Als die Kerze verlosch

[366] Licht, lösch aus!

Dunkel sei mein Haus.

Dunkel um mich,

Dunkel in mir;

Still, Herz: Dich

Kennt niemand hier.


Niemand weiß um deine,

Niemand weiß um meine

Tiefe Dunkelheit.

Wie sehr wir beide verdorben,

Und daß wir schon gestorben:

Wem ist es bewußt? Wem wär es leid?
[366]

Aber wir leben ja! Leben

Klarer als je!

Das ist es eben:

Das tut zum Sterben weh:

Daß wir, zu träumen so wohlgeboren,

Das Glück des Traumes ach, verloren

Und nichts dafür gewonnen haben,

Als die verfluchteste von allen Erdengaben:

Zu sehen, daß wir nicht zu Haus hier sind.

Wohl, Herz, wir waren nicht dem Leben blind,

Nun aber sind wir sehend tot

Und leiden bittre Heimwehnot

Nach dem verlorenen Paradies,

Das wohl den andern Wahnsinn hieß,

Uns aber süße Heimat war;

Ein Land in Dunkelheiten klar.


Wolln wir nicht gehn, es wieder suchen?

Sei stark, Herz, komm: laß uns selbstsüchtig sein!

Nur Glück ist Wert. Jetzt ist nichts mein und dein

Als ödes, widerliches Selbstverfluchen.


Wir sind am Leben krank, Herz. Auf ins Leere

Der holden Lüge, deren Meister wir

Und Diener sind. Das Wahre ist das Schwere,

Und wir, Herz, wir sind nicht zum Tragen hier.

Wir wollen schweben, schweben, bis wir fallen

Zum letzten Traum: dem seligsten von allen.

Quelle:
Otto Julius Bierbaum: Gesammelte Werke. Band 1: Gedichte, München 1921, S. 366-367.
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