Vogelgesang

[492] Nicht ward mir durch des Himmels Gunst

Herrn Salomonis weise Kunst,

Der Vogelsprachekundig war:

Doch acht' ich fein manch langes Jahr

Auf mancher Vöglein Wort und Sang: –

Nun hört, wie mir das widerklang:


Hänfling.


An dem Bach, in der Weide,

Da bau' ich mein Nest:

O wie woget die Heide

So wohlig im West.


Das Gewitter verzogen, –

Die Lüfte geklärt, –

Ein schimmernder Bogen

Eint Himmel und Erd'!


Von dem Baum nur gelinde

Noch träuft es wie Tau,

Und die duftigen Winde

Gehn über die Au:


Drum nochmal erhoben

Die Lieder vor Rast,

Um den Sommer zu loben,

Den freundlichen Gast.


Zeisig.


Lustig durch die Zweige hüpft sich's,

Lustig durch die Sträuche schlüpft sich's,

Heute hier und morgen dort: –

Lange taugt's an keinem Ort![493]

Brüder, laßt euch nichts gefallen!

Braucht die Schnäbel und die Krallen:

Nur mit Beißen und mit Kratzen

Hält man sich vom Leib die Spatzen:

Wenn wir viel mit ihnen laufen,

Zählt man uns zu ihrem Haufen!


Schwalbe.


Weither aus Indien komm' ich geflogen

Über die Ströme, die Berge, das Meer:

Fort aus den sonnigen Palmen gezogen

Hat's mich zum Schatten der Linden hieher.


Habe genistet in Marmorpagoden,

Wo in den Wassern die Lotos erglüht,

Aber mich zog's zu dem fränkischen Boden,

Der da im Märzen von Veilchen erblüht.


Ei! Und da find' ich die alten Gesellen!

Munter, Herr Finke? wie geht es, Herr Specht?

Dir soll ich Grüße vom Storche bestellen,

Der in pontinischen Sümpfen noch zecht.


Siehe, sie haben mein Nest mir gelassen:

Oben am Kirchturm hanget es schwank:

Segen und Heil in die friedlichen Gassen

Sing ich hernieder zu freundlichem Dank.


Amsel.


Jetzt rieseln alle Bronnen,

Jetzt grünt es weit und breit:

Der Frühling hat's gewonnen,

Jetzt ist viel gute Zeit!
[494]

Ich sitz' im Ulmengipfel,

Und schaue weit umher:

Da schwanken alle Wipfel,

Von weißen Blüten schwer.


Ich lobe dich mit Schallen,

Ich lobe dich lustentbrannt,

Ich lobe dich laut vor allen,

Du schönes, deutsches Land!


Ihr wißt es nicht, ihr andern,

Wie streng des Winters Hand:

Euch führt ein unstet Wandern

Im Herbst an fernen Strand;


Ich aber bleib' zu Hause:

Wie kalt die Nächte sei'n,

Wie grimm der Nordwind brause

Durch den entlaubten Hain.


Ihr wißt nicht, wie am Strauche

Der Schnee hier lastend liegt,

Wenn euch mit lauem Hauche

Die Luft Ausoniens wiegt.


Ihr kennt auch nicht die Wonne,

Wann Lenz und Licht gesiegt,

Und in der Märzensonne

Der erste Falter fliegt.


Nicht neid' ich euch das Wandern

Und trage stolzen Sinn,

Daß eben ich vor andern

Ein deutscher Vogel bin.


[495] Mönch.


(Schwarzkopf.)


O Schwarzkapuz, mein Scheiteldach,

Grau Mönchgewand, mein Kleid!

Mein Außen tot: – mein Herz heißwach

In Minnelust und -leid!


Der Distelfink trägt bunt Gewand:

Wie laut der Kreischer schreit!

Ich neid' ihn nicht: mir ist bekannt

Der Minne Lust und Leid.


Wann holde Frau'n zu Walde gehn,

Dann sing' ich leis und weit:

Und alle bleiben flüsternd stehn:

»Horch! Minnelust und -leid.«


Ein Ritter war ich, jung und kühn,

In stolzem Waffenkleid:

Zu heiß war meines Herzens Glühn

In Minnelust und -leid.


Ich warb, wo ich nicht werben sollt',

Denn Gottes war die Maid:

Da hat Sankt Petrus mir gegrollt

Um Minnelust und -leid:


Verwünschte mich in Vogelleib

Mit Mönches Farb' und Kleid:

Da sprach zu Gott das edle Weib:

»Um Minnelust und -leid, –


Herr, ist die Strafe nicht zu schwer?« –

Gott sprach: »ich tröst' ihn, Maid:

Kein Vogel singe süß wie er

Von Minnelust und -leid.« – –
[496]

O Schwarzkapuz, mein Scheiteljoch,

Grau Mönchsgewand, mein Kleid:

Mit keinem Vöglein tausch' ich doch:

Heil, Minnelust und -leid.


Die Lerche.


Himmelan, himmelan,

Sang und Gefieder!

Höher als Flügel kann

Tragen die Lieder!


Himmelan! – Höher noch

Lied und Gefieder:

Hoch auf der Berge Joch

Schau' ich schon nieder.


Himmelan! Höher noch

Muß ich mich schwingen:

Könnte zum Herren doch

Völlig ich dringen.


Daß ihm mein Jubelsang

Danken doch könnte,

Daß er im Überschwang

Gnaden uns gönnte,


Daß er uns gab die Luft,

Froh drin zu schweben,

Grünende Unterschluft,

Leis drin zu leben,


Daß er uns gab den Mai,

Saaten und Ernte,

Daß er vom Nest den Weih

Schirmend uns fernte,
[497]

Daß er uns Fuchs vertrieb,

Marder und Wiesel,

Daß uns ersparet blieb

Hagelgeriesel,


Daß er die Schlange fern

Hielt von euch Jungen,

Kinder, auch ihr dem Herrn

Kindlich gesungen! –


Daß er den Menschen weit,

Weit von uns scheuchte,

Wechselnd uns warme Zeit

Schenkte mit Feuchte,


Daß er uns tief im Schnee

Wahrte manch' Körnlein,

Mitten im Winterweh

Beeren am Dörnlein,


Bis sich nun voll geneut

Sommer, der milde,

Der uns den Segen streut

Auf die Gefilde. –


Aber der Flügelschwung

Will schon versagen,

Langsam zur Niederung

Laß ich mich tragen,


Sinkend vom linden West

Dahin gewieget,

Wo in der Saat das Nest

Lauschig mir lieget.
[498]

Gott hört mein Lied auch dort

Im Gräserschwanken,

Hört es an jedem Ort,

Wo wir ihm danken.


Herr Gott, dich loben wir

Hoch in den Sternen:

Menschen, ihr sollt von mir

Dankbarkeit lernen.

Quelle:
Felix Dahn: Gesammelte Werke. Band 5: Gedichte und Balladen, Leipzig 1912, S. 492-499.
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