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[439] »Komm Nero!« spricht Herr Bartel ernst,
»Es wird jetzt Zeit, daß du was lernst!
Du willst nicht? – Gut! so hau' ich dich
Mit einem Stecken fürchterlich.«[439]
Drauf sitzt der Nero mäuschenstill
Und hört, was man ihm sagen will.
»Hut ab!« das ist das erste Stück,
Der Nero macht es mit Geschick.
Zum zweiten: »Jenen Stecken dort!«
Nur munter, Nero! such! apport!«
[440] Und jetzt: »Die Tür auf! – So, so, so!
Das geht ja schon! Bravissimo!«
»Ach!« denkt der Nero, »ach, wozu
Läßt mich mein Herr doch nicht in Ruh'?!«
Da kommt, als sie spazierengingen,
Der Hundefänger mit der Schlingen.
[441]
»Hut ab!« ruft schnell Herr Bartel jetzt,
Der Hundefänger ist entsetzt.
Und läßt, dieweil der Schreck so groß,
Die festgemachte Schlinge los.
[442]
Gleich sitzt der Nero mit der Mütze
In einer tiefen Wasserpfütze.
Der böse Mann, gar sehr gewandt,
Fischt aber Nero an das Land
[443]
Und sperrt ihn in den Gitterkasten
Und schreit: »Jetzt soll der Schlingel fasten!«
Doch kaum hat sich der Mann entfernt,
Zeigt Nero, daß er was gelernt.
[444]
Er macht die Türe auf, und dann
Läuft er nach Haus, so schnell er kann.
Hier kehrt er heim und ist erfreut,
Das macht allein die Fleißigkeit.
[445]
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