Sechstes Kapitel

[42] In freier Luft, in frischem Grün,

Da, wo die bunten Blümlein blühn,

In Wiesen, Wäldern, auf der Heide,

Entfernt von jedem Wohngebäude,

Auf rein botanischem Gebiet,

Weilt jeder gern, der voll Gemüt.


Sechstes Kapitel

Hier legt sich Bählamm auf den Rücken

Und fühlt es tief und mit Entzücken,

Nachdem er Bein und Blick erhoben:

Groß ist die Welt, besonders oben![42]

Wie klein dagegen und beschränkt

Zeigt sich der Ohrwurm, wenn er denkt.


Sechstes Kapitel

Engherzig schleicht er durch das Moos,

Beseelt von dem Gedanken bloß,

Wo's dunkel sei und eng und hohl,

Denn da nur ist ihm pudelwohl.


Sechstes Kapitel

Grad wie er wünscht und sehr gelegen

Blinkt ihm des Dichters Ohr entgegen.

In diesen wohlerwärmten Räumen,

So denkt er, kann ich selig träumen.[43]

Doch wenn er glaubt, daß ihm hienieden

Noch weitre Wirksamkeit beschieden,

So irrt er sich. – Ein Winkelzug

Von Bählamms Bein, der fest genug,


Sechstes Kapitel

Zerstört die Form, d.h. so ziemlich,

Die diesem Wurme eigentümlich,

Und seinem Dasein als Subjekt

Ist vorderhand ein Ziel gesteckt.[44]

Sogleich und mit gewisser Schnelle

Vertauscht der Dichter diese Stelle

Für eine andre, mehr erhöht,

Allwo ein Bäumlein winkend steht.


Sechstes Kapitel

Ein Vöglein zwitschert in den Zweigen;

Dem Dichter wird so schwül und eigen.

Die Stirn umsäuseln laue Lüfte;

Es zuckt der Geist im Faberstifte.
[45]

Sechstes Kapitel

Pitschkleck! – Ein Fleck. Ein jäher Schreck. –

Erleichtert fliegt das Vöglein weg.[46]

Indessen auch der andre Sänger

Verweilt an diesem Ort nicht länger.


Sechstes Kapitel

Den Himmel, der noch eben blau,

Umwölkt ein ahnungsvolles Grau.


Sechstes Kapitel

Vor Regen schützt die Scheidewand

Des Schirmes, wenn er aufgespannt.[47]

Verquer durch Regen und Gestrüppe

Kommt Krischan mit der scharfen Hippe.

Vom Regen ist der Blick umflort,


Sechstes Kapitel

Und richtig wird der Schirm durchbohrt.


Sechstes Kapitel

Betrübend ist und wenig nütze

Das Paraplü mit einem Schlitze;[48]

Doch ist noch Glück bei jedem Hieb,

Wobei der Kopf heroben blieb.

Auch braucht man, läßt der Regen nach,

Ja sowieso kein Regendach.


Sechstes Kapitel

Und hier, begleitet von der Ziege,

Kommt Rieke über eine Stiege;[49]

Und Bählamm, wie die Dichter sind,

Will diesem anmutsvollen Kind


Sechstes Kapitel

Als Huldigung mit Scherz und Necken

Ein Sträußlein an den Busen stecken.


Sechstes Kapitel

[50] Ein Prall – ein Schall – dicht am Gesicht –


Sechstes Kapitel

Verloren ist das Gleichgewicht.


Sechstes Kapitel

[51] So töricht ist der Mensch. – Er stutzt,

Schaut dämisch drein und ist verdutzt,

Anstatt sich erst mal solche Sachen

In aller Ruhe klarzumachen. –


Hier strotzt die Backe voller Saft;

Da hängt die Hand, gefüllt mit Kraft.

Die Kraft, infolge von Erregung,

Verwandelt sich in Schwungbewegung.

Bewegung, die in schnellem Blitze

Zur Backe eilt, wird hier zu Hitze.

Die Hitze aber, durch Entzündung

Der Nerven, brennt als Schmerzempfindung

Bis in den tiefsten Seelenkern,

Und dies Gefühl hat keiner gern.


Ohrfeige heißt man diese Handlung,

Der Forscher nennt es Kraftverwandlung.
[52]

Quelle:
Wilhelm Busch: Werke. Historisch-kritische Gesamtausgabe, Bde. I-IV, Band 4, Hamburg 1959, S. 42-53.
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