Zufriedenheit mit seinem Zustande

[269] Du klagst, und fühlest die Beschwerden

Des Stands, in dem du dürftig lebst;

Du strebest, glücklicher zu werden,

Und siehst, daß du vergebens strebst.


Ja, klage! Gott erlaubt die Zähren;

Doch denk im Klagen auch zurück.

Ist denn das Glück, das wir begehren,

Für uns auch stets ein wahres Glück?


Nie schenkt der Stand, nie schenken Güter

Dem Menschen die Zufriedenheit.

Die wahre Ruhe der Gemüter

Ist Tugend und Genügsamkeit.


Genieße, was dir Gott beschieden,

Entbehre gern, was du nicht hast.

Ein jeder Stand hat seinen Frieden,

Ein jeder Stand auch seine Last.
[269]

Gott ist der Herr, und seinen Segen

Verteilt er stets mit weiser Hand;

Nicht so, wie wir's zu wünschen pflegen,

Doch so, wie er's uns heilsam fand.


Willst du zu denken dich erkühnen,

Daß seine Liebe dich vergißt?

Er gibt uns mehr, als wir verdienen,

Und niemals, was uns schädlich ist.


Verzehre nicht des Lebens Kräfte

In träger Unzufriedenheit;

Besorge deines Stands Geschäfte,

Und nütze deine Lebenszeit.


Bei Pflicht und Fleiß sich Gott ergeben,

Ein ewig Glück in Hoffnung sehn,

Dies ist der Weg zu Ruh und Leben.

Herr, lehre diesen Weg mich gehn!


Quelle:
Christian Fürchtegott Gellert: Werke, Band 1, Frankfurt a.M. 1979, S. 269-270.
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