Der Zephir und die Rose

[95] Um volle Rosenbeetchen

Schwärmt' einst zum Zeitvertreib

Ein junges Zephyrettchen,

Und suchte sich ein Weib.


Der Königin der Rosen

Ergab der Freier sich,

Zu lieben und zu kosen

Verstand er meisterlich.


Die besten Frühlingsdüfte

Bracht' er zum Morgengruß,

Die lau'sten Sommerlüfte

Nahm er zu seinem Kuß.


Und Seufzer stahl und kräuselt'

Er hin zu ihrem Ohr,

Und ganze Tage säuselt'

Er ihr von Liebe vor.


Bald hüpft er auf dem Teiche,

Und amüsirte sie,

Bald schuf er kleine Sträuche

Zu Lauben um für sie.


Der Nachtigallen Töne

Holt' er vom Wald herzu,

Und lullte seine Schöne

Des Nachts damit in Ruh.


Und schlief sie nun, so wühlte

Er kühn in ihrer Brust;

Die Rose träumt' und fühlte

Die nahe Götterlust.


Und ihre süssen Düfte

Verschlang und sammelt' er,[96]

Und trug sie durch die Lüfte

Stolzirend weit umher.


Die Morgentropfen küßte

Er ihr vom Busen früh,

Und keine Freude mißte

Bei seiner Liebe sie.


Umbuhlt von ihrem Freier,

Wähnt sie sich hochbeglückt,

Indeß die Trauungsfeier

Tag täglich näher rückt.


Den letzten Tag im Lenzen

Da ward er Mann, sie Frau;

Von Sang und Freudentänzen

Ertönte Feld und Au.


Der Ehe Sommer glühte

Zwar manchmal heiß, doch schön,

Und seine Gattin blühte

Nun noch einmal so schön.


Der Herbst kam, und was keimte,

Stand nun in voller Frucht,

Das Eh'paar sprach und träumte

Von schöner Rosenzucht.


Doch kälter war das Wehen

Des Gatten um sie her,

Auf Auen und auf Seen

Gab's keine Freuden mehr.


Es rückte täglich kälter

Der Winter nun heran,

Die gute Frau ward älter,

Und frostiger der Mann.


Sein Hauch, der sonst sie kühlte,

Ward nun wie schneidend Eis,

In seinem Säuseln fühlte

Sie sich dem Sturme preis.
[97]

Und sprach er nun, so nahm er

Stets beide Backen voll;

Im Sturmgeheule kam er,

Und hauste bittervoll.


Und in des Winters Arme

Fiel Reiz auf Reiz von ihr;

Im kurzen sah die Arme

Sich blätterlos und dürr.


Doch ward darum nicht milder

Des Mannes Winterhauch,

Er stürmte desto wilder

In seinen – Dornenstrauch.

Quelle:
Aloys Blumauer: Sämmtliche Gedichte. München 1830, S. 95-98.
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