Der Falke

[59] Mündlich.


Wär ich ein wilder Falke,

Ich wollt mich schwingen auf,

Und wollt mich niederlassen

Vor meines Grafen Haus.


Und wollt mit starken Flügel,

Da schlagen an Liebchens Thür,

Daß springen sollt der Riegel,

Mein Liebchen trät herfür.


»Hörst du die Schlüssel klingen,

Dein Mutter ist nicht weit,[59]

So zieh mit mir von hinnen

Wohl über die Heide breit.«


Und wollt in ihrem Nacken

Die goldnen Flechten schön

Mit wilden Schnabel packen,

Sie tragen zu dieser Höhn.


Ja wohl zu dieser Höhen,

Hier wär ein schönes Nest,

Wie ist mir doch geschehen,

Daß ich gesetzet fest.


Ja trüg ich sie im Fluge,

Mich schöß der Graf nicht todt,

Sein Töchterlein zum Fluche,

Das fiele sich ja todt.


So aber sind die Schwingen

Mir allesamt gelähmt,

Wie hell ich ihr auch singe,

Mein Liebchen sich doch schämt.


Quelle:
Achim von Arnim und Clemens Brentano: Des Knaben Wunderhorn. Band 1, Stuttgart u.a. 1979, S. 59-60.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Des Knaben Wunderhorn
Ludwig Achim's von Arnim sämtliche Werke: Band XVII. Des Knaben Wunderhorn. Alte deutsche Lieder, gesammelt von L. A. v. Arnim und Clemens Brentano. Band 3
Sämmtliche Werke, Neue Ausgabe. Herausgegeben von Bettina von Arnim und Wilhelm Grimm. Band 06: Des Knaben Wunderhorn I und II. - Reprint der Ausgabe von 1857
Des Knaben Wunderhorn Band 2
Des Knaben Wunderhorn. Alte deutsche Lieder, gesammelt von L.A.v. Arnim und Cl. Brentano. Neu bearbeitet von Anton Birlinger und Wilhelm Crecelius; ... in Holz geschnitten von C.G. Specht: Band. 1
Ludwig Achim's Von Arnim Sämmtliche Werke: Des Knaben Wunderhorn. T. 3 (German Edition)