An meine Königin

[66] Bin ich ein König? – Da ein Kind ich war,

da träumte ich von einem goldnen Throne,

von eines großen Volkes Jubelschaar,

von einem Purpurmantel, einer Krone.


Ich ward ein Jüngling, und der leere Glanz

verblich im Sonnenschein des Ewig Schönen:

da träumte ich von einem andern Kranz,

mit dem ein großes Volk mich sollte krönen.


Jetzt träum' ich nicht von Kronen, nicht von Kränzen,

von keinem Ziele, das der Stolz gebar;

ich forsche nicht, wo meines Reiches Grenzen;

ich weiß nur, Aufwärts muß ich immerdar!


nur immer fliegen, wie der Adler fliegen,

den es empor zum Quell des Lichtes reißt!

ich kann nicht wie die Lerche mich begnügen,

die flatternd ihre Ackerfurche preist!


Ich weiß kein Ziel! vollendet aus den Tiefen

Gestalten nah'n, zerreißen die Umhüllung!

nun streb' ich nur, des Strebens Macht zu prüfen:

das Leben – ging durch Dich mir in Erfüllung!


Du gabst ein Reich so groß, so schön mir eigen,

daß meine ganze Sprache mir zu wenig,

all meines Stolzes Seligkeit zu zeigen, –

und jauchzend rühme ich: Ich bin ein König!

Quelle:
Richard Dehmel: Erlösungen, Stuttgart 1891, S. 66-67.
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