DIE TOTE STADT

[29] Die weite bucht erfüllt der neue hafen

Der alles glück des landes saugt · ein mond

Von glitzernden und rauhen häuserwänden ·

Endlosen strassen drin mit gleicher gier

Die menge tages feilscht und abends tollt.

Nur hohn und mitleid steigt zur mutterstadt

Am felsen droben die mit schwarzen mauern

Verarmt daliegt · vergessen von der zeit.


Die stille veste lebt und träumt und sieht

Wie stark ihr turm in ewige sonnen ragt ·

Das schweigen ihre weihebilder schüzt

Und auf den grasigen gassen ihren wohnern

Die glieder blühen durch verschlissnes tuch.

Sie spürt kein leid · sie weiss der tag bricht an:

Da schleppt sich aus den üppigen palästen

Den berg hinan von flehenden ein zug:[30]


»Uns mäht ein ödes weh und wir verderben

Wenn ihr nicht helft – im überflusse siech.

Vergönnt uns reinen odem eurer höhe

Und klaren quell! wir finden rast in hof

Und stall und jeder höhlung eines tors.

Hier schätze wie ihr nie sie saht – die steine

Wie fracht von hundert schiffen kostbar · spange

Und reif vom werte ganzer länderbreiten!«


Doch strenge antwort kommt: »Hier frommt kein kauf.

Das gut was euch vor allem galt ist schutt.

Nur sieben sind gerettet die einst kamen

Und denen unsre kinder zugelächelt.

Euch all trifft tod. Schon eure zahl ist frevel.

Geht mit dem falschen prunk der unsren knaben

Zum ekel wird! Seht wie ihr nackter fuss

Ihn übers riff hinab zum meere stösst.«

Quelle:
Stefan George: Der siebente Ring. Gesamt-Ausgabe der Werke, Band 6 / 7, Berlin 1931, S. 29-31.
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