Im weißen Pferd

Erstes Kapitel

Im weißen Pferd

[382] Wer Bildung und Moral besitzt,

Der wird bemerken, daß anitzt

Fast nirgends mehr zu finden sei

Die sogenannte Lieb und Treu. –

Man sieht zuerst mit Angstgefühlen

Herunterfallen von den Stühlen

Die angestammten Landesväter –

Sodann, als kühler Hochverräter,

Zieht man die Tabaksdos hervor,

Blickt sanft und seelenvoll empor,

Streckt sich auf weichem Kanapee,

Schlürft mit Behagen den Kaffee –

Und ist man so aufs neu erfrischt,

Dann denkt man: »Na, die hat's erwischt!«

So denkt der böse Mensch. – Jedoch

Es gibt auch gute Menschen noch. –


Zu Milbenau im weißen Pferd

Bei Mutter Köhm, die jeder ehrt,

Da sitzen, eng vereint und bieder,

Auch diesen Sonntagabend wieder

Nach altem Brauch im Freundschaftskreise

Die Männer und die Mümmelgreise. –


»Et blivt nich so! Et blivt nich so!!«

So murmelt jeder hoffnungsfroh. –


Im weißen Pferd

[382] »Et schall nich bliben ans et is!

Et schall weer weeren anse süß!!«

»Un dat seg eck! Un dat seg eck!«

So spricht entschieden Schneider Böck. –


Im weißen Pferd

Im weißen Pferd

[383] Hierauf spricht lächelnd Krischan Stinkel

Und zwinkert mit dem Augenwinkel:

»Eck segge man, vor min Pläsier,

Gottlof! Wat is de Botter dür!!«


Im weißen Pferd

Dagegen ruft der lange Korte

Mit Zorneseifer diese Worte:

»Kreuzhimmeldausenddonnerwär,

Uns' olle König mot weer her!!«
[384]

Jetzt sieht sich Bürgermeister Mumm

Bedenklich nach der Seite um.

»Pißt!!« – ruft er – »Ruhig, liebe Leut!

Seid untertan der Obrigkeit!!«


Im weißen Pferd

»Ja, aber man bis insoweit!

Seggt unse olle Herr Pastor.«

»Dat hat he seggt!!!« – so tönt's im Chor. –


Im weißen Pferd

[385] Hierauf, so wird es etwas stille,

Und grad kommt Herr Aptheker Pille.

»Ihr Leute, daß ich's bloß man sage!

Denn morgen ist der Tag der Tage,

Da er geboren, der – – ihr wißt! – –«

»Ja ja, so is't! Ja ja, so is't!!«


Im weißen Pferd

»Nun ist Euch allen wohlbekannt

Der Busenfreund, den ich erfand,

Der segensreiche Labetrank,

Der, sei man munter oder krank,

Erwärmend dringt bei hoch und nieder

Durch Kopf, Herz, Magen und die Glieder – –[386]

Wie wär es, hochverehrte Freunde,

Wenn man im Namen der Gemeinde

Ein Dutzend Flaschen oder so – –«

»Ja ja, man to! Ja ja, man to!!«

So tönt es laut im treuen Kreise

Der Männer und der Mümmelgreise.

Und jeder ruft: »He, Mutter Köhmen!

Up düt will wi noch Einen nöhmen!!«


Im weißen Pferd

Gesagt, getan. – Für Mutter Köhm

Ist dies natürlich angenehm.
[387]

Quelle:
Wilhelm Busch: Werke. Historisch-kritische Gesamtausgabe, Bde. I-IV, Band 2, Hamburg 1959, S. 382-388.
Lizenz:
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