Betrachtung einer sonderbar-schönen Winter-Landschaft

[457] Wie jüngst ein tiefer Schnee gefallen,

Und gleich ein Regen drauf; bald aber wiederünt

Ein schneller Frost entstand; erstarrt' vor dessen Grimm

Der Schnee, der eben schmoltz. Da schien nun, wie Krystallen,

Der Bäume glatte Schaar,

Die fast im Augenblick, als wie beharnischt, war.

Es wurden Wunder-schnell so gross- als kleine Sprossen,

Von einem halb bereits erstarrten Naß, beflossen,

Und ringsüm eingefasst und eigeschlossen.

Sie waren gantz mit klarem Eis bedecket:

Das allerkleinste Zweiglein stecket

In einer Eis-Krystallen Stangen,

Die sieben mahl so dick, als wie es selbst. Daher

Die Aeste denn, dieweil das Eis so schwer,

Gebogen all' herunter hangen.

Wodurch der Bäume Heer

Den Palmen an Figur, an Glantz den Leuchter-Cronen

Von reinem Berg-Krystall, die hell polirt sind, glich.


Die gantze Landschaft sah daher verwunderlich,

Hell, prächtig, herrlich aus. Zumahl

Wie bey dem Untergang der niedre Sonnen-Strahl

In, durch, und an die klare Glätte fiel.
[458]

Es ist fast auf der Welt kein schöner Augen-Ziel.

Der Glantz, den König' oder Kaiser

An Kostbarkeiten zeigen können;

Sind nichts bey diesem Glantz zu rechnen, nicht zu nennen.

Ein Wald von Berg-Krystall voll Diamanter Reiser

Sind überall zur Schau gestellt.

Ein Dresdnisch grün Gewölb' war ietzt die gantze Welt:

Weil nichts, als spielende Briljanten,

Als schütternde geschliff'ne Diamanten,

So weit man sah, zu sehn.


Ich muste hier iedoch der Menschen Meynung lachen,

Die so viel Prahlerey von Edelsteinen machen.

Wie leicht kann, dacht' ich, die Natur

Juwelen überall bereiten!

Die Härte fehlet ja dem Eise nur,

So hat es alle Kostbarkeiten,

Pracht, Schimmer, Wasser, Feur und Schein,

Und alle rare Seltenheiten,

Die im so hoch geschätzten Demant seyn.


Man stell' sich einen Saal, voll Leuchter an der Wand

Von oben gantz herab, von allerhand

Bald rund-, bald eckigten Corallen

Von klaren Berg-Krystallen,

(In deren rein-geschliff'nen Spitzen

Viel tausend helle Kertzen blitzen)

Einst in Gedancken vor; so wird der bunte Schein

Doch schwach, bey diesem Gläntzen, seyn,

Das auf der Erd' ietzt allgemein.

Da alle Bäume, alle Hügel,

Wie Leuchter-Cronen, helle Spiegel,[459]

Die selbst der Sonnen Wunder-Strahl

In allen Orten trifft, bemahlt, durchdringet, schmücket,

Im ungemessnen Erden-Saal,

An einem hellen Glantz und Schein

Erstaunlich azusehen seyn.


Es wird mein Auge fast entzücket,

Da ich zur selben Zeit, im Garten, die Allee

Auf gleiche Weise,

Durch den so schnell geschmoltz'nen Schnee,

In einem hell-bestrahlten Eise,

Nicht schimmern, feurig funckeln seh.

Sie war nicht anders anzuschauen,

Als wie ein Weg, den man, im Bergwerck, aus Juwelen

Und Diamanten ausgehauen.

Wenn man durch fliessenden geschmoltzenen Krystall

Die Bäume gantz gezogen hätte;

So könnten sie in einer hellern Glätte,

Als wie sie damahls überall,

Unmöglich funckeln, blitzen, gläntzen.


Mein Leser, glaube nicht, daß mein Erzählen

Zu weit sey ausgedehnt. Es ist wahrhaftig wahr.

Und bin ich nicht geschickt,

Daß es, durch meinen Kiel, hoch, prächtig, ähnlich, klar

Und schön genug wird ausgedrückt.

Doch hab' ich auch den Frost so gar ausnehmend schön,

Nur bloß ein eintzigs mahl, gesehn.

Jedoch muß ich dabey gestehn:

Daß alle Schönheit doch ein Etwas, welches wild,

Und rauh, und fürchterlich, zugleich uns zeigte.

Denn da ein ieder Baum sich gantz herabwärts beugte,[460]

War Weg und Steg versperrt. Hierüber fiel mir ein:

Wie muß doch dem zu muthe seyn,

Der ietzt durch Wälder reisen muß?

Ich stellte mir

Davon viel gräßliches und sehr gefährliches für.

Doch hast du bald darauf, gelehrter Clodius,

Den eben, üben mein Verhoffen,

Dieß Ungemach betroffen,

Es mir weit schrecklicher, als ich mir, vorgestellt.


Kurtz: wircklich war, zu dieser Zeit, die Welt

Mit Schönheit und Gefahr, mit Lust und Last erfüllt.

Sie war ein lieblich Schrecken-Bild;

Entsetzlich angenhm, erschrecklich schön

(Man sage, was man will) war alles anzusehn.


Des Eises schöner Glantz, das, durch die schwehre Last,

So manchen Ast

So sehr beschwehrt', und abwärts beugte,

Ja viele gar zerbrach, zerknickte,

Und manchen Baum so gar zur Erden drückte,

War mir nicht nur ein Beyspiel mancher Schönen,

Die oft durch eigner Schönheit Pracht

Zu Unglück kömmt, und wird zu Fall gebracht:

Es ließ zugleich dieß lieblich rauhe Wesen,

Vom Zustand unsrer Welt, mir eine Lehre lesen:


Wie in so schönem Frost sich Pein und Schein vereinet,

Und unser Aug' erschrecket und erfrischt;

So ist mit Gutem auch das Böse stets vermischt.

Daher, was jener sagt, die Wahrheit, wie es scheinet:

»Im Himmel, spricht er, ist vollkomm'ne Seeligkeit.

Und in der Hölle nichts, als Quaal,[461]

Auf Erden bindet sich hingegen Lust und Leid

Fast allemahl.«


Vergeht nun gleich des Winters schöner Schimmer

Viel eh noch, als die Unbequemlichkeit;

So währt doch auch der scharfe Frost nicht immer.

Es jagt ihn, samt dem kalten Nord

Zu rechter Zeit der frohe Frühling fort.

Darüm verzweifle nicht, wenn rauhe Winde wehn,

Doch sey auch nicht zu stoltz, wenn alles still und schön!

Vielmehr gedenck, sowohl im Sturm, als in der Stille:

Es muß so seyn, es ist des Schöpfers Wille.

Laß dich den Glantz zum Trost, den Frost zur Demuth bringen,

Und dencke: Wunderbar ist GOTT in allen Dingen.


Quelle:
Barthold Heinrich Brockes: Auszug der vornehmsten Gedichte aus dem Irdischen Vergnügen in Gott. Stuttgart 1965, S. 457-462.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Irdisches Vergnügen in Gott
Irdisches Vergnügen in Gott: Erster und zweiter Teil
Irdisches Vergnügen in Gott: Dritter und Vierter Teil

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Der grüne Kakadu. Groteske in einem Akt

Der grüne Kakadu. Groteske in einem Akt

In Paris ergötzt sich am 14. Juli 1789 ein adeliges Publikum an einer primitiven Schaupielinszenierung, die ihm suggeriert, »unter dem gefährlichsten Gesindel von Paris zu sitzen«. Als der reale Aufruhr der Revolution die Straßen von Paris erfasst, verschwimmen die Grenzen zwischen Spiel und Wirklichkeit. Für Schnitzler ungewöhnlich montiert der Autor im »grünen Kakadu« die Ebenen von Illusion und Wiklichkeit vor einer historischen Kulisse.

38 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon