Drittes Kapitel.

[254] Alwerth besucht den alten Nachtigall; nebst einer sonderbaren Entdeckung, die er bei dieser Gelegenheit macht.


Des morgens nachher, als diese Dinge vorgegangen waren, ging Herr Alwerth zufolge seines Versprechens hin, den alten Nachtigall zu besuchen, bei dem sein Ansehn von solchem Gewicht war, daß er, nachdem er drei Stunden bei ihm gesessen hatte, endlich die Einwilligung von ihm erhielt, einen Besuch von seinem Sohne anzunehmen.

Hier begab sich ein außerordentlicher Zufall; eines von den sonderbaren Ereignissen, aus welchen sehr gute und ernsthafte Männer den Schluß gezogen haben, daß sich die Vorsehung oft in die Entdeckung der geheimsten Bubenstücke mischt, um die Menschen zu warnen, nicht aus dem Pfade der Redlichkeit zu weichen, so behutsam und vorsichtig sie auch auf den Wegen des Lasters einherschleichen möchten.

Sowie Herr Alwerth in des Herrn Nachtigalls Haus trat, sah er den schwarzen Jakob; er redete ihn aber nicht an, und der schwarze Jakob meinte auch nicht, daß er sein gewahr worden wäre. Als indessen ihre Unterredung über den Hauptpunkt geendigt war, fragte Herr Alwerth den Herrn Nachtigall, ob er einen gewissen Jakob Seegrim kenne, und in was für Verrichtungen er in sein Haus käme? – »O ja,« antwortetete Nachtigall, »ich kenn' ihn recht gut! Es ist ein sehr sonderbarer Kerl, der in kurzer Zeit die Kunst verstanden hat, fünfhundert Pfund Sterling in seinen Spartopf zu legen, und das von einer kleinen Pachtung von dreißig Pfund des Jahres.« – »Und ein solches Märchen haben Sie sich wirklich aufbinden lassen?« rief Herr Alwerth. – »Nicht doch! Es ist völlig wahr, verlassen Sie sich drauf!« sagte Nachtigall, »denn ich habe das Geld schon in meinen eignen Händen, in fünf Banknoten, die ich für ihn anlegen soll, entweder auf Hypothek, oder zum Ankauf eines kleinen Landgütchens.« Die Banknoten wurden nicht so bald auf Herrn Alwerths Ersuchen hervorgeholt, als er über die wunderbarliche Entdeckung in großes Erstaunen geriet. Er sagte Herrn Nachtigall alsobald, daß diese Banknoten ihm zugehört hätten, und erzählte ihm darauf den ganzen Zusammenhang. Da sich über die Unredlichkeit bei Geschäften kein Mensch so bitterlich beklagt, als Straßenräuber, falsche Spieler und andre Diebe ihres Gelichters, so deklamiert auch niemand heftiger gegen die Spitzbübereien der falschen Spieler und dergleichen, als die Wucherer, Verleiher auf Pfänder und andre Diebe ihres Gewerbes. Ob es daher kömmt,[254] daß die eine Art zu betrügen das Gewerbe des andern schmälert oder in üblen Ruf bringt, oder daher, daß das Geld, welches die allgemeine Braut ist, um welche alle Betrüger tanzen, macht, daß sie sich alle untereinander für Nebenbuhler halten? Genug, Nachtigall hatte kaum die Geschichte vernommen, als er in viel heftigern Ausdrücken auf den Kerl loszog, als diejenigen, womit die Gerechtigkeit und Redlichkeit des Herrn Alwerth ihn belegt hatte.

Alwerth bat Herrn Nachtigall, sowohl das Geld, als das Geheimnis, solange sicher zu bewahren, bis er mehr von ihm gehört hätte, und wenn bis dahin der Kerl wieder zu ihm kommen sollte, möchte er sich doch von der gemachten Entdeckung nicht das geringste merken lassen. Hierauf kehrte er nach seiner Wohnung zurück und fand daselbst Madame Miller in einer betrübten Gemütsverfassung, worein sie die Nachricht versetzt hatte, die sie von ihrem Schwiegersohn erhalten. Herr Alwerth sagte ihr mit vieler Heiterkeit, er habe ihr eine sehr gute Nachricht mitzuteilen, und ohne viel längere Vorrede erzählte er ihr, daß er Herrn Nachtigall zu der Einwilligung gebracht habe, seinen Sohn zu sehn, und wie er im geringsten nicht zweifelte, daß er eine völlige Aussöhnung unter beiden bewirken würde, ob er gleich den Vater noch mürrischer über einen andern Zufall von eben der Art gefunden habe, der seiner Familie begegnet sei. Alsdann erzählte er ihr, wie seines Bruders Tochter davongelaufen wäre, wie er es von dem alten Herrn erfahren hatte, und wovon Madame Miller und ihr Schwiegersohn noch nichts wußten.

Der Leser wird sich leicht einbilden, daß Madame Miller diese Nachricht mit großer Dankbarkeit und nicht minderm Vergnügen aufnahm. Aber so ungewöhnlich treu war ihre Freundschaft gegen Jones, daß ich nicht gewiß bin, ob der Kummer, den sie seinetwegen erlitt, nicht die Freude überwog, die sie bei Anhörung einer Zeitung empfand, welche ihrer Familie soviel Glückseligkeit versprach, und ob nicht eben diese Nachricht, weil sie dadurch an die Verbindlichkeiten erinnert ward, welche ihr Herr Jones erwiesen hatte, sie ebenso sehr schmerzte als erfreute, wenn ihr dankbares Herz ihr sagte: »Unterdessen daß meine eigne Familie glücklich ist, wie elend ist nicht der arme Mann, dessen Großmut wir den Anfang aller dieser Glückseligkeit zu verdanken haben!«

Nachdem Herr Alwerth ihr eine kleine Weile Zeit zum Wiederkäuen an dieser Zeitung gelassen hatte (wenn ich den Ausdruck brauchen darf), so sagte er ihr, er habe für sie noch eine Neuigkeit, die ihr, wie er glaubte, sehr angenehm sein würde. »Ich denke,« sagte er, »ich habe einen ziemlich ansehnlichen Schatz entdeckt, der dem jungen Manne, Ihrem Freund, beschert ist; aber vielleicht sind seine jetzigen Umstände von der Beschaffenheit, daß er ihm von wenig Nutzen sein kann.« Dieser letzte Zusatz gab Madame Miller zu verstehn, wen er meinte, und sie antwortete mit einem tiefen Seufzer: »Das hoffe ich nicht, Herr von Alwerth!« – »Von Grund des Herzens,« erwiderte Alwerth, »sag' ich mit Ihnen, ich hoff' es auch nicht! Allein mein Neffe erzählte mir heute Morgen, daß man ihm[255] eine sehr schlimme Beschreibung von diesem Handel gemacht habe.« – »Gütiger Gott! Herr von Alwerth!« sagte sie – »Doch ich darf nicht sprechen – aber es ist gewiß sehr hart, seine Zunge nicht brauchen zu dürfen, wenn man Dinge hört, die –« – »Madame,« sagte Alwerth, »sagen Sie alles, was Ihnen gefällt; Sie kennen mich zugut, um zu glauben, daß ich gegen irgend einen Menschen von Vorurteilen eingenommen wäre, und was den jungen Menschen anbetrifft, so versichre ich Sie, es würde mir eine herzliche Freude machen, wenn ich fände, daß ich ihn von aller Schuld freisprechen könnte, besonders aber in dieser unglücklichen Sache. Sie können mir es bezeugen, wie herzlich ich ihm vormals gewogen war. Die Welt, ich weiß es, hat mich darüber getadelt, daß ich ihn zu lieb hätte. Diese Gewogenheit entzog ich ihm nicht, obne zu denken, ich hätte dazu die gerechteste Ursache. Glauben Sie mir, Madame Miller, es sollte mir eine Freude sein, wenn ich fände, daß ich mich geirrt hätte.« Madame Miller stand im Begriff, aus der Fülle des Herzens zu antworten, als ihr ein Bedienter ansagte, es wäre ein Herr draußen, der sie aufs baldigste zu sprechen wünschte. Herr Alwerth erkundigte sich hierauf nach seinem Neffen und erhielt zur Antwort: er wäre schon seit einiger Zeit auf seinem Zimmer und habe einen Herrn bei sich, welcher gewöhnlich zu ihm zu kommen pflegte. Herr Alwerth vermutete richtig, daß es Herr Dowling sein würde, welchen er sogleich zu sich bitten ließ, um mit ihm zu sprechen.

Als Dowling erschien, legte ihm Herr Alwerth den Rechtsfall über die Banknoten vor, ohne irgend einen Namen zu nennen und fragte ihn, was für eine Strafe eine solche Person zu gewärtigen hätte. Worauf Dowling antwortete, er glaube wirklich, es wäre ein Gesetz vorhanden, nach welchem man einen solchen Betrüger belangen könnte, meinte aber, es wäre bei alledem eine heikliche Sache und es würde gut sein, vorher ein Gutachten einzuholen; er sagte, er müsse ohnedem eben in einer Angelegenheit des Herrn von Western mit einem Rechtskonsulenten sprechen, und wenn es Herrn Alwerth gefiele, so wollt' er dem diese Sache sogleich vorlegen. Dies ward angenommen und hierauf wurde die Thür geöffnet und Madame Miller trat herein. »Ich bitte um Vergebung,« sagte sie; »ich wußte nicht, daß Sie jemand bei sich hätten!« Allein Herr Alwerth bat sie hereinzukommen, indem er sagte, seine Geschäfte wären geendigt. Hierauf ging Herr Dowling weg und Madame Miller stellte Herrn Alwerth den jungen Nachtigall vor, um ihm für die erzeigte Gewogenheit zu danken. Sie hatte aber kaum die Geduld den jungen Menschen ausreden zu lassen, und fing gleich an: »O liebster Herr von Alwerth, Herr Nachtigall bringt große Neuigkeiten über den armen Herrn Jones! Er ist hier gewesen und hat den verwundeten Herrn besucht, der außer aller Gefahr ist, und der obendrein selbst bekennt, daß er den armen Herrn Jones zuerst überfallen und geschlagen hat, und das weiß ich doch gewiß, Herr von Alwerth, Sie wollten doch nicht, daß Herr Jones eine feige Memme sein sollte. Wenn ich ein Mann wäre und ein andrer Mann wollte mich schlagen, ich weiß gewiß, daß ich meinen Degen[256] zöge! Kommen Sie, mein lieber Herr Schwiegersohn, erzählen Sie Herrn von Alwerth nur alles, erzählen Sie alles selbst.« Nachtigall bestätigte hierauf, was Madame Miller gesagt hatte und schloß damit, daß er von Herrn Jones viel Gutes beibrachte, der, wie er behauptete, einer der gutmütigsten Menschen von der Welt sei und nichts weniger als ein Zänker oder Schläger. Herr Nachtigall stand im Begriff seine Rede zu endigen, als ihn Madame Miller von neuem bat, alle häufigen Ausdrücke der dankbaren und kindlichen Liebe zu erzählen, die er vom Herrn Jones über seinen Wohlthäter Herrn Alwerth gehört hätte. »Vom Herrn Alwerth das allerrühmlichste zu sagen,« rief Nachtigall, »ist nichts weiter als pflichtmäßige Gerechtigkeit und kann dabei kein Verdienst sein, doch muß ich sagen, daß kein Mensch ein tieferes Gefühl seiner Verpflichtung gegen einen so edlen Wohlthäter hat, als der arme Jones! In der That, mein Herr von Alwerth, ich bin überzeugt, daß ihn nichts so sehr niederdrückt, als die Last Ihres Mißfallens. Er hat oft darüber gegen mich geklagt und ebenso oft auf die feierlichste Art beteuert, daß er sich niemals wissentlich gegen Sie vergangen habe; ja, er hat mir zugeschworen, er wolle lieber tausendmal sterben, als von seinem Gewissen nur einen unehrerbietigen, undankbaren oder pflichtwidrigen Gedanken gegen Sie sich vorwerfen lassen. Aber ich bitte um Verzeihung, Herr von Alwerth, ich besorge, ich gehe zu weit, indem ich mich über einen so zarten Punkt auslasse.« – »Sie haben weiter nichts gesagt, als was die Pflicht eines Christen erfordert,« rief Madame Miller. »In der That, Herr Nachtigall,« antwortete Alwerth, »ich kann nicht umhin, Ihrer großmütigen Freundschaft meinen Beifall zu geben und ich wünsche, daß er solche um Sie verdienen möge. Ich bekenne, mich freut die Nachricht, die Sie mir über diesen unglücklichen Jüngling bringen, und wenn sich die Sache so befindet, wie Sie solche vorstellen (und in der That zweifle ich an nichts von dem, was Sie sagen), so kann ich mit der Zeit wohl dahin gebracht werden, von diesem jungen Menschen wieder besser zu denken, als ich die letzte Zeit her gekonnt habe. Ihre brave Frau Schwiegermutter hier, und alle die mich kennen, werden mir bezeugen, daß ich ihn ebenso innig liebte, als ob er mein Sohn gewesen. In der That hab' ich ihn betrachtet, als ein Kind, das die Vorsehung meiner Sorgfalt anvertraut hätte. Ich erinnere mich noch immer der unschuldigen, hilflosen Lage, worin ich ihn fand; ich fühle noch, wie er mit seinen kleinen Händen so sanft die meinigen drückte. Er war mein Liebling; gewiß! das war er!« Bei diesen Worten schwieg er still und die Thränen standen ihm in den Augen.

Da uns die Antwort, welche Madame Miller hierauf gab, zu frischen Materien leiten kann, so wollen wir hier einen Halt machen, um die sichtbare Veränderung in Herrn Alwerths Gesinnungen und die Abnahme seines Zorns gegen Jones zu erklären. Veränderungen von dieser Art kommen freilich, es ist wahr, häufig vor, bei Geschichtschreibern sowohl, als dramatischen Schriftstellern, und zwar aus keiner andern Ursache, als weil die Geschichte oder das Schauspiel[257] zu Ende eilt, und werden durch das Ansehen der Autoren gerechtfertigt; allein ob wir gleich auf nicht weniger Ansehen, als irgend ein anderer Autor, ein Recht haben, so wollen wir uns doch dieser Gewalt nur sehr sparsam und niemals anders bedienen, als wenn uns die höchste Not dazu drängen sollte; und so viel wir gegenwärtig voraussehen, wird diese höchste Not in gegenwärtiger Geschichte wohl schwerlich eintreten.

Diese Veränderungen und Gesinnungen des Herrn Alwerth waren durch einen Brief veranlaßt, den er eben vom Herrn Quadrat erhalten hatte und welchen wir gleich anfangs im nächsten Kapitel dem Leser vorlegen wollen.

Quelle:
Fielding, Henry: Tom Jones oder die Geschichte eines Findelkindes. Stuttgart [1883], Band 3, S. 254-258.
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