz, das von Dir empfunden sein will, will frei werden; es will entlassen sein aus dem Kerker in Dein Bewußtsein. Du bist das Reich, der Stern, den es seiner Freiheit erobern will. Liebe will allmählich die Ewigkeit erobern, die wie Du weißt, kein Ende nehmen wird.

Dies Sehnen ist jenseits der Atem, der die Brust hebt; und die Liebe ist die Luft, die wir trinken.

Durch Dich werd ich ins unsterbliche Leben eingehen; der Lebende geht ein durch den Geliebten ins Göttliche, in die Seligkeit. Liebe ist Überströmen in die Seligkeit.

Dir alles sagen, das ist mein ganzes Sein mit Dir; der Gedanke ist die Pforte, die den Geist entläßt; da rauscht er hervor und hebt sich hinüber zur Seele, die er liebt, und läßt sich da nieder und küßt die Geliebte, und das ist Wollustschauer: den Gedanken empfinden, den die Liebe entzündet.

Möge mir dies süße Einverständnis mit Dir bewahrt bleiben, in dem sich unser Geist berührt; dies kühne Heldentum, das sich über den Boden der Bedrängnis und Sorge hinweghebt, auf himmlischen Stufen aufwärtsschreitend, solchen schönen Gedanken entgegen, von denen ich weiß, sie kommen aus Dir.

Goethe an B.

Am 7. Juni


Nur wenig Augenblicke vor meiner Abreise nach Karlsbad kommt Dein lieber Brief aus dem Rheingau; auf jeder Seite so viel Herrliches und Wichtiges leuchtet mir entgegen, daß ich im voraus Beschlag lege auf jede[112] prophetische Eingebung Deiner Liebe; Deine Briefe wandern mit mir, die ich wie eine buntgewirkte Schnur auftrößle, um den schönen Reichtum, den sie enthalten, zu ordnen. Fahre fort, mit diesem lieblichen Irrlichtertanz mein beschauliches Leben zu ergötzen und beziehende Abenteuer zu lenken; – es ist mir alles aus eigner Jugenderinnerung bekannt wie die heimatliche Ferne, deren man sich deutlich bewußt fühlt, ob man sie schon lange verlassen hat. Forsche doch nach dem Lebenslauf Deines hartgebrannten Schiffers, wenn Du ihm wieder begegnest; es wäre doch wohl interessant zu erfahren, wie der indische Seefahrer endlich auf den Rhein kömmt, um zur gefährdeten Stunde den bösen Raubvögeln mein liebes Kind abzujagen. Adieu! Der Eichwald und die kühlen Bergschluchten, die meiner harren, sind der Stimmung nicht ungünstig, die Du so unwiderstehlich herauszulocken verstehst; auch predige Deine Naturevangelien nur immer in der schönen Zuversicht, daß Du einen frommen Gläubigen an mir hast.

Die gute Mutter hat mir sehr bedauerlich geschrieben, daß sie diesen Sommer Dich entbehren soll; Deine reiche Liebe wird auch dahin versorgend wirken, und Du wirst einen in dem andern nicht vergessen.

Möchtest Du doch auch gelegentlich meinen Dank, meine Verehrung unserm vortrefflichen Fürsten Primas ausdrücken, daß er meinen Sohn so über alle Erwartung geehrt und der braven Großmutter ein so einziges Fest gegeben. Ich sollte wohl selbst dafür danken, aber ich bin überzeugt, Du wirst das, was ich zu sagen habe, viel artiger und anmutiger, wenn auch nicht herzlicher vortragen.

Deine Briefe werden mir in Karlsbad bei den drei Mohren der willkommenste Besuch sein, von denen ich mir das beste Heil verspreche. Erzähle mir ja recht viel von Deinen Reisen, Landpartien, alten und neuen Besitzungen, und erhalte Dich mir in fortdauerndem lebendigem Andenken.

G.

An Goethe

Am 16. Juni


Hier sind noch tausend herrliche Wege, die alle nach berühmten Gegenden des Rheins führen; jenseits liegt der Johannisberg, auf dessen steilen Rücken wir täglich Prozessionen hinaufklettern sehen, die den Weinbergen Segen erflehen, dort überströmt die scheidende Sonne das reiche Land mit ihrem Purpur, und der Abendwind trägt feierlich die Fahnen der Schutzheiligen in den Lüften und bläht die weitfaltigen weißen Chorhemden der Geistlichkeit auf, die sich in der Dämmerung wie ein rätselhaftes Wolkengebilde den Berg hinabschlängeln. Im Näherrücken entwickelt sich der Gesang; die Kinderstimmen klingen am vernehmlichsten; der Baß stößt nur ruckweise die Melodien in die rechten Fugen, damit sie[113] das kleine Schulgewimmel nicht allzuhoch treibe, und dann pausiert er am Fuß des Berges, wo die Weinlagen aufhören. Nachdem der Herr Kaplan den letzten Rebstock mit dem Wadel aus dem Weihwasserkessel bespritzt hat, fliegt die ganze Prozession wie Spreu auseinander, der Küster nimmt Fahne, Weihkessel und Wadel, Stola und Chorhemd, alles unter den Arm, und trägt's eilends davon, als ob die Grenze der Weinberge auch die Grenze der Audienz Gottes wär, so fällt das weltliche Leben ein, Schelmenliedchen bemächtigen sich der Kehlen, und ein heiteres Allegro der Ausgelassenheit verdrängt den Bußgesang, alle Unarten gehen los, die Knaben balgen sich und lassen ihre Drachen am Ufer im Mondschein fliegen, die Mädchen spannen ihre Leinwand aus, die auf der Bleiche liegt, und die Bursche bombardieren sie mit wilden Kastanien; da jagt der Stadthirt die Kuhherde durchs Getümmel, den Ochs voran, damit er sich Platz mache; die hübschen Wirtstöchter stehen unter den Weinlauben vor der Tür und klappen mit dem Deckel der Weinkanne, da sprechen die Chorherren ein, und halten Gericht über Jahrgänge und Weinlagen, der Herr Frühmeßner sagt nach gehaltener Prozession zum Herrn Kaplan: »Nun haben wir's unserm Herrgot vorgetragen, was unserm Wein nottut: noch acht Tage trocken Wetter, dann morgens früh Regen und mittags tüchtigen Sonnenschein, und das so fort Juli und August! Wenn's dann kein gutes Weinjahr gibt, so ist's nicht unsre Schuld.«

Gestern wanderte ich der Prozession vorüber, hinauf nach dem Kloster, wo sie herkam. Oft hatte ich im Aufsteigen Halt gemacht, um den verhallenden Gesang noch zu hören. Da oben auf der Höhe war große Einsamkeit; nachdem auch das Geheul der Hunde, die das Psalmieren obligat begleitet hatten, verklungen war, spürte ich in die Ferne; da hörte ich dumpf das sinkende Treiben des scheidenden Tags; ich blieb in Gedanken sitzen, – da kam aus dem fernen Waldgeheg von Vollratz her etwas Weißes, es war ein Reiter auf einem Schimmel; das Tier leuchtete wie ein Geist, sein weicher Galopp tönte mir weissagend, die schlanke Figur des Reiters schmiegte sich so nachgebend den Bewegungen des Pferdes, das den Hals sanft und gelenk bog; bald in lässigem Schritt kam er heran, ich hatte mich an den Weg gestellt, er mochte mich im Dunkel für einen Knaben halten, im braunen Tuchmantel und schwarzer Mütze sah ich nicht grade einem Mädchen ähnlich. Er fragte, ob der Weg hier nicht zu steil sei zum Hinabreiten, und ob es noch weit sei bis Rüdesheim. Ich leitete ihn den Berg herab, der Schimmel hauchte mich an, ich klatschte seinen sanften Hals. Des Reiters schwarzes Haar, seine erhabene Stirn und Nase waren bei dem hellen Nachthimmel deutlich zu erkennen. Der Feldwächter ging vorüber und grüßte, ich zog die Mütze ab, mir klopfte das Herz neben meinem zweifelhaften Begleiter, wir gaben einander wechselweise Raum, uns näher zu betrachten; was er von mir zu denken beliebte, schien keinen großen Eindruck auf ihn zu machen, ich aber entdeckte in seinen Zügen, seiner Kleidung und Bewegungen eine reizende Eigenheit nach der andern. Nachlässig,[114] bewußtlos, naturlaunig saß er auf seinem Schimmel, der das Regiment mit ihm teilte. – Dorthin flog er im Nebel schwimmend, der ihn nur allzubald mir verbarg; ich aber blieb bei den letzten Reben, wo heute die Prozession in ausgelaßnem Übermut auseinandersprengte, allein zurück: ich fühlte mich sehr gedemütigt, ich ahnete nicht nur, ich war überzeugt, dies rasche Leben, das eben gleichgültig an mir vorübergestreift war, begehre mit allen fünf Sinnen des Köstlichsten und Erhabensten im Dasein sich zu bemächtigen.

Die Einsamkeit gibt dem Geist Selbstgefühl; die duftenden Weinberge schmeichelten mich wieder zufrieden.

Und nun vertraue ich Dir schmucklos meinen Reiter, meine gekränkte Eitelkeit, meine Sehnsucht nach dem lebendigen Geheimnis in der Menschenbrust. Soll ich in Dir lebendig werden, genießen, atmen und ruhen, alles im Gefühl des Gedeihens, so muß ich, Deiner höheren Natur unbeschadet, alles bekennen dürfen was mir fehlt, was ich erlebe und ahne; nimm mich auf, weise mich zurecht und gönne mir die heimliche Lust des tiefsten Einverständnisses.

Die Seele ist zum Gottesdienst geboren, daß ein Geist in dem andern entbrenne, sich in ihm fühle und verstehen lerne, das ist mir Gottesdienst – je inniger: je reiner und lebendiger.

Wo ich mich hinlagere am grünenden Boden, von Sonne und Mond beschienen, da bist Du meine Heiligung.

Bettine


Am 25. Juni


Du wirst doch auch einmal den Rhein wieder besuchen, den Garten Deines Vaterlands, der dem Ausgewanderten die Heimat ersetzt, wo die Natur so freundlich groß sich zeigt; – wie hat sie mit sympathetischem Geist die mächtigen Ruinen aufs neue belebt, wie steigt sie auf und ab an den düstern Mauern und begleitet die verödeten Räume mit schmeichelnder Begrasung und erzieht die wilden Rosen auf den alten Warten und die Vogelkirsche, die aus verwitterter Mauerluke herablacht! Ja, komm und durchwandre den mächtigen Bergwald vom Tempel herab zum Felsennest, das über dem schäumenden Bingerloch herabsieht, die Zinnen mit jungen Eichen gekrönt; wo die schlanken Dreiborde wie schlaue Eidechsen durch die reißende Flut am Mäuseturm vorbeischießen. Da stehst Du und siehst, wie der helle Himmel über grünenden Rebhügeln aus dem Wasserspiegel herauflacht, und Dich selbst auf Deinem kecken eigensinnigen basaltnen Ehrenfels inmitten abgemalt, in ernste, schaurig umfassende Felshöhen und hartnäckige Vorsprünge eingerahmt; da betrachte Dir die Mündungen der Tale, die mit ihren friedlichen Klöstern zwischen wallenden Saaten aus blauer Ferne hervorgrünen, und die Jagdreviere und hängenden Gärten, die von einer Burg zur andern sich schwingen, und das Geschmeide der Städte und Dörfer, das die Ufer schmückt.[115]

O Weimar, o Karlsbad, entlaßt mir den Freund! Schließ Dein Schreibpult zu und komm hier her, lieber als nach Karlsbad; das ist ja ein Kleines, daß Du dem Postillon sagst: links statt rechts; ich weiß, was Du bedarfst, ich mache Dir Dein Zimmer zurecht neben meinem, das Eckzimmer, mit dem einen Fenster den Rhein hinunter und dem andern hinüber; ein Tisch, ein Sessel, ein Bett und ein dunkler Vorhang, daß die Sonne Dir nicht zu früh hereinscheint. Muß es denn immer auf dem Weg zum Tempel des Ruhms fortgeleiert sein, wo man so oft marode wird?

Eben entdeckte ich den Briefträger, ich sprang ihm entgegen, er zeigte mir auch von weitem Deinen Brief, er freute sich mit mir und hatte auch Ursache dazu, er sagte; »Gewiß ist der Brief von dem Herrn Liebsten!«

»Ja,« sagte ich, »für die Ewigkeit!« Das hielt er für ein melancholisches Ausrufungszeichen.

Die Mutter hat mir auch heute geschrieben, sie sagt mir's herzlich, daß sie mir wohl will, von Deinem Sohn erhalte ich zuweilen Nachricht durch andre, er selbst aber läßt nichts von sich hören.

Und nun leb wohl, Dein Aufenthalt in Karlsbad sei Dir gedeihlich, ich segne Deine Gesundheit; wenn Du krank wärst und Schmerzen littest, würde ich sehr mitleiden; ich hab so manches nachfühlen müssen, was Du wohl längst verschmerzt hattest, noch eh ich Dich kannte.

Die drei Mohren sollen Deine Wächter sein, daß sich kein fremder Gast bei Dir einschleiche und Du Dir kein geschnitzeltes Bild machst, dasselbige anzubeten. Laß Dir's bei den drei Mohren gesagt sein, daß ich um den Ernst Deiner Treue bitte, erhalte sie mir unter den zierlichen, müßigen Badenymphen, die Dich umtanzen, die Nadel mit dem Gordischen Knoten trag an Deiner Brust, denk daran, daß Du aus der Fülle meiner Liebe keine Wüste des Jammers machen sollst, und sollst den Knoten nicht entzweihauen.

Dem Primas hab ich geschrieben in Deinem Auftrag, er ist in Aschaffenburg, er hat mich eingeladen, dorthin zu kommen; ich werd auch wahrscheinlich mit der ganzen Familie ihn besuchen, da kann ich ihm alles noch einmal mitteilen. Ich werde Dir Nachricht darüber geben.

Nun küsse ich Dir zum letztenmal Hand und Mund, um morgen einen neuen Brief zu beginnen.

Bettine

An Goethe

Am 5. Juli


Wenn ich Dir alle Ausflüge beschreiben sollte, liebster Herr, die wir von unserm Rheinaufenthalt aus machen, so blieb mir keine Minute übrig zum Schmachten und Seufzen. Das wär mir sehr lieb, denn wenn mein Herz voll ist, so möcht ich's gerne vor Dir überströmen lassen; aber so geht's nicht: hat man den ganzen Tag im heißen Sonnenbrand einen Berg[116] um den andern erstiegen, alle Herrlichkeiten der Natur mit Hast in sich getrunken wie den kühlen Wein in der Hitze, so möchte man am Abend den Freund lieber ans Herz drücken und ihm sagen, wie lieb man ihn hat, als noch viele Beschreibung von Weg und Steg machen. Was vermag ich auch vor Dir, als nur Dich innigst anzusehen! Was soll ich Dir vorplaudern? – Was können Dir meine einfältigen Reden sein?

Wer sich nach der schönen Natur sehnt, der wird sie am besten beschreiben, der wird nichts vergessen, keinen Sonnenstrahl, der sich durch die Felsritze stiehlt, keinen Windvogel, der die Wellen streift, kein Kraut, kein Mückchen, keine Blume am einsamen Ort. Wer aber mitten drinnen ist und mit glühendem Gesicht oben ankommt, der schläft, wie ich, gern auf dem grünen Rasen ein und denkt weiter nicht viel, manchmal gibt's einen Stoß ans Herz, da seh ich mich um und suche, wem ich's vertrauen soll.

Was sollen mir all die Berge bis zur blauen Ferne, die blähenden Segel auf dem Rhein, die brausenden Wasserstrudel! – Es drückt einem doch nur, und – keine Antwort, niemals, wenn man auch noch so begehrend fragt. –


Am 7. Juli


So lauten die Stoßseufzer am Abend, am Morgen klingt's anders, da regt sich's schon vor Sonnenaufgang und treibt mich hinaus, wie einer längst ersehnten Botschaft entgegen. Den Nachen kann ich schon allein regieren, es ist mein liebstes Morgengebet, ihn listig und verstohlen von der Kette zu lösen und mich hinüber ans Ufer zu studieren. Allemal muß ich's wieder von neuem lernen, es ist ein Wagstück, mit Mutwill begonnen, aber sehr andächtig beschlossen; denn ich danke Gott, wenn ich glücklich gelandet bin. Ohne Wahl belaufe ich dann einen der vielen Strahlenwege, die sich hier nach allen Seiten auftun. Jedesmal lauscht die Erwartung im Herzen, jedesmal wird sie gelöst, bald durch die allumfassende Weite auf der Höh, durch die Sonne, die so plötzlich alles aus dem Schlaf weckt; ich klimme herab an Felswänden, reinliches Moos, zierliches Flechtwerk bekleiden den Stein, kleine Höhlen zum Lager wie gegossen, in denen verschnauf ich, dort zwischen dunklen Felsen leuchtet ein helleres Grün: kräftig blühend, untadelig, mitten in der Wüste find ich die Blume auf reinlichem Herd, einfache Haushaltung Gottes; inmitten von Blütenwänden die Opferstätte feierlich umstellt von schwanken priesterlichen Nymphen, die Libationen aus ihren Kelchkrüglein ergießen und Weihrauch streuen und wie die indischen Mädchen goldnen Staub in die Lüfte werfen. – Dann seh ich's blitzen im Sand; ich muß hinab und wieder hinauf, ob's vielleicht ein Diamant ist, den der Zufall ans Licht gebracht hat. Wenn's einer wär, ich schenkte ihn Dir, und denk mir Deine Verwunderung über das Kleinod unserer rheinischen Felsen. Da lieg ich am unbeschatteten Ort mit brennenden Wangen und sammle Mut, wieder hinüberzuklettern[117] zur duftenden Linde. Am Kreuzweg, beim Opferstock des heiligen Petrus, der mit großem Himmelsschlüssel ins vergitterte Kapellchen eingesperrt ist, ruh ich aus auf weichem Gras und such vergebens, o Himmel! an deinem gewölbten Blau das Loch, in das der Schlüssel passen könnte, da ich heraus möchte aus dem Gefängnis der Unwissenheit und Unbewußtheit; wo ist die Tür, die dem Licht und der Freiheit sich öffnet? – Da ruschelt's, da zwitschert's im Laub, dicht neben mir unter niederem Ast sitzt das Finkenweibchen im Nest und sieht mich kläglich an.

Das sind die kleinen allerliebsten Abenteuer und Mühseligkeiten des heutigen Tags. Heimwärts machte ich die Bekanntschaft der kleinen Gänsehirtin, sie strahlte mich von weitem an mit ihren zollangen schwarzen Augenwimpern, die andern Kinder lachten es aus und sagten, alle Menschen hielten sich drüber auf, daß es so lange Wimpern habe. Es stand beschämt da und fing endlich an zu weinen. Ich tröstete es und sagte; »Weil dich Gott zur Hüterin über die schönen weißen Gänse bestellt hat und du immer auf freier Wiese gehest, wo die Sonne so sehr blendet, so hat er dir diese langen Augenschatten wachsen lassen.« Die Gänse drängten sich an ihre weinende Hüterin und zischten mich und die lachenden Kinder an, könnt ich malen, – das gäb ein Bild!

Gut ist's, daß ich nicht viel von dem weiß, was in der Welt vorgeht, von Künsten und Wissenschaften nichts versteh, ich könnte leicht in Versuchung geraten, Dir darüber zu sprechen, und meine Phantasie würde alles besser wissen wollen, jetzt nährt sich mein Geist von Inspirationen. – Manches hör ich nennen, anwenden, vergleichen, was ich nicht begreife, was hindert mich, danach zu fragen? – Was macht mich so gleichgültig dagegen? Oder warum weiche ich wohl gar aus, etwas Neues zu erfahren? –


Am frühen Morgen


Ein Heer von Wolken macht mir heute meine frühe Wanderung zu Wasser, dort drüben die Ufer sind heute wie Schatten der Unterwelt schwankend und schwindend; die Turmspitzen der nebelbegrabenen Städte und Ortschaften dringen kaum durch, die schöne grüne Au ist verschwunden. – Es ist noch ganz früh – ich merk's! Kaum kann es vier Uhr sein, da schlagen die Hähne an, von Ort zu Ort in die Runde bis Mittelheim, von Nachbar zu Nachbar; keiner verkümmert dem andern die Ehre des langen Nachhalls, und so geht's in die Ferne wie weit! Die Morgenstille dazwischen wie die Wächter der Moscheen, die das Morgengebet ausrufen. Morgenstund hat Gold im Mund, schon seh ich's glänzen und flimmern auf dem Wasser, die Strahlen brechen durch und säen Sterne in den eilenden Strom, der seit zwei Tagen, wo es unaufhörlich gießt, angeschwollen ist.

Da hat der Himmel seine Schleier zerrissen! – Nun ist's gewiß, daß wir heute schön Wetter haben, ich bleibe zu Hause und will alle Segel zählen,[118] die vorüberziehen, und allen Betrachtungen Raum geben, die mir die ferne, allmählich erhellende Aussicht zuführt. Du kennst den Fluß des Lebens wohl genau und weißt, wo die Sandbänke und Klippen sind, und die Strudel, die uns in die Tiefe ziehen, und wie weit der jauchzende Schiffer mit gespanntem Segel, mit frischem Wind wohl kommen wird, und was ihn am Ufer erwartet.

Wenn Dir's gefällt, einen Augenblick nachzudenken über den Eigensinn meiner Neigung und über die Erregbarkeit meines Geistes, so mag Dir's wohl anschaulich sein, was mir unmündig Schiffenden noch begegnen wird. O sag mir's, daß ich nichts erwarten soll von jenen Luftschlössern, die die Wolken eben im Saffran- und Purpurfeld der aufgehenden Sonne auftürmen, sag mir: dies Lieben und Aufflammen, und dies trotzige Schweigen zwischen mir und der Welt sei nichtig und nichts!

Ach der Regenbogen, der eben auf der Ingelheimer Au seinen diamantnen Fuß aufsetzt und sich übers Haus hinüberschwingt auf den Johannisberg, der ist wohl grad wie der selige Wahn, den ich habe von Dir und mir. Der Rhein, der sein Netz ausspannt, um das Bild seiner paradiesischen Ufer darin aufzufangen, der ist wie diese Lebensflamme, die von Spiegelungen des Unerreichbaren sich nährt. Mag sie denn der Wirklichkeit auch nicht mehr abgewinnen als den Wahn; – es wird mir eben auch den eigentümlichen Geist geben und den Charakter, der mein Selbst ausspricht wie dem Fluß das Bild, das sich in ihm spiegelt.


Am Abend


Heute morgen schiffte ich noch mit dem launigen Rheinbegeisterten Niklas Vogt nach der Ingelheimer Au, seine enthusiastischen Erzählungen waren ganz von dem O und Ach vergangner schöner Zeiten durchwebt. Er holte weit aus und fing von da an, ob Adam hier nicht im Paradiese gelebt habe, und dann erzählte er vom Ursprung des Rheins und seinen Windungen durch wilde Schluchten und einengende Felstale, und wie er da nach Norden sich wende und wieder zurückgewiesen werde, links nach Westen, wo er den Bodensee bilde und dann so kräftig sich über die entgegenstellenden Felsen stürze; ja, sagte der gute Vogt ganz listig und lustig, man kann den Fluß ganz und gar mit Goethe vergleichen. Jetzt geben Sie acht: die drei Bächlein, die von der Höhe des ungeheuren Urfelsen, der so mannigfaltige abwechselnde Bestandteile hat, niederfließen und den Rhein bilden, der als Jünglingskind erst sprudelt, das sind seine Musen, nämlich Wissenschaft, Kunst und Poesie, und wie da noch mehr herrliche Flüsse sind: der Tessin, der Adda und Inn, worunter der Rhein der schönste und berühmteste, so ist Goethe auch der berühmteste und schönste vor Herder, Schiller und Wieland; und da, wo der Rhein den Bodensee bildet, das ist die liebenswürdige Allgemeinheit Goethes, wo sein Geist von den drei Quellen noch gleichmäßig durchdrungen ist, da, wo er sich über die entgegenstauenden Felsen stürzt: das ist sein[119] trotzig Überwinden der Vorurteile, sein heidnisch Wesen, das braust tüchtig auf und ist tumultarisch begeistert; da kommen seine Xenien und Epigramme, seine Naturansichten, die den alten Philistern ins Gesicht schlagen, und seine philosophischen und religiösen Richtungen, die sprudeln und toben zwischen dem engen Felsverhack des Widerspruchs und der Vorurteile so fort, und mildern sich dann allmählich; nun aber kommt noch der beste Vergleich: die Flüsse, die er aufnimmt: die Limmat, die Thur, die Reuß, die Ill, die Lauter, die Queich, lauter weibliche Flüsse, das sind die Liebschaften, so geht's immer fort bis zur letzten Station. Die Selz, die Nah, die Saar, die Mosel, die Nette, die Ahr; – nun kommen sie ihm vom Schwarzwald zugelaufen und von der rauhen Alp, – lauter Flußjungfern: die Elz, die Treisam, die Kinzig, die Murg, die Kraich, dann die Reus, die Jaxt; aus dem Odenwald und Melibokus herab haben sich ein paar allerliebste Flüßchen auf die Beine gemacht: die Wesnitz und die Schwarzbach; die sind so eilig: was giltst du, was hast du? – Dann führt ihm der Main ganz verschwiegen die Nid und die Krüftel zu; das verdaut er alles ganz ruhig und bleibt doch immer er selber; und so macht's unser großer deutscher Dichter auch, wie unser großer deutscher Fluß; wo er geht und steht, wo er gewesen ist und wo er hinkommt, da ist immer was Liebes, was den Strom seiner Begeistrung anschwellt.

Ich war überrascht von der großen Gesellschaft; Vogt meinte, das wären noch lange nicht alle; der Vergleiche waren noch kein Ende: Geschichte und Fabel, Feuer und Wasser, was über und unter der Erde gedeiht, wußte er passend anzuwenden; ein Rhinozerosgerippe und versteinerte Palmen, die man am Rhein gefunden, nahm er als Deine interessantesten Studien bezeichnend. So belehrte er mich und prophezeite, daß Du auch bis ans Ende, wie der Rhein, aushalten werdest, und nachdem Du wie er, alle gesättigt und genossen, sanft und gemachsam dem Meer der Ewigkeit zuwallen werdest; er schrieb mir das Verzeichnis aller Flüsse auf und verglich mich mit der Nidda; ach wie leid tut mir's, daß nach dieser noch die Lahn, die Sayn, die Sieg, die Roer, die Lippe und die Ruhr kommen sollen!

Adieu! Ich nenne diesen Brief die Epistel der Spaziergänge; wenn sie Dir nicht gefallen, so denk, daß die Nidda keine Goldkörner in ihrem Bett führt wie der Rhein, nur ein bißchen Quecksilber.

Sei mir gegrüßt bei den drei Mohren.

Bettine

An Bettine

Am 15. Juli


Zwei Briefe von Dir, liebe Bettine, so reich an Erlebtem, sind mir kurz nacheinander zugekommen; der erste, indem ich im Begriff war, das Freie zu suchen. Wir nahmen ihn mit und bemächtigten uns seines Inhalts auf einem wohlgeeigneten bequemen Ruhepunkt, wo Natur und Stimmung,[120] im Einklang mit Deinen sinnig heiteren Erzählungen und Bemerkungen, einen höchst erfreulichen Eindruck nicht verfehlten, der sich fortan durch den gordischen Knoten signalisieren soll. Mögen die Götter diesen magischen Verschlingungen geneigt sein und kein tückischer Dämon daran zerren! An mir soll's nicht fehlen, Deine Schutz- und Trutzgerechtsame zu bewahren gegen Nymphen und Waldteufel.

Deine Beschreibung der Rheinprozession und der flüchtigen Reitergestalt haben mir viel Vergnügen gemacht, sie bezeichnen wie Du empfindest und empfunden sein willst; lasse Dir dergleichen Visionen nicht entgehen und versäume ja nicht, solche vorüberstreifende Aufregungen bei den drei Haaren zu erfassen, dann bleibt es in Deiner Gewalt, das Verschwundene in idealischer Form wieder herbeizuzaubern. Auch für Deine Naturbegeisterungen, in die Du mein Bild so anmutig verstrickst, sei Dir Dank, solchen allerliebsten Schmeicheleien ist nicht zu wehren.

Heute morgen ist denn abermals Deine zweite Epistel zu mir gelangt, die mir das schöne Wetter ersetzte. Ich habe sie mit Muße durchlesen und dabei den Zug der Wolken studiert. Ich bekenne Dir gern, daß mir Deine reichen Blätter die größte Freude machen; Deinen launigen Freund, der mir schon rühmlichst bekannt ist, grüße in meinem Namen und danke ihm für den großmütigen Vergleich; obschon ich hierdurch mit ausgezeichneten Prärogativen belehnt bin, so werd ich diese doch nicht zum Nachteil Deiner guten Gesinnung mißbrauchen; liebe mich so fort, ich will gern die Lahn und die Sayn ihrer Wege schicken.

Der Mutter schreibe, und lasse Dir von ihr schreiben; liebet Euch untereinander, man gewinnt gar viel, wenn man sich durch Liebe einer des andern bemächtigt; und wenn Du wieder schreibst, so könntest Du mir nebenher einen Gefallen tun, wenn Du mir immer am Schluß ein offnes, unverhohlnes Bekenntnis des Datums machen möchtest; außer manchen Vorteilen, die sich erst durch die Zeit bewähren, ist es auch noch besonders erfreulich, gleich zu wissen, in wie kurzer Zeit dies alles von Herzen zu Herzen gelangt. Das Gefühl der Frische hat eine wohltuende, raumverkürzende Wirkung, von welcher wir beide ja auch Vorteil ziehen können.

G.

An Goethe

Am 18. Juli


Warst Du schon auf dem Rochusberg? – Er hat in der Ferne was sehr Anlockendes, wie soll ich es Dir beschreiben? – So, als wenn man ihn gern befühlen, streicheln möchte, so glatt und samtartig. Wenn die Kapelle auf der Höhe von der Abendsonne beleuchtet ist und man sieht in die reichen grünen, runden Täler, die sich wieder so fest aneinander schließen, so scheint er sehnsüchtig an das Ufer des Rheins gelagert mit seinem sanften Anschmiegen an die Gegend und mit den geglätteten Furchen die ganze Natur zur Lust erwecken zu wollen. Er ist mir der liebste Platz[121] im Rheingau; er liegt eine Stunde von unserer Wohnung; ich habe ihn schon morgens und abends, im Nebel, Regen und Sonnenschein besucht. Die Kapelle ist erst seit ein paar Jahren zerstört, das halbe Dach ist herunter, nur die Rippen eines Schiffgewölbes stehen noch, in welches Weihen ein großes Nest gebaut haben, die mit ihren Jungen ewig aus und ein fliegen, ein wildes Geschrei halten, das sehr an die Wassergegend gemahnt. – Der Hauptaltar steht noch zur Hälfte, auf demselben ein hohes Kreuz, an welches unten der heruntergestürzte Christusleib festgebunden ist. Ich kletterte an dem Altar hinauf; um den Trümmern noch eine letzte Ehre anzutun, wollte ich einen großen Blumenstrauß, den ich unterwegs gesammelt hatte, zwischen eine Spalte des Kopfes stecken; zu meinem größten Schrecken fiel mir der Kopf vor die Füße, die Weihen und Spatzen und alles was da genistet hatte, flog durch das Gepolter auf, und die stille Einsamkeit des Orts war Minuten lang gestört. Durch die Öffnungen der Türen schauen die entferntesten Gebirge: auf der einen Seite der Altkönig, auf der andern der ganze Hunsrück bis Kreuznach, vom Donnersberg begrenzt; rückwärts kannst Du so viel Land übersehen als Du Lust hast. Wie ein breites Feiergewand zieht es der Rhein schleppend hinter sich her, den Du vor der Kapelle mit allen grünen Inseln wie mit Smaragden geschmückt liegen siehst; der Rüdesheimer Berg, der Scharlach- und Johannisberg, und wie all das edle Gefels heißt, wo der beste Wein wächst, liegen von verschiedenen Seiten und fangen die heißen Sonnenstrahlen wie blitzende Juwelen auf; man kann da alle Wirkung der Natur in die Kraft des Weines deutlich erkennen, wie sich die Nebel zu Ballen wälzen und sich an den Bergwänden herabsenken, wie das Erdreich sie gierig schluckt, und wie die heißen Winde drüber herstreifen. Es ist nichts schöner, als wenn das Abendrot über einen solchen benebelten Weinberg fällt; da ist's, als ob der Herr selbst die alte Schöpfung wieder angefrischt habe, ja als ob der Weinberg vom eignen Geist benebelt sei. – Und wenn dann endlich die helle Nacht heraufsteigt und allem Ruh gibt, – und mir auch, die vorher wohl die Arme ausstreckte und nichts erreichen konnte; die an Dich gedacht hat; – Deinen Namen wohl hundertmal auf den Lippen hatte, ohne ihn auszusprechen – müßten nicht Schmerzen in mir erregt werden, wenn ich es einmal wagte? – Und keine Antwort? Alles still? – Ja Natur! wer so innig mit ihr vertraut wär, daß er an ihrer Seligkeit genug hätte! – Aber ich nicht! – Lieber, lieber Freund, erlaub's doch, daß ich Dir jetzt beide Hände küsse; zieh sie nicht zurück, wie Du sonst getan hast.

Wo war ich heut nacht? – Wenn sie's wüßten, daß ich die ganze Nacht nicht zu Hause geschlafen habe und doch so sanft geruht habe! – Dir will ich's sagen; Du bist weit entfernt, wenn Du auch schmälst, – bis hierher verhallt der Donner Deiner Worte.

Gestern abend ging ich noch allein auf den Rochusberg und schrieb Dir bis hierher, dann träumte ich ein wenig und wie ich mich wieder besann[122] und glaubte, die Sonne wolle untergehen, da war's der aufgehende Mond; ich war überrascht, ich hätte mich gefürchtet, – die Sterne litten's nicht; diese Hunderttausende und ich beisammen in dieser Nacht! – Ja, wer bin ich, daß ich mich fürchten sollte, zähl ich denn mit? – Hinunter traute ich mich nicht, ich hätte keinen Nachen gefunden zum Überfahren; die Nacht ist auch gar nicht lang jetzt, da legt ich mich auf die andere Seite und sagte den Sternen gute Nacht; bald war ich eingeschlafen, – dann und wann weckten mich irrende Lüftchen, dann dacht ich an Dich; so oft ich erwachte, rief ich Dich zu mir, ich sagte immer im Herzen: Goethe sei bei mir, damit ich mich nicht fürchte; dann träumte ich, daß ich längs den schilfigen Ufern des Rheins schiffe, und da, wo es am tiefsten war, zwischen schwarzen Felsspalten, da entfiel mir Dein Ring; ich sah ihn sinken, tiefer und tiefer, bis auf den Grund! Ich wollte nach Hilfe rufen, – da erwachte ich im Morgenrot, neubeglückt, daß der Ring noch am Finger war. Ach Prophet! – deute mir diesen Traum; komm dem Schicksal zuvor, laß unserer Liebe nicht zu nahe geschehen, nach dieser schönen Nacht, wo ich zwischen Furcht und Freude im Rat der Sterne Deiner Zukunft gedachte5. Ich hatte schon längst Sehnsucht nach diesem süßen Abenteuer; nun hat es mich so leise beschlichen, und alles steht noch auf[123] dem alten Fleck. Keiner weiß, wo ich war, und wenn sie's auch wüßten, – könnten sie ahnen, warum? – Dort kamst Du her, durch den flüsternden Wald, von milder Dämmerung umflossen, und wie Du ganz nahe warst, das konnten die müden Sinne nicht ertragen, der Thymian duftete so stark; – da schlief ich ein, – es war so schön, alles Blüte und Wohlgeruch. Und das weite grenzenlose Heer der Sterne, und das flatternde Mondsilber, das von Ferne zu Ferne auf dem Fluß tanzte, die ungeheure Stille der Natur, in der man alles hört, was sich regt; ach, hier fühle ich meine Seele eingepflanzt in diese Nachtschauer; hier keimen zukünftige Gedanken; diese kalten Tauperlen, die Gras und Kräuter beschweren, von denen wächst der Geist; er eilt, er will Dir blühen, Goethe; er will seine bunten Farben vor Dir ausbreiten; Liebe zu Dir ist es, daß ich denken will, daß ich ringe nach noch Unausgesprochenem. Du siehst mich an im Geist, und Dein Blick zieht Gedanken aus mir; da muß ich oft sagen, was ich nicht verstehe, was ich nur sehe.

Der Geist hat auch Sinne; so wie wir manches nur hören, oder nur sehen, oder nur fühlen: so gibt's Gedanken, die der Geist auch nur mit einem dieser Sinne wahrnimmt; oft seh ich nur, was ich denke, oft fühle ich's; und wenn ich's höre, da erschüttert mich's. Ich weiß nicht, wie ich zu diesen Erfahrungen komme, die sich nicht aus eigner Überlegung erzeugen; – ich sehe mich um nach dem Herrn dieser Stimme; – und dann meine ich, daß sich alles aus dem Feuer der Liebe erzeuge. Es ist Wärme im Geist, wir fühlen es; die Wangen glühen vom Denken, und Frostschauer überlaufen uns, die die Begeistrung zu neuer Glut anfachen. Ja, lieber Freund, heute morgen, da ich erwachte, war mir's, als hätte ich Großes erlebt, als hätten die Gelübde meines Herzens Flügel und schwängen sich über Berg und Tal ins reine, heitre, lichterfüllte Blau. – Keinen Schwur, keine Bedingungen, alles nur angemeßne Bewegung, reines Streben nach dem Himmlischen. Das ist mein Gelübde: Freiheit von allen Banden, und daß ich nur dem Geist glauben will, der Schönes offenbart, der Seligkeit prophezeit.

Der Nachttau hat mich gewaschen; der scharfe Morgenwind trocknete mich wieder; ich fühlte ein leises Frösteln, aber ich erwärmte mich beim Herabsteigen von meinem lieben samtnen Rochus; die Schmetterlinge flogen schon um die Blumen; ich trieb sie alle vor mir her, und wo ich unterwegs einen sah, da jagte ich ihn zu meiner Herde; unten hatte ich wohl an dreißig beisammen, – ich hätte sie gar zu gerne mit über den Rhein getrieben, aber da haspelten sie alle auseinander.

Eben kommt eine Ladung Frankfurter Gäste; – Christian Schlosser bringt mir einen Brief von der Mutter und Dir, ich schließe um zu lesen.

Dein Kind


Lieber Goethe! Du bist zufrieden mit mir und freust Dich über alles, was ich schreibe, und willst meine goldne Halsnadel tragen; – ja tu es, und[124] lasse sie ein Talisman sein für diese glückerfüllte Zeit. Heute haben wir den 21.

An Goethe

Caub


Ich schreibe Dir in der kristallnen Mitternacht; schwarze Basaltgegend, ins Mondlicht eingetaucht! Die Stadt macht einen rechten Katzenbuckel mit ihren geduckten Häusern, und ganz bepelzt mit himmelsträubenden Felszacken und Burgtrümmern; und da gegenüber schauert's und flimmert's im Dunkel, wie wenn man der Katze das Fell streicht.

Ich lag schon im Bett unter einer wunderlichen Damastdecke, die mit Wappen und verschlungenen Namenszügen und verblichnen Rosen und Jasminranken ganz starr gestickt ist; ich hatte mich aber drunter in das Dir bekannte Fell des Silberbären eingehüllt. Ich lag recht bequem und angenehm und überlegte mir, was der Christian Schlosser mir unterwegs hierher alles vorgefaselt hat; er sagt, Du verstehst nichts von Musik und hörst nicht gern vom Tod reden. Ich fragte, woher er das wisse; – er meint, er habe sich Mühe gegeben. Dich über Musik zu belehren; es sei ihm nicht gelungen; – vom Tod aber habe er gar nicht angefangen, aus Furcht, Dir zu mißfallen. Und wie ich eben in dem alleinigen, mit großen Federbüschen verzierten Ehebett darüber nachdenke, hör ich draußen ein Liedchen singen in fremder Sprache; so viel Gesang – so viel Pause! – Ich springe im Silberbär ans Fenster und gucke hinaus, – da sitzt mein spanischer Schiffsmann in der frischen Mondnacht und singt. Ich erkannte ihn gleich an der goldnen Quaste auf seiner Mütze; ich sagte: »Guten Abend, Herr Kapitän, ich dachte, Ihr wärt schon vor acht Tagen den Rhein hinab ins Meer geschwommen.« Er erkannte mich gleich und meinte, er habe drauf gewartet, ob ich nicht mit wolle. Ich ließ mir das Lied noch einmal singen; es klang sehr feierlich, – in den Pausen hörte man den Widerhall an der kleinen scharfkantigen Pfalz, die inmitten umdrängender schwarzer Felsgruppen mit ihren elfenbeinernen Festen und silbernen Zinnen ganz ins Mondlicht eingeschmolzen war. –

Lieber Goethe, ich weiß nicht, was Dir der Schlosser über Musik demonstriert hat mit seiner verpelzten Stimme, – aber hättest Du heute nacht mit mir dem fremden Schiffer zugehört, wie da die Töne unter sich einen feierlichen Reigen tanzten; wie sie hinüberwallten an die Ufer, die Felsen anhauchten und der leise Widerhall in tiefer Nacht so süß geweckt, träumerisch nachtönte; der Schiffer, wie er aus verschmachteter Pause wehmütig aufseufzt, in hohen Tönen klagt und aufgeregt in Verzweiflung hallend ruft nach Unerreichbarem und dann mit erneuter Leidenschaft der Erinnerung seinen Gesang weiht, in Perlenreihen weicher Töne den ganzen Schatz seines Glückes hin rollt; – O und Ach! haucht, – lauscht, – schmetternd ruft; – wieder lauscht – und ohne Antwort endlich die[125] Herde sammelt, in Vergessenheit die kleinen Lämmer zählt: eins, zwei, drei, und wegzieht vom verödeten Strand seines Lebens, der arme Schäfer. – Ach, wunderbare Vermittlung des Unausprechlichen, was die Brust bedrängt; ach Musik! –

Ja, hättest Du's mit angehört, mit eingestimmt hättest Du in die Geschicke; mitgeseufzt, – mitgeweint, – und Begeistrung hätte Dich durchzückt, und mich, lieber Goethe, – die ich auch dabei war, – tiefbewegt, – mich hätte der Trost in Deinen Armen ereilt.

Mir sagte der Schiffer gute Nacht, ich sprang in mein großes Bett unter die damastene Decke, sie knarrte mir so vor den Ohren; – ich konnte nicht schlafen, – ich wollte stilliegen; – da hörte ich in den gewundenen Säulen der Bettstelle die Totenwürmchen picken; eins nach dem andern legte los, wie geschäftige Gesellen in einer Waffenschmiede. –

Ich muß mich schämen vor Dir; – ich fürchte mich zuweilen, wenn ich so allein bin in der Nacht und ins Dunkel sehe; es ist nichts, aber ich kann mich nicht dagegen wehren; dann möcht ich nicht allein sein, und bloß darum denke ich manchmal, ich müsse heiraten, damit ich einen Beschützer habe gegen diese verwirrte angstvolle Gespensterwelt. Ach Goethe! – nimmst Du mir das übel? – Ja, wenn der Tag anbricht, dann bin ich selbst ganz unzufrieden über solche alberne Verzagtheit. – Ich kann in der Nacht gehen im Freien und im Wald, wo jeder Busch, jeder Ast ein ander Gesicht schneidet; mein wunderlicher der Gefahr trotzender Mutwille bezwingt die Angst. – Draußen ist es auch was ganz andres, – da sind sie nicht so zudringlich; man fühlt das Leben der Natur als ewiges göttliches Wirken, das alles und einem selbst durchströmt; – wer kann sich da fürchten? – Vorgestern auf dem Rochus in tiefer Nacht allein, da hörte ich den Wind ganz von weitem herankommen; – er nahm zu in rascher Eile, je näher er kam, und dann grade zu meinen Füßen senkte er die Flügel sanft, ohne nur den Mantel zu berühren, kaum, daß er mich anhauchte, mußte ich da nicht glauben, er sei bloß gesendet, um mich zu grüßen? – Du weißt es doch, Goethe, Seufzer sind Boten; Du säßest allein am offnen Fenster, am späten Abend, und dächtest und fühltest die letzte Begeisterung für die letzte Geliebte in Deinem Blut wallen; – dann unwillkürlich stößt Du den Seufzer aus, – der macht sich augenblicklich auf den Weg und jagt, – Du kannst ihn nicht zurückrufen.

Irrende Seufzer nennt man, die aus unruhiger Brust, aus verwirrtem Denken und Wünschen entspringen; aber ein solcher Seufzer aus mächtiger Brust, wo die Gedanken, in schöner Wendung sich verschränkend, auf hohen Kothurnen die taugebadeten Füße in heiligem Takte bewegen, von schwebender Muse geleitet; – ein solcher Seufzer, der Deinen Liedern die Brust entriegelt, – der schwingt sich als Herold vor ihnen her, und meine Seufzer, lieber Freund! – zu Tausenden umdrängen sie ihn.

Heute nacht nun hab ich mich grausam gefürchtet, – ich sah nach dem Fenster, wo es hell war, – ich wär so gern dort gewesen! Ich war auf[126] mein fatales Erblager aus dem vorigen Jahrhundert, in dem Ritter und Prälaten schon mögen ihren Geist ausgehaucht haben und ein Dutzend kleiner Meister vom Hammer, alle emsig, pochten und pickten, fest gebannt. Ach, wie sehnt ich mich nach der kühlen Nachtluft. – Kann man so närrisch sein? – Plötzlich hatte ich's überwunden, ich stand mitten in der Stube. Auf den Füßen, da bin ich gleich ein Held, es soll mir einer nah kommen, – ach, wie pochten mir Herz und Schläfe; die vierzehn Nothelfer, die ich aus alter Gewohnheit vom Kloster her noch herbeirief, sind auch keine Gesellschaft zum Lachen, da der eine seinen eignen Kopf, der andre sein Eingeweide im Arm trägt und so weiter. Ich entließ sie alle zum Fenster hinaus. Und du magischer Spiegel, in dem alles so zauberisch widerscheint, was ich erlebe, was war's denn, was mich beseligte? – Nichts! – Tiefes Bewußtsein, Friede atmen, – so stand ich am Fenster und erwartete den anbrechenden Tag. –

Bettine


Am 24. Juli


Über Musik lasse ich Dich nicht los. Du sollst mir bekennen, ob Du mich liebst, Du sollst sagen, daß Du Dich von ihr durchdrungen fühlst. Der Schlosser hat Generalbaß studiert, um ihn Dir beizubringen, und Du hast Dich gewehrt, wie er sagt, gegen die kleine Sept, und hast gesagt: »Bleibt mir mit eurer Sept vom Leibe, wenn ihr sie nicht in Reih und Glied könnt aufstellen, wenn sie nicht einklingt in die so bündig abgeschloßnen Gesetze der Harmonie, wenn sie nicht ihren sinnlich natürlichen Ursprung hat so gut wie die andern Töne«, – und Du hast den verdutzten Missionar zu Deinem heidnischen Tempel hinausgejagt und bleibst einstweilen bei Deiner lydischen Tonart, die keine Sept hat. – Aber Du mußt ein Christ werden, Heide! – Die Sept klingt freilich nicht ein, und ohne sinnliche Basis; sie ist der göttliche Führer, Vermittler der sinnlichen Natur mit der himmlischen; sie ist übersinnlich, sie führt in die Geisterwelt, sie hat Fleisch und Bein angenommen, um den Geist vom Fleisch zu befreien, sie ist zum Ton geworden, um den Tönen den Geist zu geben, und wenn sie nicht wär, so würden alle Töne in der Vorhölle sitzenbleiben. Bilde Dir nur nicht ein, daß die Grundakkorde was Gescheuteres wären als die Erzväter vor der Erlösung, vor der Himmelfahrt. Er kam und führte sie mit sich gen Himmel, und jetzt, wo sie erlöst sind, können sie selber erlösen, – sie können die harrende Sehnsucht befriedigen. So ist es mit den Christen, so ist es mit den Tönen: ein jeder Christ fühlt den Erlöser in sich, ein jeder Ton kann sich selbst zum Vermittler, zur Sept erhöhen und da das ewige Werk der Erlösung aus dem Sinnlichen ins Himmlische vollbringen, und nur durch Christum gehen wir in das Reich des Geistes ein, und nur durch die Sept wird das erstarrte Reich der Töne erlöst und wird Musik, ewig bewegter Geist, was eigentlich der Himmel ist; sowie sie sich berühren, erzeugen sich neue Geister, neue Begriffe; ihr Tanz,[127] ihre Stellungen werden göttliche Offenbarungen; Musik ist das Medium des Geistes, wodurch das Sinnliche geistig wird – und wie die Erlösung über alle sich verbreitet, die von dem lebendigen Geist der Gottheit ergriffen, nach ewigem Leben sich sehnen: so leitet die Sept durch ihre Auflösung alle Töne, die zu ihr um Erlösung bitten, auf tausend verschiednen Wegen zu ihrem Ursprung, zum göttlichen Geist. Und wir arme Menschen sollten uns genügen lassen, daß wir fühlen: unser ganzes Dasein ist ein Zubereiten, Seligkeit zu fassen, und sollten nicht warten auf einen wohlgepolsterten aufgeputzten Himmel, wie Deine Mutter, die da glaubt, daß dort alles, was uns auf Erden Freude gemacht hat, in erhöhtem Glanz sich wieder finde; ja sogar behauptet, ihr verblichnes Hochzeitskleid von blaßgrüner Seide mit Gold- und Silberblättern durchwirkt und scharlachrotem Samtüberwurf werde dort ihr himmlisches Gewand sein, und der juwelene Strauß, den ein grausamer Dieb ihr entwendet, sauge schon jetzt einstweilen das Licht der Sterne ein, um auf ihrem Haupt als Diadem unter den himmlischen Kronen zu glänzen. Sie sagt: »Für was wär dies Gesicht das meinige, und warum spräche der Geist aus meinen Augen diesen oder jenen an, wenn er nicht vom Himmel wär und die Anwartschaft auf ihn hätte? Alles was tot ist, macht keinen Eindruck; was aber Eindruck macht, das ist ewig lebendig.« Wenn ich ihr etwas erzähle, erfinde, so meint sie, das sind alles Dinge, die im Himmel aufgestellt werden. Oft erzähle ich ihr von Kunstwerken meiner Einbildung. Sie sagt: »Das sind Tapeten der Phantasie, mit denen die Wände der himmlischen Wohnungen verziert sind.« Letzt war sie im Konzert und freute sich sehr über ein Violoncell; da nahm ich die Gelegenheit wahr und sagte: »Geb Sie acht, Frau Rat, daß Ihr die Engel nicht so lang mit dem Fidelbogen um den Kopf schlagen, bis Sie einsieht, der Himmel ist Musik.« Sie war ganz frappiert, und nach langer Pause sagte sie: »Mädchen, du kannst recht haben.«


Am 25.


Was mache ich denn, Goethe, meine halben Nächte verschreib ich an Dich; gestern früh im Nachen, da schlief ich, wir fuhren bis St. Goar und träumte über Musik, und was ich Dir gestern abend halb ermüdet und halb besessen niedergeschrieben habe, ist kaum eine Spur von dem, was sich in mir aussprach, aber Wahrheit liegt drinnen; es ist eben ein großer Unterschied zwischen dem, was einem schlafend der Geist eingibt, und dem, was man wachend davon behaupten kann. Ich sage Dir, ich hoffe in Zukunft mehr bei Sinnen zu sein, wenn ich Dir schreibe; ich werde mich mäßigen und alle kleine Züge sammeln, unbekümmert ob sie aus einer Anschauung hervorgehen, ob sie ein System begründen. Ich möchte selbst gerne wissen, was Musik ist, ich suche sie, wie der Mensch die ewige Weisheit sucht. Glaube nicht, daß, was ich geschrieben habe, nicht mein wahrer Ernst sei, ich glaube dran, grad weil ich's gedacht habe, obschon[128] es der himmlischen Genialität entbehrt und man ordentlich erkennt, wie ich froh war, mich vor meinem zürnenden Dämon, daß ich ihn so schlecht verstand, hinter den goldnen Reifrock Deiner Mutter verbergen zu können. – Adieu! Gestern abend ging ich noch spät in der schönen blühenden Lindenallee im Mondschein am Ufer des Rheins, da hörte ich's klappen und sanft singen. Da saß vor ihrer Hütte unter dem blühenden Lindenbaum die Mutter von Zwillingen, eins hatte sie an der Brust, und das andre wiegte ihr Fuß im Takt, während sie ihr Lied sang; also im Keim, wo kaum die erste Lebensspur sich regt, da ist Musik schon die Pflegerin des Geistes, es summt ins Ohr und dann schläft das Kind, die Töne sind die Gesellen seiner Träume, sie sind seine Mitwelt; es hat ja nichts – das Kind, ob es die Mutter auch wiege, es ist allein im Geist; aber die Töne dringen in es ein und fesseln es an sich, wie die Erde das Leben der Pflanze an sich fesselt, und wenn Musik das Leben nicht hielt, so würde es erkalten, und so brütet Musik fort, von da an, wo der Geist sich regt, bis er reif, flügge und ungeduldig hinausstrebt nach jenseits, und da werden wir's wohl auch erfahren, daß Musik die Mutterwärme war, um den Geist unter der Erdenhülle auszubrüten. Amen.


Am 26.


Dies heimliche Ergötzen, an Deiner Brust zu schlafen: – denn dies Schreiben an Dich nach durchlaufner Tagsgeschichte ist ein wahres Träumen an Deinem Herzen, von Deinen Armen umschlungen, ich freu mich immer, wenn wir in die Herberge einziehen und es heißt: »Wir wollen früh zu Bett, denn wir müssen auch früh wieder heraus«; der Franz jagt mich immer zuerst ins Bett, und ich bin auch so müde, daß ich's kaum erwarten kann; ich werfe in Hast die Kleider ab und sinke vor Müdigkeit in einen tiefen Brunnen, da umfängt mich das Waldrevier, durch das wir am Tag geschritten waren, das Licht der Träume blitzt durch die dunklen Wölbungen des Schlafs. – »Träume sind Schäume«, sagt man, ich hab eine andre Bemerkung gemacht, ob die wahr ist? – Allemal die Gegend, die Umgebung, in der ich mich im Traum fühle, die deutet auf die Stimmung, auf das Passive meines Gemüts. So träum ich mich jetzt immer in Verborgenes, Heimliches; es sind Höhlen von weichem Moos bei kühlen Wassern, verschränkt von blühenden Zweigen; es sind dunkle Waldschluchten, wo uns gewiß kein Mensch findet und sucht. Da wart ich auf Dich im Traum, ich harre und sehe mich um nach Dir; ich gehe auf engen, verwachsenen Wegen hin und her und eile zurück, weil ich glaub, jetzt bist Du da; dann bricht plötzlich der Wille durch, ich ringe in mir, Dich zu haben, und das ist mein Erwachen. Dann färbt sich's schon im Osten, ich rücke mir den Tisch ans Fenster, die Dämmerung verschleiert noch die ersten Zeilen; bis ich aber das Blatt zu Ende geschrieben habe, scheint schon die Sonne. Ach, was schreib ich Dir denn? – Ich hab selbst kein Urteil drüber, aber ich bin allemal neugierig, was kommen wird. Laß andre[129] ihre Schicksale bereichern durch schöne Wallfahrten in's gelobte Land, laß sie ihr Journal schreiben von gelehrten und andern Dingen, wenn sie Dir auch einen Elefantenfuß oder eine versteinerte Schneck mitbringen, – darüber will ich schon Herr werden, wenn sie sich nur nicht in ihren Träumen in Dich versenken wie ich. Laß mir die stille Nacht, nimm keine Sorgen mit zu Bett, ruh aus in dem schönen Frieden, den ich Dir bereite, ich bin ja auch so glücklich in Dir! Es ist freilich schön, wie Du sagst, sich in dem Labyrinth geistiger Schätze mit dem Freund zu ergehen; aber darf ich nicht bitten für das Kind, das stumm vor Liebe ist? Denn eigentlich ist dieses geschriebene Geplauder nur eine Nothilfe – die tiefste Liebe in mir ist stumm: es ist, wie ein Mückchen summt um Deine Ohren im Schlaf, und wenn Du nicht wach werden willst und meiner bewußt sein, dann wird Dich's stechen. – Sag, ist dies Leidenschaft, was ich Dir hier vorbete? – O sag's doch; – wenn's wahr wäre, wenn ich geboren wär, in Leidenschaft zu verflammen, wenn ich die hohe Zeder wär auf dem die Welt überragenden Libanon, angezündet zum Opfer Deinem Genius, und verduften könnte in Wohlgerüchen, daß jeder Deinen Geist einsöge durch mich; wenn's so wär, mein Freund, daß Leidenschaft den Geist des Geliebten entbindet, wie das Feuer den Duft! – und so ist es auch! Dein Geist wohnt in mir und entzündet mich, und ich verzehre mich in Flammen und verdufte, und was die aussprühenden Funken erreichen, das verbrennt mit; – so knackert und flackert jetzt die Musik in mir, – die muß auch herhalten zum lustigen Opferfeuer; sie will nur nicht recht zünden und setzt viel Rauch. Ich gedenke hier Deiner und Schillers; die Welt sieht Euch an wie zwei Brüder auf einem Thron, er hat so viel Anhänger wie Du; – sie wissen's nicht, daß sie durch den einen vom andern berührt werden; ich aber bin dessen gewiß. – Ich war auch einmal ungerecht gegen Schiller und glaubte, weil ich Dich liebe, ich dürfe seiner nicht achten; aber nachdem ich Dich gesehen hatte, und nachdem seine Asche als letztes Heiligtum seinen Freunden als Vermächtnis hinterblieb, da bin ich in mich gegangen; ich fühlte wohl, das Geschrei der Raben über diesem heiligen Leichnam sei gleich dem ungerechten Urteil. Weißt Du, was Du mir gesagt hast, wie wir uns zum erstenmal sahen? – Ich will Dir's hier zum Denkstein hinsetzen Deines innersten Gewissens, Du sagtest: »Ich denke jetzt an Schiller«, indem sahst Du mich an und seufztest tief, da sprach ich drein und wollte Dir sagen, wie ich ihm nicht anhinge, Du sagtest abermals: »Ich wollte, er wär jetzt hier. – Sie würden anders fühlen, kein Mensch konnte seiner Güte widerstehen, wenn man ihn nicht so reich achtet und so ergiebig, so war's, weil sein Geist einströmte in alles Leben seiner Zeit, und weil jeder durch ihn genährt und gepflegt war und seine Mängel ergänzt. So war er andern, so war er mir des meisten, und sein Verlust wird sich nicht ersetzen.« Damals schrieb ich Deine Worte auf, nicht um sie als merkwürdiges Urteil von Dir andern mitzuteilen; – nein, sondern weil ich mich beschämt fühlte. Diese Worte[130] haben mir wohlgetan, sie haben mich belehrt, und oft, wenn ich im Begriff war, über einen den Stab zu brechen, so fiel mir's ein, wie Du damals in Deiner milden Gerechtigkeit den Stab über meinen Aberwitz gebrochen. Ich mußte in aufgeregter Eifersucht doch anerkennen, ich sei nichts. »Man berührt nichts umsonst«, sagtest Du, »diese langjährige Verbindung, dieser ernste tiefe Verkehr, der ist ein Teil meiner selbst geworden; und wenn ich jetzt ins Theater komme und seh nach seinem Platz, und muß es glauben, daß er in dieser Welt nicht mehr da ist, daß diese Augen mich nicht mehr suchen, dann verdrießt mich das Leben, und ich möchte auch lieber nicht mehr da sein.«

Lieber Goethe, Du hast mich sehr hochgestellt, daß Du damals so köstliche Gefühle und Gesinnungen vor mir aussprachst. Es war zum erstenmal, daß jemand sein innerstes Herz vor mir aussprach, und Du warst es! – Ja Du nahmst keinen Anstoß und ergabst Dich diesen Nachwehen in meiner Gegenwart; und freilich hat Schiller auf mich gewirkt, denn er hat Dich zärtlich und weich gestimmt, daß Du lange an mir gelehnt bliebst und mich endlich fest an Dich drücktest!

Ich bin müde, ich habe geschrieben von halb drei bis jetzt gegen fünf Uhr; heute wird's gar nicht hell werden – es hängen dicke Regenwolken am Himmel, da werden wir wohl warten bis Mittag, eh wir weiterfahren. Du solltest nur das Getümmel von Nebel sehen auf dem Rhein, und was an den einzelnen Felszacken hängt! Wenn wir hier bleiben, dann schreib ich Dir mehr heute nachmittag, denn ich wollte Dir von Musik sagen, von Schiller und Dir, wie Ihr mit der zusammenhängt – das bohrt mir schon lange im Kopf.

Ich bin müde, lieber Goethe, ich muß schlafen.


Am Abend


Ich bin sehr müde, lieber Freund, und würde Dir nicht schreiben, aber ich seh, daß diese Blätter auf dieser wunderlichen Kreuz- und Querreise sich zu etwas Ganzem bilden, und da will ich doch nicht versäumen, wenn auch nur in wenig Zeilen, das Bild des Tages festzuhalten: lauter Sturm und Wetter, abwechselnd ein einzelner Sonnenblick. Wir waren bis Mittag in St. Goarshausen geblieben, und haben den Rheinfels erstiegen; meine Hände sind von Dornen geritzt, und meine Kniee zittern noch von der Anstrengung, denn ich war voran und wählte den kürzesten und steilsten Weg. Hier oben sieht es so feierlich und düster aus: eine Reihe nackter Felsen schieben sich gedrängt hintereinander hervor, mit Weingärten, Wäldern und alten Burgtrümmern gekrönt; und so treten sie keck ins Flußbett dem Lauf des Rheins entgegen, der aus dem tiefen stillen See um den verzauberten Lurelei sich herumschwingt, über Felsschichten hinrauschend, schäumt, bullert, schwillt, gegen den Riff anschießt und den überbrausenden Zorn der schäumenden Fluten wie ein echter Zecher in sich hineintrinkt.[131]

Da oben sah ich bequem unter der schützenden Mauer des Rheinfels die Nachkommenden mit roten und grünen Parapluies mühsam den schlüpfrigen Pfad hinaufklettern, und da eben der Sonne letzter Hoffnungsstrahl verschwand und ein tüchtiger Guß dem Gebet um schön Wetter ein End machte, kehrte die naturliebende Gesellschaft beinah am Ziel verzagt wieder um, und ich blieb allein unter den gekrönten Häuptern. Wie beschreib ich Dir diese erlebte Stunde mit kurzem Wort treffend? Kaum konnte ich Atem holen, – so streng und gewaltig. Ach, ich bin glücklich! Die ganze Welt ist schön, und ich erleb' alles für Dich.

Ich sah still und einsam in die tobende Flut, die Riesengesichter der Felsen schüchterten mich ein; ich getraute kaum den Blick zu heben; – manche machen's zu arg, wie sie sich überhängen und mit dem düstern Gesträuch, das sich aus geborstener Wand hervordrängt; die nackten Wurzeln, kaum vom Stein gehalten, die hängenden Zweige schwankend im reißenden Strom; – es wurde so finster, – ich glaubte, heute könne nicht mehr Tag werden. Eben überlegte ich, ob mich die Wölfe heute nacht fressen würden, – da trat die Sonne hervor und umzog, mit Wolken kämpfend, die Höhen mit einem Feuerring. Die Waldkronen flammten, die Höhlen und Schluchten hauchten ein schauerliches Dunkelblau aus über den Fluß hin; da spielten mannigfaltige Widerscheine auf den versteinerten Gaugrafen, und eine Schattenwelt umtanzte sie in flüchtigem Wechsel auf der bewegten Flut; alles wankte, – ich mußte die Augen abwenden. Ich riß den Efeu von der Mauer herab und machte Kränze und schwang sie mit meinem Hakenstock, mit dem ich hinaufgeklettert war, weit in die Flut. Ach, ich sah sie kaum, – weg waren sie! Gute Nacht! –


Briefwechsel mit Goethe

Am 27.


Goethe, guten Morgen! Ich war früh um vier Uhr bei den Salmenfischern und habe helfen lauern, denn sie meinen auch: »Im Trüben ist gut fischen«, aber es half nichts, es wurde keiner gefangen. Einen Karpfen hab ich losgekauft und Gott und Dir zu Ehren wieder in die Flut entlassen.

Das Wetter will sich nicht aufklären; eben schiffen wir über, um auf dem linken Ufer zu Wagen wieder nach Hause zu fahren, ich hätte gar zu gern noch ein paar Tage hier herumgekreuzt.[132]

An Bettine

3. August 1808


Ich muß ganz darauf verzichten, Dir zu antworten, liebe Bettine; Du läßt ein ganzes Bilderbuch herrlicher, allerliebster Vorstellungen zierlich durch die Finger laufen; man erkennt im Flug die Schätze, und man weiß, was man hat, noch eh man sich des Inhalts bemächtigen kann. Die besten Stunden benütze ich dazu, um näher mit ihnen vertraut zu werden, und ermutige mich, die elektrischen Schläge Deiner Begeistrungen auszuhalten. In diesem Augenblick hab ich kaum die erste Hälfte Deines Briefs gelesen und bin zu bewegt, um fortzufahren. Habe einstweilen Dank für alles; verkünde ungestört und unbekümmert Deine Evangelien und Glaubensartikel von den Höhen des Rheins, und laß Deine Psalmen herabströmen zu mir und den Fischen; wundre Dich aber nicht, daß ich, wie diese verstumme. Um eines bitte ich Dich: höre nicht auf, mir gern zu schreiben; ich werde nie aufhören, Dich mit Lust zu lesen.

Was Dir Schlosser über mich mitgeteilt hat, verleitet Dich zu sehr interessanten Exkursionen aus dem Naturleben in das Gebiet der Kunst. Daß Musik mir ein noch rätselhafter Gegenstand schwieriger Untersuchung ist, leugne ich nicht; ob ich mir den harten Ausspruch des Missionärs, wie Du ihn nennst, muß gefallen lassen, das wird sich erst dann erweisen, wenn die Liebe zu ihr, die jetzt mich zu wahrhaft abstrakten Studien bewegt, nicht mehr beharrt. Du hast zwar flammende Fackeln und Feuerbecken ausgestellt in der Finsternis, aber bis jetzt blenden sie mehr, als sie erleuchten, indessen erwarte ich doch von der ganzen Illumination einen herrlichen Totaleffekt, so bleibe nur dabei und sprühe nach allen Seiten hin.

Da ich nun heute bis zum Amen Deiner reichen inhaltsvollen Blätter gekommen bin, so möchte ich Dir schließlich nur mit einem Wort den Genuß ausdrücken, der mir daraus erwächst, und Dich bitten, daß Du mir ja das Thema über Musik nicht fallen läßt, sondern vielmehr nach allen Seiten hin und auf alle Weise variierst. Und so sage ich Dir ein herzliches Lebewohl; bleibe mir gut, bis günstige Sterne uns zueinander führen.

G.

An Goethe

Rochusberg


Fünf Tage waren wir unterwegs, und seitdem hat es unaufhörlich geregnet. Das ganze Haus voll Gäste, kein Eckchen, wo man sich der Einsamkeit hätte freuen können, um Dir zu schreiben.

Solang ich Dir noch zu sagen habe, so lang glaub ich auch fest, daß Dein Geist auf mich gerichtet ist wie auf so manche Rätsel der Natur; wie ich denn glaube, daß jeder Mensch ein solches Rätsel ist, und daß es die Aufgabe der Liebe ist zwischen Freunden, das Rätsel aufzulösen; so daß ein[133] jeder seine tiefere Natur durch und in dem Freund kennenlerne. Ja Liebster, das macht mich glücklich, daß sich allmählich mein Leben durch Dich entwickelt, drum möcht ich auch nicht falsch sein, lieber möcht ich's dulden, daß alle Fehler und Schwächen von Dir gewußt wären, als Dir einen falschen Begriff von mir geben; weil dann Deine Liebe nicht mit mir beschäftigt sein würde, sondern mit einem Wahnbild, was ich Dir statt meiner untergeschoben hätte. – Darum mahnt mich auch oft ein Gefühl, daß ich dies oder jenes Dir zulieb meiden soll, weil ich es doch vor Dir leugnen würde.

Lieber Goethe, ich muß Dir die tiefsten Sachen sagen; sie kommen eigentlich allen Menschen zu, aber nur Du hörst mich an und glaubst an mich und gibst mir in der Stille recht. – Ich habe oft darüber nachgedacht, daß der Geist nicht kann, was er will, daß eine geheime Sehnsucht in ihm verborgen liegt, und daß er die nicht befriedigen kann; zum Beispiel, daß ich eine große Sehnsucht habe bei Dir zu sein, und daß ich doch nicht, wenn ich auch noch so sehr an Dich denke, Dir dies fühlbar machen kann; ich glaube, es kommt daher, weil der Geist wirklich nicht im Reich der Wahrheit lebt und er also sein eigentliches Leben noch nicht wahrmachen kann, bis er ganz aus der Lüge heraus in das Reich der Offenbarung übergegangen ist; denn die Wahrheit ist ja nur Offenbarung, und dann wird sich ein Geist auch dem andern zu offenbaren vermögen. Ich möchte Dir noch anderes sagen, aber es ist schwer, mich befällt Unruh, und ich weiß nicht wohin ich mich wenden soll; ja, im ersten Augenblick ist alles reich, aber will ich's mit dem Wort anfassen, da ist alles verschwunden, so wie im Märchen, wo man einen kostbaren Schatz findet, in dem man alle Kleinode deutlich erkennt, will man ihn berühren, so versinkt er, und das beweist mir auch, daß der Geist hier auf Erden das Schöne nur träumt und noch nicht seiner Meister ist, denn sonst könnte er fliegen, so gut wie er denkt, daß er fliegen möchte. Ach wir sind soweit voneinander! Welche Tür ich auch öffne und sehe die Menschen beisammen, Du bist nicht unter ihnen; – ich weiß es ja, noch eh ich öffne, und doch muß ich mich erst überzeugen und empfinde die Schmerzen eines Getäuschten; – sollte ich Dir nun auch noch meine Seele verbergen? – oder das, was ich zu sagen habe, einhüllen in Gewand, weil ich mich schäme der verzagten Ahnungen? – Soll ich nicht das Zutrauen in Dich haben, daß Du das Leben liebst, wenn es auch noch unbehilflich der Pflege bedarf, bis es seinen Geist mitteilen kann? – Ich habe mir große Mühe gegeben mich zu sammeln und mich selbst auszusprechen; ich hab mich vor dem Sonnenlicht versteckt, und in dunkler Nacht, wo kein Stern leuchtet und die Winde brausen, da bin ich in die Finsternis hinaus und hab mich fortgeschlichen bis zum Ufer; – da war es immer noch nicht einsam genug, – da störten mich die Wellen, das Rauschen im Gras, und wenn ich in die dichte Finsternis hineinstarrte und die Wolken sich teilten, daß sich die Sterne zeigten, – da hüllte ich mich in den Mantel und legte das Gesicht an die Erde, um ganz, ganz[134] allein zu sein; das stärkte mich, daß ich freier war, da regte es mich an, das, was vielleicht keiner beachtet, zu beachten; da besann ich mich, ob ich denn wirklich mit Dir spreche, oder ob ich nur mich von Dir hören lasse? – Ach Goethe! – Musik, ja Musik! Hier kommen wir wieder auf das heilige Kapitel, – da hören wir auch zu, aber wir sprechen nicht mit, – aber wir hören, wie sie untereinander sprechen, und das erschüttert uns, das ergreift uns; – ja sie sprechen untereinander, wir hören und empfinden, daß sie eins werden im Gespräch. – Drum, das wahre Sprechen ist eine Harmonie, ohne Scheidung alles in sich vereint; – wenn ich Dir die Wahrheit sage, so muß Deine Seele in meine überfließen, – das glaub ich.

Wo kommen sie her, diese Geister der Musik? – Aus des Menschen Brust; – er schaut sich selber an, der Meister; – das ist die Gewalt, die den Geist zitiert. Er steigt hervor aus unendlicher Tiefe des Inneren, und sie sehen sich scharf an, der Meister und der Geist, – das ist die Begeistrung; – so sieht der göttliche Geist die Natur an, davon sie blüht. – Da blühen Geister aus dem Geist; sie umschlingen einander, sie strömen aus, sie trinken einander, sie gebären einander; ihr Tanz ist Form, Gebild; wir sehen sie nicht – wir empfinden's und unterwerfen uns seiner himmlischen Gewalt; und indem wir dies tun, erleiden wir eine Einwirkung, die uns heilt. – Das ist Musik.

O, glaub gewiß, daß wahre Musik übermenschlich ist. Der Meister fordert das Unmögliche von den Geistern, die ihm unterworfen sind, – und siehe, es ist möglich, sie leisten es. – An Zauberei ist nicht zu zweifeln, nur muß man glauben, daß das Übermächtige auch im Reich der Übermacht geleistet werde, und daß das Höchste von der Ahnung, von dem Streben desjenigen abhänge, dem die Geister sich neigen. Wer das Göttliche will, dem werden sie Göttliches leisten. Was ist aber das Göttliche? – Das ewige Opfer des menschlichen Herzens an die Gottheit: – dies Opfer geht hier geistigerweise vor; und wenn es der Meister auch leugnet, oder nicht ahnt, – es ist doch wahr. – Erfaßt er eine Melodie, so ahnet er schon ihre Vollkommenheit, und das Herz unterwirft sich einer strengen Prüfung, es läßt sich alles gefallen, um dem Göttlichen näherzukommen; je höher es steigt, je seliger; und das ist das Verdienst des Meisters, daß er sich gefallen lasse, daß die Geister auf ihn eindringen, ihm nehmen, sein Ganzes vernichten, daß er ihnen gehorcht, das Höhere zu suchen unter ewigen Schmerzen der Begeistrung. Wo ich das alles, und einzig, was ich gehört habe, war Musik. Wie ich aus dem Kloster kam nach Offenbach, da lag ich im Garten auf dem Rasen und hörte Salieri und Winter, Mozart und Cherubini, Haydn und Beethoven. Das alles umschwärmte mich; ich begriff's weder mit den Ohren noch mit dem Verstand, aber ich fühlte es doch, während ich alles andre im Leben nicht fühlte; das heißt, der innere, höhere Mensch fühlt es; und schon damals fragte ich mich: »Wer ist das, der da gespeist und getränkt wird durch Musik, und was ist das, was da wächst und sich nährt, pflegt und selbsttätig wird durch sie?« – Denn ich fühlte[135] eine Bewegung zum Handeln; ich wußte aber nicht, was ich ergreifen sollte. Oft dachte ich, ich müsse mit fliegender Fahne voranziehen den Völkern; ich würde sie auf Höhen führen über den Feind, und dann müßten sie auf mein Geheiß, auf meinen Wink hinunterbrausen ins Tal und siegend sich verbreiten. Da sah ich die roten und weißen Fähnlein fliegen und den Pulverdampf in den sonneblendenden Gefilden; da sah ich sie heransprengen im Galopp – die Siegesboten, mich umringen und mir zujauchzen; da sah und fühlte ich, wie der Geist in der Begeistrung sich löst und zum Himmel aufschwingt; die Helden, an den Wunden verblutend, zerschmettert, selig aufschreiend im Tod, ja und ich selbst hab es mit erlebt, – denn ich fühlte mich auch verwundet und fühlte, wie der Geist Abschied nahm, gern noch verweilt hätte unter den Palmen der Siegesgöttin und doch, da sie ihn enthob, auch gern sich mit ihr aufschwang. Ja, so hab ich's erlebt und anderes noch: wo ich mich einsam fühlte, in tiefe wilde Schluchten sah, nicht tief – untief; unendliche Berge über mir, ahnend die Gegenwart der Geister. Ja, ich nahm mich zusammen und sagte: »Kommt nur, ihr Geister, kommt nur heran; weil ihr göttlich seid und höher als ich, so will ich mich nicht wehren.« Da hörte ich aus dem unsäglichen Gebraus der Stimmen die Geister sich losreißen; – sie wichen voneinander – ich sah sie aus der Ferne in glänzendem Fluge mir nahen; durch die himmlische blaue Luft verdufteten sie ihre silberne Weisheit, und sie neigten sich in den Felsensaal herab und strömten Licht über die schwarzen Abgründe, daß alles sichtbar war. Da sprangen die Wellen in Blumen in die Höhe und umtanzten sie, und ihr Nahen, ihr ganzes Sprechen war ein Eindringen ihrer Schönheit auf mich, daß meine Augen sie kaum faßten mit allem Beistand des Geistes – und das war ihre ganze Wirkung auf mich.

O Goethe! Ich könnte Dir noch viele Gesichte mitteilen; ja ich glaub's, daß Orpheus sich umringt sah von den wilden Tieren, die in süßer Wehmut aufstöhnten mit den Seufzern seines Gesangs; ich glaub's daß die Bäume und Felsen sich nahten und neue Gruppen und Wälder bildeten, denn auch ich hab's erlebt; ich sah Säulen emporsteigen und wunderbares Gebälk tragen, auf dem sich schöne Jünglinge wiegten; ich sah Hallen, in denen erhabene Götterbilder aufgestellt waren; wunderbare Gebäude, deren Glanz den Blick des stolzen Auges brachen; deren Galerien Tempel waren, in denen Priesterinnen mit goldnen Opfergeräten wandelten und die Säulen mit Blumen schmückten, und deren Zinnen von Adlern und Schwanen umkreist waren; ich sah diese ungeheuren Architekturen mit der Nacht sich vermählen, die elfenbeinernen Türme mit ihren diamantnen Lazuren im Abendrot schmelzen und über die Sterne hinausragen, die im kalten Blau der Nacht wie gesammelte Heere dahinflogen und, tanzend im Takt der Musik und um die Geister sich schwingend, Kreise bildeten. Da hörte ich in den fernen Wäldern das Seufzen der Tiere um Erlösung; und was schwärmte alles noch vor meinem Blick und in meinem[136] Wahn. – Was glaubte ich tun zu müssen und zu können; welche Gelübde hab ich den Geistern ausgesprochen; alles, was sie verlangten, hab ich auf ewig und ewig gelobt. Ach Goethe, das alles hab ich erlebt in dem grünen goldgeblümten Gras. Da lag ich in der Spielstunde und hatte die feine Leinwand über mich gebreitet, die man da bleichte, ich hörte oder fühlte mich vielmehr getragen und umbraust von diesen unaussprechlichen Symphonien, die keiner deuten kann; da kamen sie und begossen die Leinwand; und ich blieb liegen und fühlte die Glut behaglich abgekühlt. Du wirst gewiß auch ähnliches erlebt haben; diese Fieberreize, ins Paradies der Phantasie aufzusteigen, haben Dich auf irgendeine Weise durchdrungen; sie durchglühen die Natur, die wieder erkaltet – etwas anders geworden, zu etwas anderm befähigt ist. An Dich haben die Geister Hand gelegt, in's unsterbliche Feuer gehalten; – und das war Musik; ob Du sie verstehst, oder empfindest; ob Unruhe oder Ruhe Dich befällt; ob Du jauchzest oder tief trauerst; ob Dein Geist Freiheit atmet oder seine Fesseln empfindet; – es ist immer die Geisterbasis des Übermenschlichen in Dir. Wenn auch weder die Terz noch die Quint Dir ein Licht aufstecken, wenn sie nicht so gnädig sind, sich von Dir beschauen und befühlen zu lassen, so ist es bloß, weil Du durchgegangen bist durch ihre Heiligung, weil die Sinne, gereift an ihrem Licht, schon wieder die goldnen Fruchtkörner zur Saat ausspreuen. Ja, Deine Lieder sind die süßen Früchte, ihres Balsams voll. Balsam strömt in Deiner dithyrambischen Wollust! Schon sind's nicht mehr Töne – es sind ganze Geschlechter in Deinen Gedichten, die ihre Gewalt tragen und verbreiten. – Ja, das glaub ich gewiß, daß Musik jede echte Kunsterscheinung bildet und sich freut, in Dir so rein wiedergeboren zu sein. – Kümmere Dich nicht um die leeren Eierschalen, aus denen die flügge gewordenen Geister entschlüpft sind; – nicht um die Terz und die Quint und um die ganze Basen- und Vetterschaft der Dur- und Mollton- arten, – Dir sind sie selber verwandt; Du bist mitten unter ihnen. Das Kind fragt nicht unter den Seinigen: »Wer sind diese, und wie kommen sie zueinander?« Es fühlt das ewige Gesetz der Liebe, das es allen verbindet. – Und dann muß ich Dir auch noch eins sagen: Komponisten sind keine Maurer, die Steine aufeinanderbacken, den Rauchfang nicht vergessen, die Treppe nicht, nicht den Dachstuhl, und die Tür nicht, wo sie wieder herausschlüpfen können, und glauben, sie haben ein Haus gebaut. – Das sind mir keine Komponisten, die Deinen Liedern ein artig Gewand zuschneiden, das hinten und vorne lang genug ist. O Deine Lieder, die durchs Herz brechen mit ihrer Melodie; wie ich vor zehn Tagen da oben saß auf dem Rheinfels, und der Wind die starken Eichen bog, daß sie krachten, und sie sausten und brausten im Sturm, und ihr Laub, getragen vom Wind, tanzte über den Wellen. – Da hab ich's gewagt zu singen; da war's keine Tonart – da war's kein Übergang – da war's kein Malen der Gefühle oder Gedanken, was so gewaltig mit in die Natur einstimmte: es war der Drang eins mit ihr zu sein. Da hab ich's wohl empfunden, wie Musik Deinem Genius[137] einwohnt! Der hat sich mir gezeigt, schwebend über den Wassern, und hat mir's eingeschärft, daß Dich ich liebe. – Ach Goethe, laß Dir keine Liedchen vorlallen und glaube nicht, Du müßtest sie verstehen und würdigen lernen; ergib Dich auf Gnad und Ungnad; leide in Gottesnamen Schiffbruch mit Deinem Begriff; – was willst Du alles Göttliche ordnen und verstehen, wo's her kommt und hin will? Siehst Du, so schreib ich, wenn ich zügellos bin und nicht danach frage, ob's der Verstand billigt. Ich weiß nicht, ob es Wahrheit ist; mehr als das, was ich prüfe; aber so möcht ich lieber schreiben, ohne zu befürchten, daß Du wie andre mich schweigen hießest; was könnt ich Dir alles sagen, wenn ich mich nicht besinnen wollte! Bald würde ich Herr werden, und nichts sollte sich mir verbergen, was ich halten wollte mit dem Geist, – und wenn Du einstimmtest und neigtest Dich meinem Willen, wie der Septakkord sich der Auflösung entgegendrängt, dann wär's, wie die Liebe es will.


Rochusberg


Ich kann oft vor Lust, daß jetzt die selige einsame Stunde dazu ist, nicht zum Schreiben kommen. Hier oben, im goldnen Sommer an die goldne Zukunft denken, – denn das ist meine Zukunft: Dich wiedersehen; schon von dem Augenblick an, wo Du mir die Hand zum Abschied reichst und zu verstehen gibst, es sei genug der Zärtlichkeit, – da wende ich in Gedanken schon wieder um zu Dir. Darum lache ich auch mit dem einen Auge, während ich mit dem andern weine.

Wie selig, also Dich zu denken, wie geschwätzig wird meine Seele in jedem kleinen Ereignis, aus dem sie hofft, den Schatz zu heben.

Mein erster Gang war hier herauf, wo ich Dir den letzten Brief schrieb, ehe wir reisten. Ich wollte sehen, ob mein Tintenfaß noch da sei und meine kleine Mappe mit Papier. Alles noch an Ort und Stelle; ach Goethe, ich habe Deine Briefe so lieb, ich habe sie eingehüllt in ein seidnes Tuch mit bunten Blumen und goldnem Zierat gestickt. Am letzten Tag vor unserer Rheinreise, da wußte ich nicht wohin mit, mitnehmen wollte ich sie nicht, da wir allesamt nur einen Mantelsack hatten; in meinem Zimmerchen, das ich nicht verschließen konnte, weil es gebraucht wurde, mochte ich sie auch nicht lassen, ich dachte, der Nachen könnte versinken und ich versaufen, und dann würden diese Briefe, deren einer um den andern an meinem Herzen gelegen hat, in fremde Hand kommen. Erst wollte ich sie den Nonnen in Vollratz aufzuheben geben; – es sind Bernhardinerinnen, die, aus dem Kloster vertrieben, jetzt dort wohnen, – nachher hab ich's anders überlegt. Das letztemal habe ich hier auf dem Berg einen Ort gefunden; unter dem Beichtstuhl der Rochuskapelle, der noch steht, in dem ich auch immer meine Schreibereien verwahre, hab ich eine kleine Höhle gegraben und hab sie inwendig mit Muscheln vom Rhein und wunderschönen kleinen Kieselsteinchen ausgemauert, die ich auf dem Berge fand; da hab ich sie in ihrer seidnen Umhüllung hineingelegt und eine Distel vor die Stelle gepflanzt,[138] deren Wurzel ich sorgfältig mitsamt der Erde ausgestochen. Unterwegs war mir oft bange; welcher Schlag hätte mich getroffen, hätte ich sie nicht wiedergefunden, mir steht das Herz still; – sieben Tage war schlecht Wetter nach unserer Heimkehr; es war nicht möglich, hinüberzukommen; der Rhein ist um drei Fuß gestiegen und ganz verödet von Nachen; ach, wie hab ich's verwünscht, daß ich sie da oben hingebracht hatte; keinem mocht ich's sagen, aber die Ungeduld hinüberzukommen! Ich hatte Fieber aus Angst um meine Briefe, ich konnte mir ja erwarten, der Regen würde irgendwo durchgedrungen sein und sie verderben; ach, sie haben auch ein bißchen Wassernot gelitten, aber nur ganz wenig, ich war so froh, wie ich von weitem die Distel blühen sah, da hab ich sie denn ausgegraben und in die Sonne gelegt; sie sind gleich trocken, und ich nehm sie mit. Die Distel hab ich zum ewigen Andenken wieder festgepflanzt. – Nun muß ich Dir auch erzählen, was ich hier oben für eine neue Einrichtung gefunden, nämlich oben im Beichtstuhl ein Brett befestigt und darauf einen kleinen viereckigen Bienenkorb. Die Bienen waren ganz matt und saßen auf dem Brettchen und an dem Korb. Nun muß ich Dir aus dem Kloster erzählen. Da war eine Nonne, die hieß man Mere celatrice, die hatte mich an sich gewöhnt, daß ich ihr alle Geschäfte besorgen half. Hatten wir den Wein im Keller gepflegt, so sahen wir nach den Bienen; denn sie war Bienenmutter, und das war ein ganz bedeutendes Amt. Im Winter wurden sie von ihr gefüttert, die Bienen saugten aus ihrer Hand süßes Bier. Im Sommer hingen sie sich an ihren Schleier, wenn sie im Garten ging, und sie behauptete, von ihnen gekannt und geliebt zu sein. Damals hatte ich große Neigung zu diesen Tierchen. Die Mere celatrice sagte, vor allem müsse man die Furcht über winden, und wenn eine stechen wolle, so müsse man nicht zucken, dann würden sie nie stark stechen. Das hat mich große Überwindung gekostet, nachdem ich den festen Vorsatz gefaßt hatte, mitten unter den schwärmenden Bienen ruhig zu sein, befiel mich die Furcht, ich lief, und der ganze Schwarm mir nach. Endlich hab ich's doch gelernt, es hat mir tausend Freude gemacht, oft hab ich ihnen einen Besuch gemacht und einen duftenden Strauß hingehalten, auf den sie sich setzten. Den kleinen Bienengarten hab ich gepflegt, und die gewürzigen dunklen Nelken besonders hab ich hineingepflanzt. Die alte Nonne tat mir auch den Gefallen, zu behaupten, daß man alle Blumen, die ich gepflanzt hatte, aus dem Honig herausschmecke. So lehrte sie mich auch, daß, wenn die Bienen erstarrt waren, sie wieder beleben. Sie rieb sich die Hand mit Nesseln und mit einem duftenden Kräutchen, welches man Katzenstieg nennt, machte den großen Schieber des Bienenhauses auf und steckte die Hand hinein. Da setzten sie sich alle auf die Hand und wärmten sich, das hab ich oft auch mitgemacht; da steckte die kleine Hand und die große Hand im Bienenkorb. Jetzt wollt ich's auch probieren, aber ich hatte nicht mehr das Herz; siehst Du, so verliert man seine Unschuld und die hohen Gaben, die man durch sie hat.[139]

Bald hab ich auch den Eigentümer des Korbes kennen lernen; indem ich am mitten Berg lag, um im Schatten ein wenig zu faulenzen, hört ich ein Getrappel im Traumschlummer, das war die Binger Schafherde nebst Hund und Schäfer; er sah auch gleich nach seinem Bienenkorb; er sagte mir, daß er noch eine Weile hier weide, da hab ihm der volle blühende Thymian und das warme sonnige Plätzchen so wohl gefallen, daß er den Schwarm junger Bienen hier herauf gepflanzt habe, damit sie sich recht wohl befinden, wenn sie sich dann mehren sollten und den ganzen gegitterten Beichtstuhl einnehmen, wenn er übers Jahr wiederkäme, so solle es ihm recht lieb sein.

Der Schäfer ist ein alter Mann; er hat einen langen grauen Schnurrbart, er war Soldat und erzählte mir allerlei von den Kriegsszenen und von der früheren Zeit; dabei pfiff er seinem Hund, der ihm die Herde regierte. Von verschiedenen Berggeistern erzählte er auch, das glaube er alles nicht, aber auf der Ingelheimer Höhe, wo noch Ruinen von dem großen Kaisersaal stehen, da sei es nicht geheuer; er habe selbst auf der Heide im Mondschein einen Mann begegnet, ganz in Stahl gekleidet, dem sei ein Löwe gefolgt; und da der Löwe Menschen gewittert, so habe er fürchterlich geheult; da habe der Ritter sich umgekehrt, mit dem Finger gedroht und gerufen: »Bis stille, frevelicher Hund!« – da sei der Löwe verstummt und habe dem Mann die Füße geleckt. Der Schäfer erzählte mir dies mit besonderm Schauer, und ich schauderte zum Pläsier ein klein bißchen mit; ich sagte: »Ich glaube wohl, daß ein frommer Schäfer sich vor dem Hüter eines Löwen fürchten muß.« »Was?« sagte er, »ich war damals kein Schäfer, sondern Soldat und auch gar nicht besonders fromm; ich freite um ein Schätzchen und war herübergegangen nach Ingelheim um Mitternacht, um Tür und Riegel zu zwingen; aber in der Nacht ging ich nicht weiter; ich kehrte um.« – »Nun«, fragt ich, »Euer Schätzchen, das hat wohl umsonst auf Euch gewartet?« – »Ja«, sagte er, »wo Geister sich einmischen, da muß der Mensch dahinten bleiben.« – Ich meinte, wenn man liebe, brauche man sich vor Geistern nicht zu fürchten und könne sich grade dann für ihresgleichen achten; denn die Nacht ist zwar keines Menschen Freund, aber des Liebenden Freund ist sie.

Ich fragte den Schäfer, wie er sich bei seinem einsamen Geschäft die Zeit vertreibe in den langen Tagen; – er ging den Berg hinauf, die ganze Herde hinter ihm drein, über mich hinaus, er kam wieder, die Herde nahm wieder keinen Umweg; er zeigte mir eine schöne Schalmei – so nannte er ein Hautbois mit silbernen Klappen und Elfenbein zierlich eingelegt; er sagte: »Die hat mir ein Franzose geschenkt, darauf kann ich blasen, daß man es eine Stunde weit hört; wenn ich hier auf der Höhe weide und seh ein Schiffchen mit lustigen Leuten drüben, da blas ich; in der Ferne nimmt sich die Schalmeie wunderschön aus, besonders wenn das Wasser so still und sonnig ist wie heute; das Blasen ist mir lieber wie Essen und Trinken.« Er setzte an und wendete sich nach dem Tal, um das Echo hören zu lassen;[140] nun blies er das Lied des weissagenden Tempelknaben aus Axur von Ormus mit Variationen eigner Eingebung; die feierliche Stille, die aus diesen Tönen hervorbricht und sich mitten im leeren Raum ausdehnt, beweist wohl, daß die Geister auch in der sinnlichen Welt einen Platz einnehmen; zum wenigsten ward alles anders: Luft und Gebirge, Wald und Ferne, und der ziehende Strom mit den gleitenden Nachen waren von der Melodie beherrscht und atmeten ihren weissagenden Geist; – die Herde hatte sich zum Ruhen gelagert; der Hund lag zu des Schäfers Füßen, der von mir entfernt auf der Höhe stand und die Begeistrung eines Virtuosen empfand, der sich selbst überbietet, weil er fühlt, er werde ganz genossen und verstanden. Er ließ das Echo eine sehr feine Rolle darin spielen; hier und da ließ er es in eine Lücke einschmelzen, dann wiederholte er die letzte Figur, zärtlicher, eindringender; – das Echo wieder! – Er ward noch feuriger und schmachtender; und so lehrte er dem Widerhall, wie hoch er's treiben könne, und dann endigte er in einer brillanten Fermate, die alle Täler und Schluchten des Donnersbergs und Hunsrücks widerhallen machte. Er zog blasend mit der Herde um den Berg. – Ich packte meine Schreibereien auf, da die Einsamkeit doch hier oben aufgehoben ist, und schlenderte noch eine Weile bei gewaltigem Abendrot mit dem Schäfer in weisen Reden begriffen, hinter der weißen Herde drein; er entließ mich mit dem Kompliment, ich sei gescheuter als alle Menschen, die er kenne; dies war mir was ganz Neues, denn bisher hab ich von gescheuten Leuten gehört, ich sei gänzlich unklug; ich kann aber doch dem Schäfer nicht unrecht geben; ich bin auch gescheut und habe scharfe Sinne.

Bettine


Winkel, 7. August


Gestern hab ich meinen Brief zugemacht und abgeschickt; aber noch nicht geschlossen. – Wüßtest Du, was mich bei diesen einfachen Erzählungen oft für Unruhe und Schmerzen befallen! – Es scheint Dir alles nur so hingeschrieben, wie erlebt, ja! – Aber so manches seh ich und denke es, und kann es doch nicht aussprechen; und ein Gedanke durchkreuzt den andern, und einer nimmt vor dem andern die Flucht, und dann ist es wieder so öde im Geist wie in der ganzen Welt. Der Schäfer meinte, Musik schütze vor bösen Gedanken und vor Langerweile; da hat er recht, denn die Melancholie der Langenweile entsteht doch nur, weil wir uns nach der Zukunft sehnen. In der Musik ahnen wir diese Zukunft, da sie doch nur Geist sein kann und nichts anderes, und ohne Geist gibt es keine Zukunft; wer nicht im Geist aufblüht, wie wollte der leben und Atem holen? – Aber ich habe mir zu Gewaltiges vorgenommen, Dir von Musik zu sagen; denn weil ich weiß, daß ihre Wahrheit doch nicht mit irdischer Zunge auszusprechen ist. So vieles halte ich zurück, aus Furcht, Du möchtest es nicht genehmigen, oder eigentlich, weil ich glaube, daß Vorurteile Dich blenden, die Gott[141] weiß von welchem Philister in Dich geprägt sind. Ich habe keine Macht über Dich, Du glaubst Dich an gelehrte Leute wenden zu müssen; und was die Dir sagen können, das ist doch nur dem höheren Bedürfnis im Wege; o Goethe, ich fürchte mich vor Dir und dem Papier, ich fürchte mich aufzuschreiben, was ich für Dich denke.

Ja, das hat der Christian Schlosser gesagt: Du verstündest keine Musik, Du fürchtest Dich vor dem Tod und habest keine Religion, was soll ich dazu sagen? – Ich bin so dumm wie stumm, wenn ich so empfindlich gekränkt werde. Ach Goethe, wenn man kein Obdach hätte, das vor schlechtem Wetter schützt, so könnte einem der kalte lieblose Wind schon was anhaben, aber so weiß ich Dich in Dir selber geborgen; die drei Rätsel aber sind mir eine Aufgabe. Ich möchte Dir nach allen Seiten hin Musik erklären, und fühl doch selbst, daß sie übersinnlich ist und von mir unverstanden; dennoch kann ich nicht weichen von diesem Unauflösbaren und bete zu ihm: nicht, daß ich es begreifen möge; nein, das Unbegreifliche ist immer Gott, und es gibt keine Zwischenwelt, in der noch andere Geheimnisse begründet wären. Da Musik unbegreiflich ist, so ist sie gewiß Gott; dies muß ich sagen, und Du wirst mit Deinem Begriff von der Terz und der Quint mich auslachen! Nein, Du bist zu gut, Du lachst nicht; und dann bist Du auch zu weise; Du wirst wohl gerne Deine Studien und errungenen Begriffe aufgeben gegen ein solches, alles heiligende Geheimnis des göttlichen Geistes in der Musik. Was lohnte denn auch die Mühe der Forschung, wenn es nicht dies wäre! Nach was können wir forschen, was bewegt uns, als nur das Göttliche! – und was können Dir andere, die Wohlstudierten, Besseres und Höheres darüber sagen; – und wenn einer dagegen was aufbringen wollte, – müßte er sich nicht schämen? Wenn einer sagen wollte: Musik sei nur da, daß der Menschengeist sich darin ausbilde? – Nun ja! wir sollen uns in Gott bilden. Wenn einer sagt, sie sei nur Vermittlung zum Göttlichen, sie sei nicht Gott selbst! Nein, ihr falschen Kehlen, euer eitler Gesang ist nicht göttlich durchdrungen. Ach, die Gottheit selbst lehrt uns den Buchstaben begreifen, damit wir gleich ihr aus eignem Vermögen im Reich der Gottheit regieren lernen. Alles Lernen in der Kunst ist nur dazu, daß wir den Grund der Selbständigkeit in uns legen, und daß es unser Errungenes bleibe. Einer sagte von Christus, daß er nichts von Musik gewußt habe; dagegen konnte ich nichts sagen; einmal weiß ich seinen Lebenslauf nicht genau, und dann, was mir dabei einfiel, kann ich nur Dir sagen, obschon ich nicht weiß, was Du dazu sagen wirst. Christus sagt: »Auch euer Leib soll verklärt werden!« Ist nun Musik nicht die Verklärung der sinnlichen Natur? – Berührt Musik nicht unsere Sinne, daß sie sich eingeschmolzen fühlen in die Harmonie der Töne, wie Du mit Terz und Quint berechnen willst? – Lerne nur verstehen, – Du wirst um so mehr Dich wundern über das Unbegreifliche. Die Sinne fließen in den Strom der Begeisterung, und das erhöht sie. Alles, was den Menschen geistigerweise anspricht, geht hier in die Sinne über; drum fühlt er sich auch[142] durch sie zu allem bewegt. Liebe und Freundschaft, kriegerischer Mut und Sehnsucht nach der Gottheit – alles wallt im Blut; das Blut ist geheiligt; es entzündet den Leib, daß er mit dem Geist zusammen dasselbe wolle. Das ist die Wirkung der Musik auf die Sinne; das ist die Verklärung des Leibes; die Sinne von Christus waren eingeschmolzen in den göttlichen Geist, sie wollten mit ihm dasselbe; er sagt: »Was ihr berührt mit dem Geist wie mit den Sinnen, das sei göttlich, denn dann wird euer Leib auch Geist.« Siehst Du, das hab ich ungefähr empfunden und gedacht, da man sagte, Christus habe nichts von Musik gewußt.

Verzeihe mir, daß ich so mit Dir spreche, gleichsam ohne Basis, denn mir schwindelt, und ich deute kaum an, was ich sagen möchte, und vergesse alles so leicht wieder; aber wenn ich in Dich das Zutrauen nicht haben sollte, Dir zu bekennen, was sich in mir aufdringt, wem sollte ich's sonst mitteilen! –

Diesen Winter hatte ich eine Spinne in meinem Zimmer; wenn ich auf der Gitarre spielte, kam sie eilig herab in ein Netz, was sie tiefer ausgespannt hatte. Ich stellte mich vor sie und fuhr über die Saiten; man sah deutlich, wie es durch ihre Gliederchen dröhnte; wenn ich Akkord wechselte, so wechselten ihre Bewegungen, sie waren unwillkürlich; bei jedem verschiedenen Harpege wechselte der Rhythmus in ihren Bewegungen; es ist nicht anders, – dies kleine Wesen war freudedurchdrungen oder geistdurchdrungen, solang mein Spielen währte; wenn's still war, zog sie sich wieder zurück. Noch ein kleiner Geselle war eine Maus, der aber mehr der Vokalmusik geneigt war; sie erschien meistens, wenn ich die Tonleiter sang; je stärker ich den Ton anschwellen ließ, je näher kam sie; in der Mitte der Stube blieb sie sitzen; mein Meister hatte große Freude an dem Tierchen; wir nahmen uns sehr in acht, sie nicht zu stören. Wenn ich Lieder und abwechselnde Melodien sang, so schien sie sich zu fürchten; sie hielt dann nicht aus und lief eilend weg. Also die Tonleiter schien diesem kleinen Geschöpfchen angemessen, die durchgriff sie, und wer kann zweifeln: bereitete ein Höheres in ihr vor; diese Töne, so rein wie möglich getragen, in sich schön, die berührten diese Organe. Dieses Aufschwellen und wieder Sinken bis zum Schweigen nahm das Tierchen in ein Element auf. Ach Goethe, was soll ich sagen? – es rührt mich alles so sehr, ich bin heute so empfindlich, ich möchte weinen; wer im Tempel wohnen kann auf reinen heiteren Höhen, sollte der verlangen hinaus in eine Spitzbubenherberge? – Diese beiden kleinen Tierchen haben sich der Musik hingegeben; es war ihr Tempel, in dem sie ihre Existenz erhöht, vom Göttlichen berührt fühlten, und Du, der sich bewegt fühlt durch das ewige Wallen des Göttlichen in Dir, Du habest keine Religion? Du, dessen Worte, dessen Gedanken immer an die Muse gerichtet sind, Du lebtest nicht in dem Element der Erhöhung, der Vermittelung mit Gott. – Ach ja: das Erheben aus dem bewußtlosen Leben in die Offenbarung, das ist Musik.

Gute Nacht.[143]


Karlsbad, den 28. Juli 1808


Ist es wahr, was die verliebten Poeten sagen, daß keine süßere Freude sei, als das Geliebte zu schmücken, so hast Du das größte Verdienst um mich. Da ist mir durch die Mutter eine Schachtel voll der schönsten Liebesäpfel zugekommen, an goldnen Ketten zierlich aufgereiht; schier wären sie in meinem Kreise zu Zankäpfeln geworden. Ich sehe unter diesem Geschenk und der Anweisung dabei eine Spiegelfechterei verborgen, die ich nicht umhin kann zu rügen, denn da Du listig genug bist, mich mitten im heißen Sommer aufs Eis zu führen, so möchte ich Dir auch meinen Witz zeigen, wie ich auch unvorbereitet und unverhofft mit Geschicklichkeit diese Winterfreuden zu bestehen wage; ich werde Dir nicht sagen, daß ich keinen lieber schmücken möchte wie Dich, denn schmucklos hast Du mich überrascht, und schmucklos wirst Du mich ewig ergötzen. Ich hing die Perlenreihe chinesischer Früchte zwischen den geöffneten Fensterflügeln auf, und da eben die Sonne drauf schien, so hatte ich Gelegenheit, ihre Wirkung an diesen balsamartigen Gewächsen zu beachten. Das brennende Rot verwandelte sich da, wo die Strahlen auflagen, bald in dunklen Purpur, in Grün und entschiedenes Blau; alles von dem echten Gold des Lichtes gehöht; kein anmutigeres Spiel der Farben habe ich lange beobachtet, und wer weiß, zu welchen Umwegen mich das alles verführen wird; zum wenigsten würde der Schwanenhals, von dem die Dir gehorsamen Schreibefinger der Mutter mir melden, schwerlich mich zu so entschiedenen Betrachtungen und Reflexionen veranlaßt haben; und so hab ich es denn Deinem Willen ganz angemessen gefunden, mich so dran zu erfreuen und zu belehren, und ich hüte vielmehr meinen Schatz vor jedem lüsternen Auge, als daß ich ihn der Wahl preisgeben sollte. Deiner gedenk ich dabei und aller Honigfrüchte der Sonnenlande, und ausgießen möcht ich Dir gerne die gesamten Schätze des Orients, wenn es auch wäre, um zu sehen, wie Du ihrer nicht achtest, weil Du Dein Glück in anderem begründet fühlst.

Dein freundlicher Brief, Deine reichen Blätter haben mich hier bei einer Zeit aufgesucht, wo ich Dich gerne selbst auf- und angenommen hätte. Es war eine Zeit der Ungeduld in mir; schon seit mehreren Posttagen sah ich allemal den freundlichen Postknaben, der noch in den Schelmenjahren ist, mit spitzen Fingern Deine wohlbeleibten Pakete in die Höhe halten. Da schickte ich denn eilig hinunter, sie zu holen, und fand meine Erwartung nicht betrogen; ich hatte Nahrung von einem Posttag zum andern; nun war sie aber zweimal vergeblich erwartet und ausgeblieben. Rechne mir's nicht zu hoch an, daß ich ungeduldig wurde; Gewohnheit ist ein gar zu süßes Ding. – Die liebe Mutter hatte aus einer übrigens sehr löblichen Ökonomie Deine Briefe gesammelt und sie der kleinen Schachtel beigepackt, und nun umströmt mich alles – eine andere Gegend, ein anderer Himmel, Berge, über die auch ich gewandert bin; Täler, in denen auch ich die schönsten Tage verlebt und trefflichen Wein getrunken habe; und der Rhein, den auch ich hinuntergeschwommen bin, in einem kleinen, lecken[144] Kahn. Ich habe also ein doppeltes Recht an Dein Andenken; einmal war ich ja dort, und einmal bin ich bei Dir und vernehme mit beglückendem Erstaunen die Lehren Deiner Weisheit wie auch die so lieblichen Ereignisse, denn in allen bist Du es, die sie durch ihre Gegenwart verherrlicht.

Hier noch eine kleine wohlgemeinte Bemerkung, mit Dank für das Eingesendete, die Du demjenigen, den es angeht, gelegentlich mitteilen mögest: ob ich gleich den Nifelheimischen Himmel nicht liebe, unter welchem sich der..... gefällt, so weiß ich doch recht gut, daß gewisse Klimaten und Atmosphären nötig sind, damit diese und jene Pflanze, die wir doch auch nicht entbehren mögen, zum Vorschein komme. So heilen wir uns durch Renntiermoos, das an Orten wächst, wo wir nicht wohnen möchten, und, um ein ehrsameres Gleichnis zu brauchen, so sind die Nebel von England nötig, um den schönen grünen Rasen hervorzubringen.

So haben auch mir gewisse Aufschößlinge dieser Flora recht wohl behagt. Wäre es dem Redakteur jederzeit möglich, dergestalt auszuwählen, daß die Tiefe niemals hohl und die Fläche niemals platt würde, so ließe sich gegen ein Unternehmen nichts sagen, dem man in mehr als einem Sinne Glück zu wünschen hat. Grüße mir den Freund zum schönsten und entschuldige mich, daß ich nicht selbst schreibe.

Wie lang wirst Du noch im Rheinlande verweilen? – Was wirst Du zu der Zeit der Weinlese vornehmen? Mich finden Deine Blätter wohl noch einige Monate hier, zwischen den alten Felsen, neben den heißen Quellen, die mir auch diesmal sehr wohltätig sind: ich hoffe, Du wirst mich nicht vergeblich warten lassen, denn meine Ungeduld zu beschwichtigen, alles zu erfahren, was in Deinem Köpfchen vorgeht, dafür sind diese Quellen nicht geeignet.

Meinem August geht es bis jetzt in Heidelberg ganz wohl. Meine Frau besucht in Lauchstädt Theater und Tanzsaal. Schon haben mich manche entfernte Freunde hier brieflich besucht; mit andern bin ich ganz unvermutet persönlich zusammengekommen.

Ich habe so lange gezaudert, daher will ich dies Blatt gleich fortschicken und schlage es an meine Mutter ein. Sage Dir alles selbst, wozu mir der Platz hier nicht gegönnt ist, und lasse mich gleich von Dir hören.

G.


Am 8. August


Überall wo es gut ist, das muß man zu früh verlassen; – so war es mir wahrlich gut bei Dir, drum mußt ich Dich zu früh verlassen.

Ein guter lieber Aufenthalt ist für mich, was das fruchtbare Land einem Schiffer ist, der eine unsichre Reise vorhat, er wird Vorrat einsammeln, soviel ihm Zeit und Mittel erlauben. Ach, wenn er auf der einsamen weiten See ist, wenn die frischen Früchte schwinden, das süße Wasser! – er sieht kein Ziel vor sich; – wie sehnsuchtsvoll wird die Erinnerung ans Land. –[145] Jetzt geht mir's auch so; in zwei Tagen muß ich den Rhein verlassen, um mit dem ganzen Familientroß in Schlangenbad zusammenzutreffen. Ich war indessen nicht immerwährend hier, sonst hätte Dich schon lange wieder eine Epistel von mir erreicht; viele Streifereien haben mich abgehalten: die Reise in die Wetterau, von welcher ich Dir hier ein Bruchstück beilege. Den Primas hab ich in Aschaffenburg besucht, er meint immer, ich habe die Kinderschuhe noch nicht ausgetreten, und begrüßt mich, indem er mir die Wangen streichelt und mich herzlich küßt. Diesmal sagte er: »Mein gutes, liebes Schätzchen, wie Sie frisch aussehen, und wie Sie gewachsen sind!« – Ein solches Betragen hat nun eine zauberische Wirkung auf mich; ich fühlt mich ganz und gar, wie er mich ansah, und betrug mich auch, als ob ich nur zwölf Jahre alt sei, ich erlaubte mir allen Scherz und gänzlichen Mangel an Hochachtung, unter solchen zweifelhaften Umständen trug ich ihm Deine Aufträge vor. Sei nur nicht bestürzt, ich kenne Dein würdevolles Benehmen mit großen Herren und habe Dir als Botschafter nichts vergeben, ich hatte mir einen schriftlichen Auszug aus dem Brief an Deine Mutter gemacht und legte ihm denselben vor und die Zeile, wo Du geschrieben hast: die Bettine soll sich doch alle Mühe geben, dies auf eine artige Weise vom Primas herauszulocken, die hielt ich mit der Hand zu; nun wollte er grade sehen, was da unten verborgen sei; ich machte vorher meine Bedingungen, er versprach mir das kleine Indische Herbarium, es ist in Paris, und er wollte noch denselben Tag drum schreiben. Was die Papiere des Propst D'umée anbelangt, so hat er sehr interessante wissenschaftliche Sachen, die er Dir alle verspricht, die Korrespondenz mit... gibt er nicht heraus, ich soll nur sagen, Du habest es nicht verdient, und er werde diese Briefe als einen wichtigen Familienschatz aufbewahren und als ein Muster von feurigen Ausdrücken bei der höchsten Ehrerbietung. Ich weiß nicht, was mich befiel bei dieser Rede, ich fühlte, daß ich rot ward, da hob er mir das Kinn in die Höhe und sagte: »Was fehlt Ihnen denn, mein Kind, Sie schreiben wohl auch an Goethe?«! – »Ja«, sagte ich, »unter der Obhut seiner Mutter.« »So, so, das ist ganz schön, kann denn die Mutter lesen?« – Da mußt ich ungeheuer lachen, ich sagte: »Wahrhaftig, Euer Hoheit haben's erraten; ich muß der Mutter alles vorlesen, und was sie nicht wissen soll, das übergeh ich.« – Er brachte noch allerlei Scherzhaftes vor und frug, ob ich Dich Du nenne, und was ich Dir alles schreibe? – Ich sagte, des Rhythmus halber nenne ich Dich Du, und eben habe ich seine Dispensation einholen wollen, um schriftlich beichten zu dürfen, denn ich wolle Dir gern beichten; er lachte, er sprang auf (denn er ist sehr vif und macht oft große Sätze) und sagte: »Geist wie der Blitz! Ja, ich gebe Ihnen Dispensation und ihm – schreiben Sie es ihm ja, – geb ich Macht, vollkommen Ablaß zu erteilen, und nun werden Sie doch mit mir zufrieden sein?« – Ich hatte große Lust, ihm zu sagen, daß ich nicht mehr zwölf Jahr, sondern schon eine Weile ins Blütenalter der Empfindung eingerückt sei; aber da hielt mich etwas ab: bei seinen lustigen Sprüngen fiel ihm seine kleine[146] geistliche violettsamtne Mütze vom Kopf; ich nahm sie auf, und weil mir ahnete, sie würde mir gut stehen, so setzte ich sie auf. Er betrachtete mich eine Weile und sagte: »Ein allerliebster kleiner Bischof! Die ganze Klerisei würde hinter ihm dreinlaufen«, – und nun mochte ich ihm den Wahn nicht mehr benehmen, daß ich noch so jung sei, denn es kam mir vor, was ihn an einem Kind erfreuen dürfe, das könne ihm bei einer verständigen Dame, wie ich doch eine sein müßte, als höchst inkonvenabel erscheinen. Ich ließ es also dabei und nahm die Sünde auf mich, ihm was weisgemacht zu haben, indem ich mich dabei auf die Kraft des Ablasses verlasse, den er Dir übermacht.

Ach, ich möchte Dir lieber andere Dinge schreiben, aber die Mutter, der ich alles erzählen mußte, quälte mich drum, sie meint, so was mache Dir Freude und Du hieltest etwas drauf, dergleichen genau zu wissen; ich holte mir auch einen lieben Brief von Dir bei ihr ab, der mich dort schon an vierzehn Tage erwartete, und doch möcht ich Dich über diesen schmälen. Du bist ein koketter, zierlicher Schreiber, aber Du bist ein harter Mann; die ganze schöne Natur, die herrliche Gegend, die warmen Sommertage der Erinnerung, – das alles rührt Dich nicht; so freundlich Du bist, so kalt bist Du auch. Wie ich das große Papierformat sah, auf allen vier Seiten beschrieben, da dacht ich, es würde doch hier und da durchblitzen, daß Du mich liebst; es blitzt auch, aber nur von Flittern, nicht von leisem beglückendem Feuer. Oh welcher gewaltige Abstand mag sein zwischen jener Korrespondenz, die der Primas nicht herausgeben will, und unserm Briefwechsel; das kommt daher, weil ich Dich zu sehr liebe und es Dir auch bekenne, das soll eine so närrische Eigenheit der Männer sein, daß sie dann kalt sind, wenn man sie zu sehr liebt.

Die Mutter ist nun immer gar zu vergnügt und freundlich, wenn ich von meinen Streifereien komme; sie hört mit Lust alle kleine Abenteuer an, ich mache denn nicht selten aus klein groß, und diesmal war ich reichlich damit versehen, da nicht nur allein Menschen, sondern Ochsen, Esel und Pferde sehr ausgezeichnete Rollen dabei spielten. Du glaubst nicht, wie froh es mich macht, wenn sie recht von Herzen lacht. Mein Unglück führte mich grade nach Frankfurt, als Frau von Staël durchkam, ich hatte sie schon in Mainz einen ganzen Abend genossen, die Mutter aber war recht froh, daß ich ihr Beistand leistete, denn sie war schon preveniert, daß die Staël ihr einen Brief von Dir bringen würde, und sie wünschte, daß ich die Intermezzos spielen möge, wenn ihr bei dieser großen Katastrophe Erholung nötig sei. Die Mutter hat mir nun befohlen, Dir alles ausführlich zu beschreiben; die Entrevue war bei Bethmann-Schaaf, in den Zimmern des Moritz Bethmann. Die Mutter hatte sich – ob aus Ironie oder aus Übermut, wunderbar geschmückt, aber mit deutscher Laune, nicht mit französischem Geschmack, ich muß Dir sagen, daß, wenn ich die Mutter ansah, mit ihren drei Federn auf dem Kopf, die nach drei verschiedenen Seiten hinschwankten, eine rote, eine weiße und eine blaue – die französischen Nationalfarben,[147] welche aus einem Feld von Sonnenblumen emporstiegen –, so klopfte mir das Herz vor Lust und Erwartung; sie war mit großer Kunst geschminkt, ihre großen schwarzen Augen feuerten einen Kanonendonner, um ihren Hals schlang sich der bekannte goldne Schmuck der Königin von Preußen, Spitzen von altherkömmlichem Ansehen und großer Pracht, ein wahrer Familienschatz, verhüllte ihren Busen, und so stand sie mit weißen Glacéhandschuhen, in der einen Hand einen künstlichen Fächer, mit dem sie die Luft in Bewegung setzte, die andre, welche entblößt war, ganz beringt mit blitzenden Steinen, dann und wann aus einer goldnen Tabatiere mit einer Miniatur von Dir, wo Du mit hängenden Locken, gepudert, nachdenklich den Kopf auf die Hand stützest, eine Prise nehmend. Die Gesellschaft der vornehmen älteren Damen bildete einen Halbkreis in dem Schlafzimmer des Moritz Bethmann; auf purpurrotem Teppich in der Mitte ein weißes Feld, worauf ein Leopard, – sah die Gesellschaft so stattlich aus, daß sie wohl imponieren konnte. An den Wänden standen schöne schlanke indische Gewächse, und das Zimmer war mit matten Glaskugeln erleuchtet; dem Halbkreis gegenüber stand das Bett auf einer zwei Stufen erhabenen Estrade, auch mit einem purpurnen Teppich verhüllt, an beiden Seiten Kandelaber. Ich sagte zur Mutter: »Die Frau Staël wird meinen, sie wird hier vor Gericht des Minnehofs zitiert, denn dort das Bett sieht aus wie der verhüllte Thron der Venus.« Man meinte, da dürfte es manches zu verantworten geben. Endlich kam die Langerwartete durch eine Reihe von erleuchteten Zimmern, begleitet von Benjamin Constant, sie war als Corinna gekleidet, ein Turban von aurora- und orangefarbner Seide, ein ebensolches Gewand mit einer orangen Tunika, sehr hoch gegürtet, so daß ihr Herz wenig Platz hatte; ihre schwarzen Augenbrauen und Wimpern glänzten, ihre Lippen auch, von einem mystischen Rot; die Handschuh waren herabgestreift und bedeckten nur die Hand, in der sie das bekannte Lorbeerzweiglein hielt. Da das Zimmer, worin sie erwartet war, so viel tiefer liegt, so mußte sie vier Treppen herabsteigen. Unglücklicherweise nahm sie das Gewand vorne in die Höhe, statt hinten, dies gab der Feierlichkeit ihres Empfangs einen gewaltigen Stoß, denn es sah wirklich einen Moment mehr als komisch aus, wie diese ganz im orientalischen Ton überschwankende Gestalt auf die steifen Damen der tugendverschwornen Frankfurter Gesellschaft losrückte. Die Mutter warf mir einige couragierte Blicke zu, da man sie einander präsentierte. Ich hatte mich in die Ferne gestellt, um die ganze Szene zu beobachten. Ich bemerkte das Erstaunen der Staël über den wunderbaren Putz und das Ansehen Deiner Mutter, bei der sich ein mächtiger Stolz entwickelte. Sie breitete mit der linken Hand ihr Gewand aus, mit der rechten salutierte sie mit dem Fächer spielend, und indem sie das Haupt mehrmals sehr herablassend neigte, sagte sie mit erhabener Stimme, daß man es durchs ganze Zimmer hören konnte: »Je suis la mère de Goethe.«. »Ah, je suis charmèe«, sagte die Schriftstellerin, und hier folgte eine feierliche Stille. Dann folgte die Präsentation ihres[148] geistreichen Gefolges, welches eben auch begierig war, Goethes Mutter kennenzulernen. Die Mutter beantwortete ihre Höflichkeiten mit einem französischen Neujahrswunsch, welchen sie mit feierlichen Verbeugungen zwischen den Zähnen murmelte, – kurz, ich glaube, die Audienz war vollkommen und gab einen schönen Beweis von der deutschen Grandezza. Bald winkte mich die Mutter herbei, ich mußte den Dolmetscher zwischen beiden machen; da war denn die Rede nur von Dir, von Deiner Jugend, das Porträt auf der Tabatiere wurde betrachtet, es war gemalt in Leipzig, eh Du so krank warst, aber schon sehr mager, man erkennt jedoch Deine ganze jetzige Größe in jenen kindlichen Zügen, und besonders den Autor des Werther. Die Staël sprach über Deine Briefe und daß sie gern lesen möchte, wie Du an Deine Mutter schreibst, und die Mutter versprach es ihr auch, ich dachte, daß sie von mir gewiß Deine Briefe nicht zu lesen bekommen würde, denn ich bin ihr nicht grün; sooft Dein Name von ihren nicht wohlgebildeten Lippen kam, überfiel mich ein innerlicher Grimm; sie erzählte mir, daß Du sie amie in Deinen Briefen nenntest; ach, sie hat mir's gewiß angesehen, daß dies mir sehr unerwartet kam; ach, sie sagte noch mehr. – Nun riß mir aber die Geduld; – wie kannst Du einem so unangenehmen Gesicht freundlich sein? – Ach, da sieht man, daß Du eitel bist. – Oder sie hat auch wohl nur gelogen! – Wär ich bei Dir, ich litt's nicht. So wie Feen mit feurigen Drachen, würd ich mit Blicken meinen Schatz bewachen. Nun sitz ich weit entfernt von Dir, weiß nicht, was Du alles treibst, und bin nur froh, wenn mich keine Gedanken plagen.

Ich könnte Dir ein Buch schreiben über alles, was ich in den acht Tagen mit der Mutter verhandelt und erlebt habe. Sie konnte kaum erwarten, daß ich kam, um alles mit ihr zu rekapitulieren. Da gab's Vorwürfe; ich war empfindlich, daß sie auf ihre Bekanntschaft mit der Staël einen so großen Wert legte; sie nannte mich kindisch, albern und eingebildet, und was zu schätzen sei, dem müsse man die Achtung nicht versagen, und man könne über eine solche Frau nicht wie über eine Gosse springen und weiterlaufen; es sei allemal eine ausgezeichnete Ehre vom Schicksal, sich mit einem bedeutenden und berühmten Menschen zu berühren. Ich wußte es so zu wenden, daß mir die Mutter endlich Deinen Brief zeigte, worin Du ihr Glück wünschest, mit diesem Meteor zusammenzustoßen, und da polterte denn alle ihre vorgetragene Weisheit aus Deinem Brief hervor. Ich erbarmte mich über Dich und sagte: »Eitel ist der Götterjüngling; er führt den Beweis für seine ewige Jugend.« – Die Mutter verstand keinen Spaß; sie meinte: ich nehme mir zu viel heraus, und ich soll mir doch nicht einbilden, daß Du ein anderes Interesse an mir habest, als man an Kindern habe, die noch mit der Puppe spielen; mit der Staël könnest Du Weltweisheit machen; mit mir könnest Du nur tändeln. Wenn die Mutter recht hätte? – Wenn's nichts wär mit meinen neu erfundnen Gedanken, von den ich glaubte, ich habe sie alleine? – Wie hab ich doch in diesen paar Monaten, wo ich am Rhein lebe, nur bloß an Dich gedacht! – Jede Wolke[149] hab ich um Rat gefragt, jeden Baum, jedes Kraut hab ich angesprochen um Weisheit; und von jeder Zerstreuung hab ich mich abgewendet, um recht tief mit Dir zu sprechen. O böser, harter Mann, was sind das für Geschichten? Wie oft hab ich zu meinem Schutzengel gebetet, daß er doch für mich mit Dir sprechen soll, und dann hab ich mich still verhalten und die Feder laufen lassen. Die ganze Natur zeigte mir im Spiegel, was ich Dir sagen soll; wahrhaftig, ich habe geglaubt, alles sei von Gott so angeordnet, daß die Liebe einen Briefwechsel zwischen uns führe. Aber Du hast mehr Vertrauen in die berühmte Frau, die das große Werk geschrieben hat sur les passions, von welchen ich nichts weiß. – Ach glaub nur, Du bist vor die unrechte Schmiede gegangen; Lieben: das allein macht klug.

Über Musik hatte ich Dir auch noch manches zu sagen; es war alles schon so hübsch angeordnet; erst mußt Du begreifen, was Du ihr alles schon zu verdanken hast. – Du bist nicht feuerfest. Musik bringt Dich nicht in Glut, weil Du einschmelzen könntest.

So närrisch bin ich nicht, zu glauben, daß Musik keinen Einfluß auf Dich habe. Da ich doch glaube an das Firmament in Deinem Geist, da Sonne und Mond samt allen Sternen in Dir leuchten, da soll ich zweifeln, daß dieser höchste Planet über alle, der Licht ergießt, der ein Gewaltiger ist unserer Sinne, Dich nicht durchströme? Meinst Du dann, Du wärst der Du bist, wenn es nicht Musik wäre in Dir? – Du solltest Dich vor dem Tod fürchten, da doch Musik ihn auflöst? Du solltest keine Religion haben, da doch Musik in Dich die Anbetung pflanzt?

Horch in Dich hinein, da wirst Du in Deiner Seele der Musik lauschen, die Liebe zu Gott ist: dies ewige Jauchzen und Wallen zur Ewigkeit, das allein Geist ist.

Ich könnte Dir Sachen sagen, die ich selbst fürchte auszusprechen, obschon eine innere Stimme mir sagt, sie sind wahr. Wenn Du mir bleibst, so werd ich viel lernen; wenn Du mir nicht bleibst, so werde ich wie der Same unter der Erde ruhen, bis die Zeit kommt, daß ich in Dir wieder blühe.

Mein Kopf glüht; ich hab mich während dem Schreiben herumgestritten mit Gedanken, deren ich nicht mächtig werden konnte. Die Wahrheit liegt in ihrer ganzen Unendlichkeit im Geist, aber sie im einfachsten Begriff zu fassen, das ist so schwer, ach, es kann ja nichts verloren gehen. Wahrheit nährt ewig den Geist, der alles Schöne als Früchte trägt, und da es schön ist, daß wir einander lieben, so wolle die Wahrheit nicht länger verleugnen.

Ich will Dir lieber noch ein bißchen von unserm Zigeunerleben erzählen, das wir hier am Rhein führen, den wir so bald verlassen werden, und wer weiß, ob ich ihn wiederseh! – Hier, wo die Frühlingslüfte balsamisch uns umwehen, laß einsam uns ergehen; nichts trenne Dich von mir! – und auch nicht die Frau von Staël:

Unsre Haushaltung ist allerliebst eingerichtet; wir sind zu acht Frauen, kein männliches Wesen ist im Haus; da es nun sehr heiß ist, so machen[150] wir's uns so bequem wie möglich, zum Beispiel sind wir sehr leicht gekleidet, ein Hemd und dann noch eins, griechisch drapiert. Die Türen der Schlafzimmer stehen nachts offen; – je nachdem eins Lust hat, schlägt es sein Nachtlager auf dem Vorgang oder an sonst einem kühlen Ort auf; im Garten unter den Platanen, auf der schönen, mit breiten Platten gedeckten Mauer liegend, dem Rhein gegenüber den Aufgang der Sonne zu erwarten, hab ich schon ein paarmal zu meinem Pläsier Nächte zugebracht; ich bin eingeschlafen auf meinem schmalen Bett; ich hätte können hinunterfallen im Schlaf, besonders wenn ich träume, daß ich Dir entgegenspringe. Der Garten liegt hoch, und die Mauer nach jenseits geht tief hinab, da könnte ich leicht verunglücken; ich bitte Dich also, wenn Du meiner gedenkst im Traum, halte mir die schützenden Arme entgegen, – damit ich doch gleich hineinsinke; »denn alles ist doch nur ein Traum!« – Am Tage geht's bei uns in großer Finsternis her; alle Läden sind zu im ganzen Hause, alle Vorhänge vorgezogen; früher machte ich morgens weite Spaziergänge, aber das ist bei dieser Hitze nicht mehr möglich; die Sonne beizt die Weinberge, und die ganze Natur seufzt unter der Brutwärme. Ich gehe doch jeden Morgen zwischen vier und fünf Uhr heraus mit einem Schnikermesser und hole frische kühle Zweige, die ich im Zimmer aufpflanze. Vor acht Wochen hatte ich Birken und Pappeln, die glänzten wie Gold und Silber, und dazwischen dicke duftende Sträußer von Maiblumen. Wie ein Heiligtum ist der Saal, an den alle Schlafkabinette stoßen; da liegen sie noch in den Betten, wenn ich nach Hause komme, und warten, bis ich fertig bin; dann haben die Linden und Kastanien hier abgeblüht, und himmelhohes Schilf, das sich oben an der Decke umbiegt, mit blühenden Winden umstrickt; und die Feldblumen sind reizend, die kleinen Grasdolden, die Schafgarbe, die Johannisblume, Wasserlilien, die ich mit einiger Gefahr fische, und das ewig schöne Vergißmeinnicht. Heute hab ich Eichen aufgepflanzt; hohe Äste, die ich aus dem obersten Gipfel geholt. Ich kletterte wie eine Katze; die Blätter sind ganz purpurrot und in so zierlichen Sträußern gewachsen, als hätten sie sich tanzend in Gruppen verteilt.

Ich sollte mich scheuen, Dir von Blumen zu sprechen; Du hast mich schon einmal ein bißchen ausgelacht, und doch ist der Reiz gar zu groß; die vielen schlafenden Blüten, die nur im Tod erwachen, das träumende Geschlecht der Wicken, die Herrgottsschückelchen, Himmelsschlüssel mit ihrem sanften freundlichen Duft – sie ist die geringste aller Blumen. Wie ich kaum sechs Jahr alt war, und die Milchfrau hatte versprochen, mir einen Strauß Himmelsschlüssel mitzubringen, da riß mich die Erwartung schon mit dem ersten Morgenstrahl aus dem Schlaf im Hemdchen ans Fenster; wie frisch waren die Blumen! Wie atmeten sie in meiner Hand! – Einmal brachte sie mir dunkle Nelken in einen Topf eingepflanzt; welcher Reichtum! – Wie war ich überrascht von der Großmut! – Diese Blumen in der Erde – sie schienen mir ewig ans Leben gebunden, es waren[151] mehr, als ich zählen konnte; immer fing ich von vorne an; ich wollte kein Knöspchen überspringen; wie dufteten sie! Wie war ich demütig vor dem Geist, den sie ausströmten! – Ich wußte ja noch wenig von Wald und Flur, und die erste Wiese im Abendschein eine unendliche Fläche fürs Kinderauge, mit goldnen Sternen übersäet; – ach, wie hat Natur aus Liebe es dem Geist Gottes nachahmen wollen. – Und wie liebt er sie! – Wie neigte er sich herab zu ihr für diese Zärtlichkeit ihm entgegenzublühen! – Wie hab ich gewühlt im Gras und hab gesehen, wie eins neben dem andern sich hervordrängt. Manches hätte ich vielleicht übersehen bei der Fülle, aber sein schöner Name hat mich mit ihm vertraut gemacht, und wer sie genannt hat, der muß sie geliebt und verstanden haben. Das kleine Schäfertäschchen zum Beispiel – ich hätte es nicht bemerkt, aber wie ich seinen Namen hörte, da fand ich's unter vielen heraus, ich mußte ein solches Täschchen öffnen, und fand es gefüllt mit Samenperlen. Ach, alle Form enthält Geist und Leben, um sich auf die Ewigkeit zu vererben. Tanzen die Blumen nicht? – Singen sie nicht? – Schreiben sie nicht Geist in die Luft? – Malen sie nicht sich selbst ihr Innerstes in ihrem Bild? – Alle Blumen hab ich geliebt, eine jede in ihrer Art, wie ich sie nacheinander kennen lernte, und keiner bin ich untreu geworden, und wie ich ihre Muskelkraft entdeckte: das Löwenmäulchen, wie es mir zum erstenmal die Zunge aus seinem samtnen Rachen entgegenstreckte, als ich es zu kräftig anfaßte. – Ich will sie nicht alle nennen, mit denen ich so innig vertraut wurde, wie sie mir jetzt im Gedächtnis erwachen; nur eines einzigen gedenk ich, eines Myrtenbaums, den eine junge Nonne dort pflegte. Sie hatte ihn Winter und Sommer in ihrer Zelle; sie richtete sich in allem nach ihm; sie gab ihm nachts wie tags die Luft, und nur so viel Wärme erhielt sie im Winter, als ihm nottat. Wie fühlte sie sich belohnt, da er mit Knospen bedeckt war! Sie zeigte mir sie, schon wie sie kaum angesetzt hatten; ich half ihn pflegen; alle Morgen füllte ich den Krug mit Wasser am Madlenenbrünnchen; die Knospen wuchsen und röteten sich, endlich brachen sie auf; am vierten Tag stand er in voller Blüte; eine weiße Zelle jede Blüte, mit tausend Strahlenpfeilen in ihrer Mitte, deren jeder auf seiner Spitze eine Perle darreicht. Er stand im offenen Fenster, die Bienen begrüßten ihn. – Jetzt erst weiß ich, daß dieser Baum der Liebe geweiht ist; damals wußt ich's nicht; und jetzt verstehe ich ihn. – Sag: kann die Liebe süßer gepflegt werden, als dieser Baum? – Und kann eine zärtliche Pflege süßer belohnt werden, als durch eine so volle Blüte? – Ach, die liebe Nonne mit halb verblühten Rosen auf den Wangen, in Weiß verhüllt, und der schwarze Florschleier, der ihren raschen zierlichen Gang umschwebte; wie aus dem weiten Ärmel des schwarzen wollenen Gewands die schöne Hand hervorreichte, um die Blumen zu begießen! Einmal steckte sie ein kleines schwarzes Böhnchen in die Erde, sie schenkte mir's und sagte, ich solle es pflegen; ich werde ein schönes Wunder daran erleben. Bald keimte es und zeigte Blätter wie der Klee; es zog sich an einem Stöckchen in die[152] Höh wie die Wicke mit kleinen geringelten Haken; dann bracht es sparsame gelbe Blüten hervor, aus denen wuchs so groß wie eine Haselnuß ein grünes Eichen, das sich in Reifen bräunte. Die Nonne brach es ab und zog es am Stiel auseinander, in eine Kette von zierlich geordneten Stacheln, zwischen denen der Same von kleinen Bohnen gereift war. Sie flocht daraus eine Krone, setzte sie ihrem elfenbeinernen Christus am Kruzifix zu Füßen und sagte mir, man nennt diese Pflanze Corona Christi.

Wir glauben an Gott und an Christus, daß er Gott war, der sich ans Kreuz schlagen ließ; wir singen ihm Litaneien und schwenken ihm den Weihrauch; wir versprechen heilig zu werden und beten, und empfinden's nicht. Wenn wir aber sehen, wie die Natur spielt und in diesem Spiel eine Sprache der Weisheit kindlich ausdrückt; wenn sie auf Blumenblätter Seufzer malt, ein O und Ach, wenn die kleinen Käfer das Kreuz auf ihren Flügeldecken gemalt haben und diese kleine Pflanze eben, so unscheinbar, eine mit Sorgfalt gehegte künstliche Dornenkrone trägt; wenn wir Raupen und Schmetterlinge mit dem Geheimnis der Dreifaltigkeit bezeichnet sehen, dann schaudert uns, und wir fühlen, die Gottheit selber nimmt ewigen Anteil an diesen Geheimnissen; dann glaub ich immer, daß Religion alles erzeugt hat, ja daß sie selber der sinnliche Trieb zum Leben in jedem Gewächs und jedem Tier ist. – Die Schönheit erkennen in allem Geschaffenen, und sich ihrer freuen, das ist Weisheit und fromm; wir beide waren fromm, ich und die Nonne; es werden wohl zehn Jahr sein, daß ich im Kloster war. Voriges Jahr hab ich's im Vorüberreisen wieder besucht. Meine Nonne war Priorin geworden, sie führte mich in ihren Garten, – sie mußte an einer Krücke gehen, sie war lahm geworden, – ihr Myrtenbaum stand in voller Blüte. Sie fragte mich, ob ich ihn noch kenne; er war sehr gewachsen; umher standen Feigenbäume mit reifen Früchten und großen Nelken, sie brach ab, was blühte, und was reif war, und schenkte mir alles, nur der Myrte schonte sie; das wußte ich auch schon im voraus. Den Strauß befestigte ich im Reisewagen; ich war wieder einmal so glücklich, ich betete, wie ich im Kloster gebetet hatte; ja selig sein macht beten!

Siehst Du, das war ein Umweg und etwas von mei ner Weisheit; sie kann sich freilich der Weltweisheit, die zwischen Dir und Deiner amie Staël obwaltet, nicht begreiflich machen; – aber das kann ich Dir sagen: ich habe schon viele große Werke gesehen von zähem Inhalt in schweinsledernem Einband; ich habe Gelehrte brummen hören, und ich habe immer gedacht, eine einzige Blume müsse all dies beschämen, und ein einziger Maikäfer müsse durch einen Schneller, den er einem Philosophen an die Nase gibt, sein ganzes System umpurzeln.

Pax tecum! Wir wollen's einander verzeihen, ich, daß Du einen Herzens- und Geistesbund mit der Staél geschlossen hast, worüber, der Prophezeiung Deiner Mutter nach, ganz Deutschland und Frankreich die Augen aufreißen wird, denn es wird doch nichts draus: – und Du, daß ich so aberwitzig bin, alles besser wissen und mehr als alle Dir gelten zu wollen, denn das gefällt Dir. –[153] Heute geh ich noch einmal auf den Rochusberg; ich will sehen, was die Bienen machen im Beichtstuhl, ich nehme allerlei Pflanzen mit, die in Scherben eingesetzt sind, und auch einen Rebstock; die grab ich dort oben ein; die Rebe soll am Kreuz hinaufwachsen; in dessen Schutz ich eine so schöne Nacht verschlafen habe; am Beichtstuhl pflanz ich Kaiserkronen und Jelängerjelieber, Deiner Mutter zu Ehren; – vielleicht, wenn mir's ums Herz ist, beicht ich Dir da oben, da ich zum letztenmal dort sein werde; um doch den Ablaß des Primas in Wirkung zu setzen; aber ich glaube wohl, ich habe nichts Verborgnes mehr in mir; Du siehst in mich hinein, und außer dem ist nichts in mir zu finden.

Den gestrigen Tag wollen wir zum Schluß noch hierher malen, denn er war schön. Wir gingen mit einem irreführenden Wegweiser durch eine Talschlucht einen Fluß entlang, den man die Wisper nennt, wahrscheinlich wegen dem Rauschen des Wassers, das über laute platte Felssteine sich windet und in den Lücken schäumt und flüstert. Auf beiden Seiten gehen hohe Felsen her, auf denen zerfallene Burgen stehen, mit alten Eichen umwachsen. Das Tal wird endlich so enge, daß man genötigt ist, im Fluß zu gehen. Da kann man nicht besser tun, als barfuß und etwas hochgeschürzt von Stein zu Stein zu springen, bald hüben, bald drüben am Ufer sich forthelfen. Es wird immer enger und enger hoch über uns; die Felsen und Berge umklammern sich endlich; die Sonne kann nur noch die Hälfte der Berge beleuchten; die schwarzen Schlagschatten der übergebogenen Felsstücke durchschneiden ihre Strahlen; aus der Wisper, die kein ganz unbedeutender Fluß ist – sie rauscht mit ziemlicher Gewalt – stehen erhöhte Felsplatten wie harte, kalte Heiligenbetten hervor. Ich legte mich auf eins, um ein wenig auszuruhen; ich lag mit dem glühenden Gesicht auf dem feuchten Stein; das stürzende Wasser beregnete mich fein, die Sonnenstrahlen kamen sans rime et raison quer durch die Felsschichten, um mich und mein Bett zu vergolden; über mir war Finsternis; meinen Strohhut, den ich schon längst mit Naturmerkwürdigkeiten angefüllt hatte, ließ ich schwimmen, um die Wurzeln der Pflanzen zu tränken; – wie wir weiterkamen, drängten die Berge sich nesterweise aneinander, die nur dann und wann von schroffen Felsen geschieden wurden. Ich wär gar zu gern hinaufgeklettert, um zu sehen, wo man war; es war zu schroff, die Zeit erlaubte es nicht, dem gescheuten Wegweiser waren alle Sorgen auf dem Gesichte gemalt; er versicherte jedoch, daß er keine im Herzen hege; es wurde kühl in unserer engen Schlucht; so kühl war mir's auch innerlich; wir trippelten immer vorwärts.

Das Ziel unserer Reise war ein Sauerbrunnen hinter Weißenthurn, der in einer wüsten Wildnis liegt. Wir hatten alle Umwege der Wisper gemacht; der kluge Wegweiser dachte, wenn wir uns von der nicht entfernten, müßten wir endlich das Ziel erreichen, da die Wisper an dem Brunnen vorüberführt, und so hatte er uns auf einen Weg geführt, der wohl selten von Menschen betreten wird. Da wir dort ankamen, erleichterte er seine[154] Brust durch ein Heer von Seufzern. Ich glaub, der fürchtete sich nicht allein vor dem Teufel, sondern vor Gott und allen Heiligen, daß sie ihn würden zur Rechenschaft ziehen, weil er uns ins Verderben gestürzt habe; – kaum waren wir angekommen, so schlug die Kuckucksuhr in der einsamen Hütte bei dem Brunnen und mahnte an den Rückweg. Es war acht Uhr! Zu essen war nichts, auch kein Brot, nur Salat mit Salz ohne Essig und Öl. Eine Frau mit zwei Kindern wohnte da; ich frug, von was sie lebe; sie deutete mir in die Ferne auf den Backofen, der zwischen vier majestätische Eichen auf einem freien Platz in voller Glut stand. Ihr kleines Söhnchen schleppte eben ein Reiserbündel hinter sich heran; sein Hemdchen hatte noch Ärmel, die Hinterwand und den Knopf vom Kragenbund, mit dem es befestigt war; vorne war es weggerissen; seine Schwesterpsyche wiegte sich quer über einen Block auf einem langen Backschieber, auf dem als Gegengewicht die zu backenden Brote lagen; ihr Gewand bestand auch aus einem Hemd und aus einer Schürze, die sie um den Kopf befestigt hatte, um die Haare vor dem Verbrennen zu bewahren, wenn sie in den Ofen guckte und die Reiser anlegte. Wir gaben der Frau ein Geldstück; sie frug wieviel es wär; da sahen wir, daß es nicht in unserer Macht war, sie zu beschenken, denn sie war zufrieden und wußte nicht, daß man mehr brauchen könne, als man bedürfe.

Ich marschierte also wieder links um, ohne auszuruhen, und kam nachts um ein Uhr zu Hause an; in allem war ich zwölf Stunden unterwegs gewesen und durchaus nicht ermüdet. Ich stieg in ein Bad, das mir bereitet war, und setzte ein Flasche Rheinwein an und ließ es so lange herunterglucken, bis ich den Boden sah. Die Zofe schrie und dachte, es könne mir schaden im heißen Bad, allein ich ließ mir nicht wehren; sie mußte mich ins Bett tragen; ich schlief sanft, bis ich am Morgen durch ein wohlbekanntes Krähen und Nachahmen eines ganzen Hühnerhofs vor meiner Tür geweckt wurde.

Du schreibst: meine Briefe versetzen Dich in eine bekannte Gegend, in der Du Dich heimatlich fühlst; versetzen sie Dich denn auch zu mir? – Siehst Du mich in Gedanken, wie ich mit langem Hakenstock auf die Berge klettere, und siehst Du in mein Herz, wo Du Dich von Angesicht zu Angesicht erblicken kannst? Diese Gegend möcht ich Dir doch am alleranschaulichsten machen!

Noch acht Wochen werd ich wohl in allerlei Gegenden herumstreifen, im Oktober mit Savigny erst auf ein paar Monate nach München und dann nach Landshut gehen, wenn es der Himmel nicht anders fügt. –

Ich bitte Dich, wenn Du Dich meiner mit der Feder erbarmen solltest, um zu »strafen oder zu lohnen«, so adressiere gleich nach Schlangenbad über Wiesbaden; ich werde drei Wochen dort bleiben. Schickst Du den Brief an die Mutter, so wartet sie auf eine Gelegenheit; und ich will lieber einen Brief ohne Datum, als daß ich am Datum erkennen muß, daß er mir vierzehn Tage vorenthalten ist.[155]

Der Mutter schreib ich alles, was unglaublich ist; obschon sie weiß, was sie davon zu halten hat, so hat es doch ihren Beifall, und fordert mich auf, ihr immer noch mehr dergleichen mitzuteilen; sie nennt dies »meiner Phantasie Luft machen«.

Bettine

An Bettine

Karlsbad, am 21. August


Es ist noch die Frage, liebste Bettine, ob man Dich mehr wunderlich oder wunderbar nennen kann; besinnen darf man sich auch nicht; man denkt endlich nur darauf, wie man sich gegen die reißende Flut Deiner Gedanken sicher zu stellen habe; laß Dir daher genügen, wenn ich nicht ausführlich Deine Klagen, Deine Forderungen, Fragen und Beschuldigungen beschwichtige, befriedige, beantworte und ablehne; im ganzen aber Dir herzlich danke, daß Du mich wieder so reichlich beschenkt hast.

Mit dem Primas hast Du Deine Sache klug und artig gemacht. Ich habe schon ein eigenhändiges Schreiben von ihm, worin er mir alles zusichert, was Du so anmutig von ihm erbettelt hast, und mir andeutet, daß ich Dir alles allein zu verdanken habe, und mir noch viel Artiges von Dir schreibt, was Du in Deinem ausführlichen Bericht vergessen zu haben scheinst.

Wenn wir also Krieg miteinander führen wollten, so hätten wir wohl gleiche Truppen; Du die berühmte Frau, und ich den liebenswürdigen Fürsten voll Güte gegen mich und Dich. – Beiden wollen wir die Ehre und den Dank nicht versagen, die sie so reichlich um uns verdienen, aber beiden wollen wir auch den Zutritt verweigern, wo sie nicht hingehören, sondern nur störend sein würden, nämlich zwischen das erfreulichste Vertrauen Deiner Liebe und meiner warmen Aufnahme derselben. – Wenn ich auch Deine Antagonistin in der Weltweisheit in einer nur zufälligen Korrespondenz amie nenne, so greife ich damit keineswegs in die Rechte ein, die Du mit erobernder Eigenmacht schon an Dich gerissen hast. Ich bekenne Dir indessen, daß es mir geht wie dem Primas: Du bist mir ein liebes, freundliches Kind, das ich nicht verlieren möchte, und durch welches ein großer Teil des ersprießlichsten Segens mir zufließt. Du bist mir ein freundliches Licht, das den Abend meines Lebens behaglich erleuchtet, und da gebe ich Dir, um doch zustande zu kommen mit allen Klagen, zum letzten Schluß beikommendes Rätsel; an dem magst Du Dich zufrieden raten.

Goethe

Charade

Zwei Worte sind es, kurz, bequem zu sagen,

Die wir so oft mit holder Freude nennen,

Doch keineswegs die Wesen deutlich kennen,

Wovon sie eigentlich den Stempel tragen.[156]

Es tut gar wohl, an schön beschloßnen Tagen

Eins an dem andern kecklich zu verbrennen,

Und kann man sie vereint zusammen nennen,

So drückt man aus ein seliges Behagen.

Nun aber such ich ihnen zu gefallen

Und bitte mit sich selbst mich zu beglücken;

Ich hoffe still; doch hoff ich's zu erlangen:

Als Namen der Geliebten sie zu lallen,

In Einem Bild sie beide zu erblicken,

In Einem Wesen beide zu umfangen.


Es findet sich noch Platz und auch noch Zeit, der guten Mutter Verteidigung hier zu übernehmen; ihr solltest Du nicht verargen, daß sie mein Interesse an dem Kinde, was noch mit der Puppe spielt, heraushebt, da Du es wirklich noch so artig kannst, daß Du selbst die Mutter noch dazu verführst, die ein wahres Ergötzen dran hat, mir die Hochzeitfeier Deiner Puppe mit dem kleinen Frankfurter Ratsherrn schriftlich anzuzeigen, der mir in seiner Allongeperücke, Schnabelschuhen und Halsschmuck von feinen Perlen im kleinen Plüschsessel noch gar wohl erinnerlich ist. Er war die Augenweide unserer Kinderjahre, und wir durften ihn nur mit geheiligten Händen anfassen. Bewahre doch alles sorgfältig, was Dir die Mutter bei diesen Gelegenheiten aus meiner und der Schwester Kindheit mitteilt; es kann mir mit der Zeit wichtig werden.

Dein Kapitel über die Blumen würde wohl schwerlich Eingang finden bei den Weltweisen wie bei mir; denn obschon Dein musikalisches Evangelium etwas hierdurch geschmälert ist (was ich doch ja nicht zu versäumen bitte im nächsten, recht bald zu erwartenden Brief), so ist es mir dadurch ersetzt, daß meine frühsten Kinderjahre sich mir auf eine liebliche Weise darin abspiegeln, denn auch mir erschienen die Geheimnisse der Flora als ein unmöglicher Zauber.

Die Geschichte des Myrtenbaums und der Nonne erregt warmen Anteil; möge er vor Frost und Schaden bewahrt bleiben! Aus voller Überzeugung stimme ich mit Dir ein, daß die Liebe nicht süßer gepflegt kann werden als dieser Baum, und keine zärtliche Pflege reichlicher belohnt, als durch eine solche Blüte.

Auch Deine Pilgrimschaft im rauschenden Fluß mit der allerliebsten Vignette der beiden Kinder gibt ein ergötzliches Bild und Deinen Rheinabenteuern einen anmutig abrundenden Schluß.

Bleib mir nun auch hübsch bei der Stange und gehe nicht zu sehr ins Blaue; ich fürchte so, daß die Zerstreuungen eines besuchten Badeorts Deine idealen Eingebungen auf dem einsamen Rochus verdrängen werden; ich muß mich darauf gefaßt machen, wie auch auf noch manches andere, was Dir im Köpfchen und Herzen spuken mag.

Ein bißchen mehr Ordnung in Deinen Ansichten könnte uns beiden von[157] Nutzen sein; so hast Du Deine Gedanken, wie köstliche Perlen, nicht alle gleich geschliffen, auf losem Faden gereiht, der leicht zerreißt, wo sie denn in alle Ecken rollen können und manche sich verliert. –

Doch sage ich Dir Dank und dem lieben Rhein ein herzliches Lebewohl, von dem Du mir so manches Schöne hast zukommen lassen. Bleibe Dir's fest und sicher, daß ich gern ergreife, was Du mir reichst, und daß so das Band zwischen uns sich nicht leicht lösen wird.

Goethe


Rochusberg


Ich hatte mir's vorgenommen, noch einmal hier heraufzugehen, wo ich in Gedanken so glückliche Stunden mit Dir verlebt habe, und vom Rhein Abschied zu nehmen, der in alle Empfindungen eingeht und der größer, feuriger, kühner, lustiger und überirdischer als alle ist; – ich komme um fünf Uhr nachmittags hier oben an; finde alles im friedlichen Sonnenlicht, die Bienen angesiedelt, von der Nordseite geschützt durch die Mauer; Beichtstuhl und Altar stehen gegen Morgen. Meine Pflanzen hab ich alle eingesetzt mit Hilfe des Schiffsjungen, der sie mir heraufbringen half; die Rebe im Topf, welche schon an sechs Fuß hoch ist und voll Trauben hängt, hab ich am Altar zwischen eine gebrochne Steinplatte gesetzt; den Topf hab ich zerschlagen und die Scherben leise abgenommen, damit die Erde hübsch an den Wurzeln bleibt; es ist eine Muskatellerart, die sehr feine Blätter hat; dann hab ich ihn am Kreuz auf dem Altar festgebunden; die Trauben hängen grade über den Christusleib; – wenn er schön einwächst und gedeiht, da werden sich die Menschen wundern, die hier oben herkommen; des Schäfers Bienen im Beichtstuhl mit dem Geißblatt, das ihn umzieht, und das Kreuz mit Trauben. Ach, so viele Menschen haben große Paläste und prächtige Gärten; – ich möchte nur diese einsame Rochuskapelle haben und daß alles so schön fortwüchse, wie ich's eingepflanzt habe; – vom Berg hab ich mit den Scherben die Erde losgegraben und an die Rebe gelegt, und zweimal hab ich unten am Rhein den Krug gefüllt, um ihn zu begießen; es ist wohl zum letztenmal, daß er Rheinwasser trinkt. – Jetzt, nach beendigtem Werk, sitz ich hier im Beichtstuhl und schreib an Dich; die Bienen kommen alle hintereinander heim; sie sind schon ganz eingewohnt; – könnt ich einziehen in Dein Herz mit jedem Gedanken, so gefühlig, so süß summend wie diese Bienen, beladen mit Honig und Blumenstaub, den ich von allen Feldern zusammentrage, und alles heimbringe zu Dir – nicht wahr? –


Am 13. August


»Alles hat seine Zeit!« sprech ich mit dem Weisen, ich habe die Reben ihre Blätter entfalten sehen; ihre Blüte hat mich betäubt und trunken gemacht; nun sie Laub haben und Früchte, muß ich Dich verlassen, du stiller,[158] stiller Rhein! Noch gestern Abend war alles so herrlich; aus der dunklen Mitternacht trat mir eine große Welt entgegen. Als ich von meinem Bett aufstand in die kühle Nachtluft am Fenster, da war der Mond schon eine halbe Stunde aufgegangen und hatte die Wolken alle unter sich getrieben; er warf einen fruchtbaren Schein über die Weinberge; – ich nahm das volle Laub des Weinstocks, der an meinem Fenster hinaufwächst, in Arm und nahm Abschied von ihm; keinem Lebendigen hätte ich den Augenblick dieser Liebe gegönnt; wär ich bei Dir gewesen, – ich hätte geschmeichelt, gebeten und geküßt.


Schlangenbad, 17. August


Nur das sei mir gegönnt! – Und ach, es wird mir nicht leicht, es auszusprechen, was ich will, wenn mich manchmal der Atem drückt, daß ich laut schreien möchte.

Es überfliegt mich zuweilen in diesen engbegrenzten Gegenden, wo die Berge übereinander klettern und den Nebel tragen und in den tiefen kühlen Tälern die Einsamkeit gefangen halten, ein Jauchzen, das wie ein Blitz durch mich fährt. – Nun ja! – Das sei mir gegönnt: daß ich dann mich an einen Freund schließe, – er sei noch so fern, – daß er mir freundlich die Hand aufs klopfende Herz lege und sich seiner Jugend erinnere. – O wohl mir, daß ich Dich gesehen hab! Jetzt weiß ich doch, wenn ich suche und kein Platz mir genügt zum Ausruhen, wo ich zu Haus bin und wem ich angehöre.

Etwas weißt Du noch nicht, was mir eine liebe Erinnerung ist, obschon sie seltsam scheint. – Als ich Dich noch nie gesehen hatte und mich die Sehnsucht zu Deiner Mutter trieb, um alles von Dir zu erforschen, – Gott, wie oft hab ich auf meinem Schemel hinter ihr auf die Brust geschlagen, um meine Ungeduld zu dämpfen. – Nun: – wenn ich da nach Hause kam, so sank ich oft mitten im Spielen von Scherz und Witz zusammen; sah mein Bild vor dem Deinen stehen, sah Dich mir nah kommen, und wie Du freundlich warst auf verschiedene Weise und gütig, bis mir die Augen vor freudigem Schmerz übergingen.

So hab ich Dich durchgefühlt, daß mich das stille Bewußtsein einer innerlichen Glückseligkeit vielleicht manche stürmische Zeit meines Gemüts über den Wellen erhalten hat. – Damals weckte mich oft dieses Bewußtsein aus dem tiefen Schlaf; ich verpraßte denn ein paar Stunden mit selbsterschaffnen Träumen und hatte am End, was man nennt, eine unruhige Nacht zugebracht; ich war blaß geworden und mager; ungeduldig, ja selbst hart, wenn eins von den Geschwistern zur Unzeit mich zu einer Zerstreuung reizen wollte; dachte oft, daß, wenn ich Dich jemals selbst sehen sollte, was mir unmöglich schien, so würde ich vielleicht viele Nächte ganz schlaflos sein. – Da mir nun endlich die Gewißheit ward, fühlte ich eine Unruhe, die mir beinah unerträglich war. – In Berlin, wo ich zum erstenmal eine Oper von Gluck hörte (Musik fesselt mich sonst so, daß ich mich von allem[159] losmachen kann), wenn da die Pauken schlugen, – lache nur nicht – schlug mein Herz heftig mit; ich fühlte Dich im Triumph einziehen; es war mir festlich wie dem Volk, das dem geliebten Fürsten entgegenzieht, und ich dachte: in wenig Tagen wird alles, was Dich so von außen ergreift, in Dir selber erwachen! – Aber da ich nun endlich, endlich bei Dir war: – Traum, jetzt noch, – wunderbarer Traum, – da kam mein Kopf auf Deiner Schulter zu ruhen, da schlief ich ein paar Minuten nach vier bis fünf schlaflosen Nächten zum erstenmal.

Siehst Du, siehst Du! – Da soll ich mich hüten vor Lieb, und hat mir nie sonst Ruhe geglückt; aber in Deinen Armen da kam der lang verscheuchte Schlaf, und ich hatte kein ander Begehren; alles andere, woran ich mich angeklammert hatte und was ich glaubte zu lieben, das war's nicht; – aber soll keiner sich hüten oder sich um sein Schicksal kümmern, wenn er das Rechte liebt; sein Geist ist erfüllt, – was nützt das andere! –


Den 18.


Wenn ich nun auch zu Dir kommen wollte, würde ich den rechten Weg finden? Da so viele nebeneinanderher laufen, so denk ich immer, wenn ich an einem Wegweiser vorübergehe, und bleibe oft stehen und bin traurig, daß er nicht zu Dir führt; und dann eil ich nach Hause und meine, ich hätte Dir viel zu schreiben! – Ach, ihr tiefen, tiefen Gedanken, die ihr mit ihm sprechen wollt, – kommt aus meiner Brust hervor! Aber ich fühl's in allen Adern, ich will Dich nur locken, ich will, ich muß Dich nur sehen.

Wenn man bei der Nacht im Freien geht und hat die Abendseite vor sich: am äußersten Ende des dunkeln Himmels sieht man noch das letzte helle Gewand eines glänzenden Tags langsam abwärts ziehen – so geht mir's bei der Erinnerung an Dich. Wenn die Zeit noch so dunkel und traurig ist, weiß ich doch, wo mein Tag untergegangen ist.


Den 20.


Ich habe selten eine Zeit in meinem Leben so erfüllt gehabt, daß ich sagen könnte, sie sei mir unvermerkt verstrichen; ich fühl nicht, wie andere Menschen, die sich amüsieren, wenn ihnen die Zeit schnell vergeht; im Gegenteil, es ist mir der Tag verhaßt, der mir vergangen ist, ich weiß nicht wie. Von jedem Augenblick bleibe mir eine Erinnerung tief oder lustig, freudig oder schmerzlich, – ich wehre mich gegen sonst nichts als nur gegen nichts. Gegen dies Nichts, das einen beinah überall erstickt!


Den 22.


Vorgestern war ein herrlicher Abend und Nacht; ganz mit dem glänzenden frischen Schmelz der lebhaftesten Farben und Begebenheiten, wie sie nur in Romanen gemalt sind, so ungestört; der Himmel war besäet mit unzähligen Sternen, die wie blitzende Diamanten durch das dichte Laub der blühenden Linden funkelten; die Terrassen, welche an dem Berg hinaufgebaut[160] sind, an dessen Fuß die großen Badehäuser liegen (die einzigen im engen Tal), haben etwas sehr Festliches und Ruhiges durch die Regelmäßigkeit ihrer Hecken, die auf jeder Terrasse ein Boskett von Linden und Nußbäumen umgeben; die vielen Quellen und Brunnen, die man unter sich rauschen hört, machen es nun gar reizend. Alle Fenster waren erleuchtet, die Häuser sahen wunderbar belebt unter dem dunklen einsamen Wald des übersteigenden Gebirges hervor. – Die junge Fürstin von Baden saß mit der Gesellschaft auf der untersten Terrasse und trank den Tee; bald hörten wir Waldhörner aus der Ferne; wir glaubten's kaum, so leise, – gleich antwortete es in der Nähe; dann schmetterte es über uns im Gipfel; sie schienen sich gegenseitig zu locken, rückten zusammen, und in milder Entfernung entfalteten sie die Schwingen, als wollten sie himmelwärts steigen, und immer senkten sie sich wieder auf die liebe Erde herab; – das Geplauder der Franzosen verstummte, ein paarmal hörte ich neben mir ausrufen: »Délicieux!« – Ich wendete mich nach dieser Stimme: ein schöner Mann, edle Gestalt und Gesicht, geistreicher Ausdruck, nicht mehr jung, bebändert und besternt; – er kam mit mir ins Gespräch und setzte sich neben mich auf die Bank. Ich bin nun schon gewohnt, für ein Kind angesehen zu werden, und war also nicht verwundert, daß mich der Franzose cher enfant nannte; er nahm meine Hand und fragte, von wem ich den Ring habe? – Ich sagte: »Von Goethe«. »Comment de Goethe? – Je le connais«; und nun erzählte er mir, daß er nach der Schlacht bei Jena mehrere Tage bei Dir zugebracht habe, und Du habest ihm einen Knopf von seiner Uniform abgeschnitten, um ihn als Andenken in Deiner Münzsammlung zu bewahren; ich sagte: und mir habest Du den Ring zum Andenken gegeben und mich gebeten, Dich nicht zu vergessen. – »Et cela vous a remué le cœur?« – »Aussi tendrement et aussi passionnement que les sons, qui se font entendre là haut!« Da fragte er: »Et vous n'avez réellement que treize ans?« – Du wirst wohl wissen, wer er ist, ich habe um seinen Namen nicht gefragt.

Sie bliesen so herrlich in den Wald hinein und mir zugleich alle weltliche Gedanken aus dem Kopf; ich schlich mich leise hinauf, so nah als möglich und ließ mir's die Brust durchdröhnen; recht mit Gewalt. – Der Ansatz der Töne war so weich, sie wurden allmählich so mächtig, daß es unwiderstehliche Wollust war, sich ihnen hinzugeben. Da hatte ich allerlei wunderliche Gedanken, die schwerlich bei dem Verstand die Maut passiert hätten; es war, als läg das Geheimnis der Schöpfung mir auf der Zunge. Der Ton, den ich lebendig in mir fühlte, gab mir die Empfindung, wie durch die Macht seiner Stimme Gott alles hervorgerufen, und wie Musik diesen ewigen Willen der Liebe und der Weisheit in jeder Brust wiederholt. – Und ich war beherrscht von Gefühlen, die von der Musik getragen, durchdrungen, vermittelt, verändert, vermischt und gehoben wurden; ich war endlich so in mich versunken, daß selbst die späte Nacht mich nicht vom Platz brachte. Das Hofgeschwirr und die vielen Lichter, von deren Widerschein[161] die Bäume in grünen Flammen brannten, sah ich von oben herab verschwinden; endlich war alles weg; kein Licht brannte mehr in den Häusern; ich war allein in der kühlen himmlischen Ruhe der Nacht; ich dachte an Dich! Ach, hätten wir doch beisammen unter jenen Bäumen gesessen und bei dem Rauschen und Plätschern der Wasser miteinander geschwätzt!


Am 24. August


Immer noch hab ich Dir was zu erzählen; den letzten Abend am Rhein ging ich noch spät ins nächste Dorf mit Begleitung; als ich am Rhein hinschlenderte, sah ich von ferne etwas Flammendes heranschwimmen; es war ein großes Schiff mit Fackeln, die zuweilen das Ufer grell erleuchteten; oft verschwanden die Flammen; minutenlang war alles dunkel; es gab dem Fluß eine magische Wirkung, die sich mir tief einprägte als Abschluß von allem, was ich dort erlebt habe.

Es war Mitternacht, – der Mond stieg trüb auf; das Schiff, dessen Schatten in dem erleuchteten Rhein wie ein Ungeheuer mitsegelte, warf ein grelles Feuer auf die waldige Ingelheimer Aue, an der sie hinsteuerten, hinter welcher sich der Mond so mild bescheiden hervortrug und allmählich sich in die dünne Nebelwolke wie in einen Schleier entwickelte. – Wenn man der Natur ruhig und mit Bedacht zusieht, greift sie immer ins Herz. Was hätte Gott meine Sinne inniger zuwenden können? – Was mich leichter von dem Unbedeutenden, was mich drückt, lösen können? – Ich schäme mich nicht, Dir zu bekennen, daß Dein Bild dabei heftig in meiner Seele aufflammte. Wahr ist's: Du strahlst in mich, wie die Sonne in den Kristall der Traube, und wie diese kochst Du mich immer feuriger, aber auch klarer aus.

Ich hörte nun die Leute auf dem Schiff schon deutlich sprechen und zur Arbeit anrufen; sie ankerten an der Insel, löschten die Fackeln; – nun wurde alles still bis auf den Hund, der bellte, und die Flaggen, die sich in der frischen Nachtluft drehten. – Nun ging auch ich nach Haus zum Schlafen, und wenn Du's erlaubst, so legte ich mich zu Deinen Füßen nieder, und es belohnte mich der Traum mit Liebkosungen von Dir, wenn's nicht Falschheit war.

Wer wollte nicht an Erscheinung glauben! Beglückt mich doch die Erinnerung dieser Träume noch heute! Ja sag: was geht der Wirklichkeit ab? – O ich bin stolz, daß ich von Dir träume; ein guter Geist dient meiner Seele; er führt Dich ein, weil meine Seele Dich ruft; ich soll Deine Züge trinken, weil mich nach ihnen dürstet; ja, es gibt Bitten und Forderungen, die werden erhört.

Nun wehr Dich immer gegen meine Liebe; was kann Dir's helfen? – Wenn ich nur Geist genug habe! – Dem Geist stehen die Geister bei.

Bettine
[162]

Am 30. August


Ich öffne das Siegel wieder, um Dir zu sagen, daß ich Deinen Brief vom 10. seit gestern abend in Händen habe, und habe ihn fleißig studiert. – O Goethe, Du sagst zwar, Du willst keinen Krieg führen, und verlangst Friede, und schlägst doch mit dem Primas wie mit einer Herkuleskeule drein. Mutz mir doch den Primas nicht auf! – Wenn ich's ihm sagte, er spränge Decken hoch und verliebte sich in mich – aber Du bist nicht eifersüchtig. Du bist nur gütig und voll Nachsicht.

Deine Charade hab ich schlaftrunken ans Herz gelegt, aber geraten hab ich sie nicht; – wo hätt ich Besinnung hernehmen sollen? – Mag es sein, was es will, es macht mich selig; ein Kreis liebender Worte, – so unterscheidet man auch nicht Liebkosungen, man genießt sie und weiß, daß sie die Blüten der Liebe sind. – Ach, ich möchte wissen was es ist:


Ich hoffe still; – doch hoff ich's zu erlangen,

Als Namen der Geliebten sie zu lallen.


Was hoffst Du? – sag mir's und wie soll die Geliebte Dir heißen? Welche Bedeutung hat der Name, daß Du mit Entzücken ihn nur zu lallen vermagst? –


In Einem Bild sie beide zu erblicken,

In Einem Wesen beide zu umfangen.


Wer sind die beide? Wer ist mein Nebenbuhler? In welchem Bild soll ich mich spiegeln? – und mit wem soll ich in Deinen Armen verschmelzen? – Ach, wie viele Rätsel in einem verborgen, und wie brennt mir der Kopf; – nein, ich kann es nicht raten; es will nicht gelingen, mich von Deinem Herzen loszureißen und zu spekulieren.


Es tut gar wohl, an schön beschloßnen Tagen

Eins an dem andern kecklich zu verbrennen.

Und kann man sie vereint zusammen nennen,

So drückt man aus ein seliges Behagen.


Das tut Dir wohl, daß ich an Dir verglühe, an schön beschloßnen Tagen, wo ich den Abend in Deiner Nähe zubringe, und mir auch.


Und kann man uns vereint zusammen nennen,

So drückt man aus mein seligstes Behagen.


Du siehst, Freund, wie Du mich hinüberraten läßt in die Ewigkeit; aber das irdische Wort, was der Schlüssel zu allem ist, das kann ich nicht finden.

Aber Deinen Zweck hast Du erlangt, daß ich mich zufrieden raten solle, ich errate daraus meine Rechte, meine Anerkenntnis, meinen Lohn und die Bekräftigung unsers Bundes, und werde jeden Tag Deine Liebe neu erraten, verbrenne mich immer, wenn Du mich zugleich umfangen und spiegeln willst in Deinem Geist und vereint mit mir gern genennt sein willst.[163]

Wenn Dir die Mutter schreibt, so macht sie den Bericht allemal zu ihrem Vorteil, die Geschichte war so. Ein buntes Röckchen, mit Streifen und Blumen durchwirkt, und ein Flormützchen, mit silbernen Blümchen geschmückt, holte sie aus dem großen Tafelschrank und zeigte sie mir als Deinen ersten Anzug, in dem Du in die Kirche und zu den Paten getragen wurdest. Bei dieser Gelegenheit hörte ich die genaue Geschichte Deiner Geburt, die ich gleich aufschrieb. Da fand sich denn auch der kleine Frankfurter Ratsherr mit der Allongeperücke! – Sie war sehr erfreut über diesen Fund und erzählte mir, daß man sie ihnen geschenkt habe, wie ihr Vater Syndikus geworden war. Die Schnallen an den Schuhen sind von Gold, wie auch der Degen und die Perlenquasten am Halsschmuck sind echt; ich hätte den kleinen Kerl gar zu gern gehabt. Sie meinte, er müsse Deinen Nachkommen aufbewahrt bleiben, und so kam's, daß wir ein wenig Komödie mit ihm spielten. Sie erzählte mir dabei viel aus ihrer eignen Jugend, aber nichts von Dir; aber eine Geschichte, die mir ewig wichtig bleiben wird, und gewiß das Schönste, was sie zu erzählen vermag.

Du erfreust Dich an der Geschichte des Myrtenbaums meiner Fritzlarer Nonne, er ist wohl die Geschichte eines jeden feurig liebenden Herzens. Glück ist nicht immer das, was die Liebe nährt, und ich hab mich schon oft gewundert, daß man ihm jedes Opfer bringt, und nicht der Liebe selbst, wodurch allein sie blühen könnte, wie jener Myrtenbaum. Es ist besser, daß man Verzicht auf alles tue, aber die Myrte, die einmal eingepflanzt ist, die soll man nicht entwurzeln – man soll sie pflegen bis ans Ende.

Alles, was Du verlangst, hoff ich Dir noch zu sagen, Du hast recht vermutet, daß mir die Zerstreuung hier viel rauben würde, aber Dein Wille hat Macht über mich, und ich hoffe, er soll Feuer aus dem Geist schlagen. Die Herzogin von Baden ist fort, aber unsre Familie samt anhängenden Freunden ist so groß, daß wir ganz Schlangenbad übervölkern. Adieu, ich schäme mich meines dicken Briefs, in dem viel Unsinn stecken mag. Wenn Du nicht frei Porto hättest, ich schickte ihn nicht ab.

Von der Mutter hab ich die besten Nachrichten.

Bettine[164]

Quelle:
Bettina von Arnim: Werke und Briefe. Bde. 1–5, Band 2, Frechen 1959, S. 63-165.
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