2. Auf ihr Bildnüß

[492] Und darf ein frecher Kiel sich dieses unterfangen,

daß er die ganze Zier, die an der Liebsten scheint,

in so enges Tun zu zeichnen ab vermeint?

Wahr ist es, dieses Haar, die Stirne, diese Wangen


sind denen ähnlich ganz, die an derselben prangen.

Die Augen seh' ich da, um die ich oft geweint,

und diß hier ist der Mund, der meinen nennet Freund.

Ganz diß, das ist ganz das, nach dem ich muß verlangen.


Die Zucht, diß freundlich Sehn, die Sitten, diese Tracht,

und Alles steht vor mir, was sie so treflich macht,

nur daß es sich nicht regt und nicht will Antwort geben.


Sei drum nicht halb so stolz, du kühner Pinsel du,

das Schönste, das man wündscht, gehöret noch hierzu.

Entwirfst du ihren Leib, so mal' auch drein sein Leben!
[492]

Quelle:
Paul Fleming: Deutsche Gedichte, Band 1 und 2, Stuttgart 1865, S. 492-493.
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