Erklärung des Vater Unsers

[673] So wohl der Anfang, als der Schluß

Des Vater Unsers, zeiget an,

Daß, auch im Beten, jedermann

Auf die Verherrlichung des Schöpfers gehen muß.

Es giebet Christus selbst den deutlichsten Bericht,

Der je davon zu unsrer Kundschaft kame,

Wenn er zu Anfang: Vater! spricht,

Geheiligt werde stets dein Name!

Wie kann nun Gottes Nam' auf Erden

Von uns doch mehr geheiligt werden,

Als wenn wir, wie sein Werck so schön,

In fröhlicher Betrachtung, sehn?

Sein Reich wird wenigstens auch darin mit bestehn,

Wenn wir, in seinem Werck, mit Lust, sein Lob erhöhn.

Sein Wille wird zugleich, wenn dieß geschicht, geschehn.

Auch unser täglich Brodt zeigt seiner Wercke Macht,

Und wird, aus weiser Huld, von ihm hervorgebracht.

Wenn Christus das Gebeth nun endlich schleußt;

So finden wir noch mehr, indem es heißt:

Denn es ist dein das Reich, die Kraft, die Herrlichkeit

In Ewigkeit. Es fährt am selben Ort

Der Herr noch weiter fort,

Und heißt in Lilien, da sie so schön,

An Vögeln und am Gras' uns Gottes Allmacht sehn.

Ach, warum nehmen wir denn nicht

Die, durch Natur und Schrift uns eingeprägte, Pflicht

Mit merhrerm Ernst in Acht?

Auf, laßt uns überall in Gottes Wercken,

Mit Andacht, Lust und Ehrfurcht, mercken

Des Schöpfers Weisheit, Lieb' und Macht!


Quelle:
Barthold Heinrich Brockes: Auszug der vornehmsten Gedichte aus dem Irdischen Vergnügen in Gott. Stuttgart 1965, S. 673-674.
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