Als sie mir Taschentücher geschenkt, die sie in Karlsbad gesäumt

[554] 12. Juli 1834


Die Liebe gab mir Tränen,

Die linde hat mir Tüchlein dann gesäumt,

Zu trocknen viele Tränen,

Die ich um sie zu weinen noch versäumt,

Willkomm' zukünft'ge Tränen,

Ihr habt euch solche Huld wohl nicht geträumt,

O Mutter meiner Tränen,

Die jetzt noch unter deinem Herzen ruhn,

Fromm tust du meinen Tränen,

Wie treue Mütter ihren Kindlein tun,

Bereitest meinen Tränen

Ein mildes Lager mit der linden Hand

O reicher Strom der Tränen!

Der so ein liebes lindes Bett hier fand,

O nehmt mich auf ihr Tränen!

Tragt mich hinüber in das andre Land,

Und spiegelt mir ihr Tränen

Die Linde, die da an des Saumes Rand

Vielleicht mit eignen Tränen

Die hebe Gabe Stich vor Stich erfand,

Wo sollt ihr hin, ihr Tränen?

Wenn eure Mutter sich von euch gewandt,

Verrinnen müßt ihr Tränen

In einer öden Wüste glühem Sand.

Erweichet doch ihr Tränen

Das Herz, das nie ein ander Herz noch fand,

Und euch gebar ihr Tränen,

Und euch die Tüchlein in die Wiege band,

Daß es vor euch, ihr Tränen

Nicht grausam fliehe, fern und abgewandt;

Es gab wohl kaum noch Tränen,

Die ihre arme Mutter so geliebt,

Und doch, o arme Tränen,

Die liebe, süße Mutter so betrübt!!?

O arme, sel'ge Tränen![555]

O liebe, linde, die so gern vergiebt.

Vergieb, vergieb den Tränen!

Sieh stille zu, es sind die letzten bald,

Wenn ich in Reuetränen

Ein Tüchlein sterbend in den Händen halt',

Will ich mit treuen Tränen

Ans Herz es drücken, das schon überwallt,

Das überwallt in Tränen

Und meine Seele trägt vor Richters Thron,

Da will ich euch ihr Tränen

Im Tüchlein reichen meines Gottes Sohn,

Daß er sein Blut, ihr Tränen,

Euch mischend, mir die schwere Schuld vergiebt,

Und zu euch spricht ihr Tränen:

Viel ist vergeben euch, die viel geliebt!


Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 1, München [1963–1968], S. 554-556.
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