III

[30] In einem kleinen, aber höchst geschmackvoll eingerichteten Boudoir im zweiten Stocke eines der elegantesten Häuser der »Wallzeile« finden wir unsere beiden Freundinnen, Alice und Lydia wieder. Während diese, in nachlässiger Stellung in einen Polsterstuhl gelehnt, mit der Linken auf den Tasten eines Kisting'schen Flügels umherphantasirte und sich in die Aufsuchung der melancholischsten Mollübergänge zu vertiefen schien – ging Alice, die Hände über die Brust gekreuzt und gesenkten Hauptes mit raschen, aber durch die elastische Weichheit des Teppichs bis zur Unhörbarkeit gedämpften Schritten das Zimmer auf und nieder. Es war Abend, aber der[30] herrliche Vollmond, welcher bereits die Thurmspitzen der über die jenseitige Häuserreihe hinausragenden Stephanskirche versilberte, hatte das Azur des unbewölkten Abendhimmels mit einem so intensiven Lichtglanz getränkt, daß der Reflex desselben das Zimmer hinlänglich erhellte. Mochten es die abgebrochenen tiefschwermüthigen Accorde sein, welche Lydia den Saiten des Instruments entlockte – oder waren es vielleicht die wunderbaren Tinten, welche das falbe Mondlicht in das Zimmer warf, oder war die Spannung, worin Alice durch das bevorstehende Gespräch versetzt wurde, davon Ursache: sie befand sich in einer sonderbaren, an Unruhe grenzenden Aufregung.

Die Töne des Instruments klangen immer sanfter und schienen sich aus mannichfachen Verschlingungen endlich in eine wohlthuende Harmonie auflösen zu wollen, als sie plötzlich in einem schreienden Disaccord, der das ganze Instrument erzittern machte, schlossen. – Mit einem Schrei des Entsetzens war Lydia aufgesprungen und stand[31] nun unbeweglich mit geisterhaftbleichem Gesichte da, die starren Augen auf die rothseidenen Vorhänge des Alkovens gerichtet, die in diesem Augenblicke, gerade vom vollen Mondenlichte bestrahlt, sich zu bewegen schienen. Alice hatte sich erschreckt umgewandt: Was ist's? Was hast du, Lydia? – fragte sie.

Lydia antwortete nicht. Alice trat auf sie zu und legte die Hand auf ihre eiskalte Stirn: da hob sich die Brust der Unglücklichen in einem tiefen Seufzer: aus ihren Augen perlten zwei große Thränen nieder und ihr Kopf senkte sich in die Hand der Freundin.

– Du bist nicht wohl, mein Kind – sagte Alice liebevoll – Du solltest Dich zur Ruhe legen. Lydia schüttelte den Kopf. Sie schlug ihre Augen, in denen eine verzehrende tiefe Schwärmerei glänzte, zum Himmel auf, machte sich sanft von der Umarmung der Freundin los und verließ langsam das Zimmer.

– Sie wird wieder beten gehen – murmelte Alice.[32]

In diesem Augenblicke klopfte es an die Thür.

– Endlich – sagte Alice für sich – als der Pater Angelikus mit leisem Tritte die Schwelle überschritt, offenbar verwundert über die Dämmerung, welche im Zimmer herrschte.

– Sie sind allein – fragte er, vorsichtig sich im Zimmer umschauend.

Alice schellte. Ein Diener brachte Lichter und verließ lautlos, wie er gekommen, das Zimmer.

– Mein armer, frommer Freund – sagte sie, ohne die Frage des Paters zu berücksichtigen, mit ihrer gewohnten liebenswürdigen Ironie, deren Bitterkeit sie durch die sentimentale Weichheit des Tones zu lindern wußte –

– Weshalb bedauern Sie mich? – antwortete, einen mißtrauischen Blick auf das Gesicht Alicens heftend, der Pater.

– Sie sind ein schlechter Menschenkenner, Angelikus, und, was die Folge davon ist, ein noch schlechterer Seelenarzt. Sie glaubten das arme Kind heilen zu können durch den Glauben an die alleinseligmachende Kirche, nicht wahr?[33]

– Nun?

– Nun, ob sie Glauben hat, weiß ich nicht; aber daß Sie ihr eine tüchtige Portion Aberglauben eingeflößt haben, so daß sie jetzt im Schooße ihrer alleinseligmachenden Kirche Gespenster sieht, das weiß ich.

Der Pater blickte die schöne Frau durchdringend scharf an. – – Darauf schüttelte er mit einem Anflug von Hohn den Kopf und erwiederte: Ich könnte Ihnen den Vorwurf zurückgeben. Aber ich will Sie nur fragen: wie, wenn ich das, was Sie mir erzählen, nun gerade vorausgesehen und gewollt hätte? – –

– Sie mögen Recht haben, Pater. – Indessen kann ich Ihnen die Furcht nicht verhehlen, daß der Einfluß, den Sie auf die Schwärmerin gewinnen, den meinigen mit der Zeit paralysiren möchte; und das – werden Sie begreifen – kann wenigstens nicht mein Zweck sein. –

Jetzt war die Reihe an Alice, einen forschenden Blick auf die kalten Züge des Paters zu werfen. – Jener lächelte – Sie thun sich selber Unrecht,[34] Alice, wenn sie ihren Einfluß so gering anschlagen. – Indessen – fuhr er rasch fort, um das Ausweichende in seiner Antwort zu verstecken – da zu hoffen steht, daß wir stets gemeinsam handeln werden, so sind Ihre wie meine Befürchtungen in dieser Rücksicht wohl nutzlos.

Alice hielt es für klug, nicht weiter zu gehen und brach daher ab. Denn so viel ihr daran gelegen sein mußte, einen Blick in die Pläne des Paters zu thun, so war sie einerseits doch ihrer Herrschaft über Lydia gewiß, oder – wenn sie es nicht war – so durfte sie ihre Besorgniß deswegen nicht allzusehr durchblicken lassen.

In diesem Augenblicke warf die große Glocke des Stephansthurms ihre volle Töne über die Stadt hin.

– Es ist Zeit – sagte Alice, einen flüchtigen Blick auf das Zifferblatt einer prächtigen Alabasteruhr werfend, welche auf der vergoldeten Console über dem Sopha stand. Die Zeiger wiesen auf 20 Minuten nach 2 Uhr. Der Pater, dem[35] keine Bewegung Alicens entging, folgte ihrem Blicke und bemerkte, daß sie aufgezogen werden müsse.

– Lassen Sie – sagte Alice – die Kette ist gesprungen. Doch jetzt kommen Sie – fuhr sie fort, indem sie den rothseidenen Vorhang vor dem Alkoven zurückschlug. Er war leer und in seinem Fond eine offene Tapetenthür. Pater Angelikus trat hinein und blickte, als er die Tapetenthür öffnete, eine schmale und sehr steile Treppe hinab. Er zauderte einen Moment und blickte fragend rückwärts.

– Sie gelangen, für den Fall, daß man uns überraschte, hier auf dem kürzesten Wege in die Seitenstraße. Haben Sie Mißtrauen gegen mich, so will ich mit dem Lichte Ihnen vorangehen.

– Es bedarf dessen nicht – erwiederte Angelikus kurz, indem er seine Hand an die Brusttasche steckte und mit der andern die Tapetenthür von Innen verriegelte.

In diesem Augenblicke hörte man das Klirren eines Säbels auf dem Korridor.[36]

Alice zog rasch die Vorhänge des Alkovens zu und rief auf ein hastiges Klopfen an die Thür ein unbefangenes und lautes: Herein!

Fürst Felix Lizinsky war wie männiglich bekannt, ein schöner, liebenswürdiger und kluger Mann. Mehr als alle diese Eigenschaften charakterisirte ihn – wie ein ebenfalls liebenswürdiger und kluger Mann sich ausdrücken würde, der überdies mit ihm in manchen andern Dingen viel Aehnlichkeit besitzt – eine


»selbst in ihrer Uebertreibung noch anmuthige Ritterlichkeit«


oder vielmehr chevalereske Schwärmerei, die, um ihn zum modernen Donquichote zu machen, nur Zweierlei entbehrte, Tiefe und Wahrheit. Lizinsky wird nie eine historische Person werden, nicht weil er für die Geschichte zu früh gestorben, sondern weil er dafür zu leben nie angefangen. Zu leben aber hat er nie angefangen, weil Er nur für sich und seine Eitelkeit gelebt. – Sein Gott war der Schein, der anmuthige Schein, der nach Triumph lüsterne und des Sieges sichere Schein.[37] Den Schein betete er an, weil er sich selbst anbetete, denn er war vor Allem eitel. Die Eitelkeit, die mit sich selbst liebäugelnde Anmuth ist der erste Grundzug seines Charakters. – Diese Eitelkeit des Scheins, der sich selbst und nur sich selbst genießen will, machen ihn frivol. Frivolität ist der zweite Grundzug seines Charakters.

Als er hereintrat, fiel ein erster Blick auf die in ruhiger Haltung auf dem Sopha sitzende und scheinbar in die Lektüre einiger Briefe vertiefte Alice, und dieser Blick schien zu sagen: Sieh', bin ich nicht schön? – In der That, er war schön, schön wie ein Adonis würden wir sagen, wäre dieser Vergleich nicht abgenützt, und hielten wir es nicht für lächerlich, einen Adonis in Uniform uns zu denken. Des Fürsten schlank und wohlgebauter Körper war bekleidet mit der einfachen, doch reichen Uniform eines spanischen Generals. Sein volles dunkelblondes Haar streichelnd, das mit seinen weichen elastischen Wellen die eine Seite der edeln, aber vielleicht nur einige Linien zu niedrigen Stirn bedeckte, trat er an das Sopha heran,[38] küßte mit Grazie die Hand der schönen Frau und sagte statt jeder andern Begrüßung mit einem Blicke auf die Briefe:

– Wir werden also heute Politik treiben, schöne Frau? –

– Was verstehen Sie unter Politik, ritterlicher Fürst? – gegenfragte Alice, indem sie auf die letzten Worte einen ironischen Nachdruck legte, der noch durch ein Lächeln ihrerseits unterstützt wurde.

– Sonderbare Frage!

– Sagen Sie lieber: »Schwierige Frage!« Die Wahrheit ist, daß Jeder etwas Anderes darunter versteht.

– Auch Sie und ich? – der Fürst studirte mit seinen schwarzen großen Augen die Züge Alicens, indem er diese, scheinbar leichthin geworfenen Worte sprach.

– Doch wohl. Beweis dafür ist, daß wir einander unterstützen. Sie werden bei sich denken: um einander zu benutzen. Das gebe ich zu. Allein beweist das nicht für mich?[39]

– Sie meinen? sagte der Fürst, indem er seinen schönen Schnurrbart strich – Hätten wir dieselbe Politik, oder mit andern Worten, verfolgten wir dieselben Zwecke, so würden wir einander weder unterstützen noch vertrauen, selbst nicht um einander zu benutzen. Indessen –

– Fahren Sie fort, Fürst: Indessen –

– Indessen liegt der Unterschied zuweilen nicht sowohl in der Richtung, als in der Länge des Wegs. – Wieder ließ er seinen feurigen und durchdringenden Blick über das bleiche Gesicht Alicens schweifen.

Diese aber wußte wohl, was der Fürst sagen wollte, ja sie hatte sogar eine ziemlich richtige Vorstellung von seinen an's Abentheuerliche streifenden Plänen, sie hütete sich jedoch, ihm zu zeigen, daß sie ebenso schlau als schön sei.

Andrerseits hatte sie dem Gespräch gleich zu Anfang diese Wendung gegeben, um dem lauschenden Pater einen Beweis für das Mißtrauen zu geben, welches in ihrem Verhältniß zum Fürsten[40] ebenfalls eine Rolle spielte. So weit war die Stellung, welche sie augenblicklich zu einander eingenommen, wahr. Freilich aber wußte der gute Angelikus nicht, daß die Rolle, welches dies Mißtrauen bei ihnen spielte, nur eine sehr untergeordnete war, und daß der Grundton ihres Verhältnisses, besonders zu gewissen Stunden, eine schrankenlose Offenherzigkeit – wenn nicht von Alicens so doch von des Fürsten Seite bildete. Mochte es nun der Umstand sein, daß des Fürsten Lieblingspferd gerade heute gestorben, oder hatte ihm Alice eine Andeutung darüber zukommen lassen, daß sie heute wichtige politische Angelegenheiten abzumachen hätten – für das Letztere schien wenigstens seine erste Frage zu sprechen; kurz der Fürst befand sich heute zur großen Genugthuung von Alicen in einer Stimmung, wie sie sie für die gegenwärtige Situation nur wünschen konnte.

– Ich bin überzeugt, theure Baronin – fuhr der Fürst fort – wir können eine lange Strecke miteinander gehen, bis – – – –

– Bis unsere Wege sich trennen?[41]

– Nein, bis der Eine von uns sein Ziel erreicht hat. Der Andere wandert dann allein weiter.

– Eitler Narr – murmelte Alice für sich, indem sie lachte. – Gestehen Sie, Felix – sagte sie laut – daß dies Räthselspiel unendlich albern ist. Sprechen wir vernünftig und deutsch. Ich reise morgen nach Berlin. Haben Sie mir einen Auftrag mitzugeben? Vielleicht an Carolotta, die Göttliche? Oder an die kleine Tänzerin? Wie heißt doch die Himmlische? – Helfen Sie mir, Fürst! Mein Gott, was sind Sie heute unbehülflich! Ich kenne Sie gar nicht wieder.

– Sie reisen morgen wirklich nach Berlin? – fragte der Fürst, welcher sich von seinem Erstaunen theils über die unerwartete Nachricht, theils über die plötzlich veränderte Stimmung Alicens noch nicht erholt hatte, indem er vom Stuhle aufsprang. – Oder ist es ein Scherz, Alice? –

– Ein Scherz? Im Gegentheil: Die Angelegenheit, welche mich dorthin führt, ist sehr ernster Natur. – Alice sagte dies in so bestimmten Tone und mit solchem Accent der Wahrheit, daß[42] das ironische Lächeln, welches dabei um ihre feingeschnittenen Lippen schwebte, offenbar eine andere Beziehung hatte, als die, dem Sinn der eigenen Worte zu widersprechen. Lizinsky ging, mit hastigen Schritten im Zimmer auf und ab und warf, wenn er vor Alicens Platz vorüberkam einen bald forschenden, bald unentschlossenen Blick auf sie. Sie ließ ihn ruhig gewähren und blätterte indeß in den vor ihr liegenden Briefen. Endlich blieb er vor ihr stehen und sagte:

– Alice, haben Sie Vertrauen zu mir?

– Wenig.

– Warum?

– Weil Sie nicht offen sind. Nicht, ob ich Vertrauen zu Ihnen hätte, sondern ob Sie mir trauen dürften: das wünschten Sie zu wissen. Also woher der Umweg? Aus Mißtrauen. Können Sie verlangen, daß ich Ihnen mehr vertraue, als Sie zu erwiedern geneigt sein möchten?

Der Fürst biß sich in die Lippen. – Sie sind ein gefährliches Weib, Alice – sagte er seufzend.

– Diese Schmeichelei scheint Ihnen schwer geworden[43] zu sein. Vielleicht weil sie diesmal eine Wahrheit enthält. In der That, ich bin ein gefährliches Weib. Fahren Sie fort.

Der Fürst setzte sich wieder – Alice – begann er mit gedämpfter Stimme – ich habe eine Bitte an Sie. Doch ehe ich sie ausspreche, hören Sie. Sie wissen, was vor 14 Tagen in Paris vorgegangen. Es mag wenige geben, die sich schon mit dem Gedanken befreunden können, daß die französische Republik Bestand habe. Ich gehöre zu diesen Wenigen, ja ich bin sogar der festen Ueberzeugung, daß die französische Revolution des Jahres 1848 keine französische, sondern eine europäische ist, und daß wir großen und ernsten Stürmen entgegengehen: ich meine Deutschland, und vor Allem Oesterreich und Preußen.

Der Fürst schien eine Antwort zu erwarten. Alice aber winkte ihm fortzufahren.

– Ich glaube, daß die Wenigen, von denen ich sprach, und zu denen ich auch Sie rechne – Alice lächelte dankend – auf die kommenden Ereignisse gerüstet sein müssen, ja daß sie die Leitung[44] derselben womöglich in die Hand nehmen müssen. Denn wenn die beiden Mächte, Absolutismus und Volksbewußtsein, einander gegenübertreten, so kann der Kampf nur ein Kampf auf Leben und Tod sein. Wenn, glauben Sie nun wohl, werden wir gewinnen? Wenn der Absolutismus oder wenn das Volksbewußtsein siegt?

– Vielleicht weder in dem einen noch in dem andern Falle, sagte Alice mit Indifferenz.

– Desto schlimmer für uns. Doch aber nur, wenn wir neutral bleiben wie bisher. –

– Oder mit beiden Parteien liebäugeln, wie bisher – persiflirte Alice.

Diese Anspielung auf die Thätigkeit bei dem Landtage, – – verletzte den Fürsten.

Aber Meister in der Schauspielkunst, lächelte er höchst anmuthig zu diesem Stich und sagte in scherzendem Tone:

– Eben darum müssen wir Partei nehmen, schöne Freundin.

– Und welche Partei würden Sr. Durchlaucht der Fürst Felix Lizinsky ergreifen – anticipirte sie[45] ihn – vielleicht die, welche die meisten Chancen auf Erfolg hat.

– Das zu entscheiden ist eben die große Frage. –

– Deren Beantwortung Sie sicherlich nicht von mir erwarten werden.

– Und warum nicht? Denn Sie werden mir gegenüber nicht behaupten wollen, daß Sie weder mit den Mitteln noch mit den Führern der Parteien bekannt genug sind, um den wahrscheinlichen Erfolg voraus bestimmen zu können. – Also warum nicht?

– Vielleicht darum, weil Sie Ihre Ansicht schwerlich nach der meinigen ändern werden.

– Das käme auf den Versuch an – der Fürst legte ein gewisses Gewicht auf diese Worte. Alice schüttelte den Kopf. Sie hatten mir eine Bitte mitzutheilen? Lizinsky runzelte die Stirn und schwieg einige Sekunden.

– Dann sagte er – ich sehe, Sie sind unbezwinglich. So will ich den Anfang des Vertrauens machen. – Sie wissen, daß sich hier in Wien in aller Stille ein revolutionairer Verein gebildet hat.[46] Eben jetzt komme ich aus einer Versammlung, fast die ganze Aula hat sich definitiv erklärt. Aber darin liegt auch die Gefahr. Es sind schon zu viele Mitwisser. Es könnte sich leicht ein Verräther unter ihnen finden.

– Er hat sich bereits gefunden – sagte kalt Alice.

Der Fürst erbleichte. – Woher wissen Sie –? Alice bat ihn fortzufahren. –

– Die Zeit drängt. Die Bewegung beginnt bereits in dem Volke sich durch ein dumpfes Vorgefühl kund zu geben. Der Hof selbst ist noch ruhig, aber die Metternichsche Partei ist schon aufmerksam geworden.

– Durch wen? – fragte Alice mit derselben Kälte, indem sie ihn durchdringend anblickte.

Sie mißhandeln mich, Alice, durch ihr maßloses Mißtrauen. Was solls mit diesen Blicken?

Reden Sie! Wollen Sie mich absichtlich beleidigen? Das müßte, dächte ich, Ihnen schon Ihre Klugheit verbieten.[47]

Alice lachte: Sie haben ein empfindliches Gewissen, theurer Fürst. Ich dachte nur daran, daß die Fürstin Metternich eine schöne Frau ist. –

– Lassen Sie das jetzt – so stehen also die Sachen hier in Wien. Höchstens gebe ich noch eine Woche: dann bricht der Sturm los. Vielleicht, ja wahrscheinlich – denn jeder Anlaß muß benutzt werden – schon früher. Wir sind nun aber der Ueberzeugung, daß es hiebei sein Bewenden nicht haben dürfe. Wien allein macht nur eine österreichische, keine deutsche Revolution. Berlin ist das Herz Deutschlands. Hier müßte eigentlich der erste Schlag fallen, allein das wird nach allen Anzeichen und Nachrichten nicht geschehen. Aber Berlin muß rasch folgen; und – fügte der Fürst leiseren Tones hinzu – es wird folgen.

Auch in Berlin sind alle Vorbereitungen getroffen; das Uebrige aber hängt von der Gestaltung der hiesigen Verhältnisse ab. Heute nun sind diese zum bestimmten Abschluß gekommen. Wollen Sie – dies ist meine Bitte – außer dem,[48] was ich Ihnen eben mündlich mitgetheilt und was ich Ihnen in weiterer Ausführung, besonders in Rücksicht auf den nöthigen Vertheidigungsplan der Stadt, aufgezeichnet, noch einige Briefe an Personen mitnehmen, die theils der einen, theils der andern Partei angehören?

– Gern, doch unter einer Bedingung, nämlich der, daß Sie mir offen sagen, für welche Partei Sie sich schließlich zu erklären die Absicht haben. Denn da ich bereits entschlossen bin, so würde ich mir oder vielmehr meiner Partei möglicherweise durch Uebernahme ihrer Aufträge entgegenarbeiten.

– Ich kann diese Bedingung zwar nicht eingehen, doch glaube ich, werden Sie zufrieden sein, wenn ich Ihnen mein Ehrenwort gebe, daß Ihre Befürchtungen in jedem Falle grundlos sind.

– Also hatte ich vorher doch Recht mit meinen Vermuthungen. Indeß kommen wir zu Ihren Aufträgen.

– Hier ist zunächst der Plan, von dem ich vorhin sprach. Verwahren Sie ihn wohl. Sie[49] übergeben ihn dem Ingenieurofficier Latorp. Sie finden seine vollständige Adresse ebenfalls hier aufgezeichnet. Von ihm werden Sie vielleicht in die nähern Verhältnisse der Berliner Bewegung eingeweiht werden, wenn Sie eine Rolle darin übernehmen wollen. Dann sehen Sie hier ein Packet Briefe, die Sie eigenhändig an die Adresse überreichen müssen. –

Als Alice die Briefe ansah, konnte sie ein lautes Lachen nicht unterdrücken. Es fanden sich darunter auch ein Brief an die Herzogin von Nagas und einer an den Probst Bergmann. Sie warf einen raschen Blick auf die Vorhänge des Alkovens, und zog dann die beiden, ihr von Pater Angelikus übergebenen Briefe aus dem Busen, und hielt sie dem Fürsten vor.

Dieser sprang erschreckt in die Höhe. – Was ist das? – rief er fast drohend aus. In diesem Augenblicke gerieth die eine Seite des Vorhangs in eine zitternde Bewegung. Alice legte den Finger auf den Mund. Der Fürst trat einen[50] Schritt zurück und sagte, indem er die Hand an den Säbel legte, mit zitternder Stimme und bleichen Lippen: Wir sind nicht allein? Zugleich sah er sich in dem Zimmer nach allen Richtungen um und ließ seinen Blick zuletzt auf dem Vorhange ruhen. In dem nächsten Augenblick stürzte er aber auch schon darauf zu und riß ihn mit krampfhafter Hand auseinander. – Er hatte sich getäuscht in seinem Verdacht: der Alkoven war leer.

Alice hatte diese Scene durch ihre eigene Unvorsichtigkeit hervorgerufen und schwebte eine Secunde in wirklicher Angst um den Fürsten, denn sie wußte, daß der Pater stets bewaffnet war. Jetzt aber hatte sie ihren Gleichmuth so völlig wiedergefunden, daß sie vortrefflich die Erstaunte zu spielen im Stande war.

– Nun – sagte sie mit gekränktem Tone – wahrhaftig, Felix, ich weiß nicht, ob ich Ihre Angst lächerlich oder beleidigend finden soll. Sie erzählen mir mit der geheimnißvollsten Miene von der Welt Dinge, die mir längst bekannt sind und[51] gerathen, als ich anfange, Ihr Vertrauen zu erwiedern, außer sich, glauben sich belauscht, verrathen. – Habe ich mich in Ihr Vertrauen einzudrängen gesucht? Jämmerliche Schwachheit der Männer, die nur mit Zittern etwas wagen, und wenn sie es gewagt haben, von Angst und bösem Gewissen gefoltert werden.

– Verzeihen Sie, Alice. – Was Sie mir zeigten, überraschte mich, um so mehr als mir die Handschrift nicht bekannt dünkte. Doch lassen wir das, ich will nicht indiskret sein, empfehle Ihnen jedoch die höchste Vorsicht. Diesen Brief – fuhr er fort, indem er auf die vor ihm liegenden Briefe wies – geben Sie nicht eher ab, als bis Sie den Ausbruch der Revolution in Wien durch die Zeitungen erfahren haben.

Der Prinz – Alice warf in diesem Augenblicke, unbemerkt vom Fürsten, abermals einen raschen Blick auf die Vorhänge, und lächelte, als eine neue Bewegung derselben ihre Vermuthung bestätigte – der Prinz ist in Berlin und wird[52] aller Wahrscheinlichkeit nach die Truppen selbst befehligen wollen. Es ist jedoch nothwendig, daß dies nicht geschieht, weil – möge nun der Ausgang sein, welcher er wolle – er nicht eher in den Conflict gezogen werden darf, bis sein Interesse mit dem des Königs selbst in Conflict geräth. Ich kann Ihnen daher offen sagen, daß dieser Brief bezweckt, den Prinzen zur vollständigsten Neutralität aufzufordern. Er ist datirt vom 16. März, und kann demnach schon – wenn es nöthig ist – am 18. in seine Hände gelegt werden. Nicht wahr, ich bin von Ihnen vollkommen verstanden? –

– Vollkommen.

– Und Sie werden meine Bitte erfüllen?

Alice besann sich eine kurze Zeit. Darauf sagte sie mit festem Tone, indem sie dem Fürsten die Hand reichte: Ja.

– Gut, das wäre abgemacht. Nun kommt der letzte, aber auch der wichtigste und vielleicht für Sie, als Weib, der schwierigste Punkt. Der[53] Fürst machte hier eine Pause, als sei er unschlüssig, in welche Worte er diesen letzten Auftrag kleiden sollte. Endlich sagte er zögernd: Sind Sie im Voigtlande3 bekannt? –

Alice erbleichte und konnte sich einer Bewegung nicht erwehren, die dem Fürsten ein abermaliges Schweigen auferlegte.

Alice erhob sich und sagte rasch, indem sie mit der einen Hand nach der Uhr zeigte, während sie mit der andern dem Fürsten einen Schlüssel überreichte. Verzeihen Sie meine Schwäche, Felix. Ich fühle mich unwohl. Auch bin ich der Ruhe bedürftig, da ich früh Morgens mich schon auf die Reise begeben muß. Leben Sie denn wohl, ich werde Ihre übrigen Aufträge getreulichst erfüllen. –

Der Fürst war bestürzt und schien nicht übel Lust zu einer abermaligen Untersuchung des Alkovens[54] zu haben. Aber der Blick Alicens dominirte ihn. Er steckte den Schlüssel zu sich, prägte sich die auf der Uhr angezeigte Stunde ein und verließ mit hastigen Schritten das Gemach.[55]

3

Das Voigtland ist in Berlin das Stadtviertel, in welchem die Proletarier wohnen.

Quelle:
Louise Aston: Revolution und Contrerevolution. Bde. 1–2, Band 1, Mannheim 1849, S. 30-56.
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