566. Die Leuchte auf Poel.

[407] Auf der Insel Poel lebte mal ein reicher Bauer. Eines Tages kam eine arme Frau1 zu ihm und bat um ein Almosen; er öffnete seinen Seckel und reichte ihr ein Scherflein. Als sie nun dankte mit den Worten ›Gott segne es!‹ da rief er barsch ›Gottes Segen brauch[407] ich nicht.‹ Zur Strafe für diese Gottlosigkeit2 fand er keine Ruhe im Grabe, sondern wanderte als Feuerball des Nachts auf der Insel umher; die Leute nannten es nur ›dei Lücht‹3. Einmal kehrten zwei Poeler Männer aus Wismar heim4. Es war so dunkel, daß sie die Brücke über den Breitling nicht finden konnten. ›Wenn nun die Leuchte käme,‹ meinte der Eine, ›dann‹ – weiter kam er nicht, denn jetzt sahen sie die Leuchte auf der andern Seite der Brücke, die sie nicht hatten finden können. Sie flog immer vor ihnen her, bis dicht vor ihr Dorf, da aber so schnell über den Weg, daß sie nicht weiter kommen konnten. ›Gott segne es,‹ sprach einer der Männer5. Da antwortete eine dumpfe Stimme ›Dor hevv 'k lang‹ up lurt' und damit verschwand die Leuchte für immer.

1

Eine arme Witwe R.

2

S fügt hinzu: von diesem Augenblicke wich das Glück von ihm, ein Unglück traf ihn nach dem andern.

3

Den Namen hat nur S, ebenso die Beschreibung als Feuerball.

4

Reisende aus Wismar kommen in die Nähe des Dorfes, in dem der Bauer gewohnt. R.

5

Sie kommen an eine Brücke, als sie dieselbe aber betreten, können sie nicht weiter, sehen an der andern Seite ein Licht herankommen, und in der Meinung, ein Dorfbewohner wolle ihnen den Weg zeigen, sagen sie ›Gott segne es.‹ R.

Quelle:
Karl Bartsch: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg 1–2. Band 1, Wien 1879/80, S. 407-408.
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