Bei Flöten und Theorben

[246] Hoch rauscht das Fest im Hippodrom

Zu Trier an dem Moselstrom:

Vorüber jagten längst die Renner,

Und Weiber, lustberauscht, und Männer

Begehen in dem Marmorsaal,

Im säulenstolzen Portikus,

Versenkt, versunken im Genuß,

Ein zügelloses Bacchanal.


Nun springt von des Tribunen Schoß

Ein üppig Weib, die Brüste bloß,

Und jauchzt und lacht, von Wein beladen:

»Kennt ihr den Rauschtanz der Mänaden,

Wie ich ihn einst in Phrygia

Beim Fest der großen Göttin sah?

Schaut her, ich tanze vor!« Sie springt,

Daß hoch das Purpurhemde schwingt

Und singt:

»Hört, was die Göttin mich selber gelehrt,

Kybele, welche die Wonne gewährt.

Schlürfet des Augenblicks raschen Genuß,

Schlürfet den Becher und schlürfet den Kuß.

Ach, wie so bald schon sind wir gestorben!

Kühn um die Wonne des Rausches geworben

Bei Flötengetön und Theorben!«


Und die Tausende stimmen mit ein,

Schwingen die Becher und schlingen den Reihn:

»Um Lust, um Rausch geworben

Bei Flöten und Theorben!«


Da warnt ein Mönch, ein hagrer Greis,

Sein Blick so tief, sein Bart so weiß:[247]

»Verblendet Volk! Laß ab! Halt ein!

In Christus ist das Heil allein.

Alsbald, zur Strafe deiner Sünden, –

Das läßt der Geist mich dir verkünden: –

Wird Gottes Zorn die Stadt entzünden.

Tut Buße!« ... Da, beim Schall der Lieder,

Tanzt schon ein wirbelnd Paar ihn nieder

Und jauchzend, jubelnd schallt es wieder:

»Um Lust und Rausch geworben

Bei Flöten und Theorben!«


Jetzt wirft der Richter strenge

Den Stab in das Gedränge:

»Drei Tage währt nun dies Gepränge

Des Lasters und der Lüste schon,

Verwaist steht längst der Themis Thron:

Ich ruf' euch auf im Geist der Alten

Kommt, helfet mir, Gericht zu halten:

Des Rechts der Römer laßt uns walten!«

Doch schon hat ihn hinweggeschoben

Der Faunenmasken wildes Toben:


»Das Recht der Römer ist uns bewußt!

Das Recht der Römer ist die Lust!

Wohlauf, um Lust geworben

Bei Flöten und Theorben.«


Da eilet von der Vorstadt her

Der Feldherr mit zerbroch'nem Speer:

»Zu Hilfe! Sonst seid ihr verloren!

Bald steht der Feind vor diesen Toren!

Die besten der Kohorten sanken

Vor der Wurfaxt der Uferfranken;[248]

Barbaren nahn auf Straß' und Strom,

Rettet die Ehre und rettet Rom.

Wie? Was seh' ich? Meine Legaten,

– Hart mußt' ich ihrer im Kampfe entraten! –

Und die Tribune, die Centurionen

Der führerverwaisten Legionen

Hier, rosenbekränzt, zu der Weiber Füßen?«


»Ja, nichts scheidet uns von den Süßen!

Rom und die Ehre sind steinern, kalt,

Sind streng und alt;

Schau hier der Numiderin Wonnegestalt!

Sie ist nicht streng, nicht kalt, nicht Stein.

Gebt Wein! Bald wird's der letzte sein.«


»Und die Pflicht? Und Romas Genius?«

»Die Pflicht fahr' in den Tartarus!

Wie bald sind wir gestorben!

Wohlauf, um Lust geworben

Bei Flöten und Theorben!«


Und rasend wiederholt's der Chor;

Da, halt – nun stockt der wilde Reihn:

Vom Norden her welch' wüstes Schrei'n,

Vom schwarzen Tor:

»Die Germanen, die Franken sind herein!

Der Wall ist erklommen!

Die Porta nigra genommen!

Da sind sie schon! Nah tönt ihr Horn!

Nun trifft uns ihr Beil und des Himmels Zorn!«


Schon naht mit stürmender Gewalt,

Vom Goldgelock das Haupt umwallt,

Den Adlerhelm auf hohem Haupt,

Vom grünen Eichenkranz umlaubt,[249]

Der junge König Sigiswalt.

So sind sie in Trier gestorben,

Gestorben und verdorben,

Bei Flöten und Theorben.

Quelle:
Felix Dahn: Gesammelte Werke. Band 5: Gedichte und Balladen, Leipzig 1912, S. 246-250.
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