Unseliger Kreislauf

[90] Wohl täglich will erscheinen

Die schöne Morgenröth,

Den Thau muß nieder weinen,

Die weis bekleidet geht,

Luna ist sie genannt;

Schneeweis thut sie uns leuchten,

Macht uns den Tag bekannt.


Und über ihr in Wonne

Phöbus mit Gold bekleidt,

Das ist die Liebessonne,

Die alle Welt erfreut;

Jedoch ihr klarer Schein

Soll mich nicht gar abwenden,

Wohl von dem Trauren mein.


Hört auf ihr Sturmwind alle,

Die wehn vom Himmelsschild,

Mir ist in Sinn gefallen

Ein adeliches Bild;

Höflich und tugendreich,

Selbst Absalon muß weichen,

An Schönheit ihm nichts gleich.


Orpheus, der konnte zwingen

die wilde Thier im Wald,

Sein Harfen und sein Singen

Lockt sie zusammen bald;

Das Wild in Fels und Stein[90]

Hört wohl das tiefe Klagen

Und große Trauren mein.


Süß Orpheus' Saiten hallen,

Und bitter meine Stimm

In armer Lieb muß schallen;

O Venus, laß den Grimm,

Durch Lieb des Buhlen dein,

Send meinem kranken Herzen

Doch bald der Hülfe Schein.


In mir hört man stets schlagen

Ein unruhige Uhr,

Und jeder Schlag will klagen

Um spröde Schönheit nur;

Hoffnung die Uhr zieht auf,

So geht sie ewig, ewig

Den schmerzlich bittern Lauf.


Es rennen alle Bronnen

Zusammen in das Meer,

Und sind sie hingeronnen,

So kehren sie daher;

So auch die Seufzer mein

Ziehn aus betrübtem Herzen,

Und kehren wieder drein.


Und sterbend schon in Leiden,

Bitt ich dich auch allein,

Du wollst mein Herz ausschneiden,

Und legen in einen Stein;

Damit anzeig ich blos,

Daß dich ein Stein gebohren,

Und nicht des Weibes Schoos.[91]


Für's andre lasse bauen

Ein Gitter ob dem Stein,

Daß jeder könne schauen

Das elend Herze mein;

Dem Amor vor der Zeit

Durch Lieb und heimlich Leiden

Genommen all sein Freud.


Zum dritten ich begehre

Begleite mich ins Grab,

Ein Kränzlein mir verehre,

Von bitterm Kraut Schabab;

Leb wohl dies Kraut bedeut,

Drum wird es auch wohl billig

An meinen Leib gestreut.


Zulezt ich noch begehre,

Daß du mir trauren sollt,

In Veilbraun mir zur Ehre,

Der Farbe war ich hold;

Trug sie im Leben mein,

Veilbraun will nichts bedeuten,

Als Lieb und heimlich Pein.


Quelle:
Achim von Arnim und Clemens Brentano: Des Knaben Wunderhorn. Band 3, Stuttgart u.a. 1979, S. 90-92.
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