ZWIEGESPRÄCH IM SCHILFE

[17] Warum nach dem mittagserwachen wo schönste

gesänge mir werden

Wo weinrote winden um zirpende goldene

stengel sich schmiegen

Und kreise von zartestem glanz die verwobenen

sträucher umflimmern

Enttauchest du wieder den wellen vor mir

meine freuden belauschend?


– Dies ist auch die stunde wo zwischen den

wächsernen lilien zu rudern ·

Auf ihren gebreiteten blättern als kähne

zu schaukeln mir lieb ist ·

Den leib überflossen vom blendenden scheine der

oberen erden –[18]


Dann hebe dich näher · ich werde die reize

des ufers dir zeigen.


– Nicht ist uns gemeinschaft · was sprächen die blumen

wenn sich meine arme ·

Die hellen · mit deiner gebräunten und härenen

schulter vermischten? –


So suche dir andere plätze zum spiele, denn

diese gefilde

Sind unsres geschlechtes besitze so lang

ein gedächtnis mir dämmert.


– Und wir sind hier ewig gewesen · wir die wir

unsterblich und schön sind –


Dies messer (du siehst es) womit ich die saftigen

zweige mir schäle

Und tönende hörner mir schneide es wird

bis ans heft meine brust

Verwundend durchbohren · ich sinke hinab mit der

scheidenden sonne.


– Du wirst es nicht · denn es missfiele mir wenn

mit dem düsteren blute

Den klaren mir teueren spiegel du trübtest der

lieblichen quelle.

Quelle:
Stefan George: Die Bücher der Hirten- und Preisgedichte, der Sagen und Sänge und der hängenden Gärten. Gesamt-Ausgabe der Werke, Band 3, Berlin 1930, S. 17-19.
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