Die kleinen Honigdiebe

Die kleinen Honigdiebe

[28] »Du«, sagt der Peterl zum Hansel, »geh'n wir 'nüber zu dem Nachbar seinem Bienenstock, der ist bis obenauf voll vom schönsten Honig!«


Die kleinen Honigdiebe

Und richtig, sie gehen 'nüber und begucken lüstern des Nachbars Bienenstock.


Die kleinen Honigdiebe

[28] »Den werden wir gleich haben«, sagt's Peterl, packt den Bienenstock und hebt ihn, aber im Nu spürt jeder von den zwei Schleckern einen Stich auf der Nase, der nicht von ungefähr zu kommen scheint.


Die kleinen Honigdiebe

»Ha, ha«, sagt der Nachbar, der auf das Zetergeschrei herbeikommt, »habt ihr's gemerkt, wie es beim Honigstehlen zugeht, jetzt lauft nur heim mit eurem Denkzettel.«
[29]

Die kleinen Honigdiebe

Und einen ordentlichen Denkzettel haben sie davongetragen, so daß keiner mehr den andern gekannt hat.


Die kleinen Honigdiebe

Und die Mutter hat geschaut, wie's heimgekommen sind! Der Vater hat erst gewaltig gezankt,
[30]

Die kleinen Honigdiebe

dann hat er aber helfen wollen, allein es war umsonst, und die zwei haben alleweil geschrien, als ob sie am Spieße stäken.


Die kleinen Honigdiebe

Jammernd saßen sie vor ihrem Lieblingsessen, einer Schüssel voll duftender Knödel. Der Vater aber überlegte hin und her, wie man die zwei Stacheln, welche die Bienen zurückgelassen, wieder herausziehen und dadurch helfen möchte.


Die kleinen Honigdiebe

[31] Da der Schmied im Dorfe der Gescheiteste ist, so führt der Vater den Peterl und das Hanserl zu ihm. Der Schmied aber ist ein resolvierter Mann, packt die Bienenstachel gleich mit der großen Zange und zieht sie auch wirklich glücklich heraus. Jetzt war allerdings die Hauptsache geschehen, allein die Wunden, welche die Stacheln hinterlassen, mußten erst geheilt werden, und da mußte der Bader Dr. Bauxel kommen und auf jede Nase ein großes Pflaster legen.


Die kleinen Honigdiebe

Die kleinen Honigdiebe

[32] damit sind die zwei drei Wochen im Bette gelegen, bis die Sache wieder gut war.


Endlich aber sind sie wieder gesund geworden und haben vor einer großen Schüssel voll Knödel feierlichst gelobt, nie mehr zu einem Bienenstock zu gehn. Und das sollen sich alle Kinder merken, denn die Bienen stechen noch alle Tage, und nicht immer ist ein so resolvierter Mann wie der Schmied bei der Hand, der von den Folgen des Naschens helfen kann.


Die kleinen Honigdiebe

Quelle:
Wilhelm Busch: Werke. Historisch-kritische Gesamtausgabe, Bde. I-IV, Band 1, Hamburg 1959, S. 28-34.
Lizenz:

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Die Narrenburg

Die Narrenburg

Der junge Naturforscher Heinrich stößt beim Sammeln von Steinen und Pflanzen auf eine verlassene Burg, die in der Gegend als Narrenburg bekannt ist, weil das zuletzt dort ansässige Geschlecht derer von Scharnast sich im Zank getrennt und die Burg aufgegeben hat. Heinrich verliebt sich in Anna, die Tochter seines Wirtes und findet Gefallen an der Gegend.

82 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon