[19.]

[48] Wer syn zung vnd syn mundt behüt

Der schyrmt vor angst / sel / vnd gemüt

Eyn specht sin jung mit gschrey verriet


19. Von vil schwetzen

Von vil schwetzen

Der ist eyn narr der anden wil

Dar zů sunst yederman swigt still

Vnd wil on not verdienen haß

So er mit ere möcht schwigen baß

Wer reden wil / so er nit sol

Der fügt jn narren orden wol

Wer antwurt / ee man froget jn

Der zeigt sich selbs eyn narren syn[49]

Mancher hatt von sym reden freid

Dem doch dar vß kumbt schad vnd leid

Mancher verlaßt sich vff syn schwätzen

Das er eyn nuß redt von eynr hätzen

Des wort die sindt so starck vnd tieff

Das er eyn loch redt jn eyn brieff

Vnd richtet zů eyn gschwätz gar licht

Aber wenn er kumbt zů der bicht

Do es jm gyltet ewig lon

So will die zung von stat nit gon /

Es sindt vil Nabal noch vff erd

Die schwätzen me dan [jn] gůt werd /

Mancher für witzig würd geschetzt

Wann er sich nit hett selbst verschwätzt

Eyn spächt verradt mit syner zung

Das man syn näst findt / vnd die jung

Mit schwigen man veranttwurt vil

Schaden entpfocht / wer schwätzen wil /

Es ist die zung eyn kleyn gelyd

Bringt doch vil vnrů / vnd vnfrid

Befleckt gar dick den gantzen lib

Vnd macht vil zancken / krieg / vnd kyb

Vnd ist eyn wunder groß jn mir

Das man macht zam eyn yedes thier

Wie hert / wie wild / wie grymm das ist /

Keyn mensch synr zungen meister ist

Zung ist eyn vngerüwigs gůt

Vil schaden sy dem menschen důt /

Durch sie so důnt wir scheltten gott

Den nächsten gschmähen wir mit spot

Mit flůchen / nochred / vnd veracht

Den gott noch sym bild hat gemacht /

Durch sie / verrotten wir vil lüt

Durch sie / blibt vnuerschwigen nüt /

Mancher durch gschwätz sich so begot

Er darff nit kouffen wyn noch brot[50]

Die zung die brucht man in das recht

Durch sie würt krū das vor was schlecht

Durch sie / verlürt manch armer man

Syn sach / das er můß bettlen gan /

Schwätzer ist nüt zů reden vil

Er kitzt sich / vnd lacht wann er wil

Vnd redt keym menschen üt gůts noch

Er sy joch nyder oder hoch /

Welch machen groß geschrey vnd braht

Die lobt man yetz vnd hat jr acht

Vor vß welch köstlich jnhar gant

Vil grosser röck vnd ring an hant

Die fügen yetz wol für die lüt

Eyns dünnen rocks acht man yetz nüt /

Wer noch vff erd Demosthenes

Tullius oder Eschynes

Man geb jn durch jr wißheyt nüt

Wann sie nit kündent bschissen lüt

Vnd reden vil geblümter wort

Vnd was eyn yeder narr gern hort /

Wer vil redt / der redt dick zů vil /

Vnd můß ouch schiessen zů dem zil

Werffen den schlegel verr vnd witt

Vnd rinckengyessen zů widerstrit

Vil schwätzen ist seltten on sünd

Wer vil lügt / der ist nyemans fründ

Wer herren vbel redet üt

Das blibt verschwygen nit lang zit

Ob es joch ver geschäh von jm

Die vogel tragen vß din stym

Vnd nymbt die leng nit wol gůt end

Dann herren hant gar lange hend /

Wer vber sich vil howen wil

Dem fallen spän jn die ougen vil

Vnd wer syn mundt jnn hymel setzt

Der würt offt mit sym schad geletzt /[51]

Eyn narr syn geist eyns mols vff schytt

Der wis schwigt vnd beit kunfftig zytt

Vß vnnütz red / keyn nutz entspringt

Schwätzē me schad da frommē bringt

Dar vmb vil wäger ist geschwygen

Dann schwätzen reden oder schryen

Sotades durch wenig wort

Gekerckert wart als vmb eyn mort /

Es sprach alleyn Theocrytus

Das einoygig wer Antigonus /

Vnd starb drumb jn sym eygnen huß

Als Demosthenes vnd Tullius

Schwigen ist loblich / recht / vnd gůt

Besser ist red / der jm recht důt


Quelle:
Sebastian Brant: Das Narrenschiff, Basel 1494, S. 48-52.
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