[O Tannebaum!]

[84] [84] Chor


O Tannebaum! o Tannebaum!

Du bist mir ein edler Zweig,

So treu bist du, man glaubt es kaum,

Grünst sommers und winters gleich.


Mädchen


Wenn andere Bäume schneeweiß sein

Und traurig um sich sehen,

Sieht man den Tannebaum allein

Ganz grün im Walde stehen.


Chor


O Tannebaum! o Tannebaum! usw.


Mädchen


Mein Schätzel ist kein Tannebaum,

Ist auch kein edler Zweig,

Ich war ihm treu, man glaubt es kaum,

Doch blieb er mir nicht gleich.


Chor


O Tannebaum! o Tannebaum! usw.


Mädchen


Er sah die andern schneeweiß sein

Und schimmernd um sich sehn,

Und mochte nicht mehr grün allein

Bei mir im Walde stehn.


Chor


O Tannebaum! o Tannebaum! usw.


[85] Mädchen


Der andern Bäume dürres Reis

Schlägt grün im Frühling aus,

Pocht er sein Röckchen, bleibt's doch weiß,

Schlägt nie das Grün heraus.


Chor


O Tannebaum! o Tannebaum! usw.


Mädchen


Oft hab' ich bei mir selbst gedacht,

Er kömmt noch einst nach Haus,

Spricht: Hab' mir selbst was weiß gemacht,

Poch' mir mein Röcklein aus.


Chor


O Tannebaum! o Tannebaum! usw.


Mädchen


Und klopft' ich ihn auch poch, poch, poch,

So fliegt nur Staub heraus;

Das schöne treue Grün kommt doch

Nun nimmermehr heraus.


Chor


O Tannebaum! o Tannebaum! usw.


Mädchen


Drum als er mich letzt angelacht,

Ich ihm zur Antwort gab:

Hast dir und mir was weiß gemacht,

Dein Röcklein färbet ab.


[86] Chor


O Tannebaum! o Tannebaum! usw.


Mädchen


O Tannebaum! o Tannebaum!

Wie traurig ist dein Zweig.

Du bist mir wie ein stiller Traum,

Und mein Gedanken gleich.


Chor


O Tannebaum! o Tannebaum! usw.


Mädchen


Du sahst so gar ernsthaftig zu,

Als er mir Treu versprach,

Sprich, sag mir doch, was denkest du,

Daß er mir Treue brach.


Chor


O Tannebaum! o Tannebaum! usw.


Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 1, München [1963–1968], S. 84-87.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Ausgewählte Gedichte
Märchen / Ausgewählte Gedichte (Fischer Klassik)

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Frau Beate und ihr Sohn

Frau Beate und ihr Sohn

Beate Heinold lebt seit dem Tode ihres Mannes allein mit ihrem Sohn Hugo in einer Villa am See und versucht, ihn vor möglichen erotischen Abenteuern abzuschirmen. Indes gibt sie selbst dem Werben des jungen Fritz, einem Schulfreund von Hugo, nach und verliert sich zwischen erotischen Wunschvorstellungen, Schuld- und Schamgefühlen.

64 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon