Auch ein Beruf

[467] Die Abendröte war zerflossen,

Wir standen an des Weihers Rand

Und ich hielt meine Hand geschlossen

Um ihre kleine kalte Hand;

»So müssen wir denn wirklich scheiden?

Das Schicksal würfelt mit uns beiden,

Wir sind wie herrenloses Land.


Von keines Herdes Pflicht gebunden,

Meint jeder nur, wir seien, grad

Für sein Bedürfnis nur erfunden,

Das hülfbereite fünfte Rad.

Was hilft es uns, daß frei wir stehen,[467]

Auf keines Menschen Hände sehen?

Man zeichnet dennoch uns den Pfad.


Wo dicht die Bäume sich verzweigen

Und um den schlanken Stamm hinab,

Sich tausend Nachbaräste neigen,

Da schreitet schnell der Wanderstab.

Doch drüben sieh die einzle Linde,

Ein jeder schreibt in ihre Rinde,

Und jeder bricht ein Zweiglein ab.


O hätten wir nur Mut, zu walten

Der Gaben die das Glück beschert!

Wer dürft' uns hindern? wer uns halten?

Wer kümmern uns den eignen Herd?

Wir leiden nach dem alten Rechte:

Daß wer sich selber macht zum Knechte,

Nicht ist der goldnen Freiheit wert.


Zieh hin, wie du berufen worden,

Nach der Campagna Glut und Schweiß!

Und ich will ziehn nach meinem Norden,

Zu siechen unter Schnee und Eis.

Nicht würdig sind wir beßrer Tage,

Denn wer nicht kämpfen mag der trage!

Dulde wer nicht zu handeln weiß!«


So ward an Weihers Rand gesprochen,

Im Zorne halb, und halb in Pein.

Wir hätten gern den Stab gebrochen,

Ob all den kleinen Tyrannein.

Und als die Regenwolken stiegen,

Da bahnten wir erst mit Vergnügen

Uns in den Ärger recht hinein.


Solang die Tropfen einzeln fielen,

War's Naphthaöl in unsern Trutz;[468]

Auch eins von des Geschickes Spielen,

Zum Schaden uns und keinem nutz!

Doch als der Himmel Schlossen streute,

Da machten wir's wie andre Leute,

Und suchten auch der Linde Schutz.


Dort stand ein Häuflein dicht beisammen,

Sich schauernd unterm Blätterdach;

Die Wolke zuckte Schwefelflammen,

Und jagte Regenstriemen nach.

Wir hörten's auf den Blättern springen,

Jedoch kein Tropfen konnte dringen

In unser laubiges Gemach.


Fürwahr ein armes Häuflein war es,

Was hier dem Wettersturm entrann;

Ein hagrer Jud' gebleichten Haares,

Mit seinem Hund ein blinder Mann,

Ein Schuladjunkt im magren Fracke,

Und dann, mit seinem Bettelsacke,

Der kleine hinkende Johann.


Und alle sahn bei jedem Stoße

Behaglich an den Stamm hinauf

Rückten die Bündelchen im Schoße,

Und drängten lächelnd sich zuhauf,

Denn wie so hohler schlug der Regen,

So breiter warf dem Sturm entgegen

Der Baum die grünen Schirme auf.


Wie kämpfte er mit allen Gliedern

Zu schützen was sich ihm vertraut!

Wie freudig rauscht' er, zu erwidern

Den Glauben, der auf ihn gebaut!

Ich fühlte seltsam mich befangen,

Beschämt, mit hocherglühten Wangen,

Hab' in die Krone ich geschaut
[469]

Des Baums der, keines Menschen Eigen,

Verloren in der Heide stand,

Nicht Früchte trug in seinen Zweigen,

Nicht Nahrung für des Herdes Brand,

Der nur auf Gottes Wink entsprossen

Dem fremden Haupte zum Genossen,

Dem Wandrer in der Steppe Sand.


Zur Freundin sah ich, sie herüber,

Wir dachten Gleiches wohl vielleicht,

Denn ihre Mienen waren trüber

Und ihre lieben Augen feucht.

Doch haben wir kein Wort gesprochen,

Vom Baum ein Zweiglein nur gebrochen,

Und still die Hände uns gereicht.


Quelle:
Annette von Droste-Hülshoff: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 1, München 1973, S. 467-470.
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