Auf dem Rhein

[98] Ein Fischer saß im Kahne,

Ihm war das Herz so schwer

Sein Lieb war ihm gestorben,

Das glaubt er nimmermehr.


Und bis die Sternlein blinken,

Und bis zum Mondenschein

Harrt er sein Lieb zu fahren

Wohl auf dem tiefen Rhein.


Da kömmt sie bleich geschlichen,

Und schwebet in den Kahn

Und schwanket in den Knieen,

Hat nur ein Hemdlein an.


Sie schwimmen auf den Wellen

Hinab in tiefer Ruh',

Da zittert sie, und wanket,

Feinsliebchen, frierest du?


Dein Hemdlein spielt im Winde,

Das Schifflein treibt so schnell,

Hüll' dich in meinen Mantel,

Die Nacht ist kühl und hell.[98]


Stumm streckt sie nach den Bergen

Die weißen Arme aus,

Und lächelt, da der Vollmond

Aus Wolken blickt heraus.


Und nickt den alten Türmen,

Und will den Sternenschein

Mit ihren starren Händlein

Erfassen in dem Rhein.


O halte dich doch stille,

Herzallerliebstes Gut!

Dein Hemdlein spielt im Winde,

Und reißt dich in die Flut.


Da fliegen große Städte,

An ihrem Kahn vorbei,

Und in den Städten klingen

Wohl Glocken mancherlei.


Da kniet das Mägdlein nieder,

Und faltet seine Händ'

Aus sehen hellen Augen

Ein tiefes Feuer brennt.


Feinsliebchen bet' hübsch stille,

Schwank' nit so hin und her,

Der Kahn möcht' uns versinken,

Der Wirbel reißt so sehr.


In einem Nonnenkloster

Da singen Stimmen fein,

Und aus dem Kirchenfenster

Bricht her der Kerzenschein.


Da singt Feinslieb gar helle,

Die Metten in dem Kahn,

Und sieht dabei mit Tränen

Den Fischerknaben an.[99]


Da singt der Knab' gar traurig

Die Metten in dem Kahn

Und sieht dazu Feinsliebchen

Mit stummen Blicken an.


Und rot und immer röter

Wird nun die tiefe Flut,

Und bleich und immer bleicher

Feinsliebchen werden tut.


Der Mond ist schon zerronnen

Kein Sternlein mehr zu sehn,

Und auch dem lieben Mägdlein

Die Augen schon vergehn.


Lieb Mägdlein, guten Morgen,

Lieb Mägdlein gute Nacht!

Warum willst du nun schlafen,

Da schon der Tag erwacht?


Die Türme blinken sonnig,

Es rauscht der grüne Wald,

Vor wildentbrannten Weisen,

Der Vogelsang erschallt.


Da will er sie erwecken,

Daß sie die Freude hör',

Er schaut zu ihr hinüber,

Und findet sie nicht mehr.


Ein Schwälblein strich vorüber,

Und netzte seine Brust,

Woher, wohin geflogen,

Das hat kein Mensch gewußt.


Der Knabe liegt im Kahne

Läßt alles Rudern sein,

Und treibet weiter, weiter

Bis in die See hinein.[100]


Ich schwamm im Meeresschiffe

Aus fremder Welt einher,

Und dacht' an Lieb und Leben,

Und sehnte mich so sehr.


Ein Schwälblein flog vorüber,

Der Kahn schwamm still einher,

Der Fischer sang dies Liedchen,

Als ob ich's selber wär'.


Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 1, München [1963–1968], S. 98-101.
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