Don Carlos

Trauerspiel von Schiller

[246] Es könnte den Mut geben, die Fehler eines der Meisterstücke deutscher Dichtkunst offen zu besprechen, wenn[246] man wahrnimmt, welcher Anstrengung Schiller selbst, in seinen Briefen über Don Carlos, bedurfte, um nur einem Teile der diesem Werke gemachten Rügen sich entgegenzusetzen, und wie unentschieden sein Sieg gewesen sei. Doch an diesem bejahrten Denkmale der Kunst, seit lange allen sichtbar und zugänglich, hat das Urteil sich wohl schon längst erschöpft, und nur erneuerte, keine neue Bemerkungen lassen sich erwarten. Darum mag nur so viel berührt werden, als nötig ist, um vor der Ungerechtigkeit zu schützen, daß wir die Schwächen der Dichtung der Darstellung anrechnen.

Auch das herrlichste Gemälde, vor unsere Augen hingestellt, würde von seinem Eindrucke verlieren, hätten wir den Pinselstrichen beigewohnt, aus welchen es sich nach und nach zusammengestaltet hat. Die Werke göttlicher Schöpfungskraft entspringen leicht und froh aus dem Gedanken, und wo ein Kunstwerk die himmlische Natur, die es beseelt, uns zuspiegeln soll, da muß der irdische Fleiß, der es zu stande gebracht, unsichtbar bleiben. Der Landmann verkauft gleichgültig die Frucht, die er hat wachsen sehen, aber wir finden sie süß, weil uns der lange Weg von der Wurzel bis zur Krone des Baumes nicht ermüdet hat.

Wie die Pinselstriche zum vollendeten Gemälde, wie die Wurzel zur Frucht, so steht die Gesinnung des Menschen zu seiner Tat. Die Überlegung ist Wurzel, die Empfindung ist Blüte, die Handlung ist Frucht des menschlichen Geistes. Nur letztere soll in der Tragödie zum Vorschein kommen, geschmückt wohl mit den Blumenkränzen der Gefühle, aber der dunkle Keim, aus dem beide entsprossen, muß bedeckt bleiben. Die Lust des Schauspiels soll ein Erntefest sein, keine ermüdende Saatbeschäftigung. Erfüllt Don Carlos diese Forderung? Nein, er hält uns nur dafür schadlos. Nichts geschieht, wenig wird empfunden, am meisten wird gedacht. Es ist ein schönes vergoldetes[247] Lehrbuch über Seelenkunde und Staatskunst, vom Schulstaube gereinigt, uns in die Hände gegeben.

In diesem Menschengemälde ist kein vorherrschendes Bild. Drei Gruppen sind in gleich starkem Lichte in den Vordergrund gestellt: Philipp mit seinen Trabanten, die Königin und Carlos, Posa mit seinen Traumgestalten. Es ist ein Dreispiel, welches die Einheit der Teilnahme zerreißt; der Infant bewirbt sich um diese Teilnahme, der Marquis erhält sie, und nur der König hätte sie verdient; denn er ist der einzige, welcher weiß, was er will, und tut, was er will, und dessen schnell reifende Entschlüsse uns immer wach, von dem Schneckengange der Vorsätze nicht eingeschläfert finden.

Die Schauspieler sind es nicht, welche die Schuld der Ermüdung zu tragen haben, die ein vierstündiger Unterricht in Dingen der Weltweisheit, auf deutsche Art vorgetragen, den Lehrjahren entwachsenen Zuhörern verursachen muß. Welcher Schalk hat noch überdies diesen gegenwärtigen Don Carlos für unsere Bühne eingerichtet? An die Stelle des Domingo ist ein Staatssekretär Perez gesetzt. Wie ein Meteorstein ist er aus den Wolken gefallen, man weiß nicht, wie er entstand, woher seine Macht, sein Einfluß, das Vertrauen, das ihm der König gibt? Übrigens sind ihm viele Reden des Beichtvaters ganz ohne Sinn in den Mund gelegt. So sagt ihm der König nach der fürchterlichen Entdeckung, die seinem Argwohne zugetragen ward:


– – – – Redet offen

Mit mir. Was soll ich glauben, was beschließen?

Von Eurem Amte fordr' ich Wahrheit.


Wahrhaftig, der ärmste Schlucker von einem Kopisten würde in Spanien nicht Staatssekretär sein wollen, wenn es sein Amt erforderte, täglich mit Gefahr seines Kopfes einem Despoten die Wahrheit zu sagen. Wozu geschah die[248] Umänderung eines Beichtvaters in einen Staatssekretär? Hat man aus Schonung die düstere, schleichende, tückische Pfaffheit als gehässiges Bild nicht wollen erscheinen lassen? So war sie in Spanien nicht gewesen. Dort trat die geistliche Macht kühn und offen hervor und handelte mit klarer Willenskraft. Domingo ist nicht bloß der geschäftige Wind, das fliegende Insekt, welches den Blütenstaub von den männlichen zu den weiblichen Blumen trägt und so die Handlung befruchtet; sondern der kluge Diener der Inquisition, welcher die Seele der ganzen Staatslist war und sich auch dafür bekannte. Der Großinquisitor am Schlusse weiß allein das Rätsel zu lösen, und außer ihm keiner. Es wäre zu unserer Zeit sehr wohlgetan, die Dichtung in ihrer alten Form wieder auf die Bühne zu bringen, damit, was man am Morgen vor den Geschäften des Tages gedankenlos in der Zeitung liest: daß in Madrid die Inquisition sich wieder ausbreite, wirksamer am Abend im Schauspielhause als Schreckbild in die Seele dränge und sie mit Abscheu erfüllte. – –

Das Lob, das man dem Tacitus erteilt: er sei am tiefsten in die Seele eines Tyrannen eingedrungen, kann man Herrn *** in der Rolle des Philipp nicht versagen. Ihr erkennt ergrimmt einen jener Könige, die an der Vorsehung zweifeln machen, und ihr fragt den Himmel, warum ein Mensch, der nicht verdiente, die Sonne aufgehen zu sehen, sagen durfte, daß sie in seinem Reiche nicht untergehe? Herr *** hatte sein ganzes Spiel mit gleicher Mächtigkeit durchgeführt. Der böse Geist der schlaflosen Nächte, an welchen ein Tyrann leidet und leiden macht, war er malerisch getreu. Eines war mir in dessen meisterhafter Darstellung aufgefallen; nämlich daß er sich einen Fußschemel unterstellen ließ, sooft er sich setzte. Den majestätischen Philipp mußte dieses häusliche Bequemtun sehr entstellen, zumal wie es Herr *** zur Schau brachte, indem er gewöhnlich nur den einen Fuß[249] auf den Schemel stellte und den andern leicht hinabwiegen ließ. Darf ein Erdengott zeigen, daß er müde werden kann? –

Herr *** spielte den Alba lobenswert. Dieser Held ist kein Mordbrenner, wie er dem jugendlich-schwärmerischen Carlos und dem innern Auge menschenfreundlicher Geschichtsforscher erscheint, sondern ein großer, ruhiger, besonnener Mann, der aus Ehrgeiz, hätte es die Zeit und seine Pflicht erfordert, auch weich und tugendhaft gewesen wäre. So muß er gespielt werden.[250]

Quelle:
Ludwig Börne: Sämtliche Schriften. Band 1, Düsseldorf 1964, S. 246-251,303.
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