Das Fräulein von Rodenschild

[225] Sind denn so schwül die Nächt' im April?

Oder ist so siedend jungfräulich Blut?[225]

Sie schließt die Wimper, sie liegt so still,

Und horcht des Herzens pochender Flut.

»O will es denn nimmer und nimmer tagen!

O will denn nicht endlich die Stunde schlagen!

Ich wache, und selbst der Seiger ruht!


Doch horch! es summt, eins, zwei und drei, –

Noch immer fort? – sechs, sieben und acht,

Elf, zwölf, – o Himmel, war das ein Schrei?

Doch nein, Gesang steigt über der Wacht,

Nun wird mir's klar, mit frommem Munde

Begrüßt das Hausgesinde die Stunde,1

Anbrach die hochheilige Osternacht.«


Seitab das Fräulein die Kissen stößt,

Und wie eine Hinde vom Lager setzt,

Sie hat des Mieders Schleifen gelöst,

Ins Häubchen drängt sie die Locken jetzt,

Dann leise das Fenster öffnend, leise,

Horcht sie der mählich schwellenden Weise,

Vom wimmernden Schrei der Eule durchsetzt.


O dunkel die Nacht! und schaurig der Wind!

Die Fahnen wirbeln am knarrenden Tor, –

Da tritt aus der Halle das Hausgesind'

Mit Blendlaternen und einzeln vor.

Der Pförtner dehnet sich, halb schon träumend,

Am Dochte zupfet der Jäger säumend,

Und wie ein Oger gähnet der Mohr.


Was ist? – wie das auseinanderschnellt!

In Reihen ordnen die Männer sich,[226]

Und eine Wacht vor die Dirnen stellt

Die graue Zofe sich ehrbarlich,

»Ward ich gesehn an des Vorhangs Lücke?

Doch nein, zum Balkone starren die Blicke,

Nun langsam wenden die Häupter sich.


O weh meine Augen! bin ich verrückt?

Was gleitet entlang das Treppengeländ?

Hab' ich nicht so aus dem Spiegel geblickt?

Das sind meine Glieder, – welch ein Geblend'!

Nun hebt es die Hände, wie Zwirnes Flocken,

Das ist mein Strich über Stirn und Locken! –

Weh, bin ich toll, oder nahet mein End'!«


Das Fräulein erbleicht und wieder erglüht,

Das Fräulein wendet die Blicke nicht,

Und leise rührend die Stufen zieht

Am Steingelände das Nebelgesicht,

In seiner Rechten trägt es die Lampe,

Ihr Flämmchen zittert über der Rampe,

Verdämmernd, blau, wie ein Elfenlicht.


Nun schwebt es unter dem Sternendom,

Nachtwandlern gleich in Traumes Geleit,

Nun durch die Reihen zieht das Phantom,

Und jeder tritt einen Schritt zur Seit'. –

Nun lautlos gleitet's über die Schwelle, –

Nun wieder drinnen erscheint die Helle,

Hinauf sich windend die Stiegen breit.


Das Fräulein hört das Gemurmel nicht,

Sieht nicht die Blicke, stier und verscheucht,

Fest folgt ihr Auge dem bläulichen Licht,

Wie dunstig über die Scheiben es streicht.

– Nun ist's im Saale – nun im Archive –

Nun steht es still an der Nische Tiefe –

Nun matter, matter, – ha! es erbleicht!
[227]

»Du sollst mir stehen! ich will dich fahn!«

Und wie ein Aal die beherzte Maid

Durch Nacht und Krümmen schlüpft ihre Bahn,

Hier droht ein Stoß, dort häkelt das Kleid,

Leis tritt sie, leise, o Geistersinne

Sind scharf! daß nicht das Gesicht entrinne!

Ja, mutig ist sie, bei meinem Eid!


Ein dunkler Rahmen, Archives Tor;

– Ha, Schloß und Riegel! – sie steht gebannt,

Sacht, sacht das Auge und dann das Ohr

Drückt zögernd sie an der Spalte Rand,

Tiefdunkel drinnen – doch einem Rauschen

Der Pergamente glaubt sie zu lauschen,

Und einem Streichen entlang der Wand.


So niederkämpfend des Herzens Schlag,

Hält sie den Odem, sie lauscht, sie neigt –

Was dämmert ihr zur Seite gemach?

Ein Glühwurmleuchten – es schwillt, es steigt,

Und Arm an Arme, auf Schrittes Weite,

Lehnt das Gespenst an der Pforte Breite,

Gleich ihr zur Nachbarspalte gebeugt.


Sie fährt zurück, – das Gebilde auch –

Dann tritt sie näher – so die Gestalt –

Nun stehen die beiden, Auge in Aug,

Und bohren sich an mit Vampyres Gewalt.

Das gleiche Häubchen decket die Locken,

Das gleiche Linnen, wie Schnees Flocken,

Gleich ordnungslos um die Glieder wallt.


Langsam das Fräulein die Rechte streckt,

Und langsam, wie aus der Spiegelwand,

Sich Linie um Linie entgegenreckt

Mit gleichem Rubine die gleiche Hand;

Nun rührt sich's – die Lebendige spüret[228]

Als ob ein Luftzug schneidend sie rühret,

Der Schemen dämmert, – zerrinnt – entschwand.


Und wo im Saale der Reihen fliegt,

Da siehst ein Mädchen du, schön und wild,

– Vor Jahren hat's eine Weile gesiecht –

Das stets in den Handschuh die Rechte hüllt.

Man sagt, kalt sei sie wie Eises Flimmer,

Doch lustig die Maid, sie hieß ja immer:

»Das tolle Fräulein von Rodenschild.«

1

Es bestand, und besteht hier und dort noch in katholischen Ländern die Sitte, am Vorabende des Oster- und Weihnachtstages den zwölften Glockenschlag abzuwarten, um den Eintritt des Festes mit einem frommen Liede zu begrüßen.

Quelle:
Annette von Droste-Hülshoff: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 1, München 1973, S. 225-229.
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