Neuntes Kapitel

[137] Es war im schönen Karneval,

Wo, wie auch sonst und überall,

Der Mensch mit ungemeiner List

Zu scheinen sucht, was er nicht ist.


Neuntes Kapitel

Dem Kuno scheint zu diesem Feste

Ein ritterlich Gewand das beste.


Schön Suschen aber schwebt dahin

Als holdnaive Schäferin.
[137]

Neuntes Kapitel

Schon schwingt das Bein, das graziöse,

Sich nach harmonischem Getöse

Bei staubverklärtem Lichterglanze

Im angenehmsten Wirbeltanze. –


Neuntes Kapitel

Doch ach! die schöne Nacht verrinnt.

Der Morgen kommt; kühl weht der Wind.

Zwei Menschen wandeln durch den Schnee

Vereint in Kunos Atelier.
[138]

Neuntes Kapitel

Und hier besiegeln diese zwei

Sich dauerhafte Lieb und Treu. –


Hoch ist der Liebe süßer Traum

Erhaben über Zeit und Raum. –

Der Kuno, davon auch betäubt,

Vergaß, daß man heut Mittwoch schreibt. –

Es rauscht etwas im Vorgemach.

O weh! Das Fräulein von der Ach!


Neuntes Kapitel

»Herzallerliebster Schatz, allons!

Verbirg dich hinter dem Karton!«


Neuntes Kapitel

[139] »Willkommen, schönste Gönnerin!

Hier, bitte, treten sie mal hin!«


Neuntes Kapitel

Begonnen wird das Konterfei.

Der Spitz schaut hinter die Stafflei.
[140]

Neuntes Kapitel

Der Künstler macht sein Sach genau.

Der Spitz, bedenklich, macht wau, wau!


Neuntes Kapitel

Entrüstet aber wird der Spitz

Infolge eines Seitentritts.


Neuntes Kapitel

[141] Die Haare sträuben sich dem Spitze.

Die Staffel schwankt. Ausrutscht die Stütze;


Neuntes Kapitel

Und mit Gerassel wird enthüllt

Der Schäferin verschämtes Bild.[142]

Nach dieser Krisis, wie ich bemerke,

Geht es zu End' mit dem löblichen Werke.


Quelle:
Wilhelm Busch: Werke. Historisch-kritische Gesamtausgabe, Bde. I-IV, Band 4, Hamburg 1959, S. 137-143.
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