Das Käthchen von Heilbronn

Von Heinrich v. Kleist

[303] Fürwahr, es ist Mark darin und Geist und Schönheit. Von der dunkeln Tiefe des Gemüts bis hinauf zu jener heitern Höhe, auf welcher die Schöpfungskraft frei und besonnen waltet, führt uns ein lockender Weg, mit abwechselndem Reize, bald zwischen lieblichen Winden, blumigen Auen und besonnten Feldern, bald zwischen stürzenden Wetterbächen, erhabenen Wildnissen und Wäldern voll Sturm und Brausen. Gleich anmutig ist Wanderung und Ziel. Warum haben die tückischen Parzen dieses blühende Dichterhaupt so frühe in das Grab gebeugt?

Welch ein Unternehmen, so kühn als unbesonnen, den Schleier der Isis wegzuheben, hinter welchem der Tod lauscht! Nur Priestern frommt ein solcher Anblick, nicht der Menge, welcher mit der letzten Täuschung auch das letzte Glück entschwindet. Das wäre die so gepriesene Liebe, von Kindern angelallt, von Greisen angestottert, und das wäre ihr Band? Hätten wir's nie erfahren!

Graf Wetter von Strahl, reich, im Lande angesehen, edel-stolz, voll des Mutes und der Kraft seines jugendlichen Alters und jener alten Zeit, ein an Seele wie an Leib geharnischter Ritter – und Käthchen, Tochter eines Bürgers von Heilbronn, ein süßes wunderschönes Mädchen, werden, sie, die sich nie gesehen, von einer geheimnisvollen Macht einander im Traume angetraut. Dem todkrank darniederliegenden Grafen erscheint im Wahnsinne des Fiebers ein glänzender Cherub, führt ihn weit weg in die Kammer eines schönen Kindes und zeigt es ihm als die für ihn bestimmte Braut, sagend, es sei die Tochter des Kaisers. Dieselbe Nacht sieht Käthchen im gesunden[303] Traume (das gesunde Weib erhebt sich zum kranken Manne wie das wache zum schlafenden) einen schimmernden Ritter eintreten, der sie als seine Braut begrüßt. So sich angelobt, bringt später ein Zufall den Grafen in Käthchens Vaterhaus. Diese, ihn erblickend, erkennt allsogleich die Traumgestalt. Da stürzt plötzlich ihres Körpers und ihrer Seele Bau und eigene Haltung zusammen, sie fliegt ihrem Pole zu und bleibt ohne Willen und Bewegung an ihm hangen. Vergebens wird sie vom Ritter weggerissen, von diesem selbst mit Füßen zurückgestoßen, wie ein Tier, wie eine Sache behandelt, sie ist immer wieder da und folget ihm auf allen seinen Zügen. Wohl lernt er das Bürgermädchen lieben, aber werter bleibt ihm sein Ritteradel. Endlich bis in den Grund des Herzens gerührt, forscht er Käthchens Inneres aus, da sie einst im magnetischen Schlummer sich befand, wo die Seele, zwischen der Nacht der Erde und dem Tage des Himmels in der dämmernden Mitte schwebend, mit einem Blicke beide umfaßt, und da ward ihm kund, was er im Geräusche eines tatenvollen Lebens nicht früher erhorchen konnte, daß sie die Verheißene sei, die ihm im Traume gezeigt worden. Später tritt auch der Kaiser auf, gibt sich als Käthchens natürlicher Vater zu erkennen und diese, nachdem er sie zur Fürstin erhoben, dem Grafen zum Weibe.

Dieses Schauspiel ist ein Edelstein, nicht unwert an der Krone des britischen Dichterkönigs zu glänzen. Man braucht nur den herrlichen Monolog des Grafen, womit der zweite Akt beginnt, gelesen zu haben, um das Lob gerecht zu finden. Um so deutlicher fallen zwei Flecken in das Auge. Die wirkliche Erscheinung des Cherubs beim Sinken des brennenden Schlosses Thurneck konnte nicht unzeitiger geschehen. Die Seele, die so tief geneigt war, sich dem Anwehen einer verborgenen Geisterwelt, die im Traume sich offenbarte, gläubig hinzugeben, wird durch das sinnliche Wunder, das sich im Wachen ergibt, enttäuscht[304] und wendet sich, nüchtern gemacht, vom Unbegreiflichen kalt hinweg. Zweitens spielt das Fräulein Kunigunde, ohne Willen des Dichters, die Rolle der Närrin in diesem ernsten Schauspiele. Gibt es eine tollere Erfindung als dieses Fräulein, welches durch Schönheit und Liebreiz allen Rittern des Landes den Kopf verrückt und am Ende sich als eine garstige Hexe kundgibt, die mit falschen Zähnen, aufgelegter Schminke und einem schlankmachenden Blechhemde die Göttin Venus vorzulügen verstand?

Aber wie haben sie dieses Stück wieder zugerichtet, damit es in ihren Raum, ihre Zeit und ihre Umstände sich füge! Das ist ein ganz eignes Kapitel des Jammers. Wie wehe gar muß es dem Künstler selbst tun, der die schönsten Teile seines Gemäldes wegschneiden sieht, damit es nur in den engen Rahmen passe. Zuvörderst ist in der Femgerichtsszene vieles ganz unbedachtsam ausgelassen worden. Es ist wahr, daß einige Reden darin etwas lang sind, allein es durfte dennoch kein Wort fehlen, damit es klar und verständlich werde, wie durch einen arbeitsamen Trieb der Natur sich Faden an Faden gereiht, um das sympathetische Netz zu flechten, das zwei Herzen unzertrennlich machte. Zweitens hatte man unerklärt gelassen, auf welche Weise der Kaiser Käthchens Vater geworden sei. Das war wieder einmal aus jener entnervten Sittsamkeit geschehen, welche der Verführung heuchlerische, vermaledeite Kupplerin ist.

›Graf von Strahl, Herr ***. Beim Himmel, die Rolle ist schwer, und ich möchte den Schauspieler sehen, der sie trägt, leicht aber doch so, daß die Kraft nicht die Last verschlinge und man wahrnehme, wieviel er zu tragen habe. Vor dem Femgerichte: alle die mannigfaltigen Reden mit ihren Chamäleonsfarben, – Erzählungston, – Nachahmung fremder Stimme, – unbändige Kraft an die Schranke des Gesetzes pochend, – Verstellung der[305] Wahrheit und Wahrheit der Verstellung, – das Gefühl unter freiwilliges Joch gebeugt, – Trotz der Unschuld, – Spott, – dastehend mit recht fest zusammengeknäulter, nicht allseitig hinausflatternder Kraft; nicht sich brüstend, den Körper leicht tragend mit der Seele, wie das Schwert in einer starken Faust, – (es ist ein Unverstand vieler Schauspieler, daß sie wähnen, Helden müßten sich spreizen, gerade sie dürfen es am wenigsten; bei kräftigen Menschen lehnt sich der Körper leicht am Geiste an, aber bei Schwächlingen findet die matte Seele am stärkern Körper ihre Stütze; nur solche Gewaltsmenschen mögen sich spreizen, die keine andere Macht haben als die Meinung, die man hat von ihrer Macht, wie König Philipp in Don Carlos). – Der Dichter läßt den verliebten jungen Löwen Tränen vergießen; ich bitte, welcher Schauspieler (der unsrigen) versteht es, als Held zu weinen, ohne sich lächerlich zu machen? – Nun vor allen: die Beschwörungsszene, wo der Graf den Geist des schlummernden Käthchens aus dem Körper, seinem dunkeln Sarge, hervorruft und um das Geheimnis überirdischer Dinge befragt (das vorgeschriebene Auflegen der Arme um den Leib hätte strenger beobachtet werden müssen, hierin war die Macht des Zaubers). – – So seht, wieviel als Graf von Strahl zu tun war! – – – Käthchen: Demoiselle Lindner. Gewiß und wahrhaftig, das demütige, gottgefällige, wundersüße, heimgefallene Kind hätte wahrer, lieblicher und rührender nicht dargestellt werden können. Es war nur ihre Schuld, wenn man es vergaß, wie schwer die Schlafrednerin zu spielen sei. Das Insichhineinreden, wo der Mund zugleich Ohr und Lippe ist, der melodische Schmelz der Stimme in den Worten: »O Schelm.« – »Nein, nein, nein.« – »Bitte, bitte!« Man sah den himmlischen Wein der Liebe im goldenen Becher der Sinnlichkeit blinken. Wußte Dem. Lindner, was sie tat, dann zeigte sie sich als eine besonnene Künstlerin,[306] handelte sie nach dunkeln Trieben, auch gut, das Glück ist eine schöne Gabe. – – Herr *** spielte Käthchens Vater, den Waffenschmied Friedeborn. Er war aber nicht der derbe, begüterte Handwerksmann, der den Hammer von Eisen zu führen gewöhnt ist und wohl täglich seinen guten Humpen Wein trank; der keinen Teufel fürchtet und nur weich ist an der Stelle, wo er sein Goldkind liebt; er war – nichts oder was man will. – – Was ist das wieder für ein toller Einfall mit der Puppe gewesen, die man aufhockte und statt Kunigunden in die Köhlerhütte trug? Man hätte entweder die lebendige tragen, oder die ausgestopfte fortspielen lassen sollen; Einheit muß sein. –‹[307]

Quelle:
Ludwig Börne: Sämtliche Schriften. Band 1, Düsseldorf 1964, S. 303-308.
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