XI.


Die Weisse Frau.

[58] Es dörffte sich nicht unbillig Mancher darob verwundern / warum nicht so sehr die Geburt / als der Tod eines Menschen / bevoraus eines gar fürnehmen /durch unterschiedliche Vorzeichen / gemeinlich bedeutet werde. Denn ob zwar wol bißweilen eine hohe Geburt / durch einige merckwürdige Vorbegebenheiten / geweissagt wird / als durch wunderbare Träume /und dergleichen: geschicht doch solches nur gar selten / und fast anderst nicht / als wann die obhandene Geburt grosse Verändrungen nach sich ziehen / und der Geborne denckwürdige Thaten verrichten wird: dahingegen die Todes-Fälle nicht allein der Fürnehmen /oder Gewaltigen / sondern auch der Geringen / gemeinlich fast / durch etwas / zuvor bemercket werden.

Ich vermute / die allgemeine Ursach sey diese / daß die Verändrung / bey dem Absterben deß Menschen /viel wigtiger / als bey seiner Geburt: angemerckt / er /durch die Geburt / in die Zeitlichkeit / aber / durch den Tod / in die Ewigkeit / der Seelen nach / gehet. Die Geburt bringt ihn in den Streit / und führt ihn an den Kampff: der Tod aber stellt ihn vor den Kampff-Richter / entweder zur Krönung; wofern er einen guten Kampff gekampfft: oder zur Verhönung und Schmach; dafern er sich von der Welt / und ihren Lüsten / überwinden lassen. Darum erweckt der Tod deß Menschen / bey guten und bösen Engeln[59] / ein grosses und besondres Auffmercken: wobey die Geister sich entweder freuen / oder betrüben / nachdem der Abscheidende wird wol- oder übel fahren. Daher die bösen Geister / durch einige Vorzeichen / ihren Verdruß und Neid über den Eintritt der frommen Seelen ins Paradiß; und hingegen ihre Ergetzung / über die obhandene Verdamniß der Boßhafften / zuverstehen geben; auch zugleich bey den noch lebenden Leuten das Ansehn einer Allwissenschafft / oder Vorwissenschafft / oder zum wenigsten eine Verwunderung über ihre Vor-Erkenntniß / suchen / als solche stoltze Geister / die / von den Menschen / gern hochgeachtet seyn wollen.

Zudem richten die verworffene Engel ihr Absehen hiebey / ohne Zweiffel / auch darauff / daß die Leute /durch solche Vorzeichen / mögen bewogen werden /die Wahrsager und Zaubrer / über dieses oder jenes Menschen Leben und Tod / oder wegen andrer verborgener Dinge / zu befragen.

Uberdas frohlocket der Teufel über keines Menschen Geburt; ausgenommen über eines solchen / der grosses Unglück / Blutstürtzung / Ketzerey / und grosse Aergernissen / auf Erden wird anrichten: gegentheils freuet er sich alle Mal über eines Menschen Tod: weil er deß Todes Anstiffter ist / und alle Menschen gern auf ein Mal erwürgte / wann er dörffte.

Solten aber einige Vorzeichen / auch durch gute Engel / geschehen; wie Ihrer viele unter den Vätern /und noch heut manche Schrifftgelehrte / dafür halten: so bedeutet solches eine Warnung / daß man auff den Krancken Achtung geben / oder ein Jedweder[60] / der etwas davon vernimt / in guter Bereitschafft stehen /und dabey mercken solle / es sterbe Keiner ohngefähr / sondern nach GOttes allweisem und allwissendem Rathschluß.

Hohe Todes-Fälle werden gemeinlich einige Tage zuvor / durch Erscheinung eines sonderbaren Gespenstes / angezeigt; ja allerdings auch wol die gefährliche Kranckheiten hoher Personen; wann nemlich der Geist / in seiner Mutmassung / irret / indem er gäntzlich sich eingebildet / die Kranckheit werde anders nicht / als mit dem Sarck / sich endigen; und GOTT es dennoch hernach anders schickt.

In unsrem Teutschlande / ist am ruchbarsten schier die so genannte Weisse Frau / welche / wann der Tod / an gewisser grosser und ruhm-bekandter Fürsten Paläste / anklopffen will / sich daselbst blicken lässt. Wiewol dieses Gespenst / in solchen Teutschen hohen Häusern / allein nicht; sondern auch unterschiedlicher Orten in Böhmen / sich sehen lässt; doch nur bey fürnehmen Familien. Denn es macht sich ge ringen Häusern und Wohnungen nicht gemein: womit dieselbe Zweifels ohn auch gar wol zufrieden / und eines solchen Gastes / der eben so wol den Fürnehmen nicht angenehm / als ein Vorbot obhandener Traur / nicht ungern entrahten.

Es soll diß Weisse Gespenst den Anfang seiner Erscheinung / vor vielen Jahren / in Böhmen / gemacht haben / und / noch heutiges Tages / in den meisten Schlössern der Herren von Rosenberg / und derer von Neuhaus / welche diese beyde fürnehme[61] Familien ehedessen besassen / sich offt zeigen.

Solches hat nicht nur etwan allererst / in diesem Jahr-hundert / seinen Anfang / sondern allbereit vor gar langer Zeit / genommen. Richterus beglaubt /1 die Weisse Frau habe schon bey vielen Lebens-Läufften /unter denen Herren von der Rose / (oder von Rosenberg) eine Leiche zuvor angedeutet. So wird auch /von dem Jesuiten / P. Bohuslao Balbino, die Gewißheit der noch heutigen Erscheinung dieses Gespenstes / mit unterschiedlichen Zeugnissen / versichert. Denn weil er / als ein gelehrter Mann / wol verstanden / daß das offentliche Gerücht manches Geticht und Mährlein denen Leichtgläubigen / unter die Waaren der Warheit / mit einmengt; hat er / vor einer genauen Nachforschung / nicht allerdings trauen wollen / daß ein solches Gespenst jemaln erblickt würde: ohnangesehn ihm unverborgen gewest / daß es eine uralte Sage / die / von den Vor- und Ur-Eltern / biß zu derselben heutigen Nachkommen / erschollen / überdas in alten Büchern / und Verzeichnissen / zu lesen wäre. Daher er sich hierinn eher nicht / zu Ruhe /geben können / als biß er einen glaubhafften Zeugen gefunden hette / der da sagen könnte / er hette die Weisse Frau selber gesehn.

Derselben fand er endlich / bey solcher Untersuchung / die Menge: Darunter nicht wenige solcher Leute waren / die auff dem Schloß zu Neuhaus / bey Nachtzeit vielmals arbeiten und wachen müssen; als Keller / Kuchen-Meister / Köche / Becker / Wächter /und Schild-Wächter; ja so gar[62] der Lands-Hauptmann und Gubernator über die gantze Landschafft der Slavatarum, nemlich der Herr Samuel Caroli / ein gar auffrichtiger / und wolbetrauter Herr; imgleichen der Pater der Societet Jesu zu Praga / Herr Georgius Müller / der / bey der Societät / unterschiedlichen Aemtern lange Zeit vorgestandē / unn dem fragen dem P. Balbino / mehr als ein Mal / gesagt / Er hette selber die Weisse Frau / um die Mittags-Zeit / gesehn / da sie /aus einem Schloß-Fenster / von einem öden und unbewohntem Thurn / zu welchem / weil alle Stuffen und höltzerne Stiegen / von Alter verfaulet und gar zu gebrechlich worden / Niemand mehr hinauff steigen können / herab / auff die unten ligende Stadt / Neuhaus / und sonderlich auff den Marckt zu geschaut: Sie wäre gantz weiß gewest / auff dem Kopff einen weissen Witwen-Schleyer / mit weissen Bändern / tragend; einer langen Statur / und gar sittsamen Angesichts: Als aber Männiglich / auff dem Marckt / mit Fingern auff sie gezeigt / und sie gemerckt / daß man nach ihr hinauff geschaut; wäre sie zwar / von ihrer Stäte / nicht hinweg getreten / doch allgemach immer kleiner worden / gleich als ob sie hinab stiege / und endlich gar verschwunden.

Herr Wilhelmus Slavata, Böhmischer Reichs-Cantzler / und Herr dieses Schlosses / thut dieser Weissen Frauen Meldung / in seinen libris Apologeticis, und schreibt nicht anders davon / als von einer gantz gewissen Sachen / die allerdings Land-kündig sey: setzet auch hinzu / die Weisse Frau könne / aus dem Fegfeuer nicht erlöset werden[63] / so lange das Neuhauser Schloß stehe; aber / wann solches eingefallen /oder eingerissen / alsdann werde sie auch aller Pein entnommen werden. Welche Meynung aber dem Pater Balbino gar nicht anständig: als der dafür hält / dieser Cantzler sey / zu solchem Wahn (angemerckt / er P. Balbinus / die Weisse Frau / für viel frömmer achtet /als daß sie noch im Fegfeuer schwitzen sollte) durch die schwache und unglaubwürdige Authoritet eines Priesters / der schon viel Leute / mit seinen falschen Gesichtern / betrogen hatte / verführet worden. Und ich glaube selbst / der P. Balbinus urtheile recht /nemlich daß die Weisse Frau nicht im Fegfeuer sey: wiewol ich doch auch nicht mit anstehe / auf die Wette / daß sie eine gottselige Seele sey / wie Er zwar behaupten will.

Er berichtet weiter / es sey / bey seiner Zeit / und zwar auch dazumal / wie er / in dem Jesuiter-Collegio zu Neuhaus / gelebt / mehr als einmal / erschollen /die Weisse Frau wäre erschienen: worauf selbiger Herren Einer allezeit gestorben: Und wisse er sich noch / aufs allerbeste / zu erinnern / daß Sie gleichfalls / vor tödtlichem Hintritt deß Gubernators / Herrn Paul Adam Slavata / erschienen.

Man hat aber / von solchen Personen / denen Sie zum öfftern begegnet ist / die Nachricht / daß sie nicht nur / vor dem Absterben selbiger Herren / sich sehn lasse; sondern auch / wann eine Geburt / oder Vermählung / oder sonst etwas / so selbiger fürnehmen Familie zur Herrlichkeit und sonderbaren Ehren erspriesst / obhanden: Jedoch gehe sie Traur- und Lust-Begebenheiten / durch dieses[64] Zeichen / zu unterscheiden; daß / wann ein Sterb-Fall bevorsteht / Sie /in beyden Händen / schwartze Händschuhe trage; aber / zu Bedeutung frölicher Vorfälle / gantz weiß / im Talar / nach der Weise fürnehmer Stands-Witwen /herein gehe.

Wiewol Gerlachius schreibt / der Römisch-Keyserliche Gesandter an die Ottomannische Pforte /Freyherr von Ungnad / habe / in Constantinopel / über Tafel / gedacht / so offt Einer vom Rosenbergischen Geschlecht in Böhmen / da die Herren von Rosenberg ihren Sitz hetten / geboren würde / sähe man ein Weib / mit weissen / wann aber Jemand aus ihnen stürbe /eines mit schwartzen Kleidern / gehen.2

Derhalben giebt dieses Exempel der Weissen Frauen einen Abfall / von meiner Eingangs-Rede / nemlich daß die Geburten der Menschen nicht so sehr / als die Sterb-Fälle derselben / durch Vorzeichen zuvor bedeutet würden. Wiewol ich dabey gesagt / daß es /bey den Geburten / nur selten geschehe. Welches ich also meyne / daß nur an wenigen Orten / oder bey wenig Familien / und dazu nicht alle Mal die menschliche Geburten durch sonderbare Anzeigungen vorher geweissagt worden.

Bißweilen sihet man sie / mit geschwindem Gange / als wie gleichsam gar geschäfftig / durch das Schloß gehen / und bald diß / bald jenes Zimmer / mit einem / an ihrem Gürtel hängendem Bund Schlüssel / auf-und auch wiederum zusperren / so wol bey lichtem Tage / als bey Nacht / ohn[65] Unterscheid. So ihr alsdann Jemand begegnet / und sie grüsset; ertheilt sie ihm (daferrn er sie nur sonst nicht verhindern will / in ihrem Thun ) einen Gegen-Gruß / mit einer hohen lieblichen und einer altenden Witwen wolanständigen Gravitet / oder Erbarkeit / und züchtig-schamhafften Augen; neigt zu grossen Ehren das Haupt / und geht also ihres Wegs / ohne Beleidigung einiges Menschen.

An der Gewißheit dieses Gespenstes / trage ich gleichfalls keinen Zweifel: weil / wie gleich Anfangs gesagt worden / in gewissen Chur- und Fürstlichen Häusern deß Romischen Reichs / so wol Reformirter als Evangelischer Religion / diese Weisse Frau / vor ob-erzehlten Fällen / eben so wol gesehn wird. Wie man denn für glaubfest berichtet / daß / als vor etlichen Jahren / auf einem Hochfürstlichem Hause / ein schöner junger Printz sich unversehens zu Tode gestürtzt / und den Hals gebrochen / einige Tage zuvor /die Weisse Frau daselbst / bey hellem Tage / sich habe sehn lassen. Und weil man / ohne Benennung eines glaubwürdigen Scribentens / solcher Erzehlung zu gläuben gern verzüglich ist: stelle ich den Hochfürstlich-Brandenburgischen Hof-Prediger / und Theologiæ Professorem, Herrn Johann Wolfgang Rentschen / dar. Welcher / in seinem Brandenburgischem Ceder-Hein / solchen Fall / mit diesen Zeilen /dem Leser versichert.

Den 26 Augusti deß 1678 Jahrs / ritte der tapffre Printz / von dem gantz Teutschland grosse Hoffnung gemacht / nemlich der Herr Marchgraf / Erdmann Philipp / von[66] der Rennbahn / zu Bareut / ins Hochfürstliche Schloß / und stürtzte /mitten im Schloß-Hofe / etliche wenige Schritte von der Stigen / mit dem Pferde / daß / nach zweyen Stunden Verlauff / Er / auf seinem Bette /selig verschieden; ob Er schon / nach dem Fall /die Treppe hinauf gegangen / und sich / als ob der Fall nichts zu bedeuten hette / aus Trefflichkeit seines tapffren Gemüts / angestellet. Es hatte etliche Omina, vor seinem Tode / im Hochfürstlichem Schloß / gegeben / und die Weisse Frau (so nennet man ein Phænomenom, welches / dem Vorgeben nach / allezeit / bey bevorstehenden Fürstlichen Trauer-Fällen zu erscheinen pflegt) auf dieses Printzens Leib-Stuhl sich sehen lassen; auch das Pferd / die gantze Woche / sich rasend und fremd angestellt. Worüber dieser unvergleichliche Printz selbst sorgfältig worden / und um Seiner Hochfürstlichen Durchleucht / Herrn Marchgrafen / Christian Ernsten / welcher damals bey der Keyserlichen Armee sich befunden / sich bekümmert / auch ein Mehrers nicht gewünschet / als /daß es nur seinem Herrn Vettern nichts übels bedeuten mögte.3 Biß daher diher die Feder Ehren-erwehnten Professoris.

Ich geschweige jetzo mancher andrer Exempel mehr: weil dieses / ohne das / in Teutschland / eine ungezweifelte Gewißheit / daß selbigen hohen[67] Häusern die Weisse Frau / durch ihre Erscheinung / das Vor-Zeichen einer entweder fröligen / oder traurigen /glück- oder unglückseligen Veränderung / gebe.

Unterdessen lasse ichs dennoch / bey obiger meiner Rede / verbleiben / daß der Ursprung oder Anfang solches Gespenstes in Böhmen zu suchen sey. Angemerckt / die Herren von Rosenberg / ihres hohen Vermögens / Ansehns / und grossen / Fürstenmässig-geführten Stats wegen / in so sonderbarer Betrachtung gewest / daß solche Hochfürstliche Häuser sich / mit ihnen zu befreunden / kein Bedencken getragen. Ja! es gedenckt vorerwehnter Gerlachius in seinem Türckischen Tag-Buch / der / damals bey seiner Zeit / nemlich Anno 1577 / noch lebende / alte Rosenberger sey dazumal der Gewaltigste in Böhmen gewest / und habe auch / in der Polnischen Wahl / seine Stimme mit gehabt.4

Die Gemahlinn Herrn Wilhelms von Rosenberg hat Sigismundi / Königs in Polen / Tochter / zur Mutter gehabt; Er selbst aber / der Herr Wilhelm / vier Mal /in Hochfürnehme Fürstliche Häuser geheirahtet / als ins Braunsweichische / Brandenburgische / Badische /und Pernsteinische: da es dann alle Mal ihn ein grosses gekostet / die Braut so wol / als Dero hochanverwandte Fürsten / zu beschencken / und dazu Jene /mit ansehnlicher Morgen-Gabe / und Leib-Gedingen /zu versehen. Unter sothanen viererley Gemahlinnen /ist ihm / mit der / aus dem Durchleuchtigstem Hause Brandenburg / das allermeiste darauf gangen:[68] indem er sich / solch einem hochherrlichem Hause zu Ehren /am herrlichst- und prächtigsten / erwiesen / so wol mit seinem Aufzuge / als andrem Wesen. Und weil das Beylager / zu Berlin / angestellt worden / dahin seine Böhmische Herrschafften ihm / mit Victualien /keinen Beytrag thun können; hat er desto tieffer / in die / wiewol hochvermögliche / Baarschafft / greiffen / und allen Aufgang / mit Gelde / abrichten müssen. Welches denn ein Hohes ausgetragen: Angesehn / er /mit sich / nach Berlin / etliche hundert Reuter aus dem Böhmischen Adel / geführt / und daselbst / auf seinen Kosten / unterhalten; imgleichen gantze Gutschen voll Böhmischer Jungfrauen und Frauen von fürnehmer Geburt / welche der Braut / mit ihrer Gesellschafft und Begleitung nach Böhmen / aufwarten sollten.

Diesem nach hat sich die Weisse Frau etlichen solcher Hochfürstlichen Häuser gleichfalls mit anhängig gemacht / und lässt sich daselbst / bey wigtigen Bevorstehungen / bevorab leidtragenden Fällen / so wol blicken / als auf obbemeldten Böhmischen Schlössern: und zwar nicht nur an denen grossen Hösen allein / in welche der von Rosenberg geheirahtet; sondern auch / an theils andren Hoch-Fürstlichen Höfen / welche mit denen vorigen in Verwandschafft stehen.

Es stellet obbenannter Author / Herr Pater Balbinus / hernach die Frage an / ob die Weisse Frau ein gutes Gespenst sey / und unter die Seelen oder Geister / so bey GOTT dem HErrn in Gnaden seynd / zu rechnen: Sein[69] Urtheil / als eines Römisch-Catholischen Ordens-Manns / lautet hierüber also.

Die Thaten selbst (schreibt er) reden deutlich gnug davon / daß die Weisse Frau (wie man sie / schon von etlichen Jahr-Hunderten hero / gewöhnlich nennet) in der Liebe GOttes beharre: denn es kann weder ein böser Engel / noch eine verdammte Seel / auf solche Weise sich stellen und verstellen / daß nicht (wie wir / durch unzehlich viel Exempel / belehret werden) bißweilen entweder ein böses Wort / oder in solcher Pein / welche die verdammte Seelen allenthalben begleitet / einige Anzeigung der Verzweiflung / heraus fahre / oder auch ein teuflisches und grausames Ungeberde hervorblicke. Die Weisse Frau aber lässt / in ihrem Angesicht / nichts / als lauter sittsame Bescheidenheit / Zucht / Schaamhaffigkeit / und Gottseligkeit / erscheinen.

Man hat gar offt gesehn / daß sie zörnig worden /und ein finsteres Gesicht gemacht / wider die jenige /welche / wider GOtt / oder den Gottesdienst / eine lästerliche Rede ausgeschüttet; ja! daß sie dieselbe auch wol mit Steinen / und allem / was ihr in die Hand ge kommen / verfolgt habe. Wozu noch kommt ihre Liebe / gegen die Armen und Dörfftigen. Denn alle alte Gedächtnissen (oder Gedenck-Schrifften) stimmen hierinn überein / die Weisse Frau habe den (so genannten) süssen Brey / welchen man den armen Unterthanen / am Tage der Einsetzung deß heiligen Abendmahls / jährlich kocht / am ersten / samt selbigem gantzen Gast-Mahl / verordnet / und gestifftet. Weßwegen sie dann / woferrn entweder der bösen Zeiten /[70] oder feindlicher Gefahr / oder andrer Ursachen halben / solche Gutthat / an den Armen / unterlassen wird / sich so unruhig / so übel vergnügt / ja gantz rasend und wütig / erzeigt / daß sie gantz unerträglich wird / und sich nicht eher zur Ruhe giebt / als biß den Armen die gewöhnliche Barmhertzigkeit /daß sie gespeiset werden / widerfährt. Alsdann sihet man sie erst wieder frölig und munter / und Niemanden überlästig / noch beschwerlich.

Ich habe (schreibt er ferner) von glaubwürdigsten Leuten / vernommen / daß / als / vor dreyssig und mehr Jahren / die Schweden / nach Einnehmung selbiges Schlosses / und der Stadt / den Armen diese Mahlzeit auszurichten / entweder vergessen / oder fürsetzlich unterlassen / sie / die weisse Frau / einen solchen Tumult und Getümmel erregt / und dergestalt getobt / daß die Leute im Schloß schier drüber hetten verzweifeln mögen. Es ward die Soldaten-Wacht verjagt / geschlagen / und von einer geheimen Gewalt zu Bodem gestürtzt. Es begegneten solchen Schild Wachten mancherley seltsame Gestalten und Wunder-blasse Gefichter / (simulacra modis pallentia miris, giebts der Author / mit den Worten deß Poetens.) Die Officierer selbst wurden / bey Nacht / aus den Betten /und auf der Erden herumgezogen. Da man nun gantz keinen Raht wusste / diesem Ubel zu steuren / sagt Einer von den Telczensischen Bürgern dem Schwedischen Commendanten / es sey den Armen die jährliche Mahlzeit nicht gereicht / und räht ihm / er solle solche alsofort / nach der Vorfahren Weise / geben lassen. Nachdem solches geschehn / hat man / im Schloß / alsofort[71] Ruhe bekommen / und ist Alles überall von Gespenstern so still worden / daß allerdings auch die Winde zur Ruhe gelegt schienen.

Es findt sich aber (wie mehr-besagter Author hinzuthut) in den Jahr-Geschichten deß Neuhäusischen Jesuiter-Collegii, die Weisse Frau habe noch eine grössere Anzeigung gegeben / daß sie ein guter Geist sey. Denn als / im Jahr 1604 / am 24 Jenner / der Letzte von der vorleuchtenden Neuhäuser-Familie /die / in ihrem Wapen / eine güldne Rose im blauen Felde führte / Namens Joachim / auf seinem Schloß /in tödtlicher Schwachheit lag / und Niemand doch gleichwol einen Priester aus dem Collegio holte; klopffte die Weisse Frau gantz leise an die Thür / tratt darauf gantz ansehnlich ins Gemach hinein / zu dem Pater Rector deß Collegii, Nicolao Pistorio, dessen sich Herr Joachim meistentheils zum Seel-Pfleger gebrauchte / und ermahnte ihn / er solte eilen / und das heilige Sacrament mit sich / zu dem Krancken / hintragen; sintemal der Herr Joachim nicht länger / als eine Stunde / mehr zu leben hette. Der Pater gehorchte / lieff damit fort / fand den Bettlägerigen im Todes-Kampffe / ertheilte demselben doch noch / auf angehörte Beicht / die Absolution / samt der himmlischen Weg-Zehrung / und überließ ihn also / nach so guter Vorbereitung / dem Himmel.

Diese wigtige Verrichtung nun der Weissen Frauen begreifft einen gewaltig-starcken Beweis (nach vielgedachten Patris Urtheil) daß sie / in einem trefflich-gutem Zustande / bey einem frölig- und glückseligem Gewissen / lebe.[72]

Solches sein Urtheil desto mehr zu bekräfftigen /bringt er über das noch bey / was man sonst von ihr erzehlet habe / nemlich / daß / als Frau Catharina von Montfort die Fr. Maria von Hohenzollern / in ihrer Kranckheit zu Bechin besuchte / und nicht gleich eine Fackel bey der Hand war / die Weisse Frau alsofort sich dargestellt / und mit einer Fackel voran gegangen.

Daß diß Gespenst alle dergleichen Sachen gethan /kommt mir gar nicht unglaublich vor. Denn / wie oben schon erwehnt / so zeiget sichs eben so wol / an etlichen hohen Höfen in Teutschland / wann solchen grossen Häusern ein Traur-Fall bevorsteht: Und höret man offt gar wunderseltsam-abentheurliche Händel davon: darunter auch dieses / daß einer grossen Fürstinn / als sie / mit einer Kammer-Jungfrauen / in ihrem Zimmer / vor den Spiegel getreten / um einen neuen Aufsatz zu probiren / und endlich besagte ihre Kammer-Jungfrau gefragt / wie viel die Uhr wäre? unversehns und plötzlich die Weisse Frau / hinter der Spannischen Wänd / hervortretend soll erschienen seyn / und gesprochen haben: Zehen Uhr ists / Ihr Liebden! Worauf dieselbe hohe Fürstinn zum hefftigsten erschrocken / auch / etliche Tage hernach / Bett-und über wenig Wochen auch gar Grablägerig worden. Wiewol ich / für die Gewißheit dieser Begebenheit / nicht gut spreche.

Ob aber ruhmgedachten gelehrten Patris Balbini Meynung / daß die Weisse Frau eine selige Seele seyn müsse / glaublich / und aus dem / von ihm angeführten / gütlichem Verhalten derselben / wie auch sonderbarem Eyfer für die geistliche Seel-[73] Verpflegung ihrer Nachkommen und von ihr gestiffteten Speisung der Armen erweislich sey; darüber soll / an diesem Ort / kein Streit erregt werden: Ich zweifle aber / wann dem Herrn Pater Balbin zur Erfahrung /oder Erinnerung / gekommen wäre / daß die Weisse Frau eben so wol / an unterschiedlichen Höfen protestirender Fürsten / vor den Sterb-Fällen / sich den Leuten ins Gesicht stelle / ob er / bey solcher seiner Meynung / daß sie im Stande der Seligkeit sey /würde beharren.

Meines Theils aber will ich die Entscheidung / ob es der Reichs-Cantzler / Herr Wilhelmus Slavata, oder der Herr Pater Balbin / oder Keiner dieser Beyden / getroffen / ans Gericht der Herren Theologen verwiesen haben.

Fußnoten

1 In Axiomat. Oeconomic.


2 Gerlachius, im Türckischen Tag-Buch / am 301. Bl.


3 S. den Brandenburgischen Ceder-Hein obbenamsten Authoris, am 714 Blat.


4 Gerlachius, im Türckischen Tag-Buch / am 301 Bl.


Quelle:
Francisci, Erasmus: Der Höllische Proteus, oder Tausendkünstige Versteller [...]. Nürnberg 1690, S. 58-74.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Weiße, Christian Felix

Atreus und Thyest. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

Atreus und Thyest. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

Die Brüder Atreus und Thyest töten ihren Halbbruder Chrysippos und lassen im Streit um den Thron von Mykene keine Intrige aus. Weißes Trauerspiel aus der griechischen Mythologie ist 1765 neben der Tragödie »Die Befreiung von Theben« das erste deutschsprachige Drama in fünfhebigen Jamben.

74 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon