[10] Schertz-Schreiben an den damahligen Hoch-Fürstl. Anhalt-Dessauischen Ober-Jägermeister Herrn C.H. von Wülkenitz[372] 1

1688.


Mein lieber Bruder, zürne nicht,

Daß, wann mir Zeit und Lust gebricht,

Ich nicht ans Schreiben dencke;

Du weist, daß ich dein Diener bin,

Und unterdessen meinen Sinn

Auf dich nach Dessau lencke.


Seit dem du weggereiset bist,

Spricht man allhier, ohn arge List,

Von vielen neuen Dingen.

Davon ich, nach der Meister-Art,

Und zwar in Knittel-Versen zart,

Dir etwas vor will singen.


Merckt, Christen, was der Teufel thut,

Den Morian das gute Blut2

Hat Bolßwing todt gestochen;3

So gehts, wann uns der Wein erhitzt,

Doch meint man, der gefangen sitzt,

Kan werden loß gesprochen.
[373]

Der Printz I*** Lobesan4

Kam hier vergangnen Sonntag an,

Da er die Post gefahren

Von Dantzig an, biß nach Bernau,

Und will sich, lieber Leser, schau,

Mit einer Wittwe paaren.5


So offt er den Magnet ansieht,

Der ihn so kräfftig an sich zieht,

Macht er verliebte Minen,

Und singt in dulci Jubilo;

Sonst hält er sich incognito,

Und läst sich nicht bedienen.


Fariole, welcher manche Nacht6

Mit der Bassette zugebracht,

Hat Land und Banck verlassen,

Und ward von der Trabanten Schaar

Nach Sachsen, glaube mir fürwahr!

Begleitet auf der Strassen.
[374]

Des Rebenacs seinem Secret7

ario es nicht besser geht

In Züchten und in Ehren,

So bald der Chur-Fürst sprach ein Wort,

Zog er in wenig Stunden fort

Warum? die Zeit wirds lehren.


Der Chur-Fürst und was Fürstlich heist,

Haben jüngst beym Raule gespeist,8

Mittags zu Rosenfelde;9

Allwo man hat, versteh mich recht,

Kostbar gegessen und gezecht,

Gespielet mit dem Gelde.
[375]

Die Churfürstin trägt ihren Bauch

Gesund, nach löblichen Gebrauch,

Und lernet sich drein schicken,

Daß sie, Gott geb es! ohne Scheu

Mit einem Printzen oder zwey10

Uns jährlich woll beglücken.


Ihr Kammer-Juncker Hahn zuletzt11

Starb, und ward zierlich beygesetzt,

Dazu viel Volck gebeten.

Der Tod von diesem armen Hahn,

Hat mancher Henne Leid gethan,

Die er noch solte treten.


Eins muß ich melden zum Beschluß

Du findest einen schönen Gruß

Allhier von meiner Frauen,

Die Fräulein Rackniz in Gebühr

Verlanget ebenfalls dich hier12

Bald wieder anzuschauen.
[376]

Datum Berlin, den zwölfften Tag

Des Monats, da man erndten mag,

Im Jahre, da man schreibet

Tausend sechshundert Achtzig Acht,

Leb wohl! der sey zum Schelm gemacht,

Der nicht getreu verbleibet.

Fußnoten

1 Sie waren sehr gute Freunde, und gewohnt, in dergleichen Knittel-Reimen, Brieffe untereinander zu wechseln.


2 Morian von Calbeck, Churbrandenburgischer Cammer-Herr, dessen Frau Schwester an den damahligen Obersten Staats-Minister, Herrn von Danckelmann, vermählet war.


3 Gisbert von Bodelswing, damahls Stallmeister der Chur-Fürstin, mit welcher er, von Hanover, nach Berlin gekommen. Er ward, wegen seiner Unschuld, freygesprochen, lebet noch daselbst als Königl. Cammer-Herr, Drost zu Altena und Iserlohn, auch Landvogt und residirender Commendator zu Schievelbein in einem etlich und siebenzig-jährigen Alter, unverheuratet, und in aller Stille.


4 Diß geschah den 8. Jul. alten Stils, wer aber von sich selbst, aus andern Umständen, oder aus der folgenden Erklärung, noch nicht errathen kan, worauf dieses ziele, mag im XIII. Theile des Theatr. Europ. Bl. 413. die umständliche Nachricht davon suchen.


5 War des ein Jahr zuvor den 27. Apr. verstorbenen Marggraf Ludwigs nachgelassene Frau Wittwe, eine gebohrne Printzeßin Radzivil, die gleich hernach an den damahligen Printzen Carl von Neuburg, itzigen Churfürsten von der Pfaltz, vermählet worden.


6 Ein ausgeschickter von Franckreich, der sich damahls in Berlin aufhielt, grosse Spiele und starcke Banck machte; so bald sich aber der Churfürst für den Kayser erklärte, durch einige Chur-Brandenburgische Trabanten, biß auf die Sächsische Gräntzen weggebracht ward.


7 Des damahls schon abgereiseten Frantzösischen Gesandten Grafen von Rebenac noch hinterlassener Legations-Secretar.


8 Ein gewisser Ausländer, welcher, bey Churfürst Friedrich Wilhelms Zeiten, in grossem Ansehen stund, und in einem gedruckten Patente, wegen Verpachtung des Börnstein-Fangs in Preussen, vom 23. May 1688. Chur-Brandenburgischer Rath und Directeur der Marine, Benjamin Raulé genannt wird. Im Jahr etlich und neunzig fiel er in Ungnade, weil man ihn einer üblen Anwendung der gezogenen Gelder zur Afrikanischen Schif-Handlung, und andrer Dinge mehr, beschuldiget.


9 Rosenfeld ist ein Königliches Amtsdorff in der Mittel-Marck, auf dem Wege nach Franckfurt an der Oder, eine Meile von Berlin, in Niederbarnimbschen Kreise. Daselbst hatte Raule einen Garten, und mitten darinn ein mäßiges Hauß zu seiner Bequemlichkeit, erbauet. Dieses wurde nebst seinen andern Gütern eingezogen. Der Churfürst ließ sich hernach die angenehme Gegend gefallen, behielt das Hauß mit dem Garten für sich, und nannte es Friedrichs-Felde. Der itzige König hat solches dem Marggrafen Albrecht Friedrich, auf Lebenslang verliehen, welcher, zu seiner Lust-Wohnung, viele Gebäude hinzugefügt, den Garten erweitert, und besser ausgezieret, sich auch mehrentheils, den Sommer hindurch, daselbst aufzuhalten pflegt.


10 Die Chur-Fürstin gieng damahlen hoch schwanger, und brachte kurtze Zeit hernach, den 4. Aug. einen Printzen, nemlich Seine ietztregierende Königl. Majest. in Preussen zur Welt.


11 War der Cammer-Juncker von Hahn bey Ihro Durchl. der Churfürstin, auf den, weil er noch unverheurathet war, manche Fräulein sich Hofnung gemacht haben mochte.


12 Anna Regina Freyin von Rackenitz. Sie war mit der Frau von Canitz Schwester, der Frau geheimen Räthin von Schönberg aus Dreßden, nach Berlin gekommen, und hielt sich, als die Frau von Schönberg daselbst bey ihrer Frau Schwester, in Sechswochen, im Jahr 1688. verstarb, in dem Canitzischen Hause noch eine Zeitlang auf. Sie besaß viel Verstand, schrieb einen artigen teutschen Vers, und hatte mit dem Herrn von Wilknitz gleichfals selbst einen lustigen Brief-Wechsel in Knittel-Reimen. Sie starb unverheurathet zu Nürnberg 1721. und war eine Schwester des ietzigen Kön. Pohln. und Churfl. Sächsis. Ober-Stallmeisters, Freyherrn von Rackenitz, welcher sich hernach mit der Schwester-Tochter der Frau von Canitz, einer Fräulein Tochter obgedachter Frau von Schönberg, vermählet.


Quelle:
Friedrich Rudolph Ludwig von Canitz, Kritische Ausgabe: Gedichte, Tübingen 1982, S. 372-377.
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