Die Einsiedlerin

[194] O lasse Geliebter mich einsam leben!

Dem Tode bin ich früh geweiht,

Ich kann dir nicht Friede nicht Freude geben,

Doch beten für dich in Einsamkeit.


Ich will dir Geliebte dein Zellchen bauen,

Mein Herz ist einsam und dir geweiht.

Und durch meine Augen kannst du wohl schauen

Den Himmel so nah, die Welt so weit.


Die Arme, ich will sie dicht um dich schlingen,

Wie Liebeszweige, an Früchten schwer,

Die Lippe, sie soll dir wie Echo klingen,

Wie Vöglein springen mein Lied umher.


Dein Händchen, o leg's an mein Herz, es schläget

Im Busen mir ein lebend'ger Quell

Und wie sich in Liebe Liebe beweget,

Springt er dir entgegen so freudig hell.


Du kannst nicht lieben, nicht glauben, so ziehe

So ziehe nur hin in deinen Tod,

Die Sonne schien in dein Bettchen zu frühe,

Verschlafe nur nicht dein Abendrot.


Noch alle Tag' ist's nicht Abend geworden,

Mir bringet die Zeit noch Rosen einst,

Ich ziehe nach Süden, leb' wohl in Norden,

Du lachst mir noch, wie du nun weinst.


Und hinter dem Berge der Freund verschwindet,

Die Sonne geht durchs Himmelstor,

Sein Bündelchen traurig das Mädchen bindet,

Steigt mit dem Mond am Berg empor.


Es stehen die Wälder so stille, stille,

Des Berges Ströme sausen wild,[195]

O stärke den Mut mir, stark ist der Wille,

So betet sie am Heil'genbild.


Da läutet im Winde ein Silberglöckchen,

Sie tritt in die Zelle von Rosenholz,

Und nimmt das braunseidene Klausnerröckchen,

Legt an die Demut, legt ab den Stolz.


Und wie sie die bunten Kleider hinleget,

Schlägt ihr das Herz im Busen laut,

Die Flöte der Wanduhr so sanft sich reget,

und singt das Nachtlied der Himmelsbraut.


»Gut Nacht, o mein Liebchen, auf seidnem Moose,

Ach wie so sehnend die Nachtigall singt,

Am Fensterchen glühet die treue Rose,

Die Rose, die einst die Zeit mir bringt.


Ich mußte die Hütte, den Garten geben,

Zu bauen dein Zellchen so schön und fein,

Und muß nun wie du in der Wildnis leben,

Mit meiner Sehnsucht so einsam sein.


O Liebchen schlaf wohl, von deinem Schoße,

Fällt klingend der perlene Rosenkranz,

Es schläft nicht der Treue auf seidnem Moose,

Ihm flicht wohl die Liebe den Dornenkranz.«


So singt ihr die Flöte, doch verstehen

Kann Liebchen nicht des Liedes Leid,

Der Liebe Bitten, der Liebe Flehen,

Scheint ihr das Lied der Einsamkeit.


So lebt sie lange, ungeschmücket

Die Tage hin, die Nächte hin,

Und schon die Rose sich niederbücket

Sieht nicht mehr nach der Klausnerin,[196]


Die Stürme sausen in wilden Nächten,

Wohl lauter als die Flöte sang,

Im Walde die Hirsche brünstig fechten

Die Welt wie wild, die Zeit wie lang.


Und sitzet sie traurig an der Türe,

So eilen auf verschlungner Bahn

Die Rehe paarweis, die scheuen Tiere

Und stehen still und sehn sie an.


»O Zeit o wolle die Rosen brechen,

Wie einsam ist Liebchen, wie allein,

In Sehnsucht will ihr das Herz zerbrechen,«

So schreibt sie oft auf Täfelein.


Und heftet sie dann an die Geweihe

Der Hirsche, die sie zahm gemacht,

Und mustert sie ängstlich nach der Reihe,

Ob keiner Antwort ihr gebracht.


Weint Liebestränen, schlingt durch die Locken

So weltlich den perlernen Rosenkranz,

Und schürzt das Röckchen, schmückt ihre Socken

Mit Waldes Blumen, möcht' gern zum Tanz.


Und regen die Büsche im Mond sich helle,

Und flötet die Nachtigall süß und mild

So kann sie nicht schlafen, steht an der Zelle,

Und glaubet, sie sähe des Lieben Bild.


Umarmt die Bäume mit Liebesgeberde,

Und reicht den blühenden Zweigen die Hand,

Und kühlt sich den Busen an kühler Erde,

Und zeichnet sein Bildnis in reinen Sand.


Oft hebt sie die Füßchen, sie tanzt so gerne

Und beißt sich die Lippen, sie küßt so gern,

Am Himmel da stehen so ruhig die Sterne,

O weh mir wie einsam, die Liebe ist fern.[197]


So eilet der Frühling, der Sommer gehet,

Es senken die Büsche das grüne Dach,

Und sie wird nicht ernten, die nicht gesäet,

Nicht ruhig schlafen, die Reue ist wach.


»Du hast nicht geglaubt, nicht geliebt, so blühe

Verblühe nur hin in deinen Tod

Die Sonne schien in dein Bettchen zu frühe,

Verschlafe nur nicht dein Abendrot.«


So wiederholt sie im Traum seine Worte

Es pochet im Herzen, ja poche nur,

Sie gehet im Traume wohl an die Pforte,

O wehe es pochte im Herzen nur!


Sie weinet getäuschet, und bleibet stehen,

Da tönen Worte zu ihr hin,

O laßt ohn' Obdach mich nicht gehen

Gott lohnt euch, fromme Klausnerin.


Sie öffnet die Türe, in lauter Freude

Kann sie nicht reden, ihr Auge bricht,

In Liebestränen, und Freud und Leide,

Denn ach es ist der Geliebte nicht.


Und wie sie so weinet, steht still der Alte

Das Haupt gesenket, blickt sie nicht an,

O Jungfrau verzeih', daß ich krank dich halte,

Du bist wohl der Welt noch zugetan.


So redet er zürnend, und vor ihm nieder,

Kniet weinend die arme Klausnerin,

Und fleht, gieb mir den Geliebten wieder,

O führ' mich wieder ins Leben hin.


Der Alte spricht ruhig in jener Klause,

Die gestern mein Dach gewesen ist,

Ist Andacht und Friede wohl mehr zu Hause

Da wohnet wohl ein beßrer Christ.[198]


Da wohnet ein Jüngling, fromm und stille,

Und tuet Gutes, ist ohne Tand,

Er wählte durch der Geliebten Wille

Sich also schwer betrübten Stand.


Die Klausnerin jammert und ringet die Hände,

Und will nicht bleiben, will zu ihm hin,

O sage mir Greis, wohin ich mich wende,

In welchem Tale finde ich ihn.


Es weinet der Alte, so tief gerühret

Hat ihn der ird'schen Liebe Streit,

Es schmückt sich die Holde, als Braut gezieret

Steht sie im braunen seidnen Kleid.


Und hastig zieht sie ihn von der Schwelle,

Will mit ihm nach dem Tale gehn,

Die Nacht ist so ruhig, der Mond so helle,

Der Greis bleibt bei den Rosen stehn.


Und bricht die Rosen, und knieet nieder

Ein Jüngling vor der geliebten Braut,

Sie kann ihn umarmen, und wieder, wieder,

Sie weint so stille und lacht so laut.


Schlaf' wohl, o mein Liebchen auf seidnem Moose,

Die Zeit bringt Rosen, o süße Zeit!

Das Einsiedlerröckchen ist leicht und ist lose,

Der Himmel so nahe die Welt so weit.


Auf, auf o mein Liebchen, ich will uns bringen,

Zur Freude hin, geschwind wie der Wind,

Und auf die gesattelten Hirsche sich schwingen.

Der Jüngling und sein getreues Kind.


Es fliehen die Berge, es fliehen die Haine,

Die Städte stehen, und sehen nach,

Dann setzt er sie nieder und küßt sie am Rheine,

O Liebchen, wer flöhe den beiden nicht nach.


Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 1, München [1963–1968], S. 194-199.
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