Barmherzger Vater, höchster Gott, gedenk an deine Worte!

[225] Nach Johann Arnds »Paradiesgärtlein« III, 26


1.

Barmherzger Vater, höchster Gott,

Gedenk an deine Worte!

Du sprichst: Ruf mich an in der Not

Und klopf an meine Pforte,

So will ich dir

Errettung hier

Nach deinem Wunsch erweisen,

Daß du mit Mund

Und Herzensgrund

In Freuden mich sollst preisen.


2.

Befiehl dem Herren früh und spat

All deine Weg und Sachen,

Er weiß zu geben Rat und Tat,

Kann alles richtig machen.

Wirf auf ihn hin,

Was dir im Sinn

Liegt und dein Herz betrübet,

Er ist dein Hirt,

Der wissen wird

Zu schützen, was er liebet.


3.

Der fromme Vater wird sein Kind

In seine Arme fassen

Und, die gerecht und gläubig sind,

Nicht stets in Unruh lassen.

Drum, lieben Leut,

Hofft allezeit

Auf den, der völlig labet;

Dem schüttet aus,

Was ihr im Haus

Und auf dem Herzen habet.
[226]

4.

Ach, süßer Hort, wie tröstlich klingt,

Was du versprichst den Frommen:

Ich will, wann Trübsal einher dringt,

Ihm selbst zu Hilfe kommen,

Er liebet mich,

Drum will auch ich

Ihn lieben und beschützen,

Er soll bei mir

Im Schoße hier

Frei aller Sorgen sitzen.


5.

Der Herr ist allen denen nah,

Die sich zu ihme finden,

Wann sie ihn rufen, steht er da,

Hilft fröhlich überwinden

All Angst und Weh,

Hebt in die Höh

Die schon darnieder liegen;

Er macht und schafft,

Daß sie viel Kraft

Und große Stärke kriegen.


6.

Fürwahr, wer meinen Namen ehrt,

Spricht Christus, und fest gläubet,

Des Bitte wird von Gott erhört,

Sein Herzenswunsch bekleibet.

So tret heran

Ein jedermann!

Wer bittet, wird empfangen,

Und wer da sucht,

Der wird die Frucht

Mit großem Nutz erlangen.


7.

Hört, was dort jener Richter sagt:

Ich muß die Witwe hören,[227]

Dieweil sie mich so treibt und plagt.

Sollt denn sich Gott nicht kehren

Zu seiner Schar,

Die hier und dar

Bei Nacht und Tage schreien?

Ich sag und halt:

Er wird sie bald

Aus aller Angst befreien.


8.

Wann der Gerecht in Nöten weint,

Will Gott ihn fröhlich machen;

Und die zerbrochnes Herzens seind,

Die sollen wieder lachen.

Wer fromm will sein,

Muß in der Pein

Und Jammerstraße wallen;

Doch steht ihm bei

Des Höchsten Treu

Und hift ihm aus dem allen.


9.

Ich habe dich ein'n Augenblick,

O liebes Kind, verlassen,

Sieh aber, sieh, mit großem Glück

Und Trost ohn alle Maßen

Will ich dir schon

Die Freudenkron

Aufsetzen und verehren;

Dein kurzes Leid

Soll sich in Freud

Und ewges Heil verkehren.


10.

Ach lieber Gott, ach Vaterherz,

Mein Trost von so viel Jahren,

Wie läßt du mich so manchen Schmerz

Und große Angst erfahren![228]

Mein Herze schmacht,

Mein Auge wacht

Und weint sich krank und trübe;

Mein Angesicht

Verliert sein Licht

Vom Seufzen, das ich übe.


11.

Ach Herr, wie lange willst du mein

So ganz und gar vergessen?

Wie lange soll ich traurig sein

Und mein Leid in mich fressen?

Wie lang ergrimmt

Dein Herz und nimmt

Dein Antlitz meiner Seelen?

Wie lange soll

Ich sorgenvoll

Mein Herz im Leibe quälen?


12.

Willst du verstoßen ewiglich

Und kein Guts mehr erzeigen?

Soll dein Wort und Verheißung sich

Nun ganz zu Grunde neigen?

Zürnst du so sehr,

Daß du nicht mehr

Dein Heil magst zu mir senden?

Doch Herr, ich will

Dir halten still,

Dein Hand kann alles wenden.


13.

Nach dir, o Herr, verlanget mich

Im Jammer dieser Erden.

Mein Gott, ich harr und hoff auf dich,

Laß nicht zu schanden werden,

Herr, deinen Freund,

Daß nicht mein Feind[229]

Sich freu und jubiliere,

Gib mir vielmehr,

Daß ich zur Ehr

Ersteig und triumphiere.


14.

Ach Herr, du bist und bleibst auch wohl

Getreu in deinem Sinne,

Darum, wann ich ja kämpfen soll,

So gib, daß ich gewinne.

Leg auf die Last,

Die du mir hast

Beschlossen aufzulegen,

Leg auf, doch daß

Auch nicht das Maß

Sei über mein Vermögen!


15.

Du bist ja ungebundner Kraft

Ein Held, der alles stürzet,

Du hast ein Hand, die alles schafft,

Die ist noch unverkürzet.

Herr Zebaoth

Wirst du, mein Gott,

Genannt zu deinen Ehren,

Bist groß von Rat,

Und deiner Tat

Kann keine Stärke wehren.


16.

Du bist der Tröster Israel

Und Retter aus Trübsalen,

Wie kommts denn, daß du meine Seel

Jetzt sinken läßt und fallen?

Du stellst und hast

Dich als ein Gast,

Der fremd ist in dem Lande,[230]

Und wie ein Held,

Dems Herz entfällt

Mit Schimpf und großer Schande.


17.

Nein Herr, ein solcher bist du nicht,

Des ist mein Herz gegründet,

Du stehest fest, der du dein Licht

Hier bei uns angezündet.

Ja hier hältst du,

Herr, deine Ruh

Bei uns, die nach dir heißen,

Und bist bereit,

Zu rechter Zeit

Uns aus der Not zu reißen.


18.

Nun, Herr, nach aller dieser Zahl

Der jetzt erzählten Worten

Hilf mir, der ich so manchesmal

Geklopft an deine Pforten!

Hilf, Helfer, mir,

So will ich hier

Dir Freudenopfer bringen,

Auch nachmals dort

Dir fort und fort

Im Himmel herrlich singen.

Quelle:
Paul Gerhardt: Dichtungen und Schriften, München 1957, S. 225-231.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte
Wach auf, mein Herz, und singe: Vollständige Ausgabe seiner Lieder und Gedichte
Erinnerungen 2014: Postkartenkalender - Christliche Lieder & Gedichte
Wach auf, mein Herz, und singe. Gesamtausgabe seiner Lieder und Gedichte
Gedichte Von Paulus Gerhardt (German Edition)

Buchempfehlung

Lohenstein, Daniel Casper von

Agrippina. Trauerspiel

Agrippina. Trauerspiel

Im Kampf um die Macht in Rom ist jedes Mittel recht: Intrige, Betrug und Inzest. Schließlich läßt Nero seine Mutter Agrippina erschlagen und ihren zuckenden Körper mit Messern durchbohren. Neben Epicharis ist Agrippina das zweite Nero-Drama Daniel Casper von Lohensteins.

142 Seiten, 7.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon