Die Straußenfeder

[164] Die meisten Leute werden sagen, daß eine Colombine keine Straußenfedern braucht; und sie haben recht; eine Isabelle, vielleicht auch eine Silvie mag einen Hut mit Straußenfedern tragen; die beiden sind groß, schlank, majestätisch, sie haben einen Leander, Lelio oder Aurelio als Liebhaber, sie sprechen nie Dialekt und drücken immer nur die edelsten Gefühle aus; eine Colombine aber trägt eine Tändelschürze und hat ein weißes Häubchen auf den Haaren, sie ist die Geliebte des Pierrot und muß sich über ihre Herrschaft beklagen; wie soll sie da wohl in einem Hut mit Straußenfedern aussehen!

Colombine aber möchte trotzdem eine Straußenfeder haben. Auch heute ist eine echte Straußenfeder ja nicht billig; in früheren Zeiten aber war sie, wenigstens für eine Colombine, überhaupt unerschwinglich; und man kann sich nur denken, daß das gute Mädchen von einer Art von Größenwahn befallen war; noch nicht einmal Coraline, die ja sogar eine Badewanne und eine Uhr besitzt, hat eine Straußenfeder.

Die Sache hängt so zusammen, daß Samuel Colombinen liebt. Samuel ist ein kluger Mann; er weiß genau, daß er nicht beschaffen ist, ohne weiteres wieder geliebt zu werden; er ist aber auch ein stolzer Mann, dem es nicht genügt, wenn man ihn wegen seines Geldes liebt, er will, daß man ihn bloß seiner selbst wegen liebt. Da das auf dem direkten Wege, durch die Einwirkung der männlichen Schönheit, nun nicht geht, so schlägt er immer einen indirekten Weg ein. Hier ist der indirekte Weg die Straußenfeder. Er hat es dahin gebracht, daß Colombine auf jeden Fall eine Straußenfeder haben will. Eine Straußenfeder kostet hundert Skudi. Hundert Skudi aber, das weiß Colombine, würde Samuel ihr schenken, wenn[165] sie einmal freundlich gegen ihn wäre, nur ein ganz kleines einziges Mal.

Die Straußenfeder steht im Laden der Signora Bevilacqua aus; hinter einer geschliffenen Glasscheibe, auf einem silbernen Fuß, vor einem venezianischen Spiegel steht die Straußenfeder. Es gehört eigentlich ein Hut zu ihr, ein schwarzes Samtkleid mit Schleppe, ein rotseidener Page, der die Schleppe trägt, ein spitzenbesetzter Fächer, dänische Handschuhe, ganze Stiefel und Strümpfe und durchaus saubere Wäsche; Colombine hat nichts von alledem; aber wenn sie die Straußenfeder hätte, dann wäre sie glücklich; bloß die Straußenfeder fehlt ihr an ihrem Glück, nichts weiter.

Samuel besitzt einen Palazzo vor der Porta del Popolo. Der Palazzo ist eigentlich von einem Kardinal gebaut; er hat schöne Zimmer, die von Giulio Romano ausgemalt sind, Böden aus buntem Marmor und eingelegte Türen. Aber die Erben des Kardinals waren in Vermögensverfall geraten, und so hatte Samuel ihnen den Palazzo für billiges Geld abgekauft und an arme Leute vermietet, wodurch er sein Kapital mit fünfzig Prozent verzinste. Den Hauptsaal hatte er für sich behalten, weil er einen Ort haben mußte, wo er die Möbel des Kardinals einstellen konnte, die er mit gekauft hatte.

In der früheren Zeit war man in manchem weitherziger und in manchem strenger als heute. Man drückte einmal ein Auge zu, wenn junge Leute Liebschaften hatten; aber wenn ein Jude eine Liebschaft mit einer Christin hatte, so wurden beide verbrannt, wenn es der Jude nicht vorzog, schnell zum Christentum überzutreten. Samuel hing treu an dem Glauben seiner Väter; und als nun Colombine beschlossen hatte, ihn zu lieben, da mußte er für die größte Heimlichkeit ihrer Zusammenkunft sorgen, damit die heilige Inquisition nichts erfuhr; er kam auf die Idee, mit Colombinen in dem großen Saal seines Palazzo vor der Porta del Popolo zusammenzutreffen.[166]

In dem Saal sind an der einen Längswand die Geschichten aus dem Leben des Stammvaters Abraham abgemalt, an der anderen Längswand die Liebschaften Jupiters, und an den beiden schmalen Wänden die Parabeln des Neuen Testaments. In der Mitte des Raumes steht das rotseidene Bett des Kardinals, daneben sein Gebetpult und eine Wärmvorrichtung für Makkaroni. Die übrigen Möbel sind im Hintergrund des Raumes ordentlich zusammengestellt und mit großen Tüchern bedeckt.

Wir wollen nicht fragen, ob Colombine den Samuel wirklich liebt; jedenfalls wissen wir, daß Samuel ihr hundert Skudi schenkt, damit sie sich die Straußenfeder kaufen kann. Trällernd hüpft Colombine die breite Marmortreppe hinunter, trällernd und lustig; und wenn es nicht um die Leute wäre, so würde sie sich auf das Geländer setzen und hinunterrutschen.

Aber unten an der Treppe stehen fünf arme, schmutzige Kinder, welche Talglichter ziehen und den Finger im Mund haben; mit hungrigen Augen sehen sie Colombinen an, und das Jüngste beginnt aus irgendeinem Grunde laut zu brüllen. Colombine nimmt es auf den Arm und sucht es zu beruhigen; das Kind wühlt sein Gesicht mit dem schmutzigen Naschen an ihrer Brust ein und schluchzt. Colombine fragt die andern, was das Kind hat, weshalb sie hier stehen; sie bohren ihre Finger nur tiefer in den Mund, und das Zweitjüngste gibt nun auch Anzeichen von sich, daß es gleich brüllen wird. Colombine behält das Jüngste auf dem Arm, nimmt das Zweitjüngste an die Hand und tritt in die Wohnung der Eltern; die andern Kinder folgen und machen große Augen, und vor lauter Erwartung spreizen sich ihre Zehen in die Höhe.

Die Mutter ist eine dicke Person mit verwirrten fettigen Haaren; sie ergreift die Kinder, gibt jedem eine Ohrfeige; die Kinder brüllen, trampeln und schluchzen; Colombine setzt sich auf den hingeschobenen Stuhl, die Mutter stellt sich vor sie[167] hin, stemmt die Arme in die Seiten, und beginnt über die vornehmen Leute zu schimpfen. Sie hat wenig Menschenkenntnis, die gute Frau, und hält Colombinen für eine vornehme Dame.

Natürlich fühlt sich Colombine geschmeichelt. Die Kinder haben sich verkrochen, nur ihre Augen glühen, aus dem Dunkel neugierig auf sie gerichtet. Colombine seufzt. Die Frau hat von der Tugend gesprochen und beklagt sich darüber, daß die Tugend nicht anerkannt wird. Das kleinste Kind, es ist ein allerliebstes Mädchen, hat sich aus ihrer Ecke vorgewagt und steht vor Colombinen, die Ärmchen in ihren Schoß gelegt, und sieht ihr traurig mit dunklen Augen ins Gesicht.

»Du wirst tugendhaft werden, mein Kind«, sagt Colombine zu ihr und streichelt ihr über das Köpfchen. »Ja«, sagt das Kind zutraulich. »Sie ist ein Engel, die Pepina«, ruft die Mutter aus; Colombinen aber stürzen die Tränen aus den Augen; sie zieht ihr Taschentuch, ihr einziges Taschentuch, und es ist parfümiert; da fühlt sie den Geldschein in der Tasche, die hundert Skudi von Samuel, für welche sie sich die Straußenfeder kaufen wollte; sie holt den Schein vor, entfaltet ihn, überreicht ihn der erstarrten Mutter und sagt: »Für Pepina«; dann drückt sie das Taschentuch an die Augen und eilt aus dem Zimmer.

Quelle:
Paul Ernst: Komödianten- und Spitzbubengeschichten, München 1928, S. 164-168.
Lizenz:
Kategorien: