Wie die Geschwister Rat hielten

[386] Jünglings Zorn und Lieben ist Flamm' in Stroh und Dorn,

Doch wie glühend Eisen ist Greises Lieb' und Zorn:

Das mußten bald erfahren die kühnen Brüder beid',

Dazu Alfsonn' im Goldhaar zu übergroßem Leid.


Es war die Zeit gekommen, da im grünen Hag

Man kühle Schatten suchet, und Nachtigallenschlag

An den Brünnlein schallet: da kam, den Sporn voll Blut,

Ein Reiter gen Alfheim, des Kunde war nicht gut.


Er sprach: »Es hat entboten bei lautem Hörnerschall

Sigurd der Vielgrimme seine Degen all;

Mit Rossen und Streitwagen zieht er nun daher

Auf mehr denn hundert Schiffen. So viele trug noch nie das Meer.


Auch hat er sich verschworen mit einem teuern Eid,

Nimmerdar von Alfheim zu kehren aus dem Streit,

Ohne mit Alfsonnen. Nun pfleget Rats geschwind!

Der König zaudert nimmer und fährt mit gutem Wind.«


Da sprach der junge Erek: »Das geht an unsern Leib,

Es sei denn, daß die Schwester würde Sigurds Weib;

Doch möcht' ich des entraten. Es müßt' im Eis vergehn

Traurig unser Röslein.« – »Das soll«, sprach Alf, »niemals geschehn.


Lieber will ich liegen auf der Heide breit

Im blutgefärbten Ginster, ja, lieber mag die Maid

Ihr jungfrisches Leben veratmen in den Wind,

Eh' sie wird des Greisen, den ihr Herz nicht minnt.«


Am hohen Bogenfenster von ihren Sorgen schwer

Red'ten so die beiden; da sahn sie übers Meer

Viel weiße Segel kommen wie mit Schwalbenflug;

Das war die Sigurdsflotte, nicht enden wollte der Zug.


Auf den Schiffen blitzt' es und gleißt' im Sonnenlicht

Von blanken Stahlpanzern, die Speere starrten dicht[387]

Wie des Kornfelds Ähren, wann man mähen will;

Ins Auge sahn die Brüder sich leidvoll und still.


Sie schritten nach dem Söller. Da saß die holde Maid

Alfsonn' im Goldgelocke; sie webte sich ein Kleid

Von schneeweißem Linnen am Webestuhl und sang,

Dazu das Schifflein silbern hellklingend durch die Fäden sprang.


Da sie der Brüder wahrnahm, frug sie: »Was hat den Mut

Also euch verstöret? Euch ist das lichte Blut

Gewichen aus den Wangen; der Grund ist nicht gering.« –

»Es rückt«, sprach Alf Blondbart, »vor Alfheim Sigurd Ring.


An zehntausend Klingen führet er daher;

Zur Minne dich zu zwingen, das dünkt uns sein Begehr.

Wir können ihm nicht wehren, zu klein ist unsre Kraft.

Wer sieht zu deinen Ehren, wenn uns die Feldschlacht hingerafft?«


Bleich ward Alfsonne, da sie das vernahm;

Ihrer lichten Tränen hatte sie nicht Scham,

Die sprangen aus den Wimpern. Dann sprach sie: »Brüder mein,

Ich weiß, was mir geziemet. Ruhig mögt ihr sein.


Alfs Tochter dünkt es besser, zu frein den kalten Tod,

Denn in des Königs Bette zu legen sich aus Not

An eines Greisen Seite. Auch hab' ich einen Trank,

Einen vielmilden, des weiß ich heut den Göttern Dank.


Der hilft mir diese Stunde. Doch seh' ich dort am Strand

Schon die Brünnen leuchten und Helm und Schildesrand.

Mich dünkt, mein Werk hat Eile, so wollt mich einsam lan,

Daß ich zur Fahrt mich rüste. Was not tut, das ist bald getan.«


Mit festen Schritten, schweigend schritt Alf aus der Hall';

Auf die Augen küßte sie Erek Harfenschall,[388]

Daß sie nicht säh' sein Weinen. Dann ließ er sie allein.

Nicht zauderte die Jungfrau, sie ging an ihren Schrein;


Einen Becher gülden nahm sie aus der Haft,

Dazu ein silbern Fläschlein, darinnen war ein Saft

Von blutroter Farbe; den hatt' aus Zauberkraut

In der Nacht des Neumonds die Drude klug gebraut.


Auf die Zinne trat sie; da lagen weit im Ring

Nordlands Meer und Berge, die Sonne niederging,

Es glomm der letzte Schimmer um Wald und Felsenhöhn;

Ihr war's, sie hätte nimmer die Welt geschaut so schön.


Sie sprach: »Fahr wohl, o Sonne, du rosenroter Tag,

Meiner Augen Wonne, fahr wohl, du Frühlingshag!

Ihr Brünnlein an der Halde, die all mein Spiel gesehn,

Fahrt wohl, ihr Veilchen im Walde! Ich soll euch nimmer pflücken gehn.


Nimmer soll ich hören der kleinen Vöglein Scherz

In lichten Maientagen; es soll auch nie mein Herz

Süßer Minne pflegen, und bin doch jung und rot.

O Sigurd Ring, was treibst du so früh mich in den Tod?«


Den güldnen Becher nahm sie und leert' ihn bis zum Grund,

Da wurden ihr schwer die Wimpern; sie sank mit bleichem Mund

Auf den Steinboden; die Locken fielen dicht

Als wie ein güldener Schleier über ihr Angesicht.


Darnach ward eine Stille. Vergangen war der Tag

Mit der lichten Sonne. Da kam ein Flügelschlag

Aus den Lüften nieder, das war ihr Falke gut,

Der kehrte jeden Abend in seiner Herrin Hut.


Da er Alfsonnen so stille liegen fand:

Dreimal zog er kreisend um der Zinnen Rand,

Als wollt' er sie erwecken. Doch glückt' es ihm nicht.

Da flog er hochaufsteigend hinauf ins kühle Mondenlicht.

Quelle:
Emanuel Geibel: Werke, Band 1, Leipzig und Wien 1918, S. 386-389.
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