Selbsterniedrigung
Herr, ich will gar gerne bleiben, wie ich bin, dein armer Hund

[145] (Matth. 15, 21 u. Mark. 7, 28)


Nach den lateinischen Distichen des Nathan Chyträus »Sum canis indignus« 1568


1.

Herr, ich will gar gerne bleiben,

Wie ich bin, dein armer Hund,

Will auch anders nicht beschreiben

Mich und meines Herzens Grund.

Denn ich fühle, was ich sei:

Alles Böse wohnt mir bei,

Ich bin aller Schand ergeben,

Unrein ist mein ganzes Leben.


2.

Hündisch ist mein Zorn und Eifer,

Hündisch ist mein Neid und Haß,

Hündisch ist mein Zank und Geifer,

Hündisch ist mein Raub und Fraß;

Ja, wenn ich mich recht genau,

Als ich billig soll, beschau,

Halt ich mich in vielen Sachen

Ärger, als die Hund es machen.


3.

Ich will auch nicht mehr begehren,

Als mir zukommt und gebührt,

Wollst mich nur des Rechts gewähren,

Das ein Hund im Hause führt!

Deine Heilgen, die sich dir

Hier ergeben für und für,

Mögen oben an der Spitzen

Deiner Himmelstafel sitzen.


4.

Deine Kinder, die dich ehren

Und in voller Tugend stehn,

Mögen sich von Wollust nähren[146]

Und im Erbe sich erhöhn,

Das du ihnen in dem Licht

Deines Saals hast zugericht't,

Ich will, wenn ich nur kann liegen

Unterm Tisch, mir lassen gnügen.


5.

Ich will ins Verborgne kriechen,

Da die Nacht den Tag verhüllt,

Und hin nach der Erden riechen,

Suchen, was den Hunger stillt;

Ich will mit den Brosamlein,

Die ich finde, friedlich sein

Und mich freuen über allen,

Was die Herren lassen fallen.


6.

Murren will ich auch und bellen,

Aber gleichwohl weiter nicht,

Als nur wenn in Sündenfällen

Dir von mir ein Schimpf geschicht,

Wenn mein Fleisch mich übereilt

Und zur Buße, die uns heilt,

Sich viel träger als zur Sünden

Und zur Bosheit lässet finden.


7.

Dennoch will ohn alles Heucheln,

Das so fest sonst in uns steckt,

Ich dir auch hinwieder schmeicheln,

Wenn ich deinen Zorn erweckt

Und du meinen Übermut

Strafest mit der scharfen Rut.

Ach Herr, schone, will ich sprechen,

Laß mein Wort dein Herze brechen!


8.

Mache mich zum wackern Hüter,

Dessen Augen offen sein,[147]

Wenn das schönste deiner Güter,

Deine Kinder, schlafen ein.

Wenn das Haus zu Bette geht

Und der Dieb mit Listen steht

Nach des Nächsten Gut und Gelde,

Ei, so gib, daß ich ihn melde!


9.

Mehre meinen kleinen Glauben

Und wehr allem, das da will

Dieses Schatzes mich berauben;

Führe mich zum rechten Ziel!

Laß mich sein, o ewges Heil,

Deines Hauses kleines Teil

Auch den Kleinsten unter allen,

Die nach deinem Reiche wallen.


10.

Hab ich dies, so ruht mein Wille,

Denn ich habe selber dich,

Dich, du unvermessne Fülle

Dessen, was mich ewiglich

In dem Himmel laben soll.

Wohl mir, wohl und aber wohl!

Soll mich Gottes Fülle laben,

Woran will ich Mangel haben?

Quelle:
Paul Gerhardt: Dichtungen und Schriften, München 1957, S. 145-148.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte
Wach auf, mein Herz, und singe: Vollständige Ausgabe seiner Lieder und Gedichte
Erinnerungen 2014: Postkartenkalender - Christliche Lieder & Gedichte
Wach auf, mein Herz, und singe. Gesamtausgabe seiner Lieder und Gedichte
Gedichte Von Paulus Gerhardt (German Edition)

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten

Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten

Anders als in seinen früheren, naturalistischen Stücken, widmet sich Schnitzler in seinem einsamen Weg dem sozialpsychologischen Problem menschlicher Kommunikation. Die Schicksale der Familie des Kunstprofessors Wegrat, des alten Malers Julian Fichtner und des sterbenskranken Dichters Stephan von Sala sind in Wien um 1900 tragisch miteinander verwoben und enden schließlich alle in der Einsamkeit.

70 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon