Venus Primitiva!

[39] O daß der Kuß doch ewig dauern möchte

– starr stand, wie Binsen starr, der Schwarm der Gäste –

der Kuß doch ewig, den ich auf die Rechte,

tanztaumelnd dir auf Hals und Brüste preßte!


Nein, länger duld'ich nicht dies blöde Sehnen,

ich will nicht länger in verzücktem Harme

die liebekranken Glieder Nächtens dehnen;

o komm, du Weib! – Weib! betteln meine Arme.


O komm! noch fühlt dich zitternd jeder Sinn,

vom heißen Duft berauscht aus deinem Kleide;

noch wogt um mich, du Flammenkönigin,

und glüht im Aschenflor die Kupferseide.
[39]

Gieß aus in mich die Schale deiner Glut!

Befrei mich von der Sünde: von dem Grauen

vor dieses Feuerregens wilder Brut,

von diesen Wehn, die wühlend in mir brauen!


Es schießt die Saat aus ihrem dunklen Schooß,

die lange schmachtend lag in spröder Hülle;

ich will mich lauter blühn, lauter und los

aus dieser Brünstigkeit zu Frucht und Fülle!


Oh komm! satt bin ich meiner Knabenlust.

Komm, komm, du Weib! Nimm auf in Deine Schale

die Furcht, die Sehnsucht dieser jungen Brust!

Noch trank ich nie den Rausch eurer Pokale.


Auf Nelkendüften kommt die Nacht gezogen;

o kämst auch Du so süß und so verstohlen,

so mondesweiß! O sieh: auf Sammetwogen,

auf Purpurflaum, auf schwärzeste Violen


will ich dich betten – oh – dich an mich betten,

daß alle meine Mächte an des Weibes

blendenden Göttlichkeiten sich entketten,

hinschwellend in den Teppich deines Leibes.


. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
[40]

Wunderlich, wie dies Erinnern

plötzlich mein Erschauern kühlt.

Ach! der Glutpokal war zinnern

und zerschmolz mir, kaum gefüllt.


Dämpfe, die den Himmel schänden,

seh ich aus den Schlacken kriechen,

widerlich wie diese Wände,

die nach Pech und Moder riechen.


Aus den hohen Häusern drüben dringen

durch die Schattenmassen Gespenster,

die den Glanz der Nacht verschlingen;

schon verdunkelt sich ein Fenster.


Kommt! ich will die Stirn euch bieten,

Schatten meiner verpraßten Stunden,

der ich Tausenden gleich an dir gelitten,

Weib mit deinen Lasterwunden,


bis ich auffuhr voll Entsetzen

vor dem Gift, das ich genossen,

aus dem Duftbann deiner seidnen Fetzen,

Weib der Gassen und der Gossen,

Quelle:
Richard Dehmel: Die Verwandlungen der Venus. Berlin 1907, S. 39-41.
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