[O wie ist der Epheu treu!]

[607] O wie ist der Epheu treu!

Kann er sich nicht selbst erheben

Kann er gleich dem Wein nicht reben,

Kann er doch so liebend ranken

An den Armen an den Kranken

Auf zum wahren Weinstock streben!

O wie ist der Epheu gut

Wo er nur ein bißchen ruht

Gleich die Würzelchen fest klammern,

Daß die Trennung ihn muß jammern,


O wie ist der Epheu treu,

Wenn die Grabesurne bricht

Läßt sie doch der Epheu nicht

Bindet um die Asche fest die Scherben,

Denn getrennet muß er sterben.

O wie ist der Epheu hold

Aus der Wüste steigt er auf

Wie die Braut die sich auf den Geliebten stützet.


O wie ist der Epheu zäh

Von der Wurzel losgeschnitten

Werden Wurzeln seine Zweige

Daß er nie von jenem weiche

Was er einmal hat umarmt.


O wie ist der Epheu sinnend

Und das was er sinnet minnend,

Wer trennt mich von meiner Liebe,

Um das Kreuz schlingt er die Triebe.

In der Wüste lag ein Stein

So allein, allein, allein

Kam der Epheu zäh und kraus

Baute drum ein grünes Haus

Immergrün ist er geblieben

Sollte ihn der Stein nicht lieben.


Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 1, München [1963–1968], S. 607-608.
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