Sanssouci

[162] Dies ist der Königspark. Rings Bäume, Blumen, Vasen!

Sieh, wie ins Muschelhorn die Steintritonen blasen!

Die Nymphe spiegelt klar sich in des Beckens Schoß:

Sieh hier der Flora Bild in hoher Rosen Mitten,

Die Laubengänge sieh, so regelrecht geschnitten,

Als wären's Verse Boileaus!


Vorbei am luft'gen Haus voll fremder Vögelstimmen

Laß uns den Hang empor zu den Terrassen klimmen,

Die der Orange Wuchs umkränzt mit falbem Grün!

Dort oben ragt, wo frisch sich Tann' und Buche mischen,

Das schmucklos heitre Schloß mit breiten Fensternischen,

Darin des Abends Feuer glühn.


Dort lehnt ein Mann im Stuhl: sein Haupt ist vorgesunken,

Sein blaues Auge sinnt, und oft in hellen Funken

Entzündet sich's; so sprüht aus dunkler Luft ein Blitz.

Ein dreigespitzter Hut bedeckt der Schläfe Weichen,

Sein Krückstock irrt im Sand und schreibt verworrne Zeichen -

Nicht irrst du, das ist König Fritz.


Er sitzt und sinnt und schreibt. Kannst du sein Brüten deuten?

Denkt er an Kunersdorf, an Roßbach oder Leuthen,

An Hochkirchs Nacht, durchglüht von Flammen hundertfach,

Wie dort im roten Qualm gegrollt die Feldkanonen,

Indes die Reiterei mit rasselnden Schwadronen

Der Grenadiere Viereck brach?


Schwebt ein Gesetz ihm vor, mit dem er weis' und milde

Sein schlachterstarktes Volk zu schöner Menschheit bilde,

Ein Friedensgruß, wo jüngst die Kriegespauke scholl?

Ersinnt er einen Reim, der seinen Sieg verkläre,

Oder ein Epigramm, mit dem bei Tisch Voltaire,

Der Schalk, gezüchtigt werden soll?[163]


Vielleicht auch treten ihm die Bilder nah, die alten,

Da er im Mondenlicht in seines Schlafrocks Falten

Die sanfte Flöt' ergriff, des Vaters Ärgernis?

Des treuen Freundes Geist will er heraufbeschwören,

Dem - ach, um ihn! - das Blei aus sieben Feuerröhren

Die kühne Jünglingsbrust zerriß?


Träumt in die Zukunft er? Zeigt ihm den immer vollern,

Den immer kühnern Flug des Aars von Hohenzollern,

Der schon den Doppelaar gebändigt, ein Gesicht?

Gedenkt er, wie dereinst ganz Deutschland hoffend lausche

Und bangend, wenn daher sein schwarzer Fittich rausche? -

O nein, das alles ist es nicht.


Er murrt: »O Schmerz, als Held gesandt sein einem Volke,

Dem nie der Muse Bild erschien auf goldner Wolke!

August sein auf dem Thron, wenn kein Horaz ihm singt!

Was hilft's, vom fremden Schwan die weißen Federn borgen!

Und doch, was bleibt uns sonst? - Erschein, erschein, o Morgen,

Der uns den Götterliebling bringt!«


Er spricht's und ahnet nicht, daß jene Morgenröte

Den Horizont schon küßt, daß schon der junge Goethe

Mit seiner Rechten fast den vollen Kranz berührt,

Er, der das scheue Kind, noch rot von süßem Schrecken,

Die deutsche Poesie, aus welschen Taxushecken

Zum freien Dichterwalde führt.

Quelle:
Emanuel Geibel: Werke, Band 1, Leipzig und Wien 1918, S. 162-164.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Die Serapionsbrüder

Die Serapionsbrüder

Als Hoffmanns Verleger Reimer ihn 1818 zu einem dritten Erzählzyklus - nach den Fantasie- und den Nachtstücken - animiert, entscheidet sich der Autor, die Sammlung in eine Rahmenhandlung zu kleiden, die seiner Lebenswelt entlehnt ist. In den Jahren von 1814 bis 1818 traf sich E.T.A. Hoffmann regelmäßig mit literarischen Freunden, zu denen u.a. Fouqué und Chamisso gehörten, zu sogenannten Seraphinen-Abenden. Daraus entwickelt er die Serapionsbrüder, die sich gegenseitig als vermeintliche Autoren ihre Erzählungen vortragen und dabei dem serapiontischen Prinzip folgen, jede Form von Nachahmungspoetik und jeden sogenannten Realismus zu unterlassen, sondern allein das im Inneren des Künstlers geschaute Bild durch die Kunst der Poesie der Außenwelt zu zeigen. Der Zyklus enthält unter anderen diese Erzählungen: Rat Krespel, Die Fermate, Der Dichter und der Komponist, Ein Fragment aus dem Leben dreier Freunde, Der Artushof, Die Bergwerke zu Falun, Nußknacker und Mausekönig, Der Kampf der Sänger, Die Automate, Doge und Dogaresse, Meister Martin der Küfner und seine Gesellen, Das fremde Kind, Der unheimliche Gast, Das Fräulein von Scuderi, Spieler-Glück, Der Baron von B., Signor Formica

746 Seiten, 24.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon