LXIII.

Von Liebestränken.

[130] Ein Arzt versichert, daß er einem jungen Menschen geholfen habe, welcher, nachdem er um vier Uhr nachmittag die Helfte einer Citrone gegessen hatte, die er von einer Frau bekommen hatte, alle Tage in dieser Stunde eine heftige Liebe empfande, die ihn antriebe allenthalben herum zu laufen, um sie anzutreffen und zu besuchen. Diese Art der Wuth dauerte eine Stunde lang, und weil er seinen Trieb wegen der Abwesenheit dieser Frau nicht befriedigen konnte, so vermehrte sich sein Uebel von Tag zu Tag, und versetzte ihn in den jämmerlichsten Zustand.


Giebt es denn also Liebestränke, wenn diese Begebenheit richtig erwiesen ist? Man kennet also solche Arzneymittel, welche jemand eine Liebe gegen die Person, die ihm solche beygebracht hat, einflössen.[130] Aber was kann man wohl für ein Verhältniß zwischen einer solchen Person und einem solchen Liebestrank finden? Ist dann die Liebe eine solche Empfindung, der man sich solchergestalt bemeistern kann, daß man sie nach seinem Wunsch in dem Herzen einer Person, die man sich unterwürfig machen will, erregen kann? Ueberhaupts kann man alles das, was erhitzet, für einen Liebestrank halten, weil dadurch eine Begierde nach einer Weibsperson erreget wird, und indem man dem Fortgang und Zunehmen seiner Wünsche stark nachhänget, man dadurch zu dem Verlangen seine Wünsche zu befriedigen, und leichte Mittel dazu zu verschaffen, immer mehr und mehr gereizet wird.


Agrippa, dieser übertriebene Tadler der Künste und Wissenschaften, behauptet; »daß keine Kunst noch Wissenschaft die Unzucht und Schwelgerey mehr befördere als die Arzneykunst, sie bietet, seiner Meynung nach, aus ihrem reichen Vorrathshaus Mittel an die Hand, eine Geliebte zur äussersten Gunstbezeigung zum Genuß der Liebe zu bewegen, sie weis den gemachten Riß zu verbessern, und das äusserliche Ansehen der Jungferschaft wieder herzustellen; sie kann das Aufschwellen der Brüste vertreiben, der Wassersucht der Fruchtbarkeit vorkommen, den Lauf der Schwängerung verhindern etc.«[131] aber alle diese schönen Kenntnissen können den Aerzten wohl nicht im Ernst zugeschrieben werden. Sie mögen so geschickt seyn als sie wollen, so wissen sie nichts, was eine Person, die nichts reizendes an sich hat, liebenswürdig machen könnte. Viel Annehmlichkeit, ein wenig Schönheit, hauptsächlich dieses schmachtende Feuer, welches zwey schöne Augen so sehr beleben kann, und vieleicht auch ein wenig von dieser eindringenden Art der auf Eroberungen ausgehenden Schönen, dieses sind die unfehlbarsten Liebestränke, und die mächtigsten Reizungen.


Die Liebe, die man in seinem Herzen träget, ist ebenfals kein geringes Mittel, Gegenliebe in dem Herzen zu erregen, das man zu erobern suchet. Welcher Liebestrank steckt nicht in den schmeichelnden Versen, welche die verliebte Sappho an den Phaon verfertigte, dessen Gegenliebe sie zu erhalten suchte? Wo findet man wohl eine einnehmendere Bezauberung als die Briefe der Heloise an ihren Geliebten? Mit welcher Kunst unterhält sie eine Liebe, deren Laulichkeit sie befürchtete? Wie sinnreich suchet sie das Herz des Abailards, des verstümmelten Abailards, und was das schwereste dabey ist, in der Hitze einer Leidenschaft zu erhalten, welche für ihn nichts als eine Quelle unnützer Seufzer ist? »Sie schreibt ihm, daß ihr das[132] Angedenken des Vergnügens, welches sie in seinen Armen genossen, noch immer schätzbar seye; sie meldet ihm, daß ihr, aller angewandten Bemühungen ungeachtet, ein angenehmer Begrif nachfolge; daß alle Gegenstände ihren Augen das Bild ihres Geliebten abmahlen; daß sie während der Stille der Nacht, da ihr Herz ruhig seyn sollte, mitten in dem tiefesten Schlaf, welcher sonst die Sorgen und Unruhen vertreibet, den Blendwerken ihres Herzens nicht entweichen könne, und daß sie auch an die heiligsten Orte, selbst bis zu den Altären ein strafbares Andenken ihrer verliebten Vergnügungen mit sich bringe; daß dieses ihre einzige Beschäftigung seye, und daß sie gar nicht im geringsten beseufze, daß sie sich habe verführen lassen, sondern vielmehr bedaure, daß sie dieses Vergnügen verlohren habe; sie versichert ihn endlich, daß es ihr unmöglich seye, sich so viele Gewalt anzuthun, dasjenige Vergnügen zu vergessen, welches sich durch eine süsse Gewohnheit ihres Gemüthes gänzlich bemeistert hätte.« Diejenigen, welche eine Kenntniß von der lateinischen Sprache besitzen, in welcher sie schriebe, werden ein Vergnügen haben, von ihr selbst die Beschreibung derer Wollüste zu hören, mit denen sie sich in der traurigen Leere der wirklichen Vergnügungen im Geist weidete. Ich will deswegen in der Anmerkung[133] den Theil von ihr einrucken, welchen ich oben erkläret habe: er dienet zu einem Beweiß, daß zärtliche Schilderungen, umständliche wollüstige Beschreibungen, schmäuchelhafte Vorstellungen, und geile Gemählde weit stärker als alle Nachgebuhrten der Pferde zur Liebe reizen können.1

Fußnoten

1 Tantum vero illae quas pariter exercuimus amantium voluptates, dulces mihi fuerunt, ut nec displicere mihi, nec vix a memoria labi possint: quocumque loco me vertam, semper se oculis meis cum suis se ingerunt desideriis. Nec etiam dormienti suis illusionibus parcunt. Inter ipsa missarum solemnia, ubi purior debet esse oratio, obscœna earum voluptatum phantasmata, ita sibi penitus miserrimam captivant anim, ut turpitudinibus illis, magis quam orationi vacem: quae cum ingemiscere debeam de commissis, suspiro potius de ammissis; nec solum quae egimns, sed loca pariter et tempora in quibus haec egimus, ita tecum, in nostro infixa sunt animo, ut in ipsis omnia tecum agam, nec dormiens etiam ab his quiescam; nonnunquam et ipso motu corporis, animi mei cogitationes deprehenduntur, nec a verbis imperant improvisis – – – –


Quelle:
[Dumonchaux, Pierre-Joseph-Antoine] : Medicinische Anecdoten. 1. Theil, Frankfurt und Leipzig 1767 [Nachdruck München o. J.], S. 130-134.
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