[Durch Schlucht und Schlund brach jäh der Sturm]

[77] Durch Schlucht und Schlund brach jäh der Sturm:

Er brauste lang am grauen Meer

Und schleppte seinen Trubelthurm,

Aus Schlamm und Wasser, hin und her.[77]

Nun drang er zwischen Bergen ein

Und wälzte trockenen Lehm bergauf:

Er schien ein Bau, aus Staub und Stein,

Und rauchte aus dem Wirbelknauf.

Er stürzte sich, durch Fels und Schlucht,

Wo alles noch gebebt, gezuckt:

Und unten ward die dumpfe Wucht

Von manchem runden Schlund verschluckt.

Dort zuckte oft ein rothes Roß,

Im schauerlichem Todeskrampf.

Das Blut, das aus den Nüstern stoß,

Ward schwüler, dicker Lakendampf.

Die Würmer zehrten schon vom Fett:

Und als der Sturm daher gebraust,

Erweckte er das Pferdskelett,

Das halb verreckt war und verlaust.

Dies war vielleicht der letzte Rest

Vom herrlich freien ersten Ritt.

Was klein blieb, ward herabgepreßt,

Das Starte stürzte strandwärts mit.

Jetzt reckte manches Pferd den Hals

Und zerrte sich aus Dreck und Staub.

So ward der Zweck des Weltenfalls

Ein eiliger Bewegungsraub.

Die Rotte schlotterte noch lang:

Doch schwankte auch das Lavaland;

So schleppte sie, mit gradem Gang,

Sich langsam fort, durch Staub und Sand.

Am Boden lag ein Leiberstumpf:

Durch Wüstenwolken, fast verdeckt,

Vielleicht ein Rest vom Krakenrumpf,

Der sich als Menschen aufgereckt.[78]

Die Rosse schnüffelten aus Durst,

In Fleisch herum und Menschgebein:

Da regte sich die Leiberwurst

Und biß sich in die Zitzen ein.

Es wieherten die Mähren laut

Und schleppten einzeln Menschen mit:

Und was sich da zu Haus gestaut,

Ward zuckender, bei jedem Schritt.

Beschwert durch solche Körperlast,

Die es nicht mehr von sich gewälzt,

Sank manches Roß. Doch halsumfaßt,

Trugs Reiter, die sich draufgesetzt.

Und Weiber, Kinder schleppten sich

Mit Pferden fort, am Bauch und drauf.

Und als das Bodenbeben wich

Kam alles bald in raschen Lauf.

Voll Schmerz und Müh ward fortgestampft.

Die Kraft kam nun vom Sturmwuchtbruch.

Und Mensch und Pferd in sich verkrampft

Entgurgelte ihr Ursprungsspruch. –

Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 2, München; Leipzig 1910, S. 77-79.
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