XL.

Ein Fieber und eine Art eines Schlagflusses[80] (catalepsie), die durch die Musick curiret wurden.

Ich will einen Umstand anführen, der den Thonkünstlern zu vielem Vergnügen gereichen muß. Ein Engelländer, der die Theologie studierte, und eine sehr ordentliche Lebensart führte, wurde in seinem zwanzigsten Jahr von einer Art einer Catalepsie1 welches eine seltsame Krankheit ist, überfallen. Er war Sinnen-Sprach und Bewegungslos, mit offenen aber unverruckten Augen; der Puls schlug etwas stärker als gewöhnlich, die Glieder erstarrten einigermassen, gaben aber doch einer leichten Bewegung nach, und blieben in derjenigen Richtung, die man ihnen gabe. Man brachte ihm mit der grösten Mühe einiges Getränk bey. Herr Denis, Doctor in der Arzneykunst, und Rathsverwandter[80] verwandter in der Stadt Douai, den man deswegen zu Rath gezogen hatte, spielte auf einigen Instrumenten, weil er erfuhr, daß der Kranke ein Liebhaber der Musik war; und nahm sich vor, weil die schicklichflen Mittel nichts geholfen hatten, und auch so gar das Brechpulver den Leib wie einen Ballen aufgetrieben hatte, dieses Uebel auf eine ganz besondere Art zu heilen; er hofte, daß die Musik bey dem Kranken mehrere Wirkung als alle andere Mittel verursachen sollte; er brachte eine Nachtmusik im Vorschlag, die man sogleich anstellte; und vermittelst derselben einen so geschwinden und nachdrücklichen Erfolg zuwege brachte, daß der junge Mensch, da er sie kaum zwey Minuten lang gehöret hatte, schon anfienge seine Beine und Augenlieder zu bewegen, und einem der ihn fragte, was unten an seinem Bett wäre, zur Antwort gab, daß solches Musici wären; und von dieser Stund an erhielt er seine Genesung.


Ein berühmter Musicus, der vieles componirte, wurde von einem anhaltenden Fieber mit wiederholten Anfällen angegriffen, und verfiel endlich an dem siebenden Tag in eine sehr heftige mit Schreyen, Lermen, Schrecken und einer beständigen Schlaflosigkeit verknüpfte Raserey. An dem dritten Tag seiner Raserey veranlaste ihn in einem seiner guten Augenblicke, ein solcher gewisser natürlicher[81] Trieb, dergleichen die Thiere, wie man sagt anreitzet, die Kräuter aufzusuchen, deren sie bedürffen, daß er in seinem Zimmer ein kleines Concert zu hören verlangte. Sein Arzt bewilligte solches sehr ungerne. Man sang ihm die Cantaten des Bernier vor, und bey den ersten Accorden, die er hörte, bekam sein Gesicht ein heiteres Ansehen, er vergoß Thränen für lauter Vergnügen, und bekam sein Fieber so lang als dieses Concert dauerte nicht mehr, so bald man aber aufgehöret hatte, so verfiel er wieder in seinen vorigen Zustand. Man hielte mit dem Gebrauch dieses Mittels fernerhin an, und der Erfolg war allezeit gleich bewundernswürdig. Als er einstmalen zu Nachts niemand als seinen Wächter bey sich hatte, der ihm ein elendes Gassenlied vorsange, empfande er einige Wirkung davon. Kurz, eine zehentägige Musik stellte ihn wieder vollkommen gesund her, ohne den Gebrauch eines andern Mittels ausser einer Aderläß am Fuß, auf welche eine starke Abführung erfolgte.


Ein Tanzmeister von Alais erfuhre in gleichen Umständen diese nämlichen Wirkungen der Musik: nach Verlauf einer Viertelstund fiel er in einen tiefen Schlaf, und bekam während seines Schlafes einen Zufall, der ihn gänzlich gesund machte.


Hist. de l'Acad. 1707. p. 7. etc. und 1708. p. 20.

Fußnoten

1 Es ist solches eine Schlaf und Zuckungen verursachende Krankheit, die den Patienten plötzlich überfälls, und ihn lang in dem Zustand last, in dem er sich bey dem ersten Anfall derselben befande, und ihm die Sinnen und Bewegung benimmt.


Quelle:
[Dumonchaux, Pierre-Joseph-Antoine] : Medicinische Anecdoten. 1. Theil, Frankfurt und Leipzig 1767 [Nachdruck München o. J.], S. 80-82.
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