LXXXII.

Von einigen, aus freyen Stücken entstandenen und andern Arten der Wasserfurcht. (Hydrophobies.)

[182] Es ist etwas seltsames, wenn jemand rasend wird, ohne von einem tollen Thier gebissen worden zu seyn; wenigstens findet solches sehr selten bey einem Menschen statt: der Wolf, der Hund, der Fuchs und alle vierfüßige Thiere dieser Art, sind zu einer von ohngefähr entstehenden Wuth weit mehrers geneigt. Man hat aber doch auch bemerket, daß manche Menschen in gewissen bösartigen Krankheiten und andern Umständen, in eine Raserey verfielen. Herr Laurens, ein geschickter Arzt, hat vor nicht gar langer Zeit, in dieser Sammlung, die allen wahren Aerzten so schätzbar seyn sollte, ein Beyspiel hievon angeführet:1 es betrift dieser Fall einen Bauer an, welcher blos durch eine allzustarke Hitze, die er auf einer Reise ausgestanden hatte, diese Art der Wuth, die man die Wasserfurcht nennet, plötzlich bekame. Herr Laurens, welcher überzeuget war, daß der Bauer diese Wuth von einer Furcht für dem Wasser bekommen hatte, ließ ihn in den nächsten Gasthof führen, wo er die Zufälle, welche diese jämmerliche Krankheit so deutlich[183] zu erkennen geben, in kurzen an ihm ausbrechen sahe. Herr Laurens, der von der eigenen Schwester des Kranken, die ihn auf seiner Reise begleitet hatte, hörte, daß er von keinem tollen Thier gebissen worden wäre, sondern sich früh Morgens nüchtern auf den Weg gemachet, und unterwegs nichts als ein wenig Brandwein getrunken hätte, glaubte mit Recht, daß ihn die ohngefähre Wuth überfallen hätte; die Schwester sagte ihm noch überdieses, daß man nicht unterlassen würde haben, ihn, wenn ihm dieses Uebel zugestossen wäre, sogleich nach S. Hubert2 zu schicken. Ich[184] weiß Leute, die behauptet haben, daß man, wenn einmal vierzig Tage vorbey wären, nachdem man von einem tollen Thier gebissen worden, ohne daß man eine Tollheit an sich gespüret hat, die Hydrophobie3 nicht mehr zu befürchten hätte. Diese Leute haben nicht viel gelesen. Die Schriftsteller sind voll von Beyspielen, die leider ihre geringe Meynung widerlegen. Ich will ihnen zwey der merkwürdigsten davon zu ihrem Unterricht anführen. Ein gewisser Mensch wurde, da er in eine Gasse gehen wollte, von einem Haufen Leute angehalten, die sich daselbst versammlet hatten, um sich eines tollen Hundes zu bemächtigen; er zog seinen Degen, den er ansteckend hatte, stieß den Hund nieder, steckte seinen Degen darauf wieder ein, und gieng seines Weges. Acht Jahr nach diesem Zufall kam dieser Mensch mit dreyen von seiner Bekanntschaft in einen Streit; er schlug sich, und zwey wurden mit eben diesem Degen verwundet, womit[185] er den Hund erstochen hatte; sie wurden alle beyde an ihren Wunden, die nicht gefährlich waren, geheilet, sie starben aber drey Jahre nachher doch noch daran. Sie wurden krank, und fiengen gleich anfänglich an bey dem blosen Anblick des Wassers diese Empfindung der Furcht und des Entsetzens zu spüren, welche die Tollheit anzeiget. Das Uebel nahm in kurzer Zeit mehr und mehr über Hand, die Raserey, die Wuth zu beissen etc. stellten sich bald darauf ein, und brachten diese Kranken ausser sich, die endlich in den erschrecklichsten Bewegungen sturben. Hildan. cent. I. obs. 86. erzählet, daß eine Dame, die von einem tollen Hund war gebissen worden, alle sieben Jahre Anfälle der Wuth bekame, welches bis an ihren Tod dauerte, der sich erst dreyßig Jahre nach dem da sie gebissen worden war, eräugete. Von welcher feinen und wirkenden Art ist nicht also diese erste tödliche Urstoffe, die sich acht ganzer Jahre lang an der Klinge eines Degens, ohne daran etwas von ihrer Wirkung zu verliehren, und drey Jahre lang in dem Körper erhalten kann, ohne zu erlöschen?

Fußnoten

1 Journal de Medec. etc. tom. VII. p. 1.


2 Es ist in dem Ardenner Wald eine Abtey, die den H. Hubert zu ihren Schutzpatron hat. Diese ist wegen der Curen, die daselbst, wie das Volk glaubet, an denjenigen geschehen, die von der Wuth überfallen werden, sehr berühmt. Es scheinet, daß man in Flandern, und in Lothringen in diesem Punct sehr leichtglaubig ist; und die Ordensgeistlichen bemühen sich nicht sonderlich, denjenigen die solches glauben, ihren Irrthum zu benehmen. Sie machen vielmehr diese Pilgrimschaft dadurch daß sie von denen die sie unternehmen, einige Uebungen der Andacht, und unterschiedliche Regeln der Diät fodern, noch geheimnisvoller. Uebrigens unterwirft man die Patienten daselbst einer sehr grausamen Prob. Man brennet ihnen die Stirne mit einem glühenden Eisen in Gestalt eines Schlüssels, und legt in die Wunde ein kleines Stück von der Stola des H. Huberts; einige Tage nachhero nimmt ein Priester dieses Stück Tuch, welches man in die Wunde geleget hatte, weg, und alsdann versichert man den Patienten, daß er geheilet, und so gar auf ewig für diesem fürchterlichen Uebel gesichert seye. Journ. Med. ibid.


3 Dieses Wort ist aus zwey griechischen Worten zusammengesetzet, die eine Furcht für dem Wasser anzeigen, welcher Zufall sich in der Raserey eräuget, und solche zu erkennen giebet: daher man diese schreckliche Krankheit die Hydrophobie oder Wasserfurcht nennet.


Quelle:
[Dumonchaux, Pierre-Joseph-Antoine] : Medicinische Anecdoten. 1. Theil, Frankfurt und Leipzig 1767 [Nachdruck München o. J.], S. 182-186.
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