Fortsetzung des Tagebuchs

[155] Die Worte Tiliens beschämten mich. Ich schwieg. Ich wollte Tilien ihre Götter rauben, und sie blieb mir freundlich. Ich sah in mich zurück und um mich her, da blieb es kalt und leer. Kein Bild sprach mit mir von einem heiligen Zusammenhange mit einem höhern Leben. O, wer giebt mir diese Religion?

Wenn ich Tilien und mit ihr den schönen Zusammenhang mit ihren stillen Lichtern erhalten könnte! Wie ehre ich nun diese stillen Lichter – Sind sie Tilien, was sie mir ist? – Sollte mich nicht eine schöne Eifersucht bewegen, an ihre Stelle zu treten, meine Stelle mit ihnen zu vertauschen? – Wie – wie kann die wilde verzehrende Flamme in mir zum stillen Lichte werden? –

So war es in mir. Tilie ging ruhig an meiner Seite und sang:


Sprich aus der Ferne

Heimliche Welt,

Die sich so gerne

Zu mir gesellt.

Wenn das Abendrot niedergesunken,

Keine freudige Farbe mehr spricht

Und die Kränze stilleuchtender Funken

Die Nacht um die schattigte Stirne flicht:

Wehet der Sterne

Heiliger Sinn

Leis durch die Ferne

Bis zu mir hin.


Wenn des Mondes still lindernde Tränen

Lösen der Nächte verborgenes Weh,[155]

Dann wehet Friede. In goldenen Kähnen

Schiffen die Geister im himmlischen See.

Glänzender Lieder

Klingender Lauf

Ringelt sich nieder,

Wallet hinauf.


Wenn der Mitternacht heiliges Grauen

Bang durch die dunklen Wälder hinschleicht

Und die Büsche gar wundersam schauen,

Alles sich finster tiefsinnig bezeugt:

Wandelt im Dunkeln

Freundliches Spiel,

Still Lichter funkeln

Schimmerndes Ziel.


Alles ist freundlich wohlwollend verbunden,

Bietet sich tröstend und traurend die Hand,

Sind durch die Nächte die Lichter gewunden,

Alles ist ewig im Innern verwandt.

Sprich aus der Ferne

Heimliche Welt,

Die sich so gerne

Zu mir gesellt.


So sang Tilie durch die Büsche, als bete sie. Der ganze Tempel der Nacht feierte über ihr, und ihre Töne, die in die dunkeln Büsche klangen, schienen sie mit goldnen, singenden Blüten zu überziehen.

Ich selbst war wunderbar gerührt und weinte fast, daß ich an der Seite dieses hellen freundlichen Bildes so trüb und verschoben dastehe.

Hier wendete sich Tilie zu mir und sprach:


Dir ist nicht wohl, du magst den Wald nicht leiden,

Weil Dunkelheit schon in dir selbst regiert;

So will ich dich den andern Weg geleiten,

Der über eine helle Wiese führt,

Wo Licht und Schatten nicht so bange streiten

Und sich der Pfad in hellen Glanz verliert.

Durch jene Flur, in sanften grünen Wogen,

Wird sie von leisem Wehen hingezogen.[156]


Tilie trat mit mir aus dem Walde auf die glänzende Wiese heraus, und ich erschrak fast vor ihrer Schönheit.


Ist des Lebens Band mit Schmerz gelöset,

Liegt der Körper ohne Blick, ohn Leben,

Fremde Liebe weint, und er geneset.

Seine Liebe muß zum Himmel schweben,

Von dem trägen Leibe keusch entblößet,

Kann zu Gott der Engel sie erheben.

Und er hält sie mit dem Arm umfasset,

Schwebet höher, bis das Grab erblasset.


Ist er durchs Vergängliche gedrungen,

Kehrt die Seele in die Ewigkeit,

O, so ist dem Tod genug gelungen,

Und er stürzet rückwärts in die Zeit.

Um die Seele bleibet Wonn geschlungen,

Alles giebt sich ihr, die alles beut,

Wird zum ewgen Geben und Empfangen,

Kann des Wechsels Ende nie erlangen.


So war mir, als ich auf die Wiese trat und Tilie neben mir; es war, als stürze alles Licht auf sie herab, sie zu verschlingen, oder zu erschaffen, oder sie erschaffe alles Licht; es war, als entstehe sie aus den Wellen der Grashalmen und Blumen, über die sie schwebend hinging, wie Venus aus dem Schaume des Meeres.


Ich:


Wie diese stille Fläche sah der See

In meines Vaters Garten aus; Otilie,

Dort, wo die Büsche sich verengen, stand

Das weiße Bild, o Gott –


Tilie:


Was ist dir?


Ich:


Dort steht die Frau.


Tilie:


Wo? Laß uns zu ihr hin;

Da steht sie, ja ich sehe sie, die Arme![157]


Ich war in die Erde gewurzelt, die weiße Marmorfrau stand am andern Ende der Wiese, und hatte den Knaben im Arm.

Tilie saß neben mir, rief mich dann und wann und rüttelte mich leise, ich war sinnlos niedergesunken.


Tilie:


Wie ist dir, sprich, du machst mir bange,

Liebst du das weiße Frauenbild nicht mehr?

Hast du ihm wehgetan, daß du es fürchtest?

Mir war es lieb, daß sie sich vor uns stellte.


Ich:


Sahst du sie denn?


Tilie:


Gewiß, bis sie verschwand.

Doch komme, wunderbarer Mann, komm schnell,

Laß uns nach Haus zu meinem Vater eilen,

Mit dir ist es nicht gut allein zu weilen.


Das stille Licht sahen wir schnell durch den Wald hinfliehen, und trennten uns an der Türe. Ich bin krank –

Godwi

Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 2, München [1963–1968], S. 155-158.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Godwi oder Das steinerne Bild der Mutter
Godwi oder Das steinerne Bild der Mutter

Buchempfehlung

Gryphius, Andreas

Papinianus

Papinianus

Am Hofe des kaiserlichen Brüder Caracalla und Geta dient der angesehene Jurist Papinian als Reichshofmeister. Im Streit um die Macht tötet ein Bruder den anderen und verlangt von Papinian die Rechtfertigung seines Mordes, doch dieser beugt weder das Recht noch sich selbst und stirbt schließlich den Märtyrertod.

110 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon