Der Roman
I.

[696] »Nicht ein bißchen haben Sie mich lieb« – flüsterte Karoline ihrem Freunde zu und ließ ein Fädchen Seide aus ihren Fingern schweben – »nicht so viel!« Sie stand von dem Stickrahmen auf, setzte sich auf den entferntesten Stuhl im Zimmer und schmollte. »Wie unartig bist du wieder« – rief ihr die Mutter zu – »und sieh nur, wie du den Obersten verstimmt hast! Wahrhaftig, ihr beide da macht prächtige Gesichter, das sind glänzende Vorbereitungen zu eurer Hochzeit!« – »Hochzeit? ...« entgegnete Karoline und schüttelte bedächtig ihr blondes Köpfchen ... »das will ich noch überlegen; ich kann die Spitzen, die mir der Onkel geschickt, auf jedem andern Ball auch brauchen.« – Die Gräfin lachte. »Ei,[696] du liebe Unschuld, wo hast du denn das gelernt? Du sprichst ja wie eine moralische Erzählung von Marmontel! Sei geschickt, komm her und erkläre mir dein Zörnchen!« – »Sie geben mir auch immer unrecht, Mutter. Ist das ein Anbeter? Heißt das ein Bräutigam? Andere Bräute bekommen Gedichte, daß sie sie nicht alle lesen können, und ich habe noch keinen Vers erhalten! Und er hat doch eine Ode auf Napoleon gemacht. Sie wissen, Karl hat mir einen Roman versprochen, worin er mich schildern wollte, ich freute mich so sehr darauf. Das sind nun sechs Wochen, und sooft ich ihn daran erinnere, sagt er ›morgen‹ und macht ein Paar grimmige Augen, als wäre er auf der Wachtparade bei seinen garstigen Schnurrbärten. Herr Morgen, Sie gefallen mir gar nicht mehr!« Der Oberst schien gekränkt und schwieg. Karoline reichte ihm die Hand. – »Wir wollen wieder gute Freunde sein, sei nicht böse, lieber Karl!« – Sie streichelte ihm die Haare von der Stirne ... »Wo war es, wo du diese Wunde bekamst? kann ich doch den Namen nicht behalten!« – »In der Schlacht von Smolensk.« – »Die abscheulichen Kosaken! Das muß dir wohl recht wehe getan haben?« – »Es war meine schmerzlichste Wunde nicht.« – »Du bist ja heute sehr galant, mein Freund! Warte, ich will deinem Herzen den Puls fühlen ...« Sie legte die Hand auf seine Brust; der Oberst drückte sie mit Heftigkeit in seine Arme ... »Mein geliebtes Mädchen! Vieles lernt der Soldat entbehren und verlieren; ach! dich könnte ich nicht verlieren.« – »Guter Karl, wir wollen uns immer, wir wollen uns ewig lieben!« – »Unsterblich ist jede wahre Liebe; nicht Untreue, nicht Verrat, nicht der Tod kann sie töten. Sie schlummert nur, wie im Sarge, so im erkalteten Herzen unter der Winterdecke, um mit der Frühlingssonne frischer und grünender zu erwachen! Die Stunde ist die körperliche Hülle der Ewigkeit – es lieben sich ewig,[697] die sich auch nur eine Stunde geliebt.« – »Was sagst du, Karl? ...« Der Oberst zog ein Heft aus seiner Tasche und überreichte es lächelnd seiner Braut. – »Hier, Karoline, ist der versprochene Roman.«

Karoline belohnte mit den anmutigsten Liebkosungen das längst erwartete Geschenk. »Aber warte« – sagte sie mit drohendem Finger – »jetzt sehe ich, wie du dich verstellen kannst! Dachte ich doch, du seiest fürchterlich böse auf mich, weil ich dich an dein Versprechen erinnert, und – nicht wahr, du hast nur ein so ernsthaftes Gesicht gemacht, um mich zu überraschen? Doch wie heißt dein Roman, ich sehe ja keine Überschrift?« – »Wie du willst, liebes Kind!« – »Wie endigt die Geschichte, ist sie traurig oder lustig?« – »Wie es kommt, Karoline.« – »Nun, setzt euch jetzt, Karl soll uns seinen Roman vorlesen. Und du, Fritz«, sprach sie zu ihrem Bruder, dem Hauptmann, der mit schweren Tritten das Zimmer erschütterte, »störe uns nicht mit deinen Sporen, mache dir's in diesem Sessel bequem, aber rühre dich nicht! Hörst du?«

Die kleine Familie setzte sich um den Tisch. Der Oberst legte das aufgeschlagene Heft vor sich, stützte den Kopf auf seine Hand ... »Friede des Kriegs, o süße Ruhe der Schlachten« – sprach er leise vor sich hin. – »Du mußt lauter reden«, flüsterte ihm Karoline zu, »die Mutter kann dich sonst nicht verstehen.«

»Die Winterschule war geendigt, die Feuer wurden ausgelöscht, die Fenster geöffnet, muntere Sonnenstrahlen erheiterten die düstere Zimmerluft, der Frühling rief und lockte zu tausend Spielen.« ... »Haltet ein« – rief der Hauptmann, indem er vom Stuhle aufsprang und den Obersten beim Arm faßte – »haltet ein, Herr Schwager; ich weiß schon die ganze Geschichte. Jetzt kommt der Himmel und ein Fluß und ein Wald und ein besonderer Baum, und darunter sitzt Rinaldo und[698] seufzt oder flucht.« ... Karoline legte dem Schwätzer die Hand auf den Mund. »Horch' doch, Fritz, dein Schimmel hat schon zweimal gerufen, du mußt hinuntergehen und sehen, was deinem Freunde fehlt.« – »Nein«, erwiderte der Hauptmann, sich niedersetzend – »ich will ruhig zuhören; aber ihr werdet sehen, daß ich recht habe. Rinaldo sitzt unter einem Baume und seufzt oder flucht.«

Der Oberst fuhr fort: »Knaben und Vögel jubelten; glückliche Liebe lächelte und schwieg, die unglückliche weinte heißer, aber stiller. An einem dieser schönen Tage gingen August und Klara den Hügel hinauf, von dem sie den Strom, die Stadt, die alte Burg und unten im Parke die fröhlichen Gäste sehen konnten, die eingeladen waren, Augusts Geburtsfest zu feiern. Den Jüngling hatte im feindlichen Lande, im fremden Hause, in das er als Kriegsgast gekommen, eine schwere Krankheit niedergeworfen, und als er aus sei nem Fieberschlummer genesen erwachte, lächelte ihm wiedergefundenes Leben und der Frühling und die Liebe entgegen. Klara, die schöne Tochter seiner freundlichen Wirte, hatte ihm den letzten Becher des Heiltranks mit zitternder Hand und niedergeschlagenem Blicke gereicht. In das Herz des Mädchens, das sich dem Mitleide, in das Herz des Jünglings, das sich der Dankbarkeit geöffnet, schlich die Liebe ein. Sie errieten sich bald; Klarens Eltern sahen froh diese Wechselneigung entstehen. August war Sekretär bei einem französischen Prinzen und Marschall und hatte Gelegenheit gefunden, sich dem Kaiser bemerklich zu machen. Er schritt auf dem Wege des Glücks rasch und rascher fort. Klarens Hand wurde ihm zugesagt.

Die Liebenden saßen oben auf der Moosbank in süßen Gesprächen versunken. August erzählte von seinen Fieberträumen und wie ihm ein Engel in blauem Gewande erschienen sei, der ihm Genesung verheißen. Klara erzählte[699] von ihren Ängsten, von ihren durchweinten Nächten. So säuselte eine Paradiesesstunde vorüber. Die Sonne neigte sich zum Untergange, die Luft ward kühl, Klara erinnerte ihren Freund, daß er sich noch zu schonen habe. Sie eilten den Hügel hinab. Von neckenden Gästen empfangen, verbarg Klara ihr Erröten an der Brust ihrer Mutter. August, dem ein Bedienter meldete, daß eine Fremde in ihrem Wagen vor der Gartentüre hielte, die ihn zu sprechen wünschte, eilte dahin. Ein altes Mütterchen, reich aber wunderlich gekleidet und geschmückt, wankte auf einem Stabe gebogen ihm entgegen. August stürzte in ihre Arme ... ›Meine Mutter!‹ ... ›Mein Sohn! ... Nun Gott sei Dank, lieber Sohn, daß ich dich lebend und gesund finde. Jetzt will ich gern sterben.‹ – ›Welche Überraschung!‹ – ›Gleich nach dem Briefe, den du mir durch deinen Arzt schreiben ließest, reiste ich ab, um dich in deiner Krankheit zu pflegen. Auf dem Wege ward ich selbst schwach und mußte acht Tage liegen bleiben.‹ ... ›Teure Mutter!‹ ... ›Bist du es denn wirklich, lieber Sohn? Ich kenne dich nicht mehr! Wie du dich geändert hast! Und ein vornehmer Herr bist du geworden, dein Vater selig hat es immer gesagt: Aus dem Jungen wird etwas Rechtes. Ach, du hast ja gar einen Orden? Aber mein Sohn, das darfst du ja nicht tragen!‹ ... ›Liebe Mutter‹, erwiderte August lächelnd, ›es ist kein Kreuz, es ist ein Stern.‹ ... ›Ja, es ist wahr. Schau, was das kostbar ist! Aber wie leicht kannst du das verlieren; laß es dir festnähen!‹

Unterdessen waren die Gäste, welche die wunderliche Szene aus der Ferne mit angesehen, herbeigekommen. Klara hielt neckisch das Schnupftuch vor den Augen und sprach unter Schluchzen: ›Du Ungetreuer, du Bösewicht, hast dein Mädchen betrogen, liebst eine andere!‹ – Klarens Eltern drohten lachend mit dem Finger: ›Feiner Herr, sauberer Herr, das erfahren wir noch zur[700] rechten Zeit.‹ ... ›Ah! Frau Rachel‹ – ließ sich ein junger Offizier vernehmen – ›nicht wahr, dem Herrn Baron da habt Ihr früher aus der Klemme geholfen? Hat er noch ein Pfand bei Euch, habt Ihr ein Wechselchen? Macht's christlich!‹ ... August wandte sich dem Spötter zu und sprach mit flammendem Gesichte und drohendem Blicke: ›Sie ist meine Mutter!‹« ...

Ein Schmerzensschrei, den die Gräfin ausstieß, unterbrach hier die Vorlesung. Karoline und ihr Bruder sprangen erschrocken auf ... »Gott, liebe Mutter, was fehlt Ihnen, Sie werden ja blaß?« – »Nichts, Kinder, nichts, mein altes Herzklopfen. Bringt mir meine Arznei!« – Die Gräfin, nachdem sie sich wieder erholt hatte, bat den Obersten, morgen fortzufahren, der Kopf schmerze ihr. – »Haben denn Klarens Eltern nicht gewußt, daß August ein Jude ist?« fragte Karoline den Obersten. »Das werden wir morgen hören«, erwiderte dieser. – »Das ist eine Teufelsgeschichte!« bemerkte der Hauptmann. »Aus der Heirat kann nun nichts werden, und mein Rinaldo, der unter einem Baume seufzt, ist ein Hebräer. Muß doch morgen unsern Hausjud' fragen, ob sich ein Hebräer verlieben darf nach Mosis Gesetz.«

– »Es ist wahrlich eine verdrießliche Geschichte«, fiel der Oberst lachend ein. »Was täten Sie, gnädige Mutter, wenn Ihrer Tochter ein solches Unglück begegnete?« Die Gräfin bückte sich nach ihrem gefallenen Taschentuche.

– »Und Ihr, Herr Schwager?« – »Hölle und Teufel« – erwiderte der Hauptmann, mit den Füßen stampfend – »wenn mir ein verdammter Jude einen solchen Streich spielte, würde ich den Kerl vom dritten Stockwerk hinabwerfen, daß Vater Abraham ach und weh schreien soll, wenn ihm so ein schwerer Klotz in den Schoß fällt.« ... »Und du – und Sie, Fräulein?« ... fragte der Oberst Karolinen. Diese machte einen tiefen Knicks. »Bedanke mich schön für das Kompliment,[701] Herr Oberst. Wahrhaftig, Sie sind ein artiger Herr. Wie kannst du dir nur denken, Karl, daß ich einen schwarzen, spitzbübischen Juden jemals liebgewinnen könnte?« – »Es gibt auch blonde und ehrliche«, erwiderte der Oberst. – »Es ist freilich schlimm, es ist sehr traurig, nachdem man sich geliebt und geküßt hat, sich wieder zu verlassen. Aber was ist zu tun?« – »Du würdest also deinen Geliebten verstoßen, Karoline?« – »Wie anders? Die arme Klara würde ja ausgelacht werden, und ihr jüdischer Mann dürfte ja nicht einmal ins Kasino gehen. Aber sie muß es gescheit anfangen, wenn sie ihn fortschickt. ›Lieber Herr Schmul‹, würde ich meinem Bräutigam sagen – nicht wahr, Mutter, alle Juden heißen Schmul mit ihrem Taufnamen? – ›Lieber Herr Schatz, es ist wahr, ich habe Sie liebgehabt; Gott weiß, wie es gekommen, ich war immer ein närrisches Mädchen gewesen – aber lieber Herr Schmul, sei'n Sie vernünftig, wir können uns nicht heiraten. Sei'n Sie nicht bös, lieber Herr Schmul: sehen Sie, ich schenke Ihnen alle meine Brillanten, alle meine Blonden, sind viel Geld wert, Sie können gute Geschäfte damit machen auf der Braunschweiger Messe; aber geben Sie mir mein Wort zurück!‹«

»Nimm es!« sprach der Oberst mit bebender Stimme und stürzte wie im Wahnsinne fort.


II.

»Ihr habt mir die Spiele meiner Kindheit gestohlen, ihr schlechten Schelme! Ihr habt mir Salz geworfen in den süßen Becher der Jugend; ihr habt die tückische Verleumdung und den albernen Spott hingestellt auf den Weg des Mannes – abhalten konntet ihr mich nicht, aber müde, verdrossen und ohne Freudigkeit erreichte ich das Ziel. Empfindung nach Empfindung habt ihr mir getötet[702] und einen Kirchhof geschaffen aus dieser lebensvollen Brust. Daß mir die Rache nicht einmal geblieben, daß ich nicht Kraft habe, zu vergeben, und nicht Ohnmacht genug, sie zu züchtigen! Ich kann sie nicht erreichen in ihrer Fuchshöhle, ich kann mich nicht bücken, ich kann nicht kriechen; und recht behalten, wie immer, wird das schlaue Vieh ... Ach, dieser schöne Sonnentag, wie schnell ging er vorüber! Da sind sie wieder, die alten Fledermäuse, die mir so lange um Stirn und Ohren schwirrten; da bist du wieder, höhnisches Gespenst, das mich aus der Mutter Schoß in die Wiege, aus der Wiege in die Schule, aus der Schule in das Leben geneckt! Ein Wort – nein, weniger als ein Wort – die Erzählung eines alten Schalls – furchtbarer Zauber! ... Verloren, verraten, betrogen!« ...

In diesen heftigen Ausbrüchen eines verwirrten Sinnes und eines gekränkten Herzens suchte Karl sich seines Grams zu entladen. Corre, sein treuer Freund und Waffenbruder, stand ihm längst zur Seite. »Bravo!« – rief dieser, in die Hände klatschend – »Bravo, Charles! Herrlich, ganz unvergleichlich, wie Talma, ganz wie Talma! Hast Probe gehalten? Werdet morgen die Komödie aufführen bei deiner gnädigen Mama?« – »Die Komödie ist aus«, erwiderte Karl. – »Schon geschehen? Schade, wäre gern dabei gewesen. Hast Beifall gefunden? Hat die gnädige Sippschaft dich gelobt? Hat die hohe Götterschaft dir zugelächelt? O du Glücklicher!« – »Verloren, alles hin, nur du allein bleibst mir noch.« – Karl sank mit tränenden Augen an die Brust seines Freundes. – »Was ist das, Charles, was bedeutet das? Das ist nicht Spiel, rede, was ist geschehen?« – Karl sprach und weinte sich aus. – »Das ist alles? Weil du ein Jude bist?« frug Corre unter Zorn und Lachen. »Ich bin noch weniger als du, ich bin nicht einmal getauft. Ich heiße Brutus, und, Gott sei Dank! mein Name steht[703] nicht im Kalender der Heiligen. Keines jener frommen Lämmer, die sich geduldig schlachten, braten und verzehren ließen, führt meinen Männernamen; ich gehöre besser zu jenen kühnen Jägern, welche die Wölfe erlegt, die die Lämmer zerrissen.« – »Alles,« seufzte Karl, »alles ist verloren!« – »Alles?« fragte Corre mit gerührter Stimme, »und diese Narbe ist dir nichts, und die Erinnerung, für wen du sie trägst, rechnest du für nichts?« – »Mit tausend Herzen habe ich das Mädchen geliebt, und so zurückgestoßen zu werden von der Schwelle meines Glücks!« – »Sei ein Mann, Charles, du hast ein Mädchen verloren und dich gewonnen. Da es dahin gekommen, darf ich offen mit dir sprechen. Ich kannte die Liebe nie, ich bin ein Kind des Lagers; aber es kann nichts Unwürdiges sein, was meinen Charles besiegte. Doch hättest du nur eine andere gewählt! Und wäre es die schielende Alison, die liebliche Tochter unserer Marketenderin, gewesen; ich hätte Mondnächte mit dir durchseufzt und durchwacht und hätte nicht gelächelt. Aber jenes eitle Pfauengeschlecht ist meiner Seele verhaßt. Du kennst sie nicht, Charles, ich kenne sie besser. Den Hund verachten wir nicht so, wie sie uns verachten. Die Übermütigen, Verdorbenen, ob ich sie kenne! Sie haben uns alle unsere Siege vorgebahnt. Fürst und Land und Volk haben sie verraten. Eure Bürger haben wir mit den Waffen besiegt und nicht immer, jene Götter mit Gold und Tand und überall. Sei froh, Charles! Wein her, laß uns dieses Glas leeren. Es lebe die Freiheit!« – »Es lebe die Freiheit!« rief Karl begeistert, »und Tod und Verderben jeder Gewalt!«

Die Türe wurde mit Heftigkeit aufgestoßen, und der Hauptmann, Karolinens Bruder, stürzte wütend ins Zimmer. Die vorgerückte Abenddämmerung ließ ihn erst an seiner Stimme erkennen. »Finde ich dich endlich, spitzbübischer Jude! Hab' ich den Schurken!« Er drang mit[704] einem Stocke auf Karl ein. Dieser suchte seinen Degen, und da er ihn nicht fand, drängte er sich an Corre, ihm den seinigen aus der Scheide zu ziehen. Corre stieß ihn zurück. »Wag' es nicht«, sagte er; »dieser Degen ist mein, und ich hab' ihn zu führen.« – »So recht« – schrie der Hauptmann mit Hohngelächter – »Jud' und Franzos', Franzos' und Jud', das gehört zusammen, das steht eines für das andere.« – »Zieh!« schrie Corre, »wahr' dein Rosenblut, Page!« Sie fielen aus, beim zweiten Gange stürzte der Hauptmann nieder und badete sich in seinem Blute. – »Eil', lauf zum Stabschirurg«, rief Corre beklommen. – »Schick' zum Pfaffen,« sprach Karl, ruhig und kalt; »ruf den Pfaffen, daß er's zum übrigen lege!«


III.
Karoline v.P. an ihre Freundin

Wenn Sie recht hätten, liebe Sophie, wenn in den Jahren der Jugend Wunden und Schmerzen bald heilten und vergessen würden – wäre ich dann nicht noch elender? Von meinem Glück ist mir nur mein Leid geblieben, und das ist leichter zu tragen als ein leeres Herz. Gestern war es ein Jahr, daß meine gute Mutter gestorben, ich weinte den ganzen Tag. Mein Bruder weckte gewaltsam den schlummernden Zorn in seiner Brust auf; am Abend warf er Blut aus und war sehr krank. Ach, wie schrecklich sind die Männer! Der arme Fritz! Er hat die Kraft nicht mehr, ohne Führung durch das Zimmer zu gehen, und hat noch die Kraft zu hassen. Es ist keine Hoffnung für ihn; das hat mir der Arzt verraten, der mir mit Trost entgegenkam, ehe ich ihn suchte. Die Stichwunde, die er in der Brust erhalten, hat ihn unheilbar verletzt. Alle unsere Bekannten, welche meine Verbindung mit dem Oberst getadelt und mit meiner Mutter darüber[705] grollten, haben uns verlassen. Nachdem uns das Unglück getroffen, sahen sie uns mit schadenfrohen Augen an, und jetzt begegne ich nur gleichgültigen Blicken. Wie einsam ist doch der Unglückliche! Ihr Gatte und Ihre Kinder, liebe Freundin, werden einen stets engern, einen stets süßern Kreis um Sie schließen, und Sie auch werden meiner nur gedenken, sich Ihres Friedens inniger zu freuen.

Von dem Obersten habe ich nichts gehört. Neulich sagten sie, er sei in Gefangenschaft der Engländer geraten. Vielleicht war es nicht wahre Liebe, was ich für ihn gefühlt, aber es war die höchste Neigung, der ich fähig war. Ich kann mich nicht mehr zurechtfinden. Die Leiden meiner Mutter und meines Bruders haben mich irregeführt, und ich habe den alten Weg meines Herzens verloren. Er war ein edler Mensch und liebte mich mit aller Zärtlichkeit. Ob er wohl an mich denkt? Er ist ein Mann.

Wenn ich meinen Bruder verliere, werde ich in eine Erziehungsanstalt zu kommen suchen. Frau v.C. hat mir ihr Haus angeboten; aber ich kann nicht Kinder sehen unter den Augen ihrer Mutter; ich muß mich zu fremden Kindern gesellen, denken, sie wären auch verlassene Waisen, und ihre ältere Schwester sein.

Leben Sie wohl, liebe Sophie, und empfangen Sie meinen herzlichen Dank für Ihren gütigen Brief.


IV.
Oberst W. an Corre

Cadix, den 26. Dez. 1819


Ich kenne Dein Herz, Corre, und glaube daran, auch wenn ich es nicht begreife. Aber jedem andern würde ich sagen: »Du liebst die Freiheit und kannst der Tyrannei nicht dienen? Nicht über alles liebst du sie.« Brutus hat den Blödsinnigen gespielt – ich vermochte mehr als dieser.[706]

Seit vier Jahren lächle ich wie ein Schurke, stecke Gold ein wie ein Bube und schließe mit allen Kutten Brüderschaft. Wohl manchmal am Abend sinken mir die Knie von der Arbeit des Tages; dann lasse ich mich in das Meer hinausschiffen, erzähle den Wellen mein Geheimnis und kehre gestärkt nach Hause. Du fragst mich, warum ich mein Vaterland fliehe? Ich habe keines, ich habe die Fremde noch nicht gesehen. Wo Kerker sind, erkenne ich meine Heimat; wo ich Verfolgung finde, atme ich die Luft meiner Kindheit. Der Mond ist mir so nah wie Deutschland. Nur einmal, in einer unverwahrten Stunde, habe ich dieses umpanzerte Herz geöffnet, und da haben sie mich schnell und gut getroffen. Es geschieht nicht wieder.

Alles ist gerüstet, die Winde sind günstig, in wenigen Tagen wölbst sich ein schönerer Himmel über mir. Ich habe nicht Zeit, mehr zu sprechen, aber wisse, der Tag, an dem Du diesen Brief erhältst, war der glücklichste in dem Leben Deines Freundes.[707]

Quelle:
Ludwig Börne: Sämtliche Schriften. Band 1, Düsseldorf 1964, S. 696-708.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Aufsätze und Erzählungen
Gesammelte Schriften: Band 2. Erzählungen. Reisen. Vermischte Aufsätze
Gesammelte Schriften: Band 1 Erzählungen. Reisen. Vermischte Aufsätze

Buchempfehlung

Schlegel, Dorothea

Florentin

Florentin

Der junge Vagabund Florin kann dem Grafen Schwarzenberg während einer Jagd das Leben retten und begleitet ihn als Gast auf sein Schloß. Dort lernt er Juliane, die Tochter des Grafen, kennen, die aber ist mit Eduard von Usingen verlobt. Ob das gut geht?

134 Seiten, 7.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon