Nordoststurm

[128] Nordoststurm tobt ums Haus. Es kracht in allen Fugen und das Meer drüben brandet, daß wir es bis in unser kleines Stübchen hereinhören.

Wir sitzen im Sofawinkel vor einem Strauß Heidekraut, den wir in Wind und Regen gestern dem sterbenwollenden Sommer draußen stahlen, und zitternd und frierend birgst du dich an meine Brust, wie ein furchtsam sturmverflogenes Vögelchen, das nicht mehr mitfand über das weite Meer ...


»O! und es ist noch nicht einmal recht Herbst! mein Gott! ... und bis es wieder Frühling wird ...«

muß ich nun eben deine Heimat sein! ...
[129]

»Wenn ... du willst? ... o ja! o ... ja!!

aber ... weißt du:

du mußt dann viel, viel Sonne haben und Gärten und Wiesen mit Rosen und mit Schmetterlingen und einen großen grünen Wald, wo niemand sonst drin spielen darf, nur ich und du und die braunen Rehe und die Glockenblumenelfen ...

und immer, immer muß die Sonne scheinen, weißt du ... denn ich bin ja so ein ganz klein Ding und so kleine Dinger wie ich, brauchen viel, viel Sonne ... sonst sterben sie ... und ... ich möchte noch nicht sterben! ... es ist ja so schön auf der Welt! ...«


Und der Sturm heult ums Haus und die Wellen branden, daß wir es bis in das kleine Stübchen hereinhören und wir sitzen im Sofawinkel und lachen, wie gut wir uns vor dem Herbst draußen versteckt haben.

Quelle:
Cäsar Flaischlen: Gesammelte Dichtungen. Band 1: Von Alltag und Sonne. Stuttgart 1921, S. 128-130.
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