224. Glocke in die Murr gebannt.

[144] Mündlich von Tübingen.


In der von den Marbachern und der Umgegend sog. Römer- oder Alexanderkirche auf dem Marbacher Kirchhofe hingen einst vor Zeiten zwei prächtige, schönklingende Glocken. Da kamen die Schweden und ließen ihre Wut auch an dieser Kirche und ihren Glocken aus. Eine von ihnen nahmen sie fort mit sich und sollen sie eingeschmolzen haben. Eine andere warfen die Barbaren in die Murr, unweit ihrer Mündung in den Neckar, schworen und bannten sie hinein. Und kein Mensch konnte die Glocke bis jezt herausbringen. Mal habe man zwölf Rosse angespannt: aber alles war umsonst. Sie ging nicht vom Plätzlein. Von der Zeit an, seitdem die Glocke in dem Wassergrunde ruhet, soll sie öfters an der Wasserfläche oben erschienen sein und habe sich gezeigt. Fischer wollen sie schon mehr denn dutzendmal gesehen haben und wissen Manches von ihr zu erzählen.

Die in der Kirche zurückgelassene Glocke, nun allein, habe von da an nur mehr ganz traurigen Klang gegeben, und soll bis heute noch um ihre Schwestern trauern und klagen; die von den Schweden gestohlene war von eitel Silber. Jezt ist die noch vorhandene die Todtenglocke geworden120.

120

Vgl. J.V. Zingerle S. 250. 251.

Quelle:
Anton Birlinger/ M. R. Buck: Sagen, Märchen und Aberglauben. Freiburg im Breisgau 1861, S. 144-145.
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