[177] Einszweidrei, im Sauseschritt
Läuft die Zeit; wir laufen mit. –
Julchen ist nun wirklich groß,
Pfiffig, fett und tadellos,
Und der Vater ruft: »Was seh ich?
Die Mamsell ist heiratsfähig!«[177]
Dementsprechend wäre ja
Mancher gute Jüngling da.
Da ist Sutitt; aber der
Praktiziert als Vetrinär.
Da ist Mickefett; doch dieser
Ist Apthekereiproviser.
[178] Da ist Klingebiel; was ist er?
Sonntags Kanter, alltags Küster.
Und dann Fritz, der Forstadjunkt,
Das ist auch kein Anhaltspunkt.
Einfach bloß als Mensch genommen
Wäre dieser höchst willkommen,[179]
Nur muß Knopp sich dann entschließen,
Ganz bedeutend zuzuschießen. – –
Kurz gesagt mit wenig Worten,
Ob auch Knopp nach allen Orten
Seine Vaterblicke richte,
Nirgends paßt ihm die Geschichte. –
Anderseits, wie das so geht,
Mangelt jede Pietät.
Man ist fürchterlich verliebt,
Ohne daß man Achtung gibt
Oder irgendwie bedenkt,
Ob man alte Leute kränkt.
Selten fragt sich so ein Tor:
Was geht in den Eltern vor?? –
Ja, so ist die Jugend heute! –
Schrecklich sind die jungen Leute
Hinter Knoppens Julchen her,
Und recht sehr gefällt es der. –
Was hat Knopp doch für Verdruß,
Wenn er das bemerken muß! –
[180] Hier zum Beispiel abends spät,
Wie er still nach Hause geht,
Sieht er nicht mit Stirnefalten,
Wie drei männliche Gestalten
Emsig spähend da soeben
Starr vor Julchens Fenster kleben?
[181] Zornig mit dem Wanderstab
Stochert er sie da herab.
Er verursacht großen Schreck,
Doch den Ärger hat er weg.
[182]
Ausgewählte Ausgaben von
Julchen
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