Weihnacht

[587] Eine Rose hat geblühet

Also süß, geheimnisreich,

Daß selbst Gott für sie erglühet,

Und geworden Menschen gleich.


Keuschheit, Innigkeit und Demut

Schmückten sie mit Farb und Duft,

Daß ihr Reiz mit frommer Wehmut

Bis zum Throne Gottes ruft.[587]


Also hat ihr Duft gezogen,

Daß den Stärksten sie bezwang,

Daß ihr an das Herz geflogen

Ist der Held, um den sie rang.


Daß, der erste und der letzte,

Des allmächt'gen Gottes Sohn

In den Schoß der Rose setzte

Aus dem Himmel seinen Thron.


Wie das Einhorn kömmt gesprungen

Gern zu reiner Jungfraun Schoß

Und sein Haupt, das nie bezwungen

Beuget aller Wildheit bloß,


So ihr inniges Verlangen

Zog den Helden in das Land,

Und sie band, den sie gefangen,

Mit der Liebe stärkstem Band.


Lieblich hat sie ihn empfangen,

Ach er grüßte so vertraut!

Und sie hat ihn süß umfangen,

Wie den Bräutigam die Braut,


Führt ihn ein zum Heiligtume,

In des Herzens Kämmerlein,

Wo mit ihm die reine Blume

Mutterselig war allein.


Wo sie den Geliebten legte

In ein Bettlein keusch und rein,

Und ihm, den sie lieblich pflegte,

Schenkte süßen Balsam ein,


Daß der ganz von Lieb' Berauschte

Schlummernd dort neun Monde lag

Und sein eignes Herz belauschte

In des Mutterherzens Schlag.[588]


Und als nun der Held erwachte,

O da war der Starke lind!

Der da Erd' und Himmel machte,

War ein kleines, süßes Kind.


Den Unfaßlichen die Rose

Bindet fest in Tüchlein ein,

Wiegt ihn spielend ein im Schoße,

Legt ihn in ein Krippelein.


Und durch Demut führt die Holde

Den Allmächt'gen nah und fern,

Hin und wieder, wo sie wollte,

Führt den Herrn die Magd des Herrn,


Bringt zum Tempel den Geliebten,

Setzt ihn auf ein Eselein,

Führt ihn fern bis in Ägypten,

Und er folgt dem Mütterlein,


Flüchtet durch die dürre Wüste

Ihren Schöpfer vor Gefahr,

Und es nähren ihre Brüste

Ihren Gott, den sie gebar.


Führet ihren Gott zurücke

An der treuen Mutterhand,

Als erlosch des Feindes Tücke,

In sein ird'sches Vaterland.


Führt zu seines Tempels Hallen

Den Allmächtigen, ein Kind,

Lehrt ihn die Gebete lallen,

Die ihm selbst gebetet sind.


Und als sie im Tempel lehrend

Den Vermißten wiederfand,

Folgt er ihre Mahnung ehrend

Wie ein Kind am Gängelband.[589]


Wie geschah dem Gottessohne

Als der edlen Rose Duft

Bis zum hohen Himmelsthrone

Aus den Erdendornen ruft,


Ganz in Liebe er erglühte

Los er sich vom Vater wand,

Sprang zur wundersüßen Blüte,

Die da in den Dornen stand.


Hat die Dornen wohl empfunden,

Ward wohl selbst ein Röslein rot,

Blutete, von Dorn umwunden,

Aus fünf Rosen sich zu tot.


Und empfangen von der Rose

Süß nach weiblicher Natur

Folgt allein er dem Gekose

Ihres lieben Willens nur.


Und als ihn die Süße, Holde

Schloß im keuschen Herzen ein,

Wo sie nur ihn haben wollte,

Trank er also süßen Wein,


Daß der Gottheit unermessen

Und der Engel lichte Pracht

Er im Mutterschoß vergessen,

Wenn die Jungfrau niederlacht,


Und mit lieblicher Geberde

Hüllt sie in ein Knechtsgewand

Den, der Himmel schuf und Erde,

Liebe zwingt zu niederm Stand.


Zwinget in dem Sklavenkleide

Ihn so manches bittre Jahr,

Daß er tue, daß er leide,

Was er nicht gewöhnet war.[590]


Und als nun im Todeskleide

Er ins Elend trat heraus,

Daß das Lamm in Dornen weide,

Brach es laut in Tränen aus.


Fühlte gleich die Dornen stechen

Nach des Rosenbettleins Ruh'

Und es war, als wollt' er sprechen:

Ach! wie komme ich dazu?


Und Maria lächelt freudig

Dem gefangnen Königssohn,

Mit dir lieb' ich, mit dir leid' ich,

Doch du kommst mir nicht davon!


Gott sei Preis, daß fest gebunden

Ich durch Liebe dich, o Held!

Hat dich Liebe überwunden,

So besieg' mir nun die Welt!


Eh' dein Vater zu der Rechten

Dich, o Sohn! erhöhen soll,

Werd' erst Gnade seinen Knechten,

Denn er hieß mich gnadenvoll!


Adam und all seine Kinder

Mußt du erst vom Zorn befrein,

Dann magst du, o Trost der Sünder

Wieder bei dem Vater sein.


Und daß dieser nicht dem Sohne,

Und der Sohn sein selber nicht

Zu der Sünder Heil verschone,

Gieng die Liebe ins Gericht.


Und es gab das Kind der Rose

All sein Blut so rosenrot,

Fiel aus seiner Mutter Schoße

In die Dornen, in den Tod.[591]


Ach die Sünder kosten teuer

Kosten Schmerzen ihn genug,

Bis er aus des Zornes Feuer

Sie ins Bad der Gnade trug.


Und wer nun hier in der Rose

Fein das süße Kindlein sieht,

Dank' daß aus der Junfrau Schoße

Ihm auch ist das Heil erblüht!


Hab' dies Weihnachtslied gesungen

Von dem süßen Rosenkind,

Bin von Dornen so umschlungen,

Daß ich wund und krank und blind.


Ist drum nicht dies Lied gelungen

Mag es sein, weil wie ein Kind

In den Dornbusch ich gedrungen,

Daß ich dir ein Sträußlein bind'.


Hab' nur Dornen mir gesammelt,

Geb' dir all die Rosen hin,

O vergieb dem Schmerz der stammelt,

Laß mich scheinen, was ich bin.


Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 1, München [1963–1968], S. 587-592.
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